Ehrgeiz beseelt, hat Ferstel auch das Beste, was er zu leisten vermochte, in dem Ent wurf für das Universitätsgebäude niedergelegt und auch in diesem Werk ein Bau denkmal geschaffen, das seinen Namen für immerwährende Zeiten in der Kunst geschichte verherrlichen wird. Wien besitzt aus der jüngsten Bauperiode eine grosse Anzahl vorzüglicher Bauten im Renaissancestil, aber bei keinem Bau ist dieser Stil in so reinen Formen zum Ausdruck gekommen wie an der Wiener Universität. Der Bau ist heutigen Tags noch nicht in allen seinen Theilen vollendet. Es fehlen im Innern des Baues alle Fest räume und auch die Bibliothek ist noch nicht fertiggestellt; es fehlen ferner noch einige Institute, welche zur Ergänzung der Universität nöthig sind. Auch fehlt an den Aussenseiten der Universität noch ein Theil des künstlerischen Schmuckes. Die Rück sichten auf den Staatsschatz haben es leider nothwendig gemacht, in Bezug auf die künstlerische Aussendecoration Beschränkungen eintreten zu lassen, so dass der Bau im Aeussern nicht so reich und so harmonisch ist, wie sich dies der Künstler ursprüng lich gedacht hat. Aber trotzdem bleibt der Universitätsbau, so wie er ist, der schönste und ohne Zweifel vollendetste Renaissancebau, welchen das moderne Wien aufzu weisen hat. Da der Universitätsbau sich in der nächsten Nähe der Votivkirche be findet, so hat der Künstler willkommenen Anlass genommen, das freie Terrain von der Alserstrasse bis zur Währingerstrasse künstlerisch zu beleben und durch den Einfluss, welchen er auf die Bauten in der Nähe der Votivkirche genommen hat, diesen Platz gewissermassen einheitlich zu gestalten. Die künstlerische Physiognomie dieses Stadttheils ist ein Werk Ferstels und wird es bleiben für alle Zeiten. Ferstel hatte im Jahre 1871 eine Reise nach Italien unternommen und alle jene grossen Renaissance- und Palastbauten studirt, welche mit seinen Ideen für den Universitätsbau im Zusammenhänge standen, so dass sein Geist befruchtet von den Eindrücken, die er in Bologna, Padua und Genua, insbesondere aber in Rom empfangen, an den Entwurf für den Universitätsbau herangetreten ist. Seine italienische Reise hat nicht wenig dazu beigetragen, seinen Geist zu reifen und seinen angebornen Schönheitssinn zu entwickeln. Nicht wenige Bauglieder des Universitätsbaues athmen einen bramantesken Geist. Sie haben einen harmonischen Rhythmus, der an Schön heiten des Goethe’schen Versbaues aus der Zeit, wo er seine Iphigenie in Italien dichtete, und Klangformen des Mozart’schen Styles erinnert. Die Handhabung der Formen der italienischen Renaissance ist heutigen Tages ebenso verschieden wie die der hellenischen Bauformen. Theophil Hansen ist unter den modernen Baukünstlern derjenige, der die hellenische Bauform am reinsten anwendet, Ferstel derjenige, der die italienische Renaissance am schönsten durchgebildet hat. Nicht das Gross- 20