Die russische Ikone hat daher im Laufe ihrer jahrhundertelangen Geschichte natürlicherweise besonders stark gelitten. Die bedeutendsten Schulen der Malerei haben ihre Tätigkeit nördlich von Moskau, auf feuchtem Flachland, entfaltet; die Ikonen wurden in halbdunklen, unheizbaren, schlecht gelüfteten Kirchen untergebracht. Die die Malerei überziehende Lackierung aus gekochtem Leinöl, das in schwach beleuchteten Räumen an und für sich dunkler wird, vermischte sich nunmehr mit Staub und Ruß, und bildete allmählich eine Art schwarz brauner, undurchdringlicher Kruste, welche die ursprünglich leuchtenden Farben des Originals völlig verbarg: Lichtblau wurde zu Dunkelgrün, Rot zu Tief braun, Weiß zu Dunkelgelb, Gelb zu Graubraun. Überdies wurden die ursprünglich durchsichtigen Farben trübe und trost los fahl. Es litt aber nicht nur die Malerei; die Holzplanke selbst, welche das Bild trug, bekam Risse, die Grundierung barst, schwoll auf und wurde zu Staub, die Farben bröckelten allmählich stück- und schichtweise ab. In sehr alten Zeiten mußte man bereits zu Reparaturen greifen, worüber in alten Chroniken ausdrücklich berichtet wird. Dieses Verfahren wurde naturgemäß durch die Sorge um die gute Erhaltung des Denkmals hervorgerufen, es wurde aber außerdem, teils imVorbeigehen, teils zum Zwecke der »Reparatur«, der »Ausbesserung« eine ganze Reihe systematischer Übermalungen des Originalbildes vor genommen. Man begann zwar mit dem Übermalen der Ritzen und Fugen, nach ein paar Jahrhunderten war man aber so weit, daß das ganze Kunstwerk von oben bis unten neu übermalt war; ja, es wurde öfters auf ein altertümlichesWerk eine neue Grundierung aufgetragen, und auf dieser entstand ein neues Bild, das sogar häufig ein völlig neues Thema behandelte. 10