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Georges Mathieu, öffentliche Malaktion, 1957
Schweiß gebadet war. Es dauerte nicht lange, bis die
Japaner, die sonst Fremden gegegenüber sehr höflich sind,
vor Lachen brüllten und nach jedem Pinselstrich vor
Begeisterung johlten.
»Das ist der neue Ford!«, krähte einer. »It's not a whodunit,
but a hedunit«, rief ein anderer in ausgezeichnetem Slang,
Mathieu war so in seine Arbeit versunken, daß er nichts und
niemanden hörte. Er schlug mit einem in gelbe Farbe
getauchten Flandtuch auf die Leinwand ein, knetete
blütenweiße Pigmente zu Schneebällen und warf sie mit
Wucht auf die tropfende Ölfarbe, klatschte mit rapier
schnellen Hieben noch mehr Farbe auf die Leinwand, hob
eine Ladung Farbtuben auf und hüpfte das Schlachtfeld
entlang. Auf dem Höhepunkt seiner Rage feuerte er im
Stakkato eines Maschinengewehrs Tuben über die
Schulter, bis er endlich langsamer wurde, und die letzten
zwanzig Minuten darauf verwendete, nur noch hier und da
einen Hauch Farbe hinzuzufügen. Gesamtdauer: 110
Minuten. Titel: The Battle of Hakata (A.D. 1281 - als die
Japaner Kublai Khan untenA/arfen).’®^
Mathieus Rezeption in Europa war sehr gemischt. Von Yves
Klein wurde er als Mentor und gleichgesinnter Monarchist
anerkannt. Das Photo von Kleins berüchtigtem Leap into the
Void (1969), das angeblich einen einzigen, spontanen und
gefährlichen Sprung in die Leere dokumentierte, zeigt in
Wahrheit, wieviel Klein hinsichtlich der Aufführung seiner
Kunst für photographische Zwecke Mathieu verdankt. Aber
auch konzeptuell und intellektuell tritt Klein in die Fußstapfen
seines Mentors. In Kleins Interesse für Risiko, Spontaneität,
Geschwindigkeit und Improvisation, das er in seinen lebenden
Pinseln und anderen Arbeiten umgesetzt hat, klingt Mathieus
Denkweise nach. Mathieu fand übrigens auch Anerkennung
bei den Wiener Aktionisten, die seine Wiener Performance
vom 2. April 1959 im Theater am Fleischmarkt als bedeuten
den Schritt auf ihrem Weg zur Aktion bezeichneten.’®
Was sind die Gründe dafür, daß Mathieus Beitrag zur
Kunstgeschichte (und insbesondere zur Geschichte der
Performance) seinerzeit nicht anerkannt wurde? Warum hat
man seine theoretischen Texte allesamt vergessen? Meiner
Einschätzung nach verweist die negative, kritische Rezeption
von Mathieus Arbeit in den USA auf das traditionelle
Mißtrauen gegenüber öffentlicher Zurschaustellung insbe
sondere photographischer Art in populären Magazinen wie
Time. In dem puritanischen Klima der Vereinigten Staaten
machte es die Dinge nicht besser, daß Mathieu reich, exzen
trisch und adelig war und dies auch zur Schau stellte. In
Europa lehnten einige Künstler im Umfeld der politischen
Linken Mathieu wegen seines Monarchismus ab. Das ist
wenig einleuchtend, denn Yves Kleins Monarchismus beein
trächtigte ja die Rezeption seiner Arbeit seitens der Avant
garde auch nicht. Wie dem auch sei, all diese Animositäten
waren raffiniert getarnt, man tat Mathieus Arbeit als ober
flächlich, zu wenig ernsthaft, dekorativ, und schlicht und
ergreifend als schlecht ab - subjektive ästhetische Urteile, die
sich objektiv gaben.
Mathieu war völlig niedergeschmettert und tief verletzt von der
nahezu allgemeinen negativen Rezeption seiner Arbeit und
Person in den USA. Immerhin war er einer der ersten europäi
schen Künstler gewesen, der in zahlreichen Aussagen,
Ausstellungen und Aufsätzen für die Malerei des amerikani
schen Abstrakten Expressionismus eingetreten war. Mathieu
hat sich stets als lyrischen, abstrakten Vertreter des Action
painting verstanden. Noch 1994 bestritt er, daß seine Arbeit
irgend etwas mit Performance zu tun habe.''*^ Er selbst
bezeichnet seine öffentlichen Aktionen als Bemühungen, »die
Öffentlichkeit an der Entstehung [eines Gemäldes] teilhaben zu
lassen«, während das Ziel von Happenings »in der Vernichtung
sämtlicher Spuren eines künstlerischen Ereignisses zu liegen
scheint«, dennoch würde der Zusammenhang ungeachtet der
Tatsache hergestellt, daß er »in fast allen Ländern der Welt vor
der Öffentlichkeit« gemalt hatte.'®^ Ganz gewiß ist Mathieu
nicht »einer der Pioniere des Happenings-'^*: wenn überhaupt,
ist er ein Vorläufer der Aktionskunst.
152 Time, September 1957. Das Werk wurde angeblich für
»3.000.000 Yen bzw. damals 8.333 Dollar« verkauft.
153 Siehe Robert Fleck, Avantgarde in Wien: Die Geschichte der
Galerie Nächst St. Stephan 1954-1982, Kunst und Kunstbetrieb
in Österreich, Band I: Die Chronik, Wien 1982, S. 186-96.
154 Mathieu im Gespräch mit der Autorin, Paris, Oktober 1994.
155 Unveröffentlichter Brief von Georges Mathieu an Jean de Loisy
vom 27. Januar 1994, anläßlich seiner Einladung zur Teilnahme
an »Hors Limites«, einer Ausstellung über die Geschichte der
Performance-Kunst im Centre Georges Pompidou, 1994.
156 Siehe Wollens Erklärung in einem unveröffentlichten Brief von
Judith Hanson (Projektleiterin von Anthony McCall Associates)
an Mathieu, 14. Oktober 1994.