90 DAS KUNSTGEWERBE. recht; im Uebrigen erfcheint alles nur wie bewufstlofe Durchführung ererbter Traditionen und oft in fehr liederlicher Ausführung. Was gut daran ift, das ift eben das von den Vätern Ererbte. Heute fleht auch die orientalifche Kunft vor einer Reform, vor einer zum Theil beabfichtigten Wiederbelebung oder Um wandlung; aber wie die europäifche Kunftinduftrie eine orientalifche Frage hat, fo fieht die orientalifche ihrerfeits vor fich eine europäifche P'rage. Nicht blofs, dafs es europäifche Künfller find, franzöfifche wie auch deutfche, welche fie in Cairo, Conftantinopel, Smyrna regeneriren wollen, nicht blofs, dafs ihr die modernen Anilinfarben zu fchaffen machen, der gebildete Türke europäifirt fich jetzt in Leben und Sitte und mufs daher auch in feiner Wohnung in dem Kampfe zwifchen europäifcherundorientalifcher Ausftattung einen Ausgleich eingehen. Schla gend erkennen wir das in dem türkifchen Wohnhaus auf der Weltausftellung. Man mufs das Wefen der orientalifchen Kunft mit Bezug auf die Wohnung, auf den Privatbau in zweierlei Eigenfchaften fuchen: einmal darin, dafs das Aeufsere gegenüber dem Innern vernachläffigt wird, dafs der innern Ausftattung und Decoration zugute kommt, was man an Schmuck und Glanz zu verwenden hat, und zum zweiten darin, dafs die Decoration, der Figur und Plaftik ent- fagend, lediglich farbige Decoration der Fläche ift; wo erhöhtes Ornament aus der Grundfläche heraustritt, da ift es eigentlich nur fcheinbar plaftifch, weil es mit feinen Höhen wieder in der gleichen Ebene liegt. Die erftere Eigenfchaft begreift fleh leicht aus der Art des häuslichen Lebens, aus der Abgefchloffen- heit der Frauen und des Haufes überhaupt. Beides, die Einkehr der Kunft und die Abfperrung von Frau und Haus, kann feit den Zeiten der glänzenden Cha- lifate von Bagdad und Cordova nur immer gewachfen fein; denn die Schilderun gen, die uns von dem Leben der arabifchen Ritterfchaft, von den Paläften und Villen gemacht werden, fetzen eine weit gröfsere F'reiheit, weit mehr Aeufser- lichkeit voraus, als wir fie heute oder während der letzten Jahrhunderte im Orient finden. Es war auch mit der zweiten Eigenfchaft der orientalifchen Kunft nicht anders, nicht fo, als ob die Araber jemals eine blühende Sculptur in unferem Sinne befeffen hätten; aber der Islam hatte im Mittelalter und noch während des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts im Reiche von Granada weit weniger die Scheu vor der Darftellung der menfchlichen und thierifchen Geftalt, als fie heute im ganzen türkifchen Reiche und bei allen orthodoxen Muhamme danern allgemein ift. Die ketzerifchen Perfer machen eine Ausnahme, ohne es in ihren kleinen figürlichen Malereien weit gebracht zu haben. So haben wir denn untere Phantafie ein wenig einzufchränken, unfere Er wartungen zu dämpfen, wenn wir an das „orientalifche Viertel“ herantreten, das uns in der Weltausftellung erbaut worden. Im Abendfonnenlicht liegt es aller dings reizend da mit feinen warmen Farben und feiner zum Theil phantaftifcher oder bewegter Geftaltung, umfäumt vom grünen Walde; aber wenn wir das Einzelne muftern, wenn wir es namentlich auf die Frage der Aechtheit prüfen, fo geht es nicht ohne Täufchung ab. Wir thun immer noch beffer, uns mit Hülfe deflen, was uns Perfien, die Türkei, Egypten, Tunis und Marokko an Originalgegen- ftänden gefendet haben, das Bild des Orients, mindeftens gefagt, zu ergänzen und zu berichtigen, als jenen Bauten allzuviel Vertrauen zu fchenken.