MAURISCHE ORNAMENTE. dieser Mangel aufs reichlichste ersetzt durch die Inschriften, die nicht durch ihre äusserliche Schönheit das Auge ergötzten, sondern auch den Geist ansprachen, indem das Entziffern ihrer sonderbaren durchschlunse- nen Verwickelungen den Verstand in Anspruch nahm, während ihre Bedeutung den Geist aufs ange nehmste anregte, sowohl durch die Schönheit der ausgedrückten Ideen als durch den musikalischen Wohlklang ihrer Composition. Sie hatten eine Sprache für Jedermann. Den Künstlern und allen jenen, die mit den erforderlichen Geistesfähigkeiten begabt waren ihre Schönheit gehörig zu würdigen, riefen sie zu: Sehet und lernet. Dem Volke verkündeten sie die Macht, die Majestät und die Wohlthaten der Könige. Den Königen selbst erklärten sie unaufhörlich, dass Niemand die Macht besitze als Gott, dass Er allein der Eroberer sei, und dass ihm allein Preis und Ehre gebühre. Die Erbauer dieses wundervollen Gebäudes waren sich der Grösse ihres Werkes vollkommen bewusst, und nahmen keinen Anstand in den Inschriften an den Wänden wiederholt zu behaupten, dass dieses Gebäude alle anderen Bauten übertreffe; dass beim Anblicke seiner wunderbaren Kuppeln, alle übrigen Kuppeln vergingen und verschwanden; ja sie erklärten in der anmuthigen Uebertreibung ihrer poetischen Fantasie, dass die Sterne, aus Neid über so viele Schönheit, in ihrem Glanze erblichen. Was uns aber hier insbesondere angeht, ist die in diesen Inschriften enthaltene Versicherung, dass jeder, der es sieh ange legen sein lässt sie mit Aufmerksamkeit zu studiren, einen vortheilhaften Commentar über die Ornamen- tation aus denselben abzuleiten vermag. Wir haben uns bestrebt dieser Aufforderung des Dichters Folge zu leisten, und wollen hier die all gemeinen Principien auseinander setzen, welche den Mauren bei der Ausschmückung des Alhambra als Leitfäden dienten — Principien, die übrigens nicht ausschliesslich ihnen zukommen, sondern allen den ver schiedenen glücklichsten Kunstperioden angehörten, und überall durehgehends dieselben waren, nur unter verschiedenen Gestalten. 1. * Die Mauren hatten stets die Regel vor Augen, die wir als das erste Principium in der Architektur betrachten — dass die Construction verziert, die Verziervmg aber nie eigens construirt werden sollte; daher kommt es, dass in der maurischen Baukunst, nicht nur die Verzierung natürlich aus der Construction hervorgeht, sondern die constructionelle Idee in allen Details der Verzierungen der Oberfläche kund gethan und ausgeführt ist. Wir sind der Meinung, dass die wahre Schönheit in der Architektur aus der Ruhe entsteht, die das Gemüth empfindet, wenn Auge, Verstand und Gefühle befriedigt sind, weil nichts mangelt. Ein Gegen stand der falsch construirt ist, und zwar den Anschein hat Stütze zu empfangen, oder als Stütze zu dienen, doch keines von beiden thut, kann unmöglich diese Ruhe gewähren, und hat daher keinen Anspruch auf wahre Schönheit, so harmonisch er auch an und für sich sein mag. Diese Regel wurde bei den muhamme- danischen Stämmen, und bei den Mauren besonders, stets beobachtet: daher findet man bei ihnen nie eine überflüssige Verzierung; jedes Ornament entspriesst, frei und natürlich, aus der verzierten Oberfläche. Sie betrachteten das Nützliche als die geeignetste Grundlage des Schönen; und hierin standen sie keineswegs allein: dasselbe Princip wurde in allen besten Kunstperioden beobachtet; nur wenn die Kunst in Verfall geräth, werden die wahren Principien ausser Acht gelassen, oder auch in einem Zeitalter der Nachbildung, wie das unserige, wo man sich damit begnügt, die Werke der Vergangenheit zu copiren, ohne den Geist welcher die Originalwerke beseelte. 2. Alle Linien entspringen allmälig und wellenförmig aus einander, und zwar ohne Auswüchse, so dass man weder etwas hinzufügen noch etwas hinwegnehmen könnte, ohne die Schönheit des Ganzen zu beein trächtigen. Im allo-emeinen Sinne des Wortes könnte es, in einer sorgfältig behandelten Construction, keine Aus- Ö * Dieser Versuch über die allgemeinen Principien der Ornamentation ist, zum Theile aus dem “ Guide Book to the Alhambra Court in the Crystal Palace,” vom Verfasser dieses Werkes, abgedruckt. 67