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GRAMMATIK DER ORNAMENTE
VON
OWEN JONES,
ILLUSTRIRT MIT MUSTERN
VON DEN VERSCHIEDENEN STYLARTEN
DER ORNAMENTE.
IN
HUNDERT UND ZWÖLF TAFELN.
LONDON:
DAY AND SON, LIMITED,
GATE STREET, LINCOLN’S INN FIELDS.
LEIPZIG: LUDWIG DENICKE.
VOEKEDE ZUE FOLIO AUFLAGE.
Es läo'e aranz ausser dem Bereich eines einzelnen Individuums die Illustrationen all
der unzähligen und beständig wechselnden Phasen der Verzierungskunst in einem
Werke sammeln zu wollen. Eine solche Arbeit dürfte höchstens von Seiten einer
Regierung mit Erfolg unternommen werden, doch selbst dann müsste der noth-
wendig grosse Umfang des Werkes dessen allgemeine Nutzbarkeit unmöglich
machen. Ich habe mir daher beim Bilden dieser Sammlung, der ich den Namen
Grammatik der Ornamente zu geben wagte, bloss die Aufgabe gestellt, einige der
hervorragendsten Typen von gewissen, innig miteinander verbundenen Stylarten,
auszuwählen, in denen gewisse allgemeine Gesetze zu herrschen scheinen, abgesehen
von den besondern Eigenheiten eines jeden derselben im Einzelnen. Ich wagte es
der Hoffnung Raum zu geben, dass diese unmittelbare Zusammenstellung der vielen
Schönheitsformen, die jeder einzelne Styl der Ornamente darbietet, dazu beitragen
dürfte, der unglücklichen Tendenz unseres Zeitalters Einhalt zu thun, die sich damit
begnügt, so lange die herrschende Mode es erheischt, gewisse, einem frühem Zeit -
alter angehörigen Formen, nachzubilden, ohne erst ermitteln zu wollen, ja oft sogar
ohne im Geringsten zu berücksichtigen, unter welchen besondern Umständen ein
Ornament wohl schön gewesen sein mochte, weil es angemessen war, welches jetzt
aber, auf fremden Boden verpflanzt und als der Ausdruck anderer Bedürfnisse seine
Wirkung ganz verfehlen muss.
Es ist mehr als wahrscheinlich, dass das erste Resultat der Herausgabe dieser
Sammlung sein wird diese gefährliche Tendenz noch zu vermehren, und dass nur zu
viele sich damit begnügen werden, der Vergangenheit jene Formen zu entlehnen,
die nicht schon früher ad nauseam abgenutzt worden sind. Mein Bestreben jedoch
VORREDE.
war darauf gerichtet diese Tendenz zu hemmen und einen höhern Ehrgeiz
anzuregen.
Wenn der Kunstforscher sich nur bemühen wollte, den in so vielen ver -
schiedenen Sprachen ausgedrückten Gedanken nachzuforschen, so fände er
unfehlbar, anstatt eines halbvollen Behälters stehenden Wassers, eine unversieg -
bare, ewig sprudelnde Quelle.
In den kommenden Capiteln bestrebe ich mich folgende Thatsachen festzu -
setzen : —
Erstens. Dass jeder Styl, der je allgemeine Bewunderung erregt hat, unver-
kennbar mit den Gesetzen im Einklänge ist, welche in der Natur die Yertheilung
der Form reguliren.
Zweitens. Dass, so verschiedenartig sich auch diese Gesetze äussern, die ihnen
zu Grunde liegenden Hauptideen doch nur sehr wenige an der Zahl sind.
Drittens. Dass die Modifikationen und Entwickelungen die von einem Styl
zum andern führten, durch die plötzliche Beseitigung irgend einer festgewurzelten
Fessel verursacht wurden, wodurch dem Gedanken eine Zeit lang freies Spiel
gegönnt wurde, bis die neue Idee, wie früher die alte, feste Wurzeln fasste, um
ihrerseits wieder neue Erfindungen in’s Leben zu fördern.
Endlich. Flabe ich im zwanzigsten Capitel darzuthun versucht, dass man auf
keine Weise den künftigen Fortschritt der Verzierungskunst besser sicher stellen
könne, als indem man auf die aus der Vergangenheit abgeleitete Erfahrung alle die
Kenntnisse pfropft, die zu erlangen sind, wenn man wieder zur Natur Zuflucht
nimmt um frische Eingebungen an ihrem Busen zu schöpfen. Jeder Versuch
Kunsttheorien aufzubauen oder einen Styl zu bilden ohne Rücksicht auf die Ver -
gangenheit, wäre ein Unternehmen der höchsten Thorheit. Das hiesse die seit
Jahrtausenden angehäufte Erfahrung und Kenntnisse muthwillig verwerfen. Wir
müssen im Gegentheil alle die erfolgreichen Bemühungen der Vergangenheit als ein
Vermächtniss betrachten, und ohne ihnen blindlings zu folgen, sollten wir sie als
Leitfaden gebrauchen uns im Auffinden des rechten Pfades beizustehen.
Indem ich von diesem Gegenstände Abschied nehme und meine Arbeit dem
Publicum zur Beurtheilung vorlege, verberge ich es mir keineswegs, dass meine
VORREDE.
Sammlung nichts weniger als vollständig ist: Es sind der Lücken viele, die jedoch
jeder Künstler leicht selbst ausfüllen kann. Ich hege daher das Vertrauen meinen
Hauptzweck erfüllt zu haben, die Typen jener Stylarten nebeneinander zu stellen,
die am besten geeignet sind dem Kunstforscher als Gehülfen und Landmai ken auf
seinem Pfade vorwärts beizustehen.
Es bleibt mir nur noch übrig, meinen Freunden, die mir in diesem Unter-
%
nehmen ihren Beistand gewährten, hiermit meine dankbare Anerkennung auszu -
drücken.
Bei der Bildung der ägyptischen Sammlung wurde mir viel und schätzbare
Unterstützung von Seiten der Herren J. Bonomi und James V ild zu Theil. Dieser
letztere lieferte auch die Materialien zur arabischen Sammlung da ein langer Auf -
enthalt in Kairo ihm Gelegenheit gab eine sehr bedeutende Sammlung der dortigen
Ornamente zu bilden, eine Sammlung von welcher die in diesem Werke aufgenom -
menen Muster nur einen unvollkommenen Begriff geben können, und ich hoffe er
möge sich eines Tags veranlasst fühlen die ganze Sammlung in vollständiger Form
herauszugeben.
Herrn T. T. Bury verdanke ich die Tafel der Glasmalerei. Vom Herrn C. J.
Richardson empfing ich den grössten Theil der Materialien der Elisabetheischen
Sammlung; die der byzantinischen von Herrn Waring, dem ich auch die sehr
geschätzten Aufsätze über die byzantinischen und Elisabetheischen Ornamente
verdanke. Herr J. 0. Westwood, der den Ornamenten der keltischen Stämme
seine besondere Aufmerksamkeit gewidmet hat, gab mir seinen Beistand in der
keltischen Sammlung und schrieb die merkwürdige Geschichte und Exposition
dieses Styls.
Herr C. Dresser von Marlborough Ilouse hat die interessante Tafel No. 8 im
zwanzigsten Capitel geliefert, auf welcher die geometrische Anoidnung dei natür-
- liehen Blumen dargestellt wird.
Mein College im Crystal Palace, Herr Digby Wyatt, hat das Werk mit seinen
bewundernswerthen Aufsätzen über die Ornamente der Renaissance und dei
italienischen Periode bereichert.
3
VORREDE.
So oft ich früher erschienenen Werken etwas entlehnte, habe ich die Quelle
an der ich geschöpft im Werke immer gehörig angegeben.
Die übrigen Zeichnungen sind grössten Theils von meinen Schülern Herrn
Albert. Warren und Herrn Charles Aubert ausgeführt worden, die mit Hülfe des
Herrn Stubbs sämmtliche Oiiginal Zeichnungen im verjüngten Massstabe zur
Herausgabe bereitet haben.
Die Steinzeichnungen wurden der Sorgfalt des Herrn Francis Bedford anver -
trauet, der mit dem Beistand seiner fähigen Gehülfen Herren H. Fielding, W. R.
Tymms, A. Warren und S. Sedgfield, und mit manchmaliger anderer Mitwirkung,
in weniger als einem Jahre die Hundert Tafeln verfertigt hat.
Mein innigster Dank gebührt dem Herrn Bedford, der es sich mit ganz beson -
derer Sorgfalt angelegen sein liess, frei von jeder persönlichen Rücksicht, das Werk
so vollkommen zu machen, als der vorgerückte Fortschritt der Chromolithographie
es nur erfordern konnte; und ich bin überzeugt, dass seine unschätzbaren Dienst -
leistungen eine würdige Anerkennung finden werden von Seiten aller derjenigen, die
mit den Schwierigkeiten und der Ungewissheit dieses Verfahrens vertrauet sind.
Die Herren Day & Son, die Verleger sowohl als die Drucker dieses Werkes,
haben alle die Mittel ihres Etablissements aufgeboten, so dass sie, ungeachtet der
nöthigen Sorgfalt und des zum Drucken erforderlichen Zeitaufwandes, doch im
Stande v^aren nicht nur den Subscribenten ihre Lieferungen regelmässig zukomrnen
zu lassen, sondern auch das ganze Werk vor der bestimmten Zeit zu vollenden.
9 Argyll Place,
15 December, 1856.
OWEN JONES.
•m-. • \
ALLGEMEINE UND DURCHGEHENDS IN DIESEM WERKE ANEMPFOHLENE
PRINGIPIEN ZUR ANORDNUNG DER FORM UND DER FARBE IN DER
ARCHITEKTUR UND DEN DECORAT1VEN KÜNSTEN.
Proposition 1.
Die decorativen Künste haben ihren
Principien. Ursprung in der Architektur deren un -
zertrennliche Begleiterinnen sie auch
bleiben sollten.
Proposition 2.
Die Architektur ist der materielle
Ausdruck der Bedürfnisse, der Fähigkei -
ten und der Empfindungen des Zeitalters
dessen Schöpfung sie ist.
Der Styl in der Architektur ist die eigentümliche
Gestalt, welche jener Ausdruck unter dem Ein -
fluss des Klimas und der zur, Verfügung
stehenden Materialien annimmt.
Proposition 3.
Wie die Architektur, so sollten auch
alle zu den decorativen Künsten gehöri -
gen Werke Angemessenheit, Ebenmass
und Harmonie besitzen, und das Resul -
tat dieser Eigenschaften insgesammt ist
die Ruhe.
Proposition 4.
Die wahre Schönheit ist das Ergebniss
jener Ruhe f die das Gemüth empfindet
wenn Auge, Verstand und Gefühle be-
friedigt sind, weil nichts mangelt.
Proposition 5.
Die Construction sollte verziert; die
Verzierung aber nie eigens construirt
werden.
Was schön ist, ist wahr; was wahr ist muss noth-
wendig ^hön sein.
Proposition 6.
Die Schönheit der Form erzeugt man Ueber die
mittelst Linien die allmälig und wellen- g^ eine
förmig aus einander entspringen, und
zwar ohne Auswüchse, so dass man weder
etwas hinzufügen noch etwas hinwegneh -
men könnte, ohne die Schönheit des
Ganzen zu beeinträchtigen.
Proposition 7.
Nach dem Entwurf der allgemeinen Verzierung
Formen, müssen diese unterabgetheilt ££ ber ~
und mittelst allgemeiner Linien verziert
werden; die Zwischenräume füllt man
sodann mit Ornamenten aus, die ihrer -
seits wieder abgetheilt und geschmückt
werden können, um einer näheren Be -
sichtigung Genüge zu leisten.
Proposition 8.
Alle Ornamente sollten eine geome -
trische Construction zur Grundlage
haben.
Proposition 9.
Gerade wie in jedem vollkommenen UebarVei
Werke der Baukunst ein wahres Eben- hältnjsB.
mass zwischen all den Gliedern herrscht
aus denen das Werk besteht, so sollte
auch durchgehends in den decorativen
Künsten jeder Verein von Formen nach
gewissen bestimmten Verhältnissen an-
e
5
PROPOSITIONEN.
lieber Har -
monie und
Contrast.
Vertheilung.
Strahlung.
Ununterbro -
chener Zu -
sammenhang.
Ueber die con -
ventioneile
Behandlung
natürlicher ’
Formen.
*
geordnet sein; so dass das Ganze so -
wohl als jedes besondere Glied die Ver -
vielfältigung irgend einer einfachen Ein -
heit bilde.
Jene Verhältnisse werden um so schöner sein je
schwerer es dem Auge wird sie zu entdecken.
Also wird das Verhältniss einer doppelten
Geviertzahl, oder 4 zu 8, minder schön
sein als die subtilere Proportion von
5 zu 8; 3 zu 6, als 3 zu 7; 3 zu 9, als
3 zu 8; 3 zu 4, als 3 zu 5.
Proposition 10.
Die Harmonie der Form besteht im
gehörigen Gleichgewicht und Contrast
der geraden, krummen und geneigten
Linien.
Proposition 11.
In der Verzierung der Oberfläche
sollten alle Linien aus einem Mutter -
stamm entspringen. Jedes Ornament,
so fern es auch sein möge, muss bis an
seinen Zweig und seine Wurzel fortije-
führt werden. Morgenländische Praxis.
Proposition 12.
Bei jeder Verbindung von krummen
Linien mit krummen, oder von krummen
Linien mit geraden, muss dafür gesorgt
werden, dass diese Linien die Tangenten
zu einander bilden. Naturgesetz. Mor -
genländische Praxis ist im Einklänge mit
diesem Gesetz.
Proposition 13.
Blumen und andere Naturgegenstände
sollten nicht zu Ornamenten gebraucht
wer den, sondern eine bloss conventionelle
Vergegenwärtigung derselben, hinläng -
lich andeutend um die Vorstellung des
beabsichtigten Bildes im Gemüthe anzu -
regen, ohne die Einheit des Gegenstandes
zu zerstören, zu dessen Verzierung sie
dienen sollen. Allgemein befolgt in den
besten Kunstperioden und ebenso allgemein
verletzt wenn die Kunst in Verfall geräth.
Proposition 14.
Die Farbe gebraucht man als Gehül-
fin zur Entwickelung der Form, und um
Gegenstände oder Theile derselben von
einander zu unterscheiden.
Proposition 15.
Die Farbe dient auch zum Hervor -
bringen des Helldunkels, und mittelst der
gehörigen Vertheilung der verschiedenen
Farben befördert man die Undulation der
Form.
Proposition 16.
Diesen Zweck erzielt man am besten
indem man auf kleinen Oberflächen die
Grundfarben in kleiner Quantität ver -
wendet, und diese durch die Anwendung
der secundären und tertiären Farben auf
grossem Oberflächen balancirt und un -
terstützt.
Proposition 17.
Die Grundfarben sollten auf den obern
Theilen der Gegenstände gebraucht wer -
den, die secundären und tertiären auf den
untern.
Proposition 18.
(Chromatische Aequivalenten von Fielet.)
Die Grundfarben gleicher Intensität
harmonisiren oder neutralisiren sich ge -
genseitig im Verhältnisse von 3 Gelb, 5
Roth, und 8 Blau — im Ganzen 16.
Die secundären oder Nebenfarben im
Verhältnisse von 8 Orange, 13 Purpur,
11 Grün — im Ganzen 32.
Die tertiären, Citrongelb (aus Orange
und Grün zusammengesetzt) 19; Braun-
roth (Orange und Purpur) 21; Oliven-
Ueber Farbe.
im Allgemei -
nen.
PROPOSITIONEN.
lieber Con-
traotund har -
monische
Aequivalen-
tendes Tones
der Schatti-
rungen und
'Tir.ten.
grün ^Grün und Purpur), 24; — im
Ganzen 64.
Es folgt also dass: —
Jede secundäre, die aus zwei Grund -
farben zusammengesetzt ist, durch die
bleibende Grundfarbe im selben Verhält -
nisse neutralisirt wird: also 8 Orange
durch 8 Blau, 11 Green durch 5 Roth,
13 Purpur durch 3 Gelb.
Jede tertiäre die eine gezweite Zusam -
mensetzung zweier secundären ist, wird
durch die bleibende secundäre neutrali -
sirt, und zwar 24 Olivengrün durch 8
Orange, 21 Braunroth durch 11 Grün,
19 Citrongelb durch 13 Purpur.
Peoposition 19.
Das obige ist in der Voraussetzung, dass die Far -
ben in ihrer prismatischen Intensität angewen -
det werden, aber jede Farbe bietet eine grosse
Manniehfaltigkeit des Tones dar, wenn sie mit
Weiss gemischt wird, und die verschiedensten
Schattirungen wenn sie mit Grau oder Schwarz
gemischt wird.
Wenn eine volle Farbe mit einer andern
von matterm Tone contrastirt wird, so
muss die Flächenausdehnung der letztem
o
verhältnissmässig vergrössert werden.
Proposition 20.
Jede Farbe hat eine Manniehfaltigkeit von Tinten
die aus der Zumischung anderer Farben ent -
stehen, die ausser dem Weiss, Grau oder
Schwarz, noch hinzugethan werden: so hat
man von Gelb — Orange-gelb auf der einen
Seite und Citron-gelb auf der andern; ebenso
von Roth — Scharlach-roth und Hoch-roth:
• '
und in jeder von diesen insbesondere jede mög -
liche Verschiedenheit des Tons und der Schat-
tiruny.
Wenn eine mittelst einer andern
ursprünglichen Farbe schattirte Grund -
farbe mit einer secundären contrastirt
wird, so muss diese secundäre eine Tinte
der dritten Grundfarbe haben.
Proposition 21.
Bei der Anwendung der Grundfarben Geber die
° Stellenwelcke
auf modellirte Oberflächen, sollte Blau, dieverähiede-
nen Farben
die sich zurückziehende gedämpfte Farbe, einnehmen
sollten.
auf den concaven Oberflächen, Gelb, die
hervorragende auf den convexen; und
Roth, die Mittelfarbe, auf den Untersei -
ten angebracht werden; indem man die
Farben mit Weiss auf den senkrechten
Flächen von einander absondert.
Wenn man die in Proposition 18 verlangten Ver -
hältnisse nicht erlangen kann, so kann das
Gleichgewicht mittelst einer Veränderung der
Farben selbst hergestellt werden: sollte z. B.
die zu färbende Oberfläche zu viel Gelb abge -
ben, so muss das Roth mehr Hochroth und das
Blau mehr Purpur gemacht werden — das
heisst, man muss das Gelb daraus entfer -
nen; ebenso wenn die Oberflächen zu viel Blau
abgeben, muss man das Gelb mehr Orange und
das Roth mehr Scharlach-roth machen.
Proposition 22.
Die verschiedenen Farben sollten der -
art mit einander verschmolzen werden,
dass die colorirten Gegenstände, aus der
Entfernung angesehen, einen neutralisir-
ten Glanz darstellen.
Proposition 23.
Keine Composition kann je vollkom -
men sein in der irgend eine der drei
Grundfarben fehlt, entweder im natür -
lichen Zustande oder im Zustande der
Combination.
Proposition 24.
Wenn zwei Tonarten derselben Farbe Gesotz der
... , . . , gleichzeitigen
neben einander gesetzt werden, so wird Contrasteder
die helle Farbe heller, und die dunkle Herrn Chev-
dunkler erscheinen. tet) abgele1 '
Proposition 25.
Wenn zwei verschiedene Farben
nebeneinander gesetzt werden, erleiden
sie eine zweifache Modification: erstens
7
1/
PROrOSITIONEN.
Uebc
moni
Coat;
Vertf
Strah
TJnui;
diene
samn
Ueber die
Mittel den
harmoni -
schen Effect
der neben
einander ge -
setzten Far -
ben zu ver -
mehren. Be -
merkungen
die von der
Beobachtung
morgenländi-
sher Praxis
hergeleitet
sind.
Ueber
ventio
Behan
natürl.
Forme
hinsichtlich des Tons (indem die helle
Farbe heller und die dunkle dunkler er -
scheint); zweitens hinsichtlich der Tin -
ten, indem jede derselben einen Anstrich
der ergänzenden Farbe der andern em -
pfängt. ^
PßOPOSITION 26.
^ x e Farben erscheinen auf weissem
Grund dunkler; und auf schwarzem
Grund, heller.
Proposition 27.
Ein schwarzer Grund leidet wenn er
sich mit Farben die eine lichte Ergänzung
liefern im Gegensatz befindet.
Proposition 28.
In keinem Falle dürfen die Farben
mit einander zusammenstossen.
Peoposition 29.
Wenn farbige Ornamente auf einem
Grund von contrastirender Farbe ange -
bracht sind, sollten die Ornamente mittelst
eines Randes von hellerer Farbe vom
Grunde abgesondert werden; daher muss
eine rothe Blume auf grünem Grunde
einen Rand von hellerm Roth haben.
Proposition 30.
Wenn farbige Ornamente auf einem
Gold Grund angebracht sind, sollten die
Ornamente mittelst eines Randes von
dunklerer Farbe vom Grunde abgeson -
dert werden.
Proposition 31.
Gold Ornamente auf farbigem Grunde,
was auch dessen Farbe sein mag, sollten
schwarze Contouren haben.
Proposition 32.
Farbige Ornamente, was auch deren
Farbe sein mag, können mittelst weisser,
ooldener oder schwarzer Ränder vom
Grunde abgesondert werden.
Proposition 33.
Ornamente von jedweder Farbe oder
von Gold können auf weissem oder
schwarzem Grunde ohne Contouren und
ohne Ränder angebracht werden.
Proposition 34.
In “ Selbst - Tinten,” Tonarten oder
Schattirungen derselben Farbe, kann
man eine helle Tinte auf dunklem
Grunde auch ohne Contouren gebrauchen;
ein dunkles Ornament aber auf hellem
Grunde muss mit Contouren einer noch
dunklern Tinte versehen sein.
Proposition 35.
Die Nachahmung der geäderten Holz -
arten und der verschiedenen farbigen
Marmore sind nur da zulässig, wo der
Gebrauch der nachgeahmten Substanz
selbst nicht unangemessen gewesen wäre.
Proposition 36.
Die in den Werken der Vergangen -
heit zu entdeckenden Principien gehören
uns wohl an; doch nicht die Ergebnisse
derselben. Das hiesse den Zweck mit
den Mitteln verwechseln.
Proposition 37.
Es lässt sich kein Fortschritt in den
Künsten der gegenwärtigen Generation
erwarten, bis alle Klassen, Künstler,
Fabrikanten und das Publikum im All -
gemeinen zu einer vollkommeneren Ein-
sicht in die Kunst herangebildet werden,
und eine vollere Kenntniss der ihr zu
Grunde liegenden allgemeinen Prinzipien
erlangen.
8
VERZEICHNISS DER TAFELN
Capitel I. Ornamente der wilden Stämme.
ifel. No. # ... ^ •• J T
1 l Ornamente von manchen, den verschiedenen wilden Stämmen angehörigen Gegenständen die
Britischen Museum und im United Service Museum ausgestellt sind.
2 2 Ditto
3 3 Ditto
ditto
ditto
ditto.
ditto.
Capitel II. Aegyptische Ornamente.
4 1 Der Lotos und der Papyrus, Typen ägyptischer Ornamente.
5 2 Ditto ditto, mit Pedern und Palmzweigen.
6 3 Säulen Capitäle, Muster der verschiedenen Anwendungen des Lotos und des Papyrus.
ditto.
ditto
6* 3*Ditto
7 4 Verschiedene Kranzgesimse aus dem überhangenden Lotos gebildet.
8 5 Ornamente von Mumien Kasten im Britischen Museum und im Louvre.
9 6 Geometrische Ornamente von Deeken in Gruftkammern.
10 7 Ornamente mit krummen Linien von Decken in Gruftkammern.
11 8 Verschiedene Ornamente von Decken und Wänden in Gruftkammern.
Capitel III. Assyrische und Persische Ornamente.
12 1 Gemalte Ornamente von Niniveh.
13 2 Ditto ditto.
14 3 Geschnitzte Ornamente von Persepolis, und sassanische Ornamente von Ispahan und Bi-Sutoun.
Capitel IV. Griechische Ornamente.
15 l Die verschiedenen Formen des griechischen Mäanders.
16 2
17 3
20 e
21 7_
22 8 Gemalte griechische Ornamente von Tempeln und Grabmälern in Griechenland und in Sicilien.
D
9
VERZEICHNIS« DER TAFELN.
Capitel V. Pompejische Ornamente.
Tafel, No.
23 l Sammlung von Borten ans verschiedenen Gebäuden in Pompeji.
24 2 Ditto von Pilastern und Friesen ditto.
25 3 Mosaiken von Pompeji und dem Museum zu Neapel.
Capitel VI. Römische Ornamente.
26 i Römische Ornamente von Abgüssen im Crystal Palace.
27 2 Ditto aus dem “ Museo Bresciano.”
Capitel VII. Byzantinische Ornamente.
28 1 Geschnitzte byzantinische Ornamente.
29 2 Gemalte ditto
29* 2*Ditto ditto.
30 3 Mosaiken.
Capitel VIII. Arabische Ornamente.
31 l Arabische Ornamente des neunten Jahrhunderts, aus Kairo.
32 2 Ditto des dreizehnten Jahrhunderts, ditto.
33 3 Ditto ditto ditto.
34 4 Theil eines illuminirten Exemplars des “ Koran.”
35 5 Mosaiken von Wänden und Fussböden der Häuser zu Kairo.
Capitel IX. Türkische Ornamente.
36 1 Ornamente in Relief von Moscheen, Gräbern und Brunnen zu Constantinopel.
37 2 Gemalte Ornamente von der Moschee des Soliman, Constantinopel.
38 3 Verzierung der Kuppel des Grabmals Soliman I. zu Constantinopel.
Capitel X. Maurische Ornamente aus dem Alhambra.
39 l Mannichfaltige verschlungene Ornamente.
40 2 Bogen Spandrillen.
41 3 Bunte Rauten Muster.
41* 3*Ditto ditto.
42 4 Viereckige bunte Muster.
42* 4*Ditto ditto.
42f 4tDitto ditto.
43 5 Mosaiken.
Capitel XI. Persische Ornamente.
44 1 Ornamente aus persischen Manuscripten im Brittischen Museum.
45 2 Ditto ditto.
46 3 Ditto ditto.
47 4 Aus dem Musterbuch eines persischen Fabrikanten, im Museum zu South Kensington.
47* 4*Ditto ditto ditto.
48 5 Aus einem persischen Manuscript im Museum zu South Kensington.
VERZEICHNISS DER TAFELN.
Capitel XII. Indische Ornamente.
Tafel. No.
49 l Ornamente von Metall Arbeiten in der Ausstellung von 1851.
50 2 1 Ditto von gestickten und gewobenen Zeugen, und von Malereien auf V äsen in der indischen Sammlun
der Ausstellung von 1851, gegenwärtig im Museum zu South Kensington.
51 3l
52 J
53 5 '
53* 5*
54 0
54* 6*)
55 7 Ornamente von gewobenen und gestickten Zeugen, und von gemalten Kästchen in dei Paiisei Aus -
stellung von 1855.
Muster von gemalter Lackarbeit, aus der Sammlung im India-House.
Capitel XIII. Ornamente der Hindus.
56 1 Ornamente von einer Bildsäule im Hause der Asiatic Society.
57 2 Von der Sammlung im Crystal Palace, Syclenham.
58 3 Von der Sammlung im India-House.
Capitel XIV. Chinesische Ornamente.
59 li
60 2 l Chinesische auf Porzellan und Holz gemalte Ornamente, und von gewobenen Zeugen entnommen.
61 3)
62 4 Conventionelle Darstellung von Früchten und Blumen.
Capitel XV. Keltische Ornamente.
63 1 Lapidarische Ornamente.
64 2 Verschlungene Stylarten.
65 3 Spiralförmige, diagonale, zoomorphische und spätere angelsächsische Ornamente.
Capitel XVI. Ornamente des Mittelalters.
66 1 Conventionelle Blätter und Blumen aus illuminirten Manuscnpten.
67 2 Bänder aus illuminirten Manuscripten und von Malereien.
67* 2* Ditto ditto ditto.
68 3 Bunte Muster aus illuminirten Manuscripten, und Hintergründen von Gemälden.
69 4 Glasmalereien aus verschiedenen Epochen.
69* 4* Ditto ditto.
5 Eneaustische Kacheln.
70
71
72
73
IlLUMIN IRTE Manuscripte.
1 Theile illuminirter Manuscripte des zwölften und des vierzehnten Jahrhunderts.
2 - Ditt0 ditto des dreizehnten und des vierzehnten Jahrhunderts.
3 I)ltt0 ditto des vierzehnten und des fünfzehnten Jahrhunderts.
11
VERZEICHNISS DER TAFELN.
Tafel. No.
74 1
Capitel XVII. Ornamente der Renaissance.
75
76
77
78
79
80
81
82
Von den Photographien verschiedener Abgüsse im Crystal Palace zu Sydenham.
Email Arbeiten aus dem Louvre und dem Hotel Cluny.
Ornamente von Fayance, im Museum zu South Kensington.
•Di^o ditto, im Hotel Cluny und im Louvre.
Ditto ditto, ditto.
Ornamente von Stein und Holzarbeiten aus den Sammlungen im Louvre und im Hotel Cluny.
Capitel XVIII. Elizabetheische Ornamente.
84 2 j Verschiedene Ornamente in Relief von der Zeit Heinrichs VIII. bis zur Zeit Karls II.
85 3 Gemalte Ornamente, und andere von gewobenen Zeugen, ditto.
Capitel XIX. Italienische Ornamente.
86. i Pilaster und Ornamente von den Loggie im Vatican, verjüngt nach den im Museum von South
Kensington befindlichen Gemälden natürlicher Grösse.
86* i* Ditto ditto ditto ditto.
87 2 Ornamente vom Palazzo Ducale, Mantua.
88 3 Ditto vom Palazzo Ducale und der Kirche St. Andrea zu Mantua.
89 4 Ditto vom Palazzo del Te, Mantua.
90 5 Ornamente aus gedruckten Büchern.
Capitel XX. Blätter und Blumen nach der Natur.
91
92
93
94
95
96
97
98
99
1 Rosskastanien-Blätter, natürlicher Grösse.
2 Weinblätter.
3 Epheublätter.
4 Eichen-, Feigen-, Ahorn-, Teufelskirschen-, Lorbeer- und Lorbeerbaumblätter, natürlicher
5 Wein-, Rosenpappel-, Türkische Eichen- und Linsenbaumblätter, natürlicher Grösse.
6 Wilde Rosen, Epheu und Brombeeren, natürlicher Grösse.
7 Hagedorn, Eibe, Epheu, und Erdbeerenstaude.
8 Verschiedene Blumen in Plan und Aufriss.
9 Geissblatt und Winden, natürlicher Grösse.
Grösse.
100 io Passionsblumen
ditto.
Capitel I.—Tafeln 1, 2, 3.
ORNAMENTE DER WILDEN STAEMME.
TAFEL I.
1. Leinenzeug. Otaheite.—United Service Museum.
2. Matten von Tongotabu. Freundschaft® Inseln.
3. Leineuzeug. Otaheite.—U.S.M.
4. Leinenzeug. Sandwich Inseln.—U.S.M.
5-8. Leinenzeuge. Sandwich Inseln.—British Museum.
9. Leinene Matten von Tongotabu. Freundschaft®
Inseln.
10. Leinenzeug. Otaheite.—U.S.M.
11. Leinenzeug. Sandwich Inseln.—U.S.M.
12. Leinenzeug.
13. Leinenzeug vom Papiermaulbeerbaum angefertigt.
Fidji Inseln.—British Museum.
TAFEL
1. Süd Amerika—United Service Museum.
2. Sandwich Inseln.—U.S.M.
3. Owaihi.—U.S.M. I
4 Neu Hebridische Inseln. Eingelegter Schild. ^
U.S.M.
5. Sandwich Inseln.—U.S.M.
6. Südsee Inseln.—U.S.M.
TAFEL
1. Owaihi. Keule.—United Service Museum.
2. Sandwich Inseln. Keule.—U.S.M.
3. Neu Seeland. Patu-Patu.—U.S.M.
4. Tahiti. Deissel.—U.S.M.
5. Neu Seeland. Kuder.—U.S.M.
II.
7, 8. Sandwich Inseln.—U.S.M.
9, 10. Tahiti. Deissel.—U.S.M.
11,12. Freundschafts Inseln. Trommel.—U.S.M.
13, 14. Tahiti. Deissel.—U.S.M.
15. Sandwich Inseln.—U.S.M.
16,17. Neu Seeland.—U.S.M.
18-20. Sandwich Inseln.—U.S.M.
III.
6. Neu Seeland. Padschi, oder Kriegskeule.—U.S.M.
7. Südsee Inseln. Kriegskeule.—U.S.M.
8. Griff, natürliche Grösse der Fig. 5.—U.S.M.
9. Fidji Inseln. Keule.—U.S.M.
3 erhellt aus dem einstimmigen Berichte aller Reisenden, dass es schwerlich ein Volk geben durfte, so
•imitiv auch sonst der Keim seiner Cultur sein möge, dem der Hang zur Verzierung nicht als ein mach-
o- er Instinct eigen sei. Dieser Hang fehlt bei keinem, und bei allen wächst er oder nimmt ab im Verhalt-
Le der Fortschritte in der Cultur. Der Mensch empfindet überall den mächtigen Eindruck der ihn
mgebenden Naturschönheiten, und bestrebt sich, so weit dies in seiner Macht steht, die Werke des
chöpfers nachzuahmen. . ,
Schaffen ist der erste im Menschen entkeimende Ehrgeiz. Diesem Drange muss das Tataren des
leichtes und des Leibes zugeschrieben »erde«, von dem der Wilde Gebrauch macht, entweder „m die
Gatt des Ausdrucks zu erhöhen, womit e, seinen Feinden oder Nebenbuhlern Entsetzen einznjagen
dinscht, oder auch bloss um eine nene Schönheit, wie sie ihm erscheint, hervomibmgen. Derselbe
. , , • „ us dem Museum zu Chester, ist bewundernswerth, als Beweis, dass
ÄtÄÄi *, MM.’ 0——~ jede Liuie auf dem Gesichte ist
ufs beste dazu geeignet die natürlichen Gesichtszüge zu entwickeln. ^
E
ORNAMENTE DER WILDEN STAEMME.
Wunsch äussert sich überall, indem wir höher hinaufsteigen, von der Verzierung des rohen Zeltes oder
Wigwams bis zu den erhabenen Werken eines Phidias oder Praxiteles: des Menschen höchster Ehrgeiz ist
noch immer zu schaffen, und dieser Erde den Stempel des individuellen Geistes einzuprägen.
Von Zeit zu Zeit gelingt es einem Manne von kräftigerem Verstand als seine Zeitgenossen, das Gepräge
seines Geistes einer ganzen Generation aufzudrucken und eine Menge anderer minder kräftiger Naturen
mit sich fortzureissen, die ihm auf seiner Bahn fol -
gen, doch nie so ganz genau um den individuellen
Ehrgeiz des Schaffens aufzuheben; auf diese Weise
entstehen die Stylarten und deren Modifikationen.
Die Bestrebungen der Völker die erst auf der nied -
rigsten Stufe der Cultur stehen, gleichen denen der
Kinder; es fehlt ihnen zwar an Kraft, aber sie be -
sitzen eine Anmuth, eine Naivetät die man selten im
mittlern Alter, nie aber im vorgerückten abnehmen -
den Mannesalter, antrifft. Eben so verhält es sich
mit der Kindheit einer Kunst. Cimabue und Giotto
besitzen weder den materiellen Zauber Baphaels
noch die mannhafte Kraft Michelangelos, aber sie
übertreffen den einen und den andern an zarter An -
muth und an ernsthafter Wahrheit. Der Reichthum
der zu Gebote stehenden Mittel führt zum Miss -
brauche derselben: es glückt der Kunst so lange sie
zu kämpfen hat; wenn sie aber im Genüsse ihres
Erfolgs schwelgt, verlässt das Glück sie und alles
schlägt fehl. Das Vergnügen das wir beim Betrach -
ten der rohen Verzierungsversuche der meisten wil -
den Stämme empfinden, hat seinen Ursprung in un -
serer Würdigung der Schwierigkeit einer glücklich
vollbrachten Aufgabe; wir sind entzückt von der
Augenscheinlichkeit der Absicht, und erstaunt zugleich über das einfache und sinnreiche Verfahren mittelst
dessen das Resultat erlangt worden ist. Was wir in jedem Kunstwerke, bescheiden oder anspruchsvoll,
hauptsächlich suchen, ist die Aeusserung des Geistes — das Zeugniss jener bereits oben erwähnten Lust
zum Schaffen, und alle die einen natürlichen Instinkt inne haben, sind erfreuet, wenn sie denselben bei
Andern entwickelt finden. Es ist auffallend, aber doch ganz wahr, dass diese Aeusserung des Gelstes~sich
leichter in den rohen Ornamentsversuchen eines wilden Stammes entdecken lässt, als in den unzähligen
Erzeugnissen einer hoch entwickelten Cultur. Die Individualität nimmt ab, im \ erhältniss wie das A er-
mögen des Her Vorbringens zunimmt. Wenn die Kunst durch vereintes Bestreben erzeugt wird, und nicht
aus der individuellen Machtanstrengung entsteht, so vermisst man darin fene wahrhaften Instinkte die
deren grössten Reiz ausmachen.
Tafel I. Die Ornamente dieser Tafel sind von Theilen verschiedener, meistens von Baumrinden ver -
fertigter Kleidungsstücke. Muster 2 und 9 sind von einem Kleide,das Herr Oswald Brierly von der Insel
Tongo-Tabu, der vorzüglichsten in der Gruppe der Freundschaftsinseln, mitgebracht hat. Es ist aus den
dünnen Schichten der innern Rinde der Borke einer gewissen Species des Altheabaumes verfertigt, die flach
geschlagen und zusammengestellt werden um ein Parallelogramm des Stoffes zu bilden, der als Unterrock
mehrere Male um den Leib gewickelt, so dass Brust, Arme und Schultern entblösst bleiben, die einzige
Bekleidung der Eingebomen bildet. Es kann nichts primitiveres geben, und doch offenbart die Anordnung
14
Kopf eines Weibes von Neu Seeland, im Museum zu Chester.
ORNAMENTE DER WILDEN STAEMME.
des Musters einen höchst verfeinerten Geschmack und die grösste Geschicklichkeit. No. 9 ist die Borte am
Rande des Zeuges; es wäre schwer, mit denselben beschränkten Mitteln, Schöneres zu leisten. Die Muster
werden mittelst kleiner Holzstempel gebildet, und obgleich die Ausführung etwas roh und unregelmässig sein
dürfte, so ist doch die Absicht überall sichtbar; und beim ersten Blick fällt einem die Geschicklichkeit in's
Auge, mit welcher die Massen balancirt sind, so wie die sinnreiche Methode die Tendenz des Auges in einer
Richtung fortzulaufen, durch das Anbringen anderer in entgegengesetzter Richtung sich bewegenden
Linien zu hemmen.
Als Herr Brierly die Insel besuchte, lieferte eine einzige Frau alle die daselbst gebrauchten Muster, und
für jedes neue Muster bekam sie zur Belohnung eine gewisse Quantität des Zeuges. Das Muster No. 2,
vom selben Orte, enthält ebenfalls eine vortreffliche Lehre der Composition die wir uns zu Nutze machen
können, obgleich sie von der Künstlerin eines wilden Stammes herkommt. Nichts könnte sinnreicher sein
als die allgemeine Anordnung der vier Vierecke und der vier rothen Flecken. Ohne diese rothen Flecken
auf gelbem Grunde wäre ein Mangel der Ruhe in der allgemeinen Anordnung empfindbar gewesen; ohne
die rothen Linien, die diese Flecken umgeben, und dazu dienendem Roth auf dem gelben Grunde durchzu -
helfen, wäre die Anordnung noch immer unvollkommen gewesen. Wären die rothen Dreiecke nach Aussen
gewendet anstatt einwärts, so wäre die Ruhe gleichfalls gestört und der auf’s Auge hervorgebrachte Eindruck
wäre der des Schielens; bei der gegenwärtigen Anordnung hingegen findet das Auge, mittelst der rothen,
um die mittlern Vierecke angebrachten Flecken, einen Mittelpunkt in jedem Viereck und in jeder Gruppe.
Die das Muster bildenden Stempel sind ganz einfach, indem jedes Dreieck a und jedes Blatt A
mittelst eines einzelnen Stempels gebildet werden. Dies beweist wie ein JUk einfaches Werk- |||
zeug selbst in der ungebildetsten Hand, die sich aber von der instinktartigen Beobachtung der in den *
Naturwerken herrschenden Anordnung der Formen leiten lässt, leicht zu all den uns bekannten geometri -
schen Anordnungen der Form führen würde.
Der achtspitzige Stern in der obern Ecke> links, des Musters No. 2
wurde mittelst einer achtmaligen Auflegung desselben Werkzeugs
hervorgebracht. Dasselbe geschah mit der schwarzen Blume, die
aus sechzehn einwärts f und sechzehn auswärts I gerichteten
Spitzen besteht. Die verwinkeltsten Motive der R byzantini -
schen, arabischen und maurischen Mosaiken Hessen sich auf diese Weise erzeugen. Das Geheimuiss des
Erfolgs in jedem Ornamente liegt darin, einen allgemeinen kühnen Effect durch die Wiederholung einiger ein -
fachen Elemente hervorzubringen, die Mannichfaltigkeit sollte vielmehr in der Anordnung der verschiedenen
Theile der Zeichnung gesucht werden, als in der Vervielfältigung verschiedener Formen. Die nächste Stufe
in der Verzierung, nach der Tatuirung des Leibes, ist natürlich das Aufdrucken verschiedener Muster auf
die dem Leibe zur Bedeckung dienende Kleidung, und zwar mittelst desselben
Verfahrens. In beiden diesen Verzierungsarten muss die Mannichfaltigkeit grös -
ser und die Individualität mehr ausgeprägt sein als in den nachfolgenden Ver-
fahrunusweisen.die immer mechanischer werden. Der Gebrauch die Strohhalme
oder die Baumrinden Streifen zu flechten, anstatt sie in dünnen Blättern an -
zuwenden, muss natürlich den ersten Gedanken des Webens eingeben, und
kann nicht verfehlen den Geist allmälig zur Würdigung der gehörigen Dispo -
sition der Massen heranzubilden. Das Auge des Wilden, gewohnt daran nur
die Harmonie der Natur zu betrachten, muss leicht auf die Empfindung
und Wahrnehmung des richtigen Gleichgewichts eingehen, hinsichtHch der
Farbe; und dies ist auch wirklich der Fall in den Ornamenten der Wilden, wo
das richtige Gleichgewicht der Farbe und der Form immer streng erhalten wird. •
Nach der Bildung von gedruckten und gewobenen Ornamenten folgt die
Lust geschnitzte und Relief Ornamente hervorzubringen. Die zur Verthei- Gofloch.enes stroh ™ n aeu sand«u.h
15
ORNAMENTE DER WILDEN STAEMME.
tligung oder zur Jagd dienenden Waffen werden der erste Gegenstand dieser neuen Verzierungsweise. Die
Gewandtesten und Tapfersten wollen sich unter ihren Nebenmenschen durch den Besitz von nützlichem
sowohl als schönem Waffen auszeichnen. Erfahrung hat sie schon über die Form belehrt, welche zu ihrem
Zwecke die geeignetste ist, und es folgt natürlich der Wunsch, die Oberfläche mit Schnitzwerk zu
schmücken; und da das Auge schon an die beim Wehen erzeugten geometrischen Formen gewöhnt ist, so
sucht die Hand dieselben Formen durch entsprechende und wiederholte Einschnitte mit dem Messer nach -
zuahmen. Die Ornamente der Tafel II. verrathen diesen Instinct auf’s Deutlichste. Sie sind mit der
grössten Präcision ausgeführt und zeugen von grossem Geschmack und rich -
tigem Urtheil in der Vertheil ung der Massen. No. 11 und 12 sind höchst
interessant, denn sie beweisen in welchem Grade der Geschmack und die
Von der Seite eines Kahnes,
Neu Guinea.
Vordertheil eines Kahnes, Neu Guinea.
Geschicklichkeit in der Bildung von geometrischen Mustern vorhanden sein
kann, während die aus krummen Linien entstehenden Motive und die
menschliche Gestalt insbesondere, noch auf der ersten niedersten Stufe der
Ausbildung verbleiben.
Vordertheil eines Kahnes, Neu Guinea.
Die Ornamente in den hierunten und an der Seite befindlichen Holzschnitten verrathen schon emen
weit hohem Fortschritt in der Verkeilung der krummen Linien; das gewundene Seil bildet den Typus
derselben, wie dies natürlich mit allen krummen Linien in Ornamenten der Fall sein wurde. Das Vereinen
16
ORNAMENTE DER WILDEN STAEMME.
zweier Duchten, um einem Seile grössere Stärke zu geben, müsste schon das Auge an die Spiralform
gewöhnen, und wirklich finden wir in den Ornamenten aller wilden Stämme, zusammen mit den geome -
trischen Mustern auch diese Spiralform, die durch das Verschlingen gleicher Linien gebildet und in den
vorgerücktem Kunstwerken aller civilisirten Nationen beibehalten wird.
Die Ornamente eines wilden Stammes müssen, als Ergehniss eines natürlichen Instinkts nothwendiger
Weise dem beabsichtigten Zweck entsprechen, während bei vielen Ornamenten der civilisirten Nationen, wo
der erste Antrieb, welcher gewisse allgemein angenommene Formen er -
zeugte, durch beständige Wiederholung geschwächt wird, die Verzierung oft
unrecht angewendet ist, und anstatt sich zu bemühen zuerst die passendste
Form zu schaffen und diese nachher mit Schönheit zu schmücken, vernich-
Grift eines Ruders.
tet man die Schönheit gänzlich, weil man die Angemessenheit ausser Acht
lässt, indem man zu einer übel ersonnenen Form noch Verzierung hinzu -
fügt. Wenn wir uns wieder in einen erspriesslichern Zustand versetzen
wollen, so müssen wir es den Kindern oder den Wilden nachthun. Wir
müssen uns von allem angewöhnten und erkünstelten frei machen und zur
Entwickelung der natürlichen Instinkte zurückkehren.
Das schöne Kuder von Neu Seeland No. 5—8, Tafel III. könnte mit
den Werken der höchsten Civilisation wetteifern:* es giebt auf der ganzen
Keule vom östlichen Archipel.
* Capitän Cook und auch andere Reisende gedenken aufs lobreichste und zu wiederholten Malen, des Geschmackes und des Scharf -
sinns der Inselbewohner des Stillen Meeres und der Südsee, und führen als Beispiel die verschiedenen Zeuge an: “mit solch einer
endlosen Mannichfaltigkeit von Figuren bemalt, dass man zu glauben geneigt wäre sie hätten ihre Muster dem Laden eines Seiden -
händlers entlehnt, in welchem die zierlichsten Erzeugnisse Chinas und Europas zur Schau ausgelegt sind, abgesehen von den originellen
Mustern die ihnen allein eigen sind.” Auch geschieht häufige Erwähnung der “Tausend verschiedenen Muster” ihres Flechtwefks,
ihrer Matten, sowohl als der sinnreichen Einbildungskraft die sich in ihren reichen Schnitzereien und ihrem eingelegten Muschelwerk
offenbart. Vide The Three Voyages of Captain Cook, 2 Bände, London 1841-42; Dumont d'Urviiae, Voymje au Pole du Sud, 8vo.,
Paris 1841' Ditto Atlas d’H’stoire, Fol.; Pkichard’s Natural History of Man, London 1855; J. W. Eaule's Native Races of the
Indian Archipelago, London 1852; Kerk’s General History and Collection of Vbyayes and Travels, London 1811-17.
F
17
Oberfläche desselben keine einzige übel angebrachte Linie. Die Gestalt im Allgemeinen ist höchst elegant
und die Verzierung ist durchgehends auf’s beste dazu geeignet die Form zu entwickeln. Ein moderner
Fabrikant mit seiner Vorliebe zu quer und kreuz Streifen, hätte die den Griff umgebenden Bande oder
Ringe übers Blatt oder die Schaufel fortgesetzt. Der Instinkt des Neu Seeländers belehrte ihn eines bessern.
Sein Wunsch war nicht nur, dass das Ruder stark sei, sondern dass es auch stark erscheine, und die Verzierung
ist darauf eingerichtet, demselben einen weit grössern Anschein von Stärke zu verleihen, als es bei unver-
zierter Oberfläche hätte haben können. Das mittlere, der Länge nach an der Schaufel hinlaufende Band
erstreckt sich ganz herum und auf der andern Seite weiter fort, und umschlingt die Kante am Rande, die
ihrerseits alle die andern Bande zusammenhält. Wären diese Bande, gleich dem mittlern, über den Rand
fortgesetzt worden, so hätte es den Anschein gehabt, als ob sie herabgleiten wollten. Das mittlere Band
allein konnte so fortgeführt werden ohne die Ruhe aufzuheben.
Die schwellende Form des Griffes an den Stellen wo ein grösseres Gewicht erforderlich war, zeugt von
einer hewundernswerthen Auffassung, und das Entstehen der Schwellung mittelst des kühnem Entwurfs der
Ringe ist vollkommen gut angegeben.
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WILDE STAMME
TAFEL I.
SAYÄGE TRIBES N°I. tribhs sauyäges
PL 1.
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WILDE STÄMME
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WILDE STÄMME
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Capitel II.—Tafeln 4, 5, 6, 6*, 7, 8, 9, 10, 11.
AEGYPTISCHE ORNAMENTE.
TAFEL IV.
1. Der Lotos, nach der Natur gezeichnet.
2- Aegyptische Darstellung des Lotos.
3. Eine andere, in einem verschiedenen Grade des Wachs-
thums.
4. Drei Papyrus Pflanzen, und drei aufgeblühte Lotos -
blumen nebst zwei Knospen, die ein König als die
einem Gott dargebrachte Gabe in der Hand hält,
ö. Eine aufgeblühte Lotosblume nebst zwei Knospen mit
Bändern zusammengebunden, Typus der ägyptischen
feäulen-Kapitäle.
6. Der Lotos nebst Knospen in der Gestalt einer Säule
mit Matten umwunden, von einem Gemälde einen
Porticus vorstellend.
7. Die Basis des Papyrus Stammes, nach der Natur ge-
■ zeichnet; Typus der Basen und der Schäfte ägyp -
tischer Säulen. 6-7 r
8. Eine sich entfaltende Knospe des Papyrus, nach der
Natur gezeichnet.
9. Eine andere, minder vorgerückt im Wachsthum.
10. Aegyptische Darstellung der Papyrus Pflanze, vollstän -
diger Typus des Kapitals, des Schafts und der Basis
ägyptischer Säulen.
11. Ditto in Verbindung mit Lotosknospen, Weintrauben
und Epheu.
12. Eine Verbindung des Lotos und des Papyrus, eine mit
Matten und Bändern umwundene Säule vorstellend.
13. Aegyptische Darstellung des Lotos nebst Knospen.
14. > Darstellungen des Papyrus, von einem ägyptischen
15. S Gemälde.
16. Darstellungen von Pflanzen die in der Wüste wachsen.
17. Darstellung des Lotos und des Papyrus wie sie im Nil
wachsen.
18. Eine andere Varietät von Pflanzen der Wüste.
TAFEL V
1. Ein aus Federn gebildeter Fächer in einen hölzernen
Stamm eingesetzt, der die Gestalt eines Lotos hat.
2. Federn aus dem Kopfputz der Pferde der königlichen
Wagen.
3. Eine andere Varietät von Abu-Simbel.
4. Fächer von trockenen Blättern verfertigt.
5. Ditto.
6. Fächer.
7. Königlicher Kopfputz.
8. Ditto.
9. Darstellung einer Species des Lotos.
10. Der wahre Lotos.
11. Insignien wie sie gewisse Beamten zur Zeit der Pharaos
trugen.
12. Eine andere Varietät.
13A
14.1 Gold und Email Vasen in der Gestalt des Lotos.
15. )
16. Ein Steuerruder, geschmückt mit dem Lotos und dem
Auge, die Göttlichkeit darstellend.
17. Ditto eine andere Varietät.
18.1 Böte aus zusammen gebundenen Papyrus Pflanzen ver-
19. j fertigt.
TAFEL VI.
1. Kapital von den grossen Säulen des Tempels von
Luxor, Theben, aus der Zeit Amunophs III., 1250
v. Chr., nach der Angabe von Schärpe. Es stellt eine
Papyrusblume in voller Blüthe dar, abwechselnd von
Papyri und Knospen umgeben.
2. Kapital von den kleinern Säulen des Memnoniums,
Theben, 1200 v. Chr. Es stellt eine einzige Knosoe
des Papyrus dar, geschmückt mit den farbigen hän -
genden Binden die man in den gemalten Darstellun -
gen von Säulen auf der Tafel IV. No. 5, 6, 12 sehen
kann.
3. Kapitäl von den kleinern Säulen des Tempels von Luxor,
1200 v. Ohr., stellt acht zusammen gebundene Knos -
pen des Papyrus dar, mit hängenden farbigen Binden
geschmückt.
11. Kapitäl vom unvollendeten hypethrischen Tempel der
Insel Philä, Römische Periode, 140 v. Chr., besteht
aus der Papyrus Pflanze in drei verschiedenen Gra -
den des Wachsthums, und in drei Reihen angeord -
net. Die erste Reihe besteht aus vier aufgeblühten
und vier grossen, sich entfaltenden Blumen; die
zweite Reihe aus acht kleinen sich entfaltenden
19
AEGYPTISCHE ORNAMENTE.
Blumen; und die dritte Reihe aus sechzehn Knos -
pen : bildet also im Ganzen einen Bund von zwei
und dreissig Pflanzen. Den Stamm jeder Pflanze
kann man mittelst der Grösse und Farbe des Stiels,
bis zu den horizontalen Binden hinab, verfolgen.
Vide Tafel IV. No. 5, 6, 12.
12. Kapital vom Tempel Kum-Ombos. Vollgewachsener
Papyrus von verschiedenen Blumen umgeben.
13. Kapital vom Haupttempel, zu Philä, stellt zwei Reihen
des Papyrus dar, in drei verschiedenen Graden des
Wachsthums. Die erste Reihe besteht aus acht
Pflanzen, vier in voller Blüthe und vier sich ent -
faltend ; die zweite Reihe besteht aus acht Knospen:
im Ganzen sechzehn Pflanzen. In diesem Kapital
ist keine Störung der kreisförmigen Gestalt wie in
No. 11.
14. Kapital vom unvollendeten hypethrischen Tempel zu
Philä. Besteht aus drei Reihen der Papyrus Pflanze
in drei verschiedenen Graden des Wachsthums. Die
erste Reihe enthält acht vollblüthige und acht sich
entfaltende Pflanzen ; die zweite Reihe sechzehn sich
entfaltende Blumen; die dritte Reihe zwei und dreis -
sig Papyrus Knospen: im Ganzen vier und sechzig
Pflanzen. Der Stamm einer jeden Pflanze lässt sich
durch seine Grösse und Farbe unterscheiden und
läuft fort bis an die horizontalen Bande die sie
um den Schaft befestigen.
16. Kapital vom Porticus zu Edfu, 145 v. Chr., stellt einen
Palmbaum mit neun Aesten dar. Die horizontalen
Bande des Palmbaum Kapitals unterscheiden sich
von den Banden aller andern Kapitale darin, dass
sie-immer eine hängende Schleife haben.
TAFEL VI*.
4. Kapital von einem Tempel in der Oase zu Theben,
stellt eine Sammlung von Wasserpflanzen dar, mit
dreieckigen Stielen um eine einzige Papyrusblume in
voller Blüthe gebunden.
5. Kapital vom Porticus zu Edfu, 145 v. Chr., von ähn -
licher Bauart wie No.. 4.
6. Kapital vom Haupttempel der Insel Philä, 106 v. Chr.
Vollblüthige Papyrusblume von andern Blumen der -
selben Art in verschiedenen Graden des Wachs -
thums umgeben.
7. Kapital von einem Tempel in der Oase zu Theben.
8. Kapitäl vom Säulengang auf der Insel Philä, stellt
sechzehn Lotosblumen dar, in drei Reihen zusam -
men gebunden. Im Aufriss dargestellt.
9. Das Kapitäl No. 8 in Perspective.
10. Kapitäl von einem Tempel in der Oase zu Theben
stellt acht Lotosblumen dar, in zwei Reihen zusam -
men gebunden.
15. Kapitäl vom unvollendeten hypethrischen Tempel zu
Philä. Besteht aus zwei Papyruspflanzen in zwei
verschiedenen Stufen des Wachsthums in drei Rei -
hen angeordnet. Die erste Reihe besteht aus vier
vollblüthigen und vier sich entfaltenden Blumen ;
die zweite, aus acht kleinern in voller Blüthe ; und
und die dritte aus sechzehn noch kleinern.
17. Kapitäl der griechisch-ägyptischen Form, aber zur rö -
mischen Periode gehörend. Dies Kapitäl is sehr merk -
würdig, insofern es die griechischen und ägyptischen
Elemente im Verein miteinander darstellt, nämlich
den Papyrus in zwei verschiedenen Graden des
Wachsthums, zugleich mit dem Acanthus Blatt und
den Ranken des Geissblattes.
TAFEL YII.
1. Ornamente vom obern Ende der Wände einer Gruft zu
Benihassan.
2. Ditto. Ditto.
3. Ditto von Karnak, Theben.
4. Ditto von Gourna, Theben.
5. Ditto von Sakhara.
6. Verzierung des Pfühl Gesimses von einigen der frü -
hesten Gräber in der Nähe der Pyramiden von Giza.
7 ')
8. > Von einem hölzernen Sarkophag.
9. J
10. Von Gräbern, El Kab.
11. Von den Gräbern, Benihassan.
13. Ditto.
14. Ditto.
15. Von einem Halsband.
16. Von der Wand einer Gruft zu Gourna, unmittelbar
unter der Decke.
18. > Tlieile eines Halsbandes.
19. J
20. Von der Wand eines Grabes.
21. Von einem Halsbando.
22. Vom obern Theil der Wand einer Gruft, Sakhara.
23. Ditto, zu Theben.
24. Von einem Halsbande.
25. Von der Wand einer Gruft, Gourna.
26. Von einem Sarkophag.
27. Von der Wand einer Gruft.
28. Von einem Sarkophag.
29. Vom obern Theil eines Gemäldes.
30. Anordnung von Linien, von Würfel-Vertäfelungen.
31. Von einem Sarkophag im Louvre.
32. Von der Wand eines Grabes, Gourna, stellt den Lotos
in Plan und Aufriss dar.
33. Von einer Zimmerdecke zu Medinet Habu.
34. Anordnung von Linien, von Würfel-Vertäfelungen in
Gräbern.
* Die Nummern 1-5,10, 11, finden sich immer auf senkrechten Oberflächen und am obern Theil der Wände in Gräbern
und Tempeln. Die Nummern 7-9, 12, 14, 18, 20, sind alle von denselben Elementen gebildet, nämlich vom Lotos in hängender
Lage und einer Weintraube dazwischen. Dieses beständig sich wiederholende Ornament ist in einigen seiner Formen dem
griechischen so genannten Eierstab Gesims so ähnlich, dass es kaum einem Zweifel unterliegt, dass dieses griechische Gesims
von jener Quelle abgeleitet worden ist. Die Nummern 13, 15, 24, 32 zeigen ein anderes Element der ägyptischen Ornamen-
tation, aus den getrennten Blättern des Lotos abgeleitet.
20
AEGYPTISCHE ORNAMENTE.
TAFEL YIII.
Sämmtliche Ornamente dieser Tafeln sind von Mumien -
kasten im British. Museum und im Louvre, und sie
bestehen, wie die der letzten Tafel, meistens aus der
Lotosblume, oder aus den einzelnen Blättern dersel -
ben Pflanze. In No. 2, sieht man, oberhalb der Lotos -
blätter, ein weisses Ornament auf schwarzem Grund,
ein Ornament, welches in Gräbern sehr häufig vor -
kommt ; und der Gedanke daran entsprang aus dem
in einander Weben zweier Seilduchten; in No. 7 fin -
den wir ein gewürfeltes Muster, eines der frühesten
Ornamente, das augenscheinlich im Verweben von
Buchten verschiedener Farben seinen Ursprung hat.
Im untern Theil von No. 18 finden wir wieder ein
sehr allgemeines Ornament, welches von Federn her -
geleitet ist.
TAFEL IX.
Die Ornamente dieser Tafeln sind den Malereien der Gräber
in verschiedenen Theilen Aegyptens entnommen,
nach Original-Zeichnungen. Die Muster sind grössten-
theils von der Art, wie man sie auf dem Webstuhl
hervorbringen könnte, und beim ersten Blick wird
man es gewahr, dass dies ohne Zweifel der Ursprung
der meisten unter denselben ist.
1-8 sind Darstellungen von Matten auf denen die Könige
stehen. Sie sind augenscheinlich von verwebtem
Stroh verschiedener Farben gebildet. Der Ueber-
gang von dieser Stufe zur Bildung von Mustern, wie
die von 9-12, 17-19, 21, wäre sehr rasch, und diese
letztem sind wahrscheinlich nur die ßeproductionen
gewobener Stoffe zum alltäglichen Gebrauch. Die
Nummern 9 und 10 haben wahrscheinlich den Grie -
chen die Idee des Mäanders eingegeben, es wäre
denn, dass die letztem, in Folge eines ähnlichen Ver -
fahrens, von selbst darauf verfallen seien.
20 ist von der Decke eines Grabes zu Gourna, stellt das mit
einem Weinstock überzogene Gatterwerk eines Gar -
tenpfades dar. Dieses Ornament ist gar nicht selten
an den gekrümmten Decken kleiner Gräber, und
nimmt gewöhnlich die ganze Decke einer jeden Aus -
höhlung in den Grüften der Periode der neunzehnten
Dynastie ein.
21-23 sind verschiedenen im Louvre befindlichen Mumien -
kasten einer jüngern Periode entnommen.
TAFEL X.
1-5. Verschiedenen im Louvre befindlichen Mumienkasten
einer jüngern Periode entnommen. Geometrische
Anordnung des einzelnen Lotosblattes.
6. Von einem Grabe zu Theben. Jeder Kreis ist aus vier
Lotosblumen und vier Knospen gebildet; der da -
zwischen kommende Stern soll wahrscheinlich vier
Lotosblätter vorstellen.
7. Von einem Grabe zu Theben.
8, 9. Von einem Mumienkasten.
10-24 sind von den Decken der Gräber in verschiedenen Thei -
len Aegyptens. In den Nummern 10, 13-1C, 18-23,
sieht man mehrere Beispiele von Ornamenten, die
das Abwickeln eines Haufens von Seilen vorstellen,
welches vielleicht den ersten Gedanken der Volute
eingegeben haben mag. Die ununterbrochene blaue
Linie, Nummer 24, ist augenscheinlich auf dem -
selben Typus gegründet.
TAFEL XI.
1, 4, 6, 7, von Gräbern zu Theben, stellen fernere Beispiele des
in der letzten Tafel dargestellten Seil-Ornaments dar.
No. 2 und 3 sind verschiedenartige Anordnungen von
Sternen, gar nicht ungewöhnlich an den Decken der
Gräber und der Tempel. No. 2 ist auf Vierecken
gebildet, und No. 3 auf gleichseitigen Dreiecken.
9. Von einem Mumienkasten.
10. Von der Stickerei eines königlichen Gewandes.
11-16. Verschiedene Bänder von Malereien in Gräbern.
17. Vom Gewände einer Figur in einem der königlichen
Gräber von Biban el Moluk. Stellt die Schuppen
der Büstung vor, die von den Helden und den Göt -
tern Aegyptens getragen wurde.
18-20. Sind einander ähnlich, und die Idee derselben wurde
wahrscheinlich von den Federn der Vögel hergeleitet. I
21. Ornament am Kleide des Gottes Amun, von Abu-
simbel.
22. Von einem Bruchstück im Louvre.
23. Würfelvertäfelung vom Grabe des Ramses, Biban el
Moluk, stellt wahrscheinlich im Abriss, einen Papy -
rus Hain vor, da sie eine ähnliche Position cinnimmt
als die Vertäfelungen einer jüngern Periode, die aus
Knospen und Blumen des Papyrus gebildet sind.
24. Von einem sehr alten, von Dr. Lepsius geöffneten
Grabe zu Giza. Der obere Theil stellt das gewöhn -
liche ägyptische Pfühlsims vor; der untere Theil
ist der Würfelvertäfelung desselben Grabes entnom -
men, und beweiset, dass die Nachahmung der geäder -
ten Holzarten in der Malerei schon im höchsten
Alterthum im Gebrauch war.
G
21
AEGYPTISCHE OEXAMENTE.
Die Baukunst Aegyptens hat vor allen andern Stylarten der Architektur diese Eigentümlichkeit voraus,
dass die Kunst um so vollkommener, als das Denkmal älter ist. Alle uns bekannten Ueberbleibsel zeigen
uns die ägyptische Kunst im Zustande des Verfalls. Denkmäler, zwei Tausend Jahre vor der christlichen
Zeitrechnung errichtet, sind aus den Trümmern noch älterer und vollkommenerer Gebäude gebildet. So
finden wir uns in eine Periode zurück versetzt, die zu fern von unserem Zeitalter ist, um uns in den Stand
zu setzen die Spuren des Ursprungs der Kunst zu entdecken; und während wir die griechische, die römische,
die byzantinische mit ihren Ausläufern, die arabische, die maurische und die gothische Baukunst in unmit -
telbarer Folge von diesem grossen Mutterstamm abzuleiten vermögen, müssen wir von der Architektur
Aegyptens annehmen, dass sie ein reiner Originalstyl ist, der zugleich mit der Cultur im Mittlern Afrika*
entstand, durch zahllose Jahrhunderte seine Bahn verfolgte, um den culminirenden Punkt der Vollkom -
menheit zu erreichen, und dann zur Stufe des Verfalls herabzusteigen, worin wir ihn sehen. So sehr aber
auch diese Stufe, ohne Zweifel, hinter der uns unbekannten Vollkommenheit ägyptischer Kunst zurückbleibt,
so übertrifft sie doch bei weitem alles, was nachher folgte; die Aegypter stehen keinem, als sich selbst nach.
In jeder andern Stylart können wir den raschen Aufschwung der Kunst verfolgen, von der Kindheit, die auf
irgend einem den vergangenen Zeiten angehörigen Styl beruht, bis zum culminirenden Punkt der Vollkom -
menheit, wo der fremde Einfluss modificirt oder ganz beseitigt wird, und dann abwärts zu einer Periode des
langsamen, schleichenden Verfalls, der seine eigene Elemente aüfzehrt. Im Styl der Aegypter aber haben
wir keine Spur von Kindheit oder fremdem Einfluss; wir müssen also glauben, dass sie ihre Eingebungen
unmittelbar von der Natur schöpften. In dieser Ansicht werden wir bestätigt, wenn wir insbesondere die
Ornamente der Aegypter betrachten; die Typen sind wenige an der Zahl, und lauter Naturtypen, und die
Darstellung weicht nur sehr wenig vom Typus ab. Je weiter wir in der Kunst herabsteigen, desto mehr
finden wir, dass man sich von den Originaltypen entfernt, bis es endlich in manchen Ornamenten, in den
arabischen und maurischen zum Beispiel, ganz schwer wird, die ursprünglichen Typen zu erkennen, von
welchen die Ornamente, durch wiederholte Geistesanstrengungen, nach und nach entwickelt worden sind.
Der Lotos und der Papyrus, die an den Ufern ihres Flusses wachsen, und die Nahrung des Leibes und
des Geistes sinnbildlich darstellen; die Federn seltener Vögel die den Königen als Embleme der Oberherr -
schaft vorgetragen wurden; der Palmzweig, nebst dem aus dessem Stamme verfertigten gewundenen Seil:
dies sind die wenigen Typen, die der Ungeheuern Mannichfaltigkeit von Ornamenten zur Basis dienten, mit
welchen die Aegypter die Tempel ihrer Götter, die Paläste ihrer Könige, die Kleidungen die sie bedeckten,
ihre Artikel des Luxus, ja selbst die bescheidensten zum täglichen Gebrauch dienenden Gegenstände, zu
schmücken pflegten, vom hölzernen Löffel, der ihnen zum Einnehmen der Speise diente, bis zum Boote das
ihre ebenfalls verzierten einbalsamirten Leichen, nach ihrer letzten Heimath im Thale der Todten jenseits des
Nils zu schaffen bestimmt war. Da sie sich in der Befolgung dieser Typen so nahe als möglich an der
* Im Britisli Museum ist der Abguss eines Basreliefs von Calabshee in Nubien zu sehen, welches die Siege Ramses II. über ein
schwarzes Volk darstellt, wahrscheinlich die Aethiopier. Es ist bemerkenswert!!, dass unter den von diesem Volke dem König als
Tribut dargebrachten Gaben, ausser Leopardsfellen und seltenen Thieren, ausser Elfenbein, Gold und andern'Erzeugnissen des Landes,
sieh auch drei geschnitzte elfenbeinerne Sessel befinden, und zwar in jeder Beziehung gleich dem Sessel, auf welchem der König sitzt,
die Gaben zu empfangen. Dies scheint darauf hinzuweisen, dass diese höchst kunstvoll ausgeärbeiteten Luxus Artikel von den Aegyptem
aus dem Innern Afrikas bezogen wurden.
22
AEGYPTISCHE ORNAMENTE.
natürlichen Form hielten, so konnte es kaum fehlen, dass sie dieselben Gesetze beobachteten, die sich in allen
Werken der Natur beständig kundgeben; daher finden wir auch, dass die ägyptischen Ornamente, wenn sie
auch noch so conventionell behandelt sind, doch immer wahr bleiben. Wir finden nie eine verkehrte
Anwendung oder eine Verletzung der Principien der Natur, die uns Anatom geben könnte. Auf der andern
Seite aber geschah es auch nie, dass die Aegypter die Absicht und den Einklang der Darstellung durch eine
zu knechtische Nachahmung des Typus beeinträchtigten. Ein Lotos, in Stein ausgehauen, um die zierliche
Krone einer Säule zu bilden, oder an die Wand gemalt, als eine den Göttern dargebrachte Opfergabe, war
keine Darstellung der Blume, wie man sie pflücken möchte, sondern eine architektonische Vergegenwär -
tigung derselben; in beiden Fällen, jedoch auf’s beste geeignet, dem beabsichtigten Zwecke zu entsprechen,
und dem Typus ähnlich genug, um im Geiste des Beschauers die poetische Idee anzuregen, die sie vorzu -
stellen bestimmt war, ohne das Gefühl des Einklanges zu verletzen.
Die ägyptische Verzierungskunst zerfällt in drei Ornamentsarten: das constructive Ornament, welches
einen Theil des Denkmals selbst ausmacht, dessen innerem Gestelle es zur äussern schmuckvollen Bedeckung
dient; das repräsentative oder bildnerische Ornament, dessen Darstellung jedoch nur conventionell ist; und
das bloss decorative Ornament. In jedem Falle aber war es symbolisch und beruhete, wie schon bemerkt,
auf einigen wenigen Typen, die während der ganzen Periode der ägyptischen Cultur nur sehr geringe Ver -
änderungen erlitten.
Zur ersten Art, oder dem constructiven Ornamente, gehört die Verzierung der Stützen und der krönen -
den Glieder der Mauern. Die Säule, ob sie nur einige Fuss hoch war, oder, wie die von Luxos und Karnak,
die Höhe von vierzig Fuss erreichte, war nichts weiter als ein im Grossen entworfener Papyrus: die Basis
stellte die Wurzel dar; der Schaft den Stamm; und das Kapital die in voller Blüthe stehende Lotosblume,
von einem Strauss kleinerer Pflanzen umgeben (No. 1, Tafel VI.), und mittelst Bande zusammen gebunden.
Nicht nur stellte jede Eeihe von Säulen einen Papyrushain dar, sondern jede einzelne Säule war ein Hain
an sich selbst; so sehen wir Tafel VI. No. 17, die Vergegenwärtigung eines Haines von Papyrusbäumen von
verschiedenen Stufen des Wachsthums; nun dürfte man nur diese Bäume, gerade wie sie da stehen, zusam -
menstellen und mit einem Bande umschlingen, um den ägyptischen Schaft mit seinem hoch verziertem
Kapitäl zu bilden. Ferner haben wir, Tafel VI. No. 5, 6, 10, 11, 12, gemalte Darstellungen von Tempel -
säulen in denen die Originalidee unverkennbar abgebildet ist.
Wir können uns denken, dass es in uralten Zeiten bei den Aegyptern der Gebrauch war, die einheimischen
Blumen als Schmuck um die hölzernen Pfeiler ihrer primitiven Tempel zu winden; als aber nachher ihre
Kunst einen bleibendem Charakter erhielt, nahm auch dieser Gebrauch eine festere Gestalt auf ihren
Steindenkmälern an. Nachdem diese Formen einmal die Weihe der Heiligkeit erhalten hatten, konnten
sie, nach den ägyptischen Beligionsgesetzen, nicht mehr abgeändert werden, doch glaube man ja nicht, dass
die Besitznahme einer einzigen Hauptidee, Einförmigkeit zur Folge gehabt habe; ein Blick auf die Tafeln
VI. und VI*. wird uns vom Gegentheil überzeugen. Der Lotos und der Papyrus bilden die Typen der
fünfzehn zu unserer Illustration gewählten Kapitale; und doch, welche sinnreiche Mannichfaltigkeit wir
darin sehen, welche gute Lehren, die wir uns zu Nutze machen können! Seit der Periode der Griechen bis ■
zu unserer Zeit hat sich die Welt, zur Bildung aller Säulenkapitäle der sogenannten classischen Architektur,
mit dem um den Korb des Kapitals angebrachten Acanthusblatt begnügt, ohne fernem Unterschied als in
der mehr oder minder vollkommenen Modellirung der Blätter, in den zierlichen oder unzierlichen Verhält -
nissen des Korbes, während an die Modifikation des Planes nur in höchst seltenen Fällen gedacht wurde;
und doch war es diese Modifikation, die bei den Aegyptern die mannichfaltigste Entwickelung ihres Kapitals
erzeugte: sie fingen mit dem Zirkel an, den sie mit vier, acht, ja bis sechzehn Zirkeln umschlossen. Der
Versuch einer ähnlichen Abänderung im korinthischen Kapital, würde unfehlbar eine ganz neue Ordnung
von Ideen erzeugen, obgleich die Hauptidee, das Acanthusblatt auf der Oberfläche des glockenförmigen
Korbes anzubringen, noch immer beibehalten würde.
23
AEGYPTISCHE ORNAMENTE.
Um im ägyptischen Schaft, so oft er rund war, die Idee der dreieckigen Gestalt des Papyrus beizube -
halten, versah man ihn mit drei erhabenen Linien, die dessen Umfang in drei gleiche Theile absonderten;
wenn aber die Säule aus dem Vereine von vier oder acht miteinander verbundenen Schäften gebildet wurde,
so wurde ein jeder derselben an der Aussenseite mit einer scharfen Kante versehen, die zum selben Zwecke
diente. Das Krongesims ägyptischer Gebäude war mit Federn verziert, die, wie es scheint, das Sinnbild der
Oberherrschaft waren, während im Mittelpunkte eine geflügelte Erdkugel sich befand, das Sinnbild der
Göttlichkeit,
Die zweite Art der ägyptischen Ornamente entsteht aus der conventioneilen, an den Wänden der Tempel
und der Grabmäler angebrachten Darstellung wirklicher, dem Leben entnommener Gegenstände; und auch
hier in der \ ergegenwärtigung der Opfergaben, den Göttern dargebracht, in der Darstellung der Artikel zum
alltäglichen Gebrauch, ebenso wie in den Malereien häuslicher Scenen, war jede Blume, jeder Gegenstand
nicht als eine Wirklichkeit, sondern als eine rein ideale Darstellung abgebildet. Das Ganze diente zugleich
als Erinnerung einer Begebenheit und als architektonische Zierde, deren Effect durch die symmetrische An -
ordnung der zur Erklärung dienenden Hieroglyphen selbst noch erhöhet wurde. No. 4, Tafel IV. ist die Dar -
stellung dreier Papyruspflanzen und dreier Lotosblumen, nebst zwei Knospen, die ein König als eine den
Göttern dargebrachte Opfergabe in der Hand hält. Die Anordnung ist symmetrisch und anmuthsvoll, und
wir sehen, dass die Aegypter in der conventionellen Darstellung des Lotos und des Papyrus instinktartig das
Gesetz befolgten, welches sich überall in den. Pflanzenblättern kund thut, nämlich die Strahlung der Blätter
selbst, sowohl als die der Blattadern, die in anmuthvollen Krümmungen von dem Mutterstamm ausgeht; und
dies Gesetz der Strahlung befolgen sie nicht nur im Zeichnen der einzelnen Blume, sondern auch in der Grup-
pirung der verschiedenen Blumen miteinander. Dies erhellt aus No. 4, und auch aus den Darstellungen
der Pflanzen der Wüste, No. 16 und 18 derselben Tafel, und No. 13. Aus No. 9 und 10, Tafel V. ergeht,
dass sie dieselbe Lehre der Strahlung von der Feder ableiteten, die ebenfalls einen Ornamentstypus bildet
(11 und 12, Tafel V.); derselbe Instinkt war auch in No. 4 und 5 thätig, wo eine der im Lande so
zahlreichen Gattungen der Palmen als Typus dient.
Die dritte Verzierungsart der Aegypter, die rein decorative, wie sie uns wenigstens erscheint, hat ohne
Zweifel ihre eigenen Gesetze und Gründe der Anwendung, obwohl sie sich uns nicht so klar kund thun.
Die Tafeln VIII., IX., X., XI., sind dieser Gattung von Ornamenten gewidmet, und wurden verschiedenen
Malereien an Gräbern, Gewändern, Geräthen und Sarkophagen entnommen. Sie zeichnen sich alle durch
graziöse Symmetrie und vollkommene Eintheilung aus. Die Mannichfaltigkeit, welche aus den wenigen,
einfachen, von uns erwähnten Typen sich erzeugen lässt, ist erstaunlich.
Tafel IX. enthält Muster von Decken, die die Reproduction von gewobenen Mustern zu sein scheinen ;
denn, zugleich mit der conventionellen Darstellung wirklicher Gegenstände, muss, bei jedem Volke der erste
Versuch zur Hervorbringung von Verzierungswerken, nothwendig diese Richtung nehmen. Die Nothwen-
digkeit, Stroh oder Baumrinden zusammen zu flechten, zur Anfertigung von Kleidungsstücken, wie auch
zur Bedeckung ihrer rohen Wohnungen, oder des ihnen zur Lagerstätte dienenden Bodens, gab ihnen wohl
den Gedanken ein, Stroh und Rinden von verschiedenen Farben zu gebrauchen, und die natürlichen Farben
wichen nachher den künstlich erzeugten Farben. Auf diese Weise entstand die erste Idee, nicht nur der
Ornamentation, sondern auch die der geometrischen Anordnung. No. 1-4, Tafel IX., sind von ägyptischen
Malereien entnommen, und stellen Matten vor, worauf der König steht; während No. 6 und 7 von Grab -
decken genommen sind, die augenscheinlich Zelte mit Matten bedeckt vorstellen. No. 9, 10, 12 zeigen,
wie natürlich der griechische Mäander mit denselben Mitteln erzeugt wurde. Der allgemeine Gebrauch
dieses Ornaments in jeder Stylart der Architektur, welches sogar in den ersten Verzierungsve'rsuchen aller
wilden Stämme, immer unter einer oder der andern Gestalt vorkommt, ist ein frischer Beweis, dass der
Ursprung desselben durchgehends derselbe war.
Das Bilden der Muster mittelst gleicher Abtheilung ähnlicher Linien, wie dies beim Weben geschieht,
24
AEGYPTISCHE ORNAMENTE.
muss einem in der Entwickelung begriffenen Volke die ersten Begriffe der Symmetrie, der Anordnung, der
Anlage, und der Eintbeilung der Massen einflössen. Die Aegypter beschränkten sich in der Verzierung
grosser Oberflächen, wie es scheint, nur auf geometrische Anordnung. Strömende Linien kommen bei den
Aegyptem, verhältnissmässig, sehr selten vor, und dienen nie als Motiv der Composition, doch existirt in
ihrem Seilornament, der Keim selbst zu dieser nachherigen, in der Volutenform sich entwickelnden Ver -
zierungsweise. (Tafel X., No. 10, 13-16, 18-24; und Tafel XI., 1, 2, 4, 7.) In diesen Mustern sind die
verschiedenen Seilknäuel einer symmetrischen Anordnung unterworfen, aber aus dem Entrollen dieser Seile
entstünde schon jene Form, die in manchen spätem Stylarten zur Quelle so grosser Schönheit wurde. Wir
wagen daher die Behauptung, dass der ägyptische Styl, der älteste zwar, doch zugleich in allem, was den wah -
ren Kunststyl ausmacht, auch der vollkommenste ist. Die Form in der er sich offenbart, mag uns fremdartig,
eigenthümlich, förmlich und steif erscheinen, aber die Begriffe und Lehren die er uns beibringt, gehören zu
den zuverlässigsten. Indem wir mit den andern Stylarten fortfahren, werden wir finden, dass sie der Voll -
kommenheit nur dann nahe kommen, wenn sie, gleich dem ägyptischen Styl, die wahren Principien befolgen,
die in jeder wachsenden Blume sich kund tliun. Wie die Blumen, die Lieblinge der Natur, so sollte auch
jedes Ornament seinen eigenen Duft haben, d. h. einen Grund für seinen Gebrauch; jedes Ornament sollte
an zierlicher Construction, an harmonischer Mannichfaltigkeit der Formen, an gehörigem Ebenmass und
untergeordneter Abstufung der Theile zu einander, mit dem Modell zu wetteifern suchen. Wenn in einem
Ornamente eines dieser Merkzeichen abgeht, so können wir mit Gewissheit annehmen, dass es einem ent -
lehnten Style angehört, worin der Geist welcher das Originalwerk belebte, beim Copiren verloren ge -
gangen ist.
Die Architektur der Aegypter ist durchgehends polychromatisch,—-sie bemalten alles; wir haben also in
dieser Beziehung so manches von ihnen zu lernen. Sie behandelten die Malerei in flachen Tinten, ge -
brauchten weder Schattirung noch Schatten, und doch fanden sie keine Schwierigkeit, die Identität des dar -
zustellenden Gegenstandes im Geiste des Beschauers anzuregen. Der Gebrauch ihrer Farben, wie der der
Form, war conventionell. Man vergleiche die Darstellung des Lotos (No. 3, Tafel IV.), mit der natürlichen
Blume (No. 1), um zu sehen wie herrlich die Kennzeichen der natürlichen Blume in der Darstellung wieder -
gegeben sind! Wie richtig die äussern Blätter mittelst eines dunklern Grüns unterschieden sind, und die
innern, geschützten Blätter mittelst eines hellem Grüns; während der purpurne und gelbe Ton der innern
Blume, mittelst rother, auf gelbem Felde schwebender Blätter dargestellt ist, wodurch die schimmernde
Gluth des Originals auf’s vollkommenste hervortritt. So finden wir Kunst mit Natur vereint, und erfreuen
uns eines verdoppelten Genusses beim Gewahrwerden der Geistesanstrengung, die diesen glücklichen
Verein zu Stande gebracht hat.
Die am meisten von den Aegyptern gebrauchten Farben waren Both, Blau und Gelb, nebst der ge -
legentlichen Anwendung von Schwarz und Weiss um die verschiedenen Farben zu begrenzen und ihnen die
nöthige Deutlichkeit zu verleihen; und Grün gewöhnlich, obwohl nicht immer, als Localfarbe, wie in den
grünen Lotosblättem. Doch waren diese Blätter eben so oft blau als grün gefärbt: blau in den ältesten
Zeiten, und grün während der ptolomäischen Periode, ja, in dieser letztem Zeit wurde auch Purpur und
Braun hinzugefügt, welches jedoch den Effect verringerte. Auch das Both, welches man an Gräbern und
Mumienkasten der griechischen oder römischen Periode findet, ist von matterem Tone als das der alten
Zeiten; und es kann, wie es scheint, als allgemeine Begel gelten, dass in den archäischen Perioden der
Kunst die Grundfarben, Blau, Both und Gelb die vorherrschendsten waren, und zugleich mit der grössten
Harmonie und dem glücklichsten Erfolg angewendet wurden. In den Perioden aber, wo die Kunst als ein
Ergebniss der Ueberlieferung, nicht instinktmässig ausgeübt w'ird, stellt die Tendenz sich ein, die secun-
dären F’arben und Tinten, nebst Schattirungen jeder Varietät zu gebrauchen, doch geschieht das selten mit
gleichem Erfolg. Wir werden oft Gelegenheit haben in den folgenden Capiteln darauf hinzuweisen.
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Capitel III.—Tafeln 12, 13, 14.
ASSYRISCHE UND PERSISCHE ORNAMENTE.
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TAFEL XII.
1. Geschnitztes Pflaster, Konyunjik. 6-11. Gemalte Ornamente von Nimrud.
2-4. Gemalte Ornamente von Nimrud. 12-14. Geheiligte Bäume von Nimrud.
6. Geschnitztes Pflaster, Konyunjik.
Sämmtliche Ornamente dieser Tafel sind Herrn Layard’s grossem Werke, The Monuments of Nineveh, entnommen. No. 2,
3, 4, 6, 7, 8, 10, 11, sind hier eolorirt gerade wie im benannten Werke. No. 1, 5, und die drei geheiligten Bäume, sind in
Relief und bloss im Umriss dargestellt. Wir haben diese als gemalte Ornamente behandelt, und in der Anwendung des
Colorits die Principien befolgt, die sich in den obern Ornamenten offenbaren, deren Farben bekannt sind.
TAFEL XIII.
1-4. Glasurte Ziegel von Khorsabad.—Fiandin & Coste.
6. Ornament von einem königlichen Gewände von
Khorsabad.—F. & 0.
6, 7. Ornamente von einem Schilde, Ditto.—F. & 0.
8, 9. Ornamente von einem königlichen Gewände, Ditto.
—F. & C. ■
10,11. Ornamente von einem bronzenen Gefäss, Nimrud.—
Layard.
12. Ornamente eines königlichen Gewandes, von Khor -
sabad.—Flandin & Coste.
13. Glasurte Ziegel, von Khorsabad.—F. & 0.
14. Ornament von einem Sturmbock, Khorsabad.—F.&C.
15. Ornament von einem bronzenen Gefäss, Nimrud.—
Layard.
16-21. Glasurte Ziegel, von Khorsabad.—Flandin & Coste.
22. Glasurte Ziegel, von Nimrud.—Layard.
23. Ditto, von Bashikhah.—Layard.
24. Ditto, von Khorsabad.—Flandin & Coste.
Die Ornamente, No. 5, 8, 9, 12, kommen sehr allgemein auf königlichen Gewändern vor, und bestehen aus Stickerei. Wir
haben bei der Restauration des Colorits die Farben gewählt, die uns am besten geeignet schienen, die verschiedenen Muster
zu entwickeln. Die übrigen Ornamente dieser Tafel tragen dieselben Farben wie in den Werken der Herren Layard, Flandin,
und Coste.
TAFEL XIV.
1. Gefiedertes Ornament im Curvetto des Krongesimses,
Palast No. 8, Persepolis.—Flandin & Coste.
2. Säulenbasis von der Ruine No. 13, Persepolis.—
F.&C.
4. Ornamente an der Seite der Treppe des Palastes,
No. 2, Persepolis.—F. &C.
5. Säulenbasis des Säulenganges No. 2, Persepolis.—
F.&C.
6. Säulenbasis, Palast No. 2, Persepolis.—F. & 0.
7. Säulenbasis, Porticus No. 1, Persepolis.—F. & C.
8. Säulenbasis zu Istakhr.—F. & C.
9-12. Von sassanischen Kapitälen, Bi-Sutun.—F. & C.
13-15. Von sassanischen Kapitälen, zu Ispahan.—F. & C.
16. Von einem sassanischen Gesimse, Bi-Sutun.—F. & C.
17. Ornament von Tak I Bostan.—F.&C.
18,19. Sassanische Ornamente von Ispahan.—F. & C.
20. Archivolte von Tak I Bostan.—F. & C.
21. Der obere Tlieil eines Pilasters, Tak I Bostan.—F.&C.
22. Sassanisches Kapital, Ispahan.—F. & C.
23. Pilaster, Tak I Bostan.—F. & C.
24. Kapitäl eines Pilasters, Tak I Bostan.—F. & C.
25. Sassanisches Kapitäl, Ispahan.—F. & C.
/1
27
ASSYRISCHE
UND PERSISCHE ORNAMENTE.
Aegyptisch.
So reich auch die Ausbeute war, welche die Herren Botta und Layard unter den Ruinen der assyrischen Paläste
sammelten, so reichen doch die von ihnen entdeckten Denkmäler zu keiner sehr fernen Periode der assyri -
schen Kunst hinauf. Ebenso wie die ägyptischen Denkmäler, gehören auch die bisher entdeckten assyrischen
Monumente einer Epoche des Verfalls
an, die überdies viel weiter als die
ägyptische vom höchsten Punkt der
Vollkommenheit entfernt ist. Der as -
syrische Styl muss entweder entlehnt
sein, oder ein Ueberbleibsel einer noch
unentdeckten Kunstform. Wir sind
stark geneigt den assyrischen als keinen
Originalstyl zu betrachten, und glau -
ben, dass er dem ägyptischen entlehnt
worden ist, mit den Modificationen, die
die Verschiedenheit der Religion und
der Sitten des assyrischen Volkes er -
heischten. Wenn man die Basreliefs
von Niniveh mit denen von Aegypten
vergleicht, so fällt einem sogleich die
in so vielen Punkten sich darthuende
Aehnlichkeit der beiden Stylarten auf;
nicht nur herrscht in beiden dieselbe
Darstellungsweise, sondern die darge -
stellten Gegenstände sind einander oft
so ähnlich, dass man kaum glauben
kann, dass zwei Völker, ganz unabhän -
gig von einander, auf dieselbe Stylart
hätten kommen können.
Die Darstellungen eines Flusses,
eines Baumes, einer belagerten Stadt,
einer Gruppe von Gefangenen, einer
Schlacht, eines Königs in seinem Wa -
gen, sind beinahe identisch,— der Un-
terschied ist derart, wie ihn die Dar -
stellung der Sitten zweier verschiedenen
Völker nothwendig veranlassen würde; die Kunst aber scheint dieselbe zu sein. Die ass} rische Sculp
scheint bloss eine Entwickelung der ägyptischen, doch anstatt vorzuschreiten, steigt sie abwärts auf de
Assyrisch.
28
ASSYRISCHE UND PERSISCHE ORNAMENTE
Stufen der Vollkommenheit herab, und steht zur ägyptischen im selben Verhältniss, wie die römische zur
griechischen. Die ägyptische Kunst artete stufenweise immer mehr aus, von den Zeiten der Pharaos bis
zu denen der Griechen und Körner; die Formen, zuerst so fliessend und anmuthig, wurden roh x und abge -
brochen; das Schwellen der Gliedmassen, welche zuerst mehr angedeutet als ausgedrückt war, wurde
endlich höchst übertrieben, die conventioneile Behandlung wich einem unvollkommenen Bestreben alles
natürlich zu machen. Dieses Bestreben aber wurde in der assyrischen Bildnerei noch weiter getrieben; und
obwohl man sich, in der allgemeinen Anordnung des Gegenstandes und in der Stellung der einzelnen
Figuren, noch immer an der conventioneilen Behandlung hielt, so bemühte
man sich doch andererseits, die Muskulatur der Gliedmassen und die
Kundung des Fleisches anzugeben; welches in jeder Kunst als ein Symp -
tom des Verfalles gelten muss, denn die Natur will idealisirt, nicht copirt
werden. Manche Bildsäulen der neuern Zeit weichen von der Venus von
Milo im selben Verhältniss ab, als die Basreliefs der Ptolomäer sich von
denen der Pharaos unterscheiden.
Die assyrischen Ornamente bieten, nach unserem Vermeinen, das An -
sehen eines entlehnten Styles dar, der überdies schon den Stempel des
Verfalles an sich trägt. Zwar kennen wir den Styl noch nicht vollkom -
men, indem gerade jene Theile der Paläste, die die meisten Ornamente
aufzuweisen hätten, die obern Theile nämlich, in Folge der eigenartigen
Construction der assyrischen Gebäude gänzlich zerstört worden sind. Es
unterliegt jedoch keinem Zweifel, dass die Ornamente eben so verschwen -
derisch in den assyrischen als in den ägyptischen Denkmälern angebracht
wurden: in keinem der beiden Stylarten findet man schlichte unverzierte
Oberflächen an den Wänden, indem diese durchgehends entweder mit Bil -
dern oder Inschriften bedeckt sind, und an den Stellen wo dergleichen un -
anwendbar wären, wurden, zur Unterstützung des allgemeinen Effects, reine
Schmuckverzierungen gebraucht. Alle die Ornamente, welche wir bis auf
den heutigen Tag besitzen, sind den Kleidern der auf den Basreliefs befind -
lichen Figuren entnommen, oder bestehen aus einigen Bruchstücken ge -
malter Ziegel, einigen Gegenständen von Bronze und den Darstellungen der geheiligten Bäume der Bas -
reliefs. Wir haben aber keine Ueberbleibsel ihrer constructiven Ornamente, indem die Säulen und andere
Baustützen die dergleichen Ornamente aufweisen könnten, überall vernichtet worden sind. Die construc -
tiven Ornamente von Persepolis, Tafel XIV., gehören augenscheinlich einer viel spätem Periode an und
tragen das Gepräge eines auswärtigen Einflusses, daher sie ganz unzuverlässige Wegweiser wären, uns in der
Restauration der constructiven Ornamente assyrischer Paläste zu leiten.
Die assyrischen Ornamente, obwohl ihnen nicht dieselben Typen als den ägyptischen zu Grunde liegen,
verkünden doch ganz dieselbe Darstellungsweise. In beiden Stylarten sind die Reliefs, sowohl als die
gemalten Ornamente bloss im Umriss dargestellt. Die Oberfläche zeigt nur geringe Modellirung, da diese eine
eigene Erfindung der Griechen ist, bei welchen sie jedoch immer in den gehörigen Schranken gehalten wurde;
und erst die Römer machten einen so unmässigen übertriebenen Gebrauch davon, dass endlich die I ülle des
Effects sich ganz verlor. Die Byzantiner hielten sich wieder an ein gemässigtes Relief, welches bei den
Arabern noch flacher wurde, und bei den Mauren war eine modellirte Oberfläche eine grosse Seltenheit.
Im selben Verhältniss steht, andererseits wieder, der romanische zu dem früh-gothischen Styl, welcher
letztere indessen selbst von vollerem Effecte ist, als der spätere gothische Styl, wo die Oberflächen so ausge -
arbeitet wurden, dass der Eindruck der Ruhe ganz verloren ging.
Wenn man etwa die an den geheiligten Bäumen der Tafel XII., und in den gemalten Verzierungen
29
I
*
ASSYRISCHE UND PERSISCHE ORNAMENTE.
vorkommende Ananas, und eine Art Lotos, No. 4 und 5, ausnimmt, so scheinen die Ornamente, im Allge -
meinen, keinem Naturtypus nachgebildet zu sein ; welches den Schluss nur noch verstärkt, dass der assyrische
kein Originalstyl sei. Die Naturgesetze der Strahlung und der Krümmungstangenten, die in den ägyptischen
Ornamenten sich kund thun, sind zwar auch in den assyrischen beobachtet, doch mit weniger Wahrheit —
vielmehr als ein Ergebniss der Ueberlieferung und nicht des natürlichen Instinktes. Die Befolgung der
Natur ist weder so genau als bei den Aegyptern, noch so ausgesucht conventioneil, als sie es unter den
'Griechen war. Die Nummern 2 und 3, Tafel XIII., werden allgemein als die Typen betrachtet, von
welchen die Griechen einige ihrer gemalten Ornamente herleiteten, und doch stehen sie den griechischen
bei weitem nach an Reinheit der Form und an glücklicher Vertheilung der Massen.
Die von den Assyriern gebrauchten Farben waren, wie es scheint, Blau, Roth, Meiss und Schwarz in
den gemalten Ornamenten; Blau, Roth und Gold, an geschnitzten Verzierungen; und Grün, Orange, Hell -
gelb, Weiss und Schwarz an den glasurten Ziegeln.
Die auf der Tafel XIV. dargestellten Ornamente von Persepolis scheinen Modificationen der römischen
Details zu sein. No. 3, 5, 6, 7, 8, sind von den Basen kannelirter Säulen, die unverkennbar römischen
Einfluss verrathen. Die Ornamente von Tak I Bostan — 17, 20, 21, 23, 24,- sind nach denselben Prin-
eipien als die römischen Ornamente construirt, doch verkünden sie dieselbe Modification der modellirten
Oberfläche, die man in den byzantinischen Ornamenten entdeckt, denen sie auffallend ähnlich sehen.
Die Ornamente 12 und 16, von sassanischen Kapitalen zu Bi-Sutun, byzantinisch in den C’ontouren,
enthalten den Keim der ganzen Ornamentation der Araber und der Mauren. Sie liefern das früheste Beispiel
der bunten Rautenmuster. Die Aegypter wie auch die Assyrier bekleideten grosse Flachen, wie es scheint,
immer mit geometrisch angeordneten Linien; und dieses ist das erste Beispiel von wiederholten krummen
Linien, die ein allgemeines Muster bilden, worin eine secundäre Form enthalten ist. Aus dem m No. 16
enthaltenen Principium Hessen sich alle die herrlichen bunten Musterformen ableiten, welche die Kuppel -
wände der Moscheen zu Kairo und die Wände des Alhambra bekleideten.
30
3Hfe 4P
00000
ASSYRISCH & PERSISCH
'TAFEL-. XI.
NINEYEH & PERSIA N°I. Assyriens et ferses
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TAFELXIII.
14-
21
22
23
24
ASSYRISCH St PERSISCH
NINEYEH & PERSIA N°3. Assyriens et perses
TAFEL XIY
PL. X1Y
Capitel IV.—Tafeln 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22.
GRIECHISCHE ORNAMENTE.
TAFEL XV.
Sammlung verschiedener Formen des griechischen Mäanders, von Vasen und Fussböden.
TAFELN XVI.—XXL
Ornamente von griechischen und etruskischen Vasen im Brittisehen Museum und im Louvre.
TAFEL XXII.
1 und 4. Von einem Sarkophag in Sicilien.—Hittorff.
3, 5-11. Von den Porypläen, Athen.—IIittorff.
12-17. Von den Cassetten der Decke der Porypläen.—Penrose.
18. Laufende Verzierung über dem panathenischen Friese, von Herrn Penrose bloss in Gold herausgegeben, der
wir aber das Blau und Roth hinzugefügt haben.
19-21, 24-26. Gemalte Ornamente.—Hittorff.
22 und 27. Ornamente in Terracotta.
29. Gemalte Ornamente vom Rinnleisten des schrägen Krongesimses am Parthenon.—L. Vulliamy, mit hinzu -
gefügtem Roth und Blau. .
30-33. Verschiedene Mäander, von denen an allen Tempeln zu Athen Spuren vorhanden sind. Mit hinzugefügten
Farben.
WIR haben schon bemerkt, dass die ägyptischen Ornamente aus den unmittelbaren Eingebungen der Natur
herstammten, dass sie nur auf einigen wenigen Typen gegründet waren, und während des ganzen Verlaufes
der ägyptischen Cultur keine Veränderung erlitten, als etwa in der grossem oder mindern Vollkommenheit
der Ausführung, indem die ältesten Denkmäler immer die vollkommensten waren. Wir haben ferner die
Meinung ausgedrückt, dass der assyrische ein entlehnter Styl sei, der durchaus keines der Merkzeichen einer
Original-Eingebung besitze, sondern sein Entstehen bloss der schon auf der Stufe des Verfalles stehenden
ägyptischen Kunst verdanke, nur dass der Verfall in der assyrischen noch weiter ging. Die griechische Kunst
im Gegentheil, obgleich sie theils von der ägyptischen und theils von der assyrischen entlehnt wurde, war die
Entwickelung einer alten Idee in einer ganz neuen Richtung, und, frei von den Fesseln religiöser Gesetze,
* 31
Aeusserstes Ende der M:
iarmorfliesen des Parthenon -L. Vulliamy.
Oberer Theil eines Shaftes.—L. VtnxUMT.
Oberer Theil eines Schaftes—1-. Vi'Lt.iamy. _
erreichte unter den Griechen eine» Hochpunkt, den nun seitdem nicht mehr »«*«*» ^ J ’
und aus den sehr reichlichen Hebe,bleibsein griechische, Ornamente dre wir hesrteen, lasst
32
•::y§P9
GRIECHISCHE ORNAMENTE.
„ scheint sowoh l die ä-yptische als die assyrische beschränkten, schwang sich die griechische Kunst
Z' Ztntl empor, wo sie seihst im Stunde war die Elemente tu schaffe», welche ander»
GRIECHISCHE ORNAMENTE.
dass ein höchst verfeinerter Geschmack bei den Griechen allgegenwärtig gewesen sein müsse, und dass das
Land überschwänglich voll von Künstlern war, deren fähiger Geist und geübte Hand es ihnen möglich
machte, diese herrlichen Ornamente mit unfehlbarer Wahrheit auszuführen.
Es fehlte jedoch den griechischen Ornamenten ein grosser Keiz, der mit den Ornamenten untrennbar
verbunden sein sollte, nämlich die symbolische Bedeutung. Sie waren ohne Sinn, rein decorativ, unter
keinen Umständen repräsentativ, und sind kaum constructiv zu nennen: denn die verschiedenen Glieder
eines griechischen Denkmals stellen bloss vortrefflich entworfene, zum Empfang der Ornamente höchst
geeignete Oberflächen dar, die auch immer, in früherer Zeit mit gemalten, und nachher mit geschnitzten
und gemalten Verzierungen bedeckt wurden. Das Ornament bildete keinen Theil der Construction, wie
das bei den Aegyptern der Fall war, ja, man konnte es ganz entfernen, ohne die Construction wesentlich
dadurch zu verändern. Das Ornament des korinthischen Kapitäls ist nicht construirt, sondern bloss aufge -
legt; dem ist nicht so beim ägyptischen Kapital: da merkt man, dass das Kapitäl selbst das Ornament
ausmacht, — einen Theil davon entfernen, hiesse das Ganze zerstören.
So sehr wir auch die ausserordentliche, ja, fast göttliche Vollkommenheit der Seulptur an den griechischen
Monumenten bewundern mögen, so müssen wir doch zugeben, dass die Griechen, in der Anwendung dersel -
ben, oft die gehörigen Schranken der Ornamentation überschritten. Der Fries des Parthenon wurde so weit
aus dem Bereich des Auges gestellt, dass er nur wie ein geometrischer Abriss erschien: die Schönheiten
desselben, die, aus der Nähe gesehen, uns mit Staunen füllen, konnten in der Entfernung keinen weitern
Werth besitzen, als insofern sie ein Zeugniss der hohen Kunstverehrung der Griechen ablegten, die sich
mit dem Bewusstsein der vorhandenen Vollkommenheit begnügten, obwohl sie sie nicht wahrzunehmen ver -
mochten. Wir aber können nicht umhin, solches als einen Missbrauch der Mittel zu betrachten, und
glauben, dass die Griechen in dieser Beziehung den Aegyptern nachstehen, deren incavo Relief uns für
monumentale Seulptur viel angemessener scheint.
Muster der repräsentativen Ornamente giebt es nur wenige, mit Ausnahme der Wellenverzierung und
des, in den Gemälden zur Unterscheidung des Wassers vom Lande gebrauchten Mäanders; und ausser
einigen conventioneilen Darstellungen von Bäumen, No. 12, Tafel XXI., besitzen wir nur weniges das diesen
Namen verdient, hingegen bieten uns die decorativen Ornamente der griechischen und etruskischen Vasen,
reichliche Materialien dar, und da die gemalten Ornamente aller bis jetzt entdeckten Tempel sich auf keine
Weise von diesen unterscheiden, so unterliegt es keinem Zweifel, dass wir mit all den Phasen der griechischen
Ornamente bekannt sind. Die Typen sind wenige an der Zahl, gerade wie bei den Aegyptern, doch steht
die Convention eile Darstellung der Griechen viel weiter von den Typen ab. In der wohlbekannten Geiss-
blattverzierung äussert sich kein Bestreben der Nachahmung, sondern vielmehr eine Berücksichtigung des,
dem Wachsthum der Blume zu Grunde liegenden Principiums; und wenn man die Vasenmalereien genau
betrachtet, ist man zu glauben versucht, dass die Blätter einer griechischen
Blume erst unter dem Pinsel ihre verschiedenen Formen erhielten, je nach -
dem die Hand des Künstlers nach oben oder nach unten gewendet war, und so
der Gestalt des Blattes ein verschiedenes Gepräge aufdrückte ; und dass die
geringe Aehnlichkeit dieser Verzierung mit dem Geissblatt erst nachher
entdeckt wurde, ist viel wahrscheinlicher, als die Annahme, dass die natür -
liche Blume dem Ornamente zum Modell gedient habe. Auf Tafel XCIX. findet sich eine Darstellung des
Geissblattes, aber die Aehnlichkeit ist höchst undeutlich. Doch ist es augenscheinlich, dass die Griechen
in ihren Ornamenten, sich als genaue Beobachter der Natur bewiesen, und ohne copiren oder nachahmen zu
wollen, verfuhren sie genau nach den Principien der Natur. Die drei grossen, allenthalben in der Natur
geoffenbarten Gesetze—die Strahlung vom Mutterstamme, die verhältnissmässige Eintheilung des Flächen -
raumes, und die tangentenförmige Krümmung der Linien — wurden immer von ihnen befolgt; und was uns
mit Staunen füllt, ist die unfehlbare Vollkommenheit mit welcher diese Gesetze, im bescheidensten wie im
33
K
GRIECHISCHE ORNAMENTE.
höchsten Kunstwerke, beobachtet wurden, eine Vollkommenheit, die man erst dann recht zu fassen vermag,
wenn man es versucht, griechische Ornamente zu reproduciren, welches sehr selten mit gutem Erfolge ge -
schieht Ein sehr charakteristischer Zug der griechischen Ornamente, der auch von den Körnern beibehalten,
aber während der byzantinischen Periode beseitigt wurde, ist der Umstand, dass die verschiedenen Theüe
der Schnörkel oder Rankenverzierung in ununterbrochener Linie aus einander entspringen, wie im Ornament
vom choragischen Monument des Lysicrates.
Vom choragischen
Monument des Lysicrates, Athen.—L. Vuli.iamy.
I» byzantinischen, arabischen, maurischen und friih-gothisehen Styl enteisen die B1 “”“ “
Seiten von einer ununterbrochenen Linie. Dies beweist, dass die geringste Abweichung von einem .
allgemein angenommenen Principium hinlänglich ist, eine ganz neue Reihende von~
erzeugen. Die römischen Ornamente kämpften beständig gegen dieses sc lern ar un je 0
ohne es zu beseitigen. Am Anfang des Capitels de. römischen Ornamente befindet sic «»«■»£* ’
welches als der Typus aller andern römischen Verzierungen gelten kann, m denen man ubi.gens selten
’nu lt. zur Anlage einer Volute, die aus einem Stamm entspringt der in einen andern Stamm eingepasst
Ist und eine Blume „mschliesst. Erst in der byzantinischen Periode hefreiete man sich von diesem emge-
wu, zelten Gesetze, und die dadurch bewirkte Veränderung hatte dieselbe« '™ht,gen^ ^
mentation als die von den Körnern bewerkstelligte Substitution des Bogens ans . ' ’
Einführung des Spitzbogens in die gotliische Architektur. Veränderungen d.esmeines
Wickelung eines neuen Omamentstyls ungefähr den Einfluss aus, den .e ™'; r ' nil irW Idee im
neuen allgemeinen Gesetzes in der Wissenschaft hervorbringt, oder irgend eine gl«ckl“h^ g ^
Gebiete der Industrie, die Tausende in Bewegung setzt, begierig den roh entworfenen
" nd T“JxXnTstTn Ueherresten colorirter Ornamente griechischer Denkmäler gewidmet Man wird
hndl: zelung derselben sich in ihrem Charakter gar nicht von den
scheidet. Es wird jetzt beinahe allgemein anerkannt, das, die weissen Marmo.te, p ”
mit Malereien bedeckt waren. Wenn auch, hinsichtlich der mehr oder minder
dune in der Sculptur, mancher Zweifel gehegt werden mag, so ist doch gewiss in ez „ ■
zierung kein solche, Zweifel möglich. Die Spuren der Parten sind hher... so stark •££*££
Spuren des Musters sich deutlich auf dem Gips abdrucken, wenn man Abgusse \ on e *
macht. Aber w.as es wohl für Farben waren, ist keineswegs so kl.,: sie werden von verschiedenen Qtmllen
auch verschieden angegeben, der Eine will Grün gesehen haben, wo ein Anderer Eiau z« .nJ,
„der denkt sich Gold, wo ein Anderer Brau» sieht. Soviel jedoch ist gewiss, dass die erziel
Gesimsen, die so hoch oben angebracht, und, im Verhältniss zur Entfernung aus wo c lei ue „c.
34
GRIECHISCHE ORNAMENTE.
ganz klein waren, sicher auf eine Weise colorirt sein mussten, die geeignet war sie deutlich zu machen, und
das Muster hervorzuheben. Von diesem Punkte ausgehend, haben wir uns erlaubt, die Nummern 18, 29,
31, 32, 33, die bisher nur als goldfarbige oder braune Ornamente auf weissein Marmor erschienen waren,
mit den passenden Farben zu versehen.
Tafel XV. enthält eine Sammlung der verschiedenen Varietäten des griechischen Zinnfrieses, von der
einfachen erzeugenden Form No. 3, bis zum complicirtern Mäander No. 15. Man wird finden, dass die
Manniclifaltigkeit der Gestaltsanordnung, die man mittelst der rechtwinkeligen Verschlingung der Linien
erzeugen kann, nur sehr beschränkt ist. So haben wir zuerst den einfachen Mäander No. 1, der mit einer
einzelnen Linie sich in einer Richtung fortbewegt ; dann den doppelten Mäander No. 11, in welchem eine
zweite Linie sich mit der ersten verschlingt; alle die übrigen bildet man, indem man einen der genannten
Mäander unter den andern setzt, und zwar, entweder in verschiedener Richtung sich fortbewegend, wie No. 17;
Rücken gegen Rücken gestellt, wie No. 18 und 19; oder Vierecke umschliessend, wie No. 20. Alle die
andern sind unvollständig, d. h. sie bilden keinen ununterbrochenen Mäander. Der schräge Zinnfries ist
der Urheber aller andern Formen der verschlungenen Ornamente, die den verschiedenen spätem Stylarten
ano-ehören, welche nach dem griechischen entstanden. Der arabische Mäander wurde zuerst davon abge -
leitet, und'erzeugte dann seinerseits die unendliche Verschiedenheit der verschlungenen Verzierungen, die
gebildet werden, indem man gleich weit von einander abstehende diagonale Linien in rechten Winkeln
durchschneidet, eine Verzierung, die die Mauren mit so grosser Vollkommenheit im Alhambra entwickelten.
Arabisch. Maurisch.
Die knotenartige Verzierung der Kelten unterscheidet sich von den verschlungenen Mustern der Mauren
nur darin, dass den diagonalen durchschneidenden Linien ein gekrümmtes Ende hmzugetugt wurde. So
entstand aus der ersten leitenden Idee, so bald man ihrer nur habhaft wurde, eine unendliche Mannig -
faltigkeit neuer Formen.
Die knotenartige Seilverzierung war wohl auch nicht ohne Einfluss, sowohl
auf die Bildung der keltischen, als auf die arabischen und maurischen verschlun-
genenen Ornamente.
Die chinesischen Mäander sind minder vollkommen, als alle die obgenannten.
Gleich den griechischen, entstehen sie aus senkrechten und horizontalen sich
durchschneidenden Linien, aber es fehlt ihnen die Regelmässigkeit, und sie verlängern sich meistens in
[e]Ie]Uh][b!fi Ji—‘-lrvü c=L]
Chinesisch. Chinesisch.
horizontaler Richtung. Auch werden sie am häufigsten abgebrochen gebraucht, d. h. man findet denselben
Zinnfries wiederholt, entweder nach einander oder über einander, ohne dass er einen fortgesetzten Mäander
bildet.
35
GRIECHISCHE ORNAMENTE.
Die mexikanischen Ornamente und Mäander, von denen wir hier einige Muster gehen, welche den im
brittischen Museum befindlichen mexikanischen Töpferarbeiten entnommen sind, verrathen eine grosse Ver -
wandtschaft mit dem griechischen Zinnfries, und in den Illustrationen der Architektur von Yucatan, von
Herrn Catherwood, finden sich verschiedene Varietäten des griechischen Mäanders; einer derselben ist ganz
besonders griechisch. Doch sind
sie meistens abgebrochen, wie die
chinesischen. Es befindet sich
zu Yucatan auch ein Zinnfries
mit diagonaler Linie, der etwas
eigenthümliches hat.
Bl 13
Von Yucatan.
s
eigenthümliches hat.
Die Ornamente der Tafel XVI. wurden gewählt, um die verschiedenen For -
men des conventioneilen Blattwerks zu zeigen, das man auf den griechischen
Vasen antrifft. Sie stehen weit vom natürlichen Typus ab, und verrathen in
Von Yucatan.
ihrer Construction vielmehr die Anwendung der allgemeinen, in allen Pflanzen obwaltenden Principien, als
das Bestreben irgend eine Pflanze insbesondere zu vergegenwärtigen. Das Ornament No. 2 kommt dem
Geissblatt am nächsten — d. h. die Blätter haben dieselbe Bichtung aufwärts, welche jener Blume eigen ist,
doch kann man das kaum einen Versuch, die Blume darzustellen, nennen. Mehrere Ornamente der Tafel
XVII. kommen jedoch der Natur näher: der Lorber, der Epheu und der Weinstock sind leicht erkennbar.
Die Tafeln XVIII., XIX., XX. und XXI., enthalten noch andere Verzierungsvarietäten von den Borten,
Hälsen und Bändern der im brittischen Museum und im Louvre befindlichen V äsen. Da ihnen nur eine
oder höchstens zwei Farben zu Grunde liegen, so verdanken sie ihre Wirkung bloss der Beinheit der Formen:
sie zeichnen sich meistens durch die Eigenheit aus, dass die Blatter und Blumengruppen alle
aus einem gekrümmten Stamm entspringen, der an beiden Enden in eine Volute ausgeht, und
von diesem Mutterstamm entspriessen alle die Linien in tangentenförmigen
y Krümmungen. Jedes einzelne Blatt strahlt aus dem Mittelpunkt der
' Gruppe hervor, und wird, mit Beobachtung der herrlichsten Proportion
immer kleiner, je näher es dem Entspringpunkt der Gruppe steht.
Wenn man in Betracht zieht, dass jedes Blatt mit einem einzigen Pinselstrich gebildet wurde, und zwar
ohne mechanische Hülfe, wie das aus den wahrzunehmenden Verschiedenheiten der Gestaltung mit Gewiss -
heit hervorgeht, so muss man sich über die hohe Kunstbildung wundern, welche eine so grosse Anzahl von
Künstlern hervorbrachte, die fähig waren, mit so unfehlbarer Wahrheit Arbeiten auszuführen, deren blosse
Nachbildung, wenn sie mit glücklichem Erfolg bewerkstelligt werden soll, beinahe ausser dem Bereich der
Fähigkeit der modernen Zeiten liegt.
v
36
Y
GRIECHISCHE ORNAMENTE.
ORNAMENTE VON DEN IM BRITTISCHEN MUSEUM BEFINDLICHEN
MEXICANISCHEN TOEPFERARBEITEN.
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GREEK N° I
TAFEL XV.
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GREEK N° 6
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JüüWüüDüuuüu u u u u UUUUUU uv,
Sammlung von
Dir Ornamente von Pompeji sind in Zahn’s herrlichem Werke mit solcher Fähigkeit behandelt, und so
vollständig illustrirt, dass ich es für hinlänglich hielt, ihm bloss die Materialien zu zwei Tafeln dreses Buches
L entlehnen, die dazu diene, sollen, die zwei —denen Ornamentsstyla— r
Ausschmückung der Gebäude von Pompeji vorherrschen. Me Materialien der Tafel XXII. send
scbeinlich griechischen Ursprungs, und bestehen aus c.nventienellen Verzierungen in flachen Traten, dre
entweder in dunkler Farbe auf hellem Grunde, oder mit heller Farbe auf dunklem Grunde gemalt amd,
doch ohne Schattirung und frei von jedem Streben nach Relief. Die der Tafel XXIV haben me n vom
römischen Gepräge an sich, sie beruhe» auf der Rankenverzierung de, Acanthu, m.t andern, auf unmrttel-
bare Nachahmung der Natur hinzielenden Ornamenten verwoben.
Zur vollständigem Würdigung des Ornamentationssystems, welches m Pompeji u m 1 warver weise
„i, den Leser auf das grosse Werk von Zahn* aus welchem es deutlich hervorgeht,dass dreses System b„
zur äussersten Grenze der Laune getrieben wurde, so dass es kaum e.ne Theorie des Colonts oder der er-
zierung giebt, zu deren Rechtfertigung man nicht eine Autorität von Pompeji anfirhre» konnte.
. U . ,1« Omemtntt „ U, U, ,1« * ?»«>* "" P “ ‘ 5uiU '” Z * b ”'
Berlin, 1828. 3 g
m— .^r-
POMPEJISCHE ORNAMENTE.
Die allgemeine Anordnung der Verzierung an den innem Wänden pompejischer Häuser besteht aus
einer Würfel-Vertäfelung, die etwa den sechsten Theil der Wandeshöhe einnimmt und breite Pilaster trägt,
etwa halb so breit als der Würfel selbst, mittelst welcher die Wand in drei oder mehr Felder abgetheilt
wird. Die Pilaster sind mittelst eines Frieses von verschiedener
Breite mit einander verbunden, den in der Entfernung des vier -
ten Theiles der Gesammthöhe der Wand von der Decke hinläuft.
Der obere Theil der Mauer ist häufig weiss, und in jedem Falle
in einer minder ernsthaften Auffassungsweise behandelt als die
untern Theile, indem er meistens Scenen unter freiem Himmel
vorstellt, und auf dem Grunde die gemalten Darstellungen
jener fantastisch architektonischen Gebäude enthält, die den
Zorn des Vitruvius in so hohem Grade erregten. In den besten
Mustern findet man eine Abstufung der Farben von der Decke
abwärts, die endlich im Würfel in Schwarz ausgeht, doch ist
das durchaus keine feste Kegel. Wir wollen hier einige, unter den colorirten Illustrationen Zahn’s ausge -
wählte Varietäten anführen, um zu zeigen, wie wenig System in der Ordnung der Farben herrschte: —
Würfel.
Gelb
Roth
Schwarz
Schwarz
Blau
Blau
Schwarz
Schwarz
Schwarz
Pilaster.
Grün
Roth
Gelb
Gelb
Gelb
Gelb
Grün
Grau
Schwarz
Felder.
Roth
Schwarz
Schwarz
Grün
Grün
Blau
Gelb und Roth
(abwechselnd)
Gelb und Roth
(abwechselnd)
Grün und Roth
(abwechselnd)
Fries.
Schwarz
Purpur
Roth
Grün
Grün
Blau
Weiss
Schwarz
Weiss
Die effectreichste Anordnung scheint folgende zu sein: Würfel schwarz, Pilaster und Fries roth, die
Felder gelb, blau oder weiss, der obere Wandtheil über dem Fries weiss mit farbigen Verzierungen dar -
auf. Die beste Anordnung der Farben zu den auf der Grundfarbe angebrachten Ornamenten ist: auf
schwarzem Grund, Grün und Blau in Massen, aber Koth nur spärlich und Gelb noch spärlicher. Auf
blauem Grund, Weiss in dünnen Linien und Gelb in Massen. Auf rothem Grund, Grün, Weiss und Blau
in dünnen Linien; Gelb auf Koth ist effectlos, wenn es nicht mittelst Schattirungen hervorgehoben wird.
Man findet in Pompeji beinahe jede Varietät der Schattirung und des Tones der Farben. Blau, Roth
und Gold finden sich nicht nur in kleinen Quantitäten an den Verzierungen, sondern auch in grossen Massen
als Grundfarben der Felder und der Pilaster. Doch kommt das Gelb zu Pompeji fast dem Orange
nahe, und das Roth hat einen starken Anstrich von Blau. Dieser neutrale Charakter der Farben machte es,
dass sie in so heftigem Widersatz ohne Misston zusammengestellt werden konnten, — ein Resultat, welches
durch die umher angebrachten secundären und tertiären Farben noch weiter befördert ward.
Doch ist der Styl der Verzierungen im Ganzen so launenhaft, dass er ganz ausser dem Bereich der
wahren Kunst liegt, und daher auch keine strenge Kritik darauf anwendbar wäre. Es ist ein Styl, der zwar
meistens einen gefälligen Eindruck hervorbringt, aber oft an Gemeinheit grenzt, wenn er nicht absolut
40
POMPE.TISCHE ORNAMENTE.
“• E 7 t-- “ “" Td
unstreitig darin „ suchen, dass die „sehen m fcjvermag.
vereinten; jeder Pmselstnch hatte eine r einung, bewerkstelligte Kestauration eines pmnpeji-
Die von, Herrn Digby Wyatt, in, Cry.tal Palace, Sytahrab bewerks ^ g ^ ^ ^ ^
sehen Hauses schlug in dieser Bestehung fehl, so j« ^ Kenntniss, Erfahrung und Eifer an ent -
erndem Hinsicht ist; und doch »re es nmnog » An.fdhmng dieser Verzierungen ver-
rs: — u <--- -——
meistens Bänder von Feldern mittelst Scha, one o ^ findet nicht mehr die vollkommene, vom
Beschaffenheit, das eine merkliche Inferion a verra der Magsen und der verhältniss-
^li;: Gegensatz der Farben, der noch kräff,er hervortritt,
nr
tragen, sind schattirt um die Rundung rassige en, oc ^ Ornaments haben die pompejischen
In dieser massigen und beschränkten »wen ung _ ^ mm in spätem Zeiten ganz aus de»-
liX“:—BMemgef«"- Heberbleibseln ähnlich, und die zur Zeit des Raphael
au, Grundlage der italienischen Ornamente wurden j^jen, die, so weit die römische Herr-
Tafel XXV. enthält die Sammlung aller om manc hen dieser Muster sich kundtlmende
schuft reichte, in jeder Wohnung au linden waren. m ma^ ^ ^ ^ ^ metr
Bestreben nach Hervorbringung des Reliefe dien asB ^ ^ ^ ^ ^ des Blattes befindlichen
verfeinert war, als der ihrer griechrschen Uhren^ ^ TOn dcM » man alle die unendlichen Va„e-
Ränder, aus wiederholten Sechsec enge i » Mo saiken unmittelbar ableiten kann,
täten de, byaantinischen, arabische» »nd manrrsche« Mosmken
M
41
PO MP Exil SCH
TAFEL XXY
PGMPEIÄN U° 3.
POMPEIENS
ruchstück von weissem Marmor, vom Palaste Mattel, Koro.-
L. VüLLIAMY
TAFEL XXVI.
1, 2. Bruchstücke vom Forum des Trajan, Rom. I a p;i„ * , TT .„
3. Pilaster von der Villa Medici Born ' 1 aster von der \ lila Medici, Rom.
’ | 5. 6. Bruchstücke von der Villa Medici, Rom.
No. 1-5 sind von Abgüssen im Crystal Palace ■ \t„ o m • .,
7 ’ * o- 6 von emem ■^• b g us s im South Kensington Museum.
TAFEL XXVII.
1 3. Bruchstücke vom Friese des römischen Tempels zu
Brescia. - 1
4. Bruchstücke von den Laibungen der Architraven des
römischen Tempels zu Brescia.
5. Bruchstucke von den Laibungen der Architraven des
römischen Tempels zu Brescia.
6. Vom Fries des Bogens der Goldschmiede, Rom.
No. 1-4 vom Museo Bresciano ;f No. 5 aus Taylor und Cresy’s Rom.
Bxamples 0f 0r " ammM Architectvre, by Lewis Vulüamy, Architect, London,
t Museo Bresciano, illustralo. Brescia, 1838.
Capitel VI.—Tafeln 26, 27.
ROEMISCHE ORNAMENTE.
EO EM ISCHE OENA MENTE.
Die wirkliche G-rösse der Römer verkündet sich vielmehr in ihren Palästen, Bädern, Schauspielhäusern,
Wasserleitungen und andern Werken zum allgemeinen Gebrauch, als in der Baukunst ihrer Tempel, indem
diese letztem, als die Aeusserung einer den Griechen entlehnten Religion, der sie wahrscheinlich nur
geringen Glauben beimassen, einen entsprechenden Mangel an ernsthafter Würde und Kunstverehrung
verrathen.
In den griechischen Tempeln sprach sich allenthalben das Bestreben aus, eine Vollkommenheit zu
erzielen, die der Götter würdig sei. In den römischen Tempeln hingegen ist die Selbst-Verherrlichung der
einzige Zweck. Von der Basis der Säule bis zum Scheitel des Giebels ist jeder Iheil mit Verzierungen
überladen, die mehr darauf ausgehen, das Auge durch die Menge zu verblenden, als durch die Qualität der
Arbeit Bewunderung zu erregen. Die gemalten griechischen Tempel waren zwar eben so reichlich verziert
als die der Römer, aber der Erfolg war verschieden. Die Ornamente waren so angeordnet, dass sie einen
farbigen Blüthenglanz über den ganzen Bau verbreiteten, ohne jedoch im geringsten den herrlichen Entwurf
der Oberflächen zu beeinträchtigen, auf denen sie angebracht waren.
'
Die Römer legten nicht mehr denselben Werth auf das allgemeine Ebenmass des Baues und auf die
Contouren der modellirten Oberflächen, die sie, im Gegentheil, durch die ausgearbeitete Oberfläclien-
Modellirung der darauf geschnitzten Verzierungen, gänzlich vernichteten; und diese Verzierungen ent -
springen überdies nicht auf natürliche Weise aus der Oberfläche, sondern sind auf derselben bloss ange -
heftet. So sind die Acanthusblätter unter den Sparrenköpfen und um den Korb des korinthischen Kapitals
ohne alles Kunstgefühl vor einander hingestellt. Ja, sie sind nicht einmal mittelst des Säulenhalses am
Schaft mit einander verbunden, sondern bloss auf diesem gestützt. Wie ganz anders ist das im ägyptischen
Kapital, wo die den Korb umgebenden Blumenstiele durch den Säulenhals fortgeführt sind, und so zugleich
der Schönheit Genüge leisten und der Wahrheit huldigen.
Die unglückselige Leichtigkeit, die das römische Decorationssystem zur Anfertigung von Ornamenten
darbietet, indem man bei jeder Form und in jeder möglichen Richtung nur die Acanthusblätter anzuwenden
braucht, ist wohl die Ursache warum diese Verzierungsweise in den meisten modernen Werken so sehr
überhand genommen hat. Es ist ein Ornament das so wenig Nachdenken erfordert und so gänzlich einen
blossen Gegenstand der Fabrikation bildet, dass die Baukünstler sich veranlasst fühlten eine der Specialitä-
ten ihres Faches sorglos zu vernachlässigen, und die innere Verzierung der Gebäude Händen zu überlassen,
die ganz unfähig sind ihren Platz einzunehmen.
Ö ö i
Die Römer zeigten nur wenig Kunstgefühl im Gebrauch des Acanthusblattes. Sie hatten es von c en
Griechen schön und conventionell behandelt empfangen, näherten sich aber dem Typus in den allgemeinen
Contouren mehr als die Griechen, und übertrieben die Verzierung der Oberflächen. Die Griechen be
schränkten sich darauf das Principium des Blattwuchses auszudrücken, und verwendeten alle ihre Soigfalt
auf die zarte Undulation der Oberfläche.
Das am Anfänge dieses Capitels befindliche Ornament ist das typische "V orbild aller römischen Oma
mente, die durchgeliends aus Schnörkeln bestehen, von denen einer aus dem andern entspriesst, eine Blume
oder eine Blättergruppe umschliessend. Dieses Muster beruht in seiner Construction auf giieckischen
Principien aber man vermisst darin die griechische verfeinerte Auffassung. In den Griechischen Ornamen
“““:: “z“ 41 -
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II. Die Blatter sind abgeplattet und liegen über einander, wie im Holzschnitt hierunten.
Bruchstück vom Priese des Sonnentempels, Palast Colouua, Rom.-L,
VüIiLlAMY.
auflteik ™ Ch “ d . a,e "- d8m ™ Cres, entnommenen Kapitale, neben einander
weil d A T Z 7 m ’ ™ ** M “” i< * &M g<teit ». die die Römer mittelet dieser Anwendunos-
weise dea Acanthus bervorzubringen im Stande waren. Der einzige vorhandene Unterschied besteht il
StaterT t T“”“, derMa ‘ Se! ™ 4 die Entart ' ,ng Ebenn,.»», von dem des Jnpiter
j sT, War . S ’ ^ maü ° ne Muhe entdecken - Diese Einförmigkeit sticht auf’s auffallendste mit der end-
osen Mannichfaltigkeit der W*m Kapitale ab, eine Mannichfaltigkeit, die an, der Modification des
gerne.nen Hane, des Kapttäl, entstand, «ahrend in der römischen Säulenordnnng, selbst die Einführung
° p “ olnte, nicht, an, Schönheit beiträgt, sondern vielmehr die Ungestaltheit noch vermehrt °
D,e Pilaster von der Villa Medici, Ko. 3 und 4, Tafel XXVI., „nd das Bruchstück Ko. ö, gehören „
on vo tommensten Mustern römischer Ornamente, die man nur finden könnte. Als Muster der Modelli-
Zr T V ,T g b T 8e "’ i5S gÖItig “ A “l ,ru<!h ” f “> Bewunderung, aber als verzierende
Zulage zu den architektonischen Theilen eines
frebäudes betrachtet, verletzen sie durch ein
unmässiges Relief und eine zu ausgearbeitete
Behandlung der Oberfläche, das allererste
I rincipium, nämlich das der Angemessen -
heit zum Zwecke, den sie zu vollfüllen be -
stimmt sind.
Die Anwendung dieses Principiums, ein
Blatt innerhalb des andern, oder ein Blatt
über das andere entspriessen zu lassen, liefert
übrigens nur eine sehr beschränkte Mannich -
faltigkeit der Zeichnung; und die rein con-
ventionelle Verzierung entwickelte sich erst, als dieses Princip de, in ummterbrockener Linie au, einander
entstehenden Blatter beseitigt wurde, um dem „„unterbrochenen Stamm zu weichen, der Ornamente
beiden Seiten answirft. Die ersten Beispiele dieser Veränderung finde» sich in der Sophienkirche zu Oonstan-
tinopel; und wir geben hier ein Muster von St. Denis, in welchem zwar das Schwelle» am Stamme sowohl, als
45
Von der Abtei St. Denis, Paris.
N
ROEMISCHE ORNAMENTE.
das zurückgebogene Blatt am Verbindungspunkt zweier Stämme ganz verschwunden ist, wo aber der unun -
terbrochene Stamm noch nicht ganz so entwickelt ist, wie er im schmalen Band oben und unten erscheint.
Dieses Principium wurde ganz allgemein in den illuminirten Manuscripten des eilften, zwölften und drei -
zehnten Jahrhunderts, und diente als Grundlage zum früh-gothischen Laubwerk.
Die Bruchstücke vom Museo Bresciano, Tafel XXVII., sind zierlicher als die von der Villa Medici, die
Blätter sind schärfer ausgeprägt und von einer mehr conventioneilen Behandlung. Der Fries vom Bogen
der Goldschmiede hingegen ist, aus dem entgegengesetzten Grunde, mangelhaft.
Wir haben es nicht für nöthig erachtet, in dieser Serie einige von den gemalten Verzierungen zu geben,
von denen sich manche Beste in den römischen Bädern befinden. Denn erstens standen uns keine zuverläs -
sigen Materialien zu Gebot; überdiess sind sie denen von Pompeji ganz ähnlich, und zeigen vielmehr was
man vermeiden, als was man befolgen sollte. Deshalb schien es uns hinlänglich zwei Gegenstände vom
Forum des Trajan darzustellen, deren in Schnörkel ausgehende Figuren als die Grundlage dieses, in den
römischen gemalten Decorationen so hervorragenden Charakterzuges betrachtet werden können.
Der Acantlius, vollständige Grösse, nach einer Photographie.
Komisch
TAFEL XXVri
ROMANN
ROMAINS
PLXX\'J|
Capitel VII,—Tafeln 28, 29, 29*, 30.
BYZANTINISCHE ORNAMENTE.
TAFEL XXVIII.
1 3. Geschnitzte Steinornamente, Sophienkirche Con-
stantinopel, 6*es Jahrhundert.-Salzenberg, Alt.
Christliche Baudenkmale von Constaniinopel.
4, 5. Von den bronzenen Thoren der Sophienkirche.—
Salzenberg, u. a.
6, 7. Theile von elfenbeinernen Diptyehonen, Kathedrale
von Beauvais; scheinbar angelsächsiche Arbeit
des Ilten Jahrhunderts.—'Villemin, Monuments
Frangais inedits.
8. Theil einer Bronzethüre, Basilika der Geburt Christi,
Bethlehem, 3tes oder 4tes Jahrhundert.—Gailha-
baud, L’Architecture et les Arts qui en d'ependent.
9-13. Steinschnitzerei en von S. Marco, Venedig, 11 tes Jahr -
hundert.—J. B. IV., von Abgüssen zu Sydenham.
14-16. Theil eines Kapitals, Miehaeliskirche, Schwäbisch
Hall, l^tes Jahrhundert. Heideloff, Ornamentik
des Mittelalters.
17. Von einem Thor, im Kloster Murrhardt verwahrt.—
Heideloff, u. a.
18. Composition von Buckelvcrzierungen, von St. Sebald
Nürnberg, und der Kirche zu Nossen, Sachsen.—
Heideloff.
19, 20. Friese von der Johanniskirche, Gmünd, Schwaben.—
Heideloff.
21. Romanische Holz- und Elfenbeinschnitzerei, aus der
Sammlung des Herrn Leven, Köln.—Heideloff.
22. Von dem Haupt-Bronzethor, Mon-\
reale, bei Palermo.-J. B. M. I n tes und 12tes
23. I om Bronzethor des Domes, Ravello, I Jahrhundert.
bei Amalfi.—J. B. W. j
24, 25. Vom Bronzethor des Domes, Trani, 12tes Jahrhun-
dert.—Barras et Lutnes, Recherches sur les Mo -
numents des Normands en Sicile.
26. Steinschnitzerei, vom kleinen Kreuzgang, Kloster
Huelgas, byBurgos, Spanien, 12tes Jahrhundert.—
J. B. W.
27. Von der Vorhalle der Kathedrale zu Luoca. Unge -
fähr 1204.—J. B. IV.
28. Von St. Denis (Vorhalle), bei Paris, 12tes Jahrhun -
dert.—J. B. IV.
29. Von den Kreuzgängen, Sant’ Ambrogio, Mailand.—
J. B. IV.
30. I on der Kapelle zu Heilsbronn, Bayern.—Heideloff.
31. Von St. Denis.—J. B. IV.
32. Von der Kathedrale zu Bayeux, I2ta> Jahrhundert.—
Phgin, Antiquities of Normandy.
33. Von St. Denis.—J. B. IV.
34. Kathedrale zu Bayeux.—Pugin, u. a.
35. Von der Kathedrale zu Lincoln (Halle), Ende des
12ten Jahrhunderts.—J. B. IV.
36. Von der Vorhalle zu Kilpeck, Herefordshire, itf«.
Jahrhundert.—J. B. IV.
TAFEL
1-6. Mosaiken von der Sophienkirche, Constaninopel, 6*« I
Jahrhundert.—Salzenberg, Alt. Christliche Bau-
denkmale von Constantino'pel.
7. Marmorpflaster, Agios Pantokrator, Constantinopel
erste Hälfte des 12*en Jahrhunderts.—Salzenberg’
u. a.
8, 9. Marmorpflaster, Sophienkirche.
XXIX.
10, 11. Mosaiken, Sophienkirche.—Salzenberg.
12-15. Von griechischen illuminirten Manuscripten, Brit-
tisches Museum.—J. B. W.
16, 17. Ränder von illuminirten Manuscripten.—Champol-
lion Figeac, Palceographie universelle.
18. Das Centrum, von San Marco, Venedig.-DlGBY
Wyatt, Mosaics of the Middle Ages.
49
o
BYZANTINISCHE ORNAMENTE.
TAFEL XXIX*.
19. Von einem griechischen Manuscript, Brittisches
Museum.—J. B. W.
Der Rand darunter, von Monreale.—Digby V yatt s
Mosaics.
20 Aus den Homilien des Gregorius Nazianzen, 12*»
Jahrhundert.—Champollion Eigeac, u. a.
21, 22. Von griechischenManuscripten, Brittisches Museum.
—J. B. W.
23. Aus der Apostelgeschichte, griechisches Manuscript,
in der Bibliothek des Vatican zu Rom.—Digby
Wyatt, u. a.
24. San Marco, Venedig.—Digby Wyatt, u. «•
25 Theil eines griechischen Diptychons, 10*^ Jahrhun -
dert, Florenz.—J- B. W. (Die ßeurs-de-lys halt
man für die Arbeit einer jungem Epoche.)
26. Email des 13 ten Jahrhunderts (französh
min, Monuments Franpais inedits.
27. Von einem emaillirten Kästchen. (Das Centruu-
der Statue Johanns, Sohnes des heiligen Ludwig
entnommen.)—Du Sommerakd, Les Arts du Moyen-
dge.
28 Vom emaillirten Grabmal Johanns, Sohnes des
heiligen Ludwig, 1247—Villemin, u. a.
29. Limusiner Email, wahrscheinlich vom Schluss des
12 tea Jahrhunderts.—Villemin, u. a.
30. Theil eines Fusshodens von Mastix, 12^* Jahrhun -
dert. Wird zu St. Denis, bei Paris aufbewahrt.—
Villemin.
TAFEL XXX.
1, 2.
3.
4, 5.
6.
7-10.
11.
12.
13.
14.
15,16.
17.
18.
19.
20.
21.
22, 23.
Mosaiken (opus Grecanicum) von der Kathedrale zu
Monreale, bei Palermo; Schluss des 12t“ J a hr- j
hunderts.—J. B. W. !
Mosaiken von der Kirche Ara Cceli, Rom. J. B. W. j
Kathedrale zu Monreale.—J. B. W.
Marmorpflaster, San Marco, Venedig.—J. B. W. |
Von San Lorenzo Fuori, Rom ; Schluss des 12 1 “ :
Jahrhunderts.—J. B. W.
San Lorenzo Fuori, Rom.—J. B. W.
Ara Cceli, Rom.—J. B. W.
Marmorpflaster, San Marco, Venedig. J. B. W.
San Lorenzo Fuori, Rom.—Architectural Art m Italy
and Spain by Waring and MacQuoid.
Palermo Digby Wyatt, Mosaics of the Middle Ages.
Von der Kathedrale von Monreale.—J. B. W.
Ara Cceli, Rom.—J. B. W.
Marmorpflaster, S. M. Maggiore, Rom.—Hessemer, ,
Arabische und alt-italiänische Bauverzierungen. j
Marmorpflaster, St. Vital, Ravenna.—Hessemer, u. a.
Marmorpflaster, S. M. in Cosmedin, Rom.-HESSE-
MER. .
Mosaiken, San Marco, Venedig.-Specimens of the
Mosaics of the Middle Ages, Digby Wyatt. I
24. Baptisterium von San Marco, Y enedig. Waring
und MacQuoid.
, T , t, ->aus den Mosaics of the
25. San GiovanniLaterano, Kom [ Mid dle Ages von Digby
26. Der Dom, Civita Castellana j 'Wyatt.
27. Ara Cceli, Rom.— J. B. W.
28. San Lorenzo, Rom. \ Architectural Art in Italy and
29. Ara Cceli, Rom. I Spain.—Waring and Mac-
30. San Lorenzo, Rom. J Quoid.
31. San Lorenzo Fuori, Rom. J. B.W.
32. San Giovanni Laterano, Rom .-Mosaics of the Middle
Ages, Digby Wyatt.
33-35. Kathedrale von Monreale.—J. B.W.
36-38. Marmorpflaster, S. M. Maggiore, Rom. Hessemer.
u. a.
39. San Marco, Venedig. — Mosaics of the Middle Ages,
Digby Wyatt.
40. Von dem Baptisterium zu San Marco, Venedig.—
J. B. W.
41. Von San Marco, Venedig.—Architectural Art in Italy
and Spain.
42. Vom Dom zu Monreale.—J'. B. YV.
BYZANTINISCHE ORNAMENTE.
DIE Unbestimmtheit mit welcher die Schriftsteller m ihren Abhandlungen ubra ’ heben,
letztem lehren noch, de» byzantinischen so wie den »man,sehen Styl Diese
verkündet sich ebenfalls in ihrer Behandlung der mit diesen Stylarten ^ ^ 8ie hatcn
Unbestimmtheit entstand grösstentheils daraus, dass es den . c in >• e Sophienkirche zu
zu Rathe ziehen künnen, und erst seit der Herausgabe des grossen ^ ^
Constantinopel von Herrn Salzberg, sind wrr in den Stanr geso z w er Esv enna ist zwar
bestimmten Begriff von den rein byzantinischen Ornamenten zu machen, s. „„vollkommenen
hinsichtlich de, Architektur, du,chgel^ I»
Aufschluss hinsichtlich der byzantinischen Ornament,k. San Marco zu c
byzantinischen Schule dar, wahrend die Kathedrale von Monreale und andere Muster
«”;“ US ^“r“ Sl k “” d " tbUn ’ «*“ * — “n-
die Verwüstungen der Zeiten „nd die *”^ *“7 *"• W " rf >“ * «-e das, „a,
byzantinisches Gebäude im grossen Masstabe während 1 ammedailer Uns entzo g en hatten, nämlich ein
Dank den aufgeklärten Gesinnungen des jetzigen Sultans" *** ^^chen Kunst errichtet.
Belehrung eröffnet, und durch die Liberalität der nre ^ ® ™ S endllch diese bmg vermisste Quelle der
prächtigen Werke des Herrn Salzenberg über die Kirchen^ T r ^ bekannfc gemacht, im
dessen Studium wir allen Kunstliebhabern emnf H rV ** ■ ” ^ aIten B ->' zantiums > ein Werk,
byzantinischen decorativen Kunst haben wollen. 6 ' ^ graphischen Be ° riff von der wahrhaft
und wir finden die Bestätigungtoften im byztwmldl^Style ^ ^ Klmsti
dem Verein verschiedener Schulen entstanden u T 61genthÜmIiche Cbarakterzüge aus
bei der Bildung desselben thätig gewesen seien ^ ^ ^ ^ KUTZen andeuten - welche Hauptursachen
nac^:“::::r^“TK im Anfangdes ^
im Zustande der Umbildung. So es ^h T “ f Stu * *• Verfalls oder
zahlreichen, unter römischer Herrschaft stehenden VölW Z^üteTo" **
dass die halbschlägige Kunst der Provinzen mächtig auf den M^ktl r T ^ ^
und schon zu Ende des dritten Jahrhunderts den vlö o • ! P Clvillsatl ® zurückwirkte,
'üe prächtigen Bäder und die andern öffentlich C ^ ^ erzierun 8' sst jl modificirte, welcher
welche Constantin zwang „ V™“ de““ ut » Nothwendigkeit,
Arbeiter bei seinen Werken anzustellen bew' kT“ ■ 1 2 Reglerung ’ mo rgenländische Künstler und
im hergebrachten Styl; und ohne Zweifel trugen“ 1 " e “' rt,lcller8 und bemerklichere Veränderung
Schule ihr eigenes Gepräge aufzudrucken, bis endlich difbunte“ «“se^’“^'^'' ^
3« günstigen Kegierung des ersten dustinian, in ein systematische; G«1^“' ^
Zu diesem Kesultat hat der Einfluss der, unter der Kegierung der Cäsaren in ww •
Tempel und Schauspielhäuser, erstaunlich viel beigetragen: man bemerkt in diesen C ei ' baUeten
Tendenz, welche nachher die byzantinischen Ornamente charakterisirte, elliptisch
sch.rfgesp.tzte Blatter, und dünnes „nrmterbrochenes Blattwerk in der Verzierung zu g“ebraucken, J”Z'
51
[
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BYZANTINISCHE ORNAMENTE.
ohne entsprossende Ballen und Blumen. Es finden sich Muster dieses eben erwähnten, fliessenden und freien
Blattwerks am Fries des Theaters zu Patara (a), und am Tempel der Venus zu Aphrodisias (Caria). Em
noch charakteristischerer Typus findet sich an der Thür des Tempels, den die eingeborenen Beherrscher
Galatiens, zu Ehren des Augustus, zu Ancyra (6) errichtet hatten; und das Pilaster Kapital eines kleinen
Tempels zu Patara (c), welches Texier als zum ersten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung gehörend
betrachtet, ist ganz identisch mit dem von Salzenherg zu Smyrna gezeichneten Kapital (d), welches der
letztere in die ersten Jahre der Regierung des Justinian, etwa 525, versetzen zu dürfen glaubt.
Da es uns an authentischen Daten fehlt, können wir nicht zuverlässig bestimmen, welchen Einfluss
Persien wohl auf den byzantinischen Styl ausgeübt haben möge, aber so viel ist gewiss, dass persische
Arbeiter und Künstler häufig zu Byzanz beschäftigt wurden; und in den merkwürdigen Monumenten zu
Tak-i-Bostan, Bi-Sutun, und Tak-i-Ghero, sowie in verschiedenen alten Kapitalen zu Ispahan — die alle im
grossen Werke über Persien von Flandin und Coste
Vorkommen —tritt der durchgehends byzantinische
Charakter schlagend hervor; doch sind wir zu glauben
geneigt, dass diese Monumente jünger als die Glanz -
periode der byzantinischen Kunst, d. h. die des sechs -
ten Jahrhunderts sind, oder höchstens gleichzeitig mit
derselben sein mögen. Wie dem auch sei, finden wir
die Formen einer noch früheren Periode, sogar noch im Jahre 363 repro-
ducirt; und in der Säule des Jovian zu Ancyra (e), während oder bald nach
dessen Rückzug mit der Armee des Julian von dem persischen Feldzug
errichtet, erkennt man die Anwendung einer der all -
gemeinsten Verzierungsformen des alten Persepolis.
Zu Persepolis trifft man auch die gespitzten und
cannelirten Blätter, die die byzantinischen Arbeiten
cbarakterisiren, wie man im hier gegebenem Beispiel
von der Sophienkirche (/) sehen kann; und später,
d. h. während der Regierung der Cäsaren, zeigen sich
im dorischen Tempel zu Rangorar (g), Gesimse-Contouren, die denen ganz gleich sind,
welche im byzantinischen Style so beliebt waren.
Es ist interessant und lehrreich der Ableitung dieser Formen im byzantinischen Styl nachzuspuren, und
ebenso anziehend ist es die Uehertragung dieser und anderer Formen auf spätere Epochen zu beobachten.
So sehen wir, Tafel XXVIII., No. 1, dass jenes eigentümliche Blatt, gerade wie es Texier und Salzenberg ge -
geben, in der Sophienkirche wieder erscheint; Tafel XXVIII., No. 3,
findet sich das mit Blattwerk verzierte Andreas Kreuz innerhalb
eines Kreises, ein Ornament, welches im romanischen und im
gothischen Style ganz allgemein ist. Auf demselben F ries sieht
man ein Motiv, welches, mit geringer Abänderung, sich wieder im
Muster No. 17, von Deutschland, wiederholt. Der gekrümmte
und belaubte Zweig, No. 4, aus dem sechsten Jahrhundert (Sophien -
kirche), erscheint wieder, mit geringer Veränderung, im Muster
No. 11, aus dem zwölften Jahrhundert (S. Marco). Die gezackten
Blätter No. 19 (Deutschland), sind beinahe identisch mit denen
von No. 1 (Sophienkirche); und unter allen Mustern der vorletz -
ten Reihe (Tafel XXVIII.), zeigt sich eine generische Aehnlichkeit in den Beispielen, die aus Deutschland,
Italien und Spanien herstammen, und auf einen byzantinischen Typus gegründet sind.
52
?
Iü'I'WIUa*
BYZANTINISCHE ORNAMENTE.
Die Ornamente der lezten Keihe auf derselben Tafel 111,1=1 • • , ,
(No. 27 und 36), und stellen die bei den nördlichen Völk ™ /^besondere den romanischen Styl
welche meistens auf einem einheimischen Typus gegründet kt- \ ' Tl v TCrSCMungene Verzierun S dar,
Äiche» Beispiele darbietet, die den römischen Modellen nachglü« J^üd “^d "” T
stand zu Grunde liegende Tvnns _ welr.no. -i, • h woraen sind. Ger diesem Gegen-
Sich^uf der römischen Säule zu Cussy, .wischen 0^” W^slfe" ^ V ° rk ° mmt ~ ^
byzantinischen Styl und ^ auf
westliche Welt „rück änd rlittt “ R , “ T' ^ anf di,
““iTTh" rr ——
Ohne „ns auf die Frage eLuten V T 1<>mb " di “ h “ “” d d » -bischen Schule,
worden sind, können wir mit Gewi’ 1 > m ' tr ' rali « w ta E ”»P« beschäftigt
des westlichen Z^ d^ntlr! JT7 7 d « »i«ern „n^
byzantinischen Schule stark eingeprägt ist ” ,omam5<! b ’ bekannt sind, der Charakter der
Sculptur selten, und selbst in der Farbenmalerei nur auf »eT V 7[ “ d “
ra “:rr rtsM • im ^ ^™^^^22^x222 **
zeichnen 27772 ,2d27mZ d7mm’ p"''“ 1 “” ihr6 ° EffeC ‘ g“stentheil, der Sculptur: sie
massive Ausläufe, und zahlreiche Fieren“
Anstatt Mosaiken findet man gewöhnlich Malerei, und Thierfiguren komme.1 272ul22i
erlidi <* “ «■ - ^ *» -ä
Der Ornamentsstyl der geometrischen Mosaikarbeit gehört besonders in THlion ,.
romanischen Periode an; Tafel XXX. enthält zahlreiche Muster davon. Dies, KunstMteZ^ “
en und im dreizehnten Jahrhundert und besteht darin, viereckige Stückchen Glas in eine verwickelte
Sene von diagonalen Linien anzuordnen, deren Lauf, mittelst verschiedener Farben, bald gehemmt bald 1
bestimmter Richtung entwickelt wird. Die Muster vom mittlere Italien, No. „ ,1 T 3 T ,i„d M
emfiic eralsdievon den südlichen Provinzen und Sicilien, wo die sarazenischen Kö-ler ihre "
No 1 5 3 3 VerW M tT™ ““ ,Wie ““ - *» *» »«gewöhnlichen Mustern
Stylarten zugleich h h’t “T ta ~* *“ d »”- *« » Sicilien zwei
beLt, un7r v“"m “ TC ““Td
r r, rtiTh “ r- - - - - ; zzz
die Hand, doch wemgstens den Einfluss byzantinischer Künstler erkennt. Verschieden an
P 53
BYZANTINISCHE ORNAMENTE.
Charakter, obgleich au, selben Periode gehörend, sind die Muster No. 22, 24, 39, 40, 41, die als Beispiele des
venetiamsck-byzantinischen Styles dienen-, sie sind beschränkt im Umfang, da der Styl derselben beinahe
ausschliesslich local und g.ns eigenthümlich ist. Es giebt jedoch einige darunter, die deutlicher den
hysantinischen Charakter verrathen, me No. 23, mit den verschlungenen Zirkeln, und das m der Sophien-
kirche so häufige Stufenornament, Tafel XXIX., No. 3, 10, 11. ,
Das opus Alexandrinum, oder die Marmor-Mosaik, unterscheidet sich vom opus Grecamcum oder er
Glas-Mosaik, hauptsächlich durch die Verschiedenheit der angewendeten Materialien; das Prmcip aber des
^metrischen Motives, ist in beiden dasselbe. Die Fussböden der romanischen Kirchen m Italien sind
reich an Mustern dieser Gattung, die als Tradition aus dem Zeitalter des römischen Augustus der Nac izei
überliefert wurden. Die Nummern 19, 21, 36, 37, 38, geben einen guten Begriff von der Beschaffen ei
dieser Ornamentsart.
- Es existirten überdies, während der romanischen Periode in verschiedenen Theilen Italiens, gewisse
Localstvlarten, die auf dem System der Marmoreinlegung beruheten, aber mit den römischen oder byzan -
tinischen Modellen gar nichts gemein hatten. Das Muster No. 20, von San Vitale, Eavenna, gehört zu
dieser Art, wie auch die Fussböden des Baptisteriums und der Kirche San Miniato, Florenz, worin der Effect
bloss mittelst des abwechselnden weissen und schwarzen Marmors hervorgebracht wird. Diese Localstyle,
sowohl als die im südlichen Italien unter maurischem Einfluss angefertigten Mosaikarten ausgenommen,
findet man alle die Principien der Marmor- und der Glasmosaiken schon in den alt-römischen einge egten
Verzierungen aller Provinzen, die die Herrschaft Roms anerkannten. Die merkwürdigsten waren die m
Pompeji gefundenen Mosaiken, von denen mehrere auffallende Beispiele in der Tafel XXV. enthalten sind.
Der Einfluss der byzantinischen Kunst war vom sechsten bis zum elften Jahrhundert, und selbst noc i
später, von grosser Wichtigkeit für Europa, doch hat er unter allen Völkern auf keines so mächtig gewirkt,
als auf das grosse, an Ausdehnung immer zunehmende Geschlecht der Araber, die den Glauben Muhamer s
verbreiteten, die schönsten Länder im Orient eroberten und endlich sogar in Europa festen küss fassten.
Ihre ältesten Gebäude in Kairo, Alexandrien, Cordova, und Sicilien verrathen deutlich den Einfluss des
byzantinischen Styls. Die Traditionen der byzantinischen Schule wirkten auch, mehr oder weniger, auf al e
andere angrenzende Länder, und dienten gewissermaassen als Basis der ganzen decorativen Kunst des Morgen -
landes und des östlichen Europas.
J. B. WARING.
September, 1856.
*** Fernere Auskunft findet man im “ Handbook" des byzantinischen und romanischen Hofes zu Sydenham.-Y yatt & Y ap.ing.
FOLGENDE WERKE HABEN ZU DEN ILLUSTRATIONEN GEDIENT.
Salzenberg. Alt Christliche Baudcnkmale von ConstantinopeL
Flandin et Coste. Voyage en Ferse.
Texier. Description de VArmenie, de la Perse, de.
Heideloff. Die Ornamentik des Mittelalters.
Kreutz. La Basilica di San Marco.
Gailhabaud. L'Architecture et les Arts qui en dependent.
Du Sommerard. Les Arts du Mögen Age.
Bahras et Luynes (Duo de). Recherche* sur les Monuments des
Normands en Steile.
Champollion Figeao. Palteographie Universelle.
Willemin. Monuments Frangais inedits.
Hesseueer. Arabische und alt Ttaliänische Bau-Verzierungen.
Digby Wyatt. Geometrical Mosaics of the Middle Ages.
Waring and MacQtjoid. Architectural Arts in Italy and Spam.
Waring. Architectural Studies at Burgos and its Neighbourlwod.
Hie.
54
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ßYZANTINE N° 1
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Capitel VIII.—Tafeln 31, 32, 33, 34, 35.
ARABISCHE ORNAMENTE
VON KAIRO.
TAFEL XXXI.
Diese Tafel besteht aus den verzierten Architraven und Laibungen der Fenster im Innern der Moschee Tulun Kairo. Die
Verzierungen sind von Gips, und beinahe jedes Fenster stellt ein verschiedenes Muster dar. Die Hauptbögen des Gebäudes
sind auf ähnliche V eise geschmückt; von den Laibungen ist nur noch ein Bruchstück vorhanden, doch gross genug um das
Muster erkennen zu lassen. Dieses Bruchstück befindet sich Tafel XXXIIi, No. 14.
No. 1-14, 27, 29, 34-39, sind Zeichnungen von Architraven, die die Fenster umgeben. Die übrigen Muster sind von den
Laibungen und den Fenstergewänden.
Die Moschee Tulun wurde im Jahre 876-7 gegründet, und die hier gegebenen Ornamente gehören ohne allen Zweifel jenem
Zeitpunkt an. Diese Moschee ist das älteste arabische Gebäude in Kairo, und ist besonders interessant als eines der frühesten
Beispiele des Spitzbogens.
TAFEL XXXII.
1-7. Von der Brüstung der Moschee des Sultans Kalaon.
9-10. Ornamente um die Bögen der Moschee En Nasireeyeh.
11—13. Ornamente um die gebogenen Architraven in der
Moschee des Sultans Kalaon.
14. Laibung eines der Hauptbögen in der Moschee Tulun.
15-21. Ornamente an der Moschee Kalaon.
22. Hölzerne laufende Verzierung, von der Treppe einer
Kanzel.
23-25. Von der Moschee Kalaon.
Die Moschee Kalaon wurde im Jahre 1284-5 gegründet, alle hier gegebene Ornamente sind in Gips ausgeführt, und wurden,
wie es scheint, im Stuck ausgeschnitten ehe dieser noch getrocknet war. Die Muster sind so verschieden, und die Ungleich -
heiten in den entsprechenden Theilen desselben Musters so gross, dass man durchaus nicht annehmen kann, dass sie gegossen
oder im Modell gebildet worden seien.
TAFEL XXXIII.
1-7. Von der Brüstung der Moschee des Sultans Kalaon.
8-10. Gebogene Architrave^ von derselben Moschee.
12. Bogenlaibung, Moschee. En Nasireeyeh.
13. Vom Thor der Moschee El Barkookeyeh.
14. Architrave von Holz, Moschee En Nasireeyeh.
15. Fensterlaibung, Moschee Kalaon.
16,17. Architrave von Holz.
18. Fries um ein Grabmal, Moschee En Nasireeyeh.
19. Architrave von Holz.
20-23. Ornamente von verschiedenen Moscheen.
TAFEL XXXIV.
Diese Zeichnungen sind einem prächtigen Exemplar des Koran nachgebildet, das in der 1384 gegründeten Moschee El
Barkookeyeh sich befindet.
ARABISCHE ORNAMENTE.
TAFEL XXXV.
Besteht aus verschiedenen Mosaiken von Fussböden und Wänden der Wohnhäuser und der Moscheen von Kairo. Sie
sind von weissem und schwarzem Marmor nebst rothen Ziegeln gebildet.
No. 14-16 stellen Muster dar, die auf den Marmorplatten eingeschnitten und nachher mit rothem und schwarzem Cement
ausgefüllt worden waren.
Das Ornament auf weissem Marmor im Mittelpunkte der No. 21 ist etwas erhaben.
Die Materialien zu diesen fünf Tafeln verdanken wir der Güte des Herrn James William Wild, der sich eine geraume Zeit
in Kairo aufhielt und der Untersuchung der innem Ausschmückung der dortigen Häuser seine besondere Aufmerksamkeit
schenkte ; daher auch diese Muster als ganz getreue Nachbildungen der Ornamente von Kairo betrachtet werden können.
ARABISCHE ORNAMENTE.
Als die muhammedanische Religion, mit erstaunlicher Schnelligkeit immer weiter und rascher im Morgen -
lande sich verbreitete, bildete sich, unter dem Drang der zunehmenden Bedürfnisse einer neuen Civilation,
auch ein neuer Kunststyl. Zwar waren die frühesten Bauten, deren die Muhammedaner sich bedienten,
Spandrille eines Bogens der Sophienkirche.—Salzenberg.
wohl nur alte römische, oder byzantinische zu ihrem Gebrauche eingerichtete Gebäude, oder wurden auf
den Ruinen und mit den Materialien früherer Denkmäler errichtet; doch unterliegt es keinem Zweifel, dass
56
ARABISCHE ORNAMENTE.
die eingetretene Nothwendigkeit den neuen Bedürfnissen Genüge zu leisten, und die neuen Empfindungen
gehörig auszudrücken, ihrer Architektur in sehr kurzer Zeit einen eigenthümlichen Charakter einpräo-en
musste. °
Sie verfertigten ihre Bauten zum Theil aus alten Materialien, und bemühten sich in den neuen Theilen
dei Construction, die den alten Gebäuden entlehnten Details nachzuahmen. Das Ergebniss dieses Bestrebens
war dasselbe, welches sich früher beim Uebergang vom römischen zum byzantinischen Styl geäussert hatte:
die Nachahmung war roh und unvollkommen. Doch förderte diese Unvollkommenheit selbst neue Ideen ins
Leben; denn anstatt zum ursprünglichen Modell zurückzukehren, warfen die Muhammedaner nach und
nach, die von demselben auferlegten Fesseln ab, und so gelang es ihnen schon in der frühesten Epoche ihrer
Geschichte, einen ihnen eigenthümlichen Kunststyl auszubilden und zur Vollkommenheit zu bringen. Die
Ornamente der Tafel XXXI. sind der Moschee Tulun zu Kairo entnommen, die im Jahre 876 errichtet
wui de, das heisst, nicht mehr als 250 Jahre nach der Gründung der muhammedanischen Eeligion, und doch
finden wir schon in dieser Moschee einen selbstständigen Styl der Baukunst, der zwar noch einige Spuren
seines Entstehens beibehielt, aber von jedem Bestreben der unmittelbaren Nachahmung eines frühem Styls
ganz frei war. Diese rasche Entwickelung ist besonders merkwürdig, wenn man sie mit dem Besultat der
christlichen Eeligion im Bezug auf die Baukunst vergleicht : indem es dem Christenthum erst im zwölften
oder im dreizehnten Jahrhundert gelang eine eigene ihm angehörige Architektur, frei von jeder Spur des
Heidenthums, zu erzeugen.
_ Die Moscheen von Kairo gehören zu den schönsten Bauten der Welt. Sie zeichnen sich durch gross -
artige und einfache allgemeine Formen aus, und zugleich durch den verfeinerten Geschmack und die Pracht
womit diese Formen geschmückt sind.
Diese Pracht in der Verzierung stammt, wie es scheint, von den Persern her, von denen die Araber so
manche ihrer Künste abgeleitet haben. Doch ist es beinahe gewiss, dass dieser Einfluss ihnen aus doppelter
Quelle, der persischen und byzantinischen, zukam. Die byzantinische Kunst verräth schon einen asiatischen
Einfluss. Die von Flandin und Coste herausgegebenen Eeste sind entweder persischen Ursprungs unter
byzantinischem Einfluss, oder, wenn sie einer altern Periode angehören sollen, müssen wir annehmen, dass
ein grosser Theil der byzantinischen Kunst von persischen Quellen abstamme, indem die zwei Stylarten in
der allgemeinen Beschaffenheit des Umrisses einander ganz ähnlich sind. Wir haben schon im dritten
Capitel auf eine sassanische Kapitälverzierung hingewiesen, No. 16, Tafel XIV., welche, allem Anscheine
nach, den bunten Mustern der Araber zum Typus diente; und an der hier eingeschalteten Spandrille, aus
Salzenbeigs Werke über die Sophienkirche, bemerkt man ebenfalls ein Decorationssystem, welches von der
griechisch-römischen Verzierungsweise derselben Kirche vielfach abweicht, und wahrscheinlich auch das
Besultat eines asiatischen Einflusses war. Wie dem auch sei, so bildet diese Spandrille jedenfalls die
Giundlage der bei den Arabern und Mauren gebräuchlichen Verzierung der Oberflächen. Das Blattwerk,
welches den Mittelpunkt der Spandrille umgiebt, ist zwar noch eine Eeminiscenz des Acanthusblattes, doch
offenbart sich in demselben der erste Versuch, das Principium der aus einander entspriessenden Blätter zu
beseitigen, denn die Eankenverzierung ist zusammenhängend und ununterbrochen. Das Muster ist über
den ganzen Bogenzwickel vertheilt, um eine gleiche Färbung hervorzubringen, ein Besultat, welches die
Araber und die Mauren, unter allen Umständen zu erzielen suchten. Wir müssen noch einer besondern
Eigenheit derselben gedenken, nämlich, dass die Gesimse am Bande des Bogens von der Oberfläche her ver -
ziert sind, und dass die Laibung des Bogens auf dieselbe Weise geschmückt ist, als die Laibungen der
arabischen und maurischen Bögen.
ö
Die auf der Tafel XXXI. gegebenen Verzierungen, von der Moschee Tuluu, sind höchst bemerkenswerth,
indem sie schon in diesem frühen Zustand der arabischen Kunst alle die Typen jener Anordnungen der
Formen darstellt, die im Alhambra ihren höchsten Glanzpunkt erreicht haben. Der etwa vorhandene
Unterschied hat seinen Ursprung in der minder vollkommenen Eintheilung der Formen, aber die Grund-
Q 57
l!
ARABISCHE ORNAMENTE.
principien sind dieselben. Diese Ornamente stellen die erste Stufe der Verzierung der Oberflächen dar.
Sie sind von Gips, und die Muster -wurden auf der zu schmückenden, sorgfältig geebneten Oberfläche,
während diese noch geschmeidig war, entweder eingedruckt oder gezeichnet, und zwar mittelst eines
stumpfen Werkzeuges, das beim Einschneiden zugleich die Ränder etwas abrundete. Man sieht beim
ersten Blicke, dass die Principien der vom Mutterstamme ausgehenden Strahlung, so wie auch die tangen -
tenförmige Krümmung der Linien beobachtet -wurde, entweder als eine griechisch-römische Tradition, oder
als Folge ihrer eigenen Beobachtung der Natur.
Viele unter den Mustern, wie z. B. die Nummern 2, 3, 4, 5, 12, 13, 32, 38, verrathen wohl noch Spuren
des griechischen Ursprungs: nämlich, zwei Blumen, oder eine nach oben und eine nach unten gewendete
Blume an beiden Enden des Stiels; der Unterschied jedoch besteht darin, dass bei den Griechen die Blätter
oder Blumen keinen Theil der Rankenverzierung ausmachten, sondern aus derselben entsprangen, während
bei den Arabern der Schnörkel zum Mittelblatt wurde. No. 37 zeigt die ununterbrochene, von den Römern
abgeleitete Ranken Verzierung, worin jedoch die, den römischen Ornamenten so eigentümliche Abtheilung
bei jeder Wendung der Schnörkel, hinweggelassen ist. Das hier dargestellte Ornament von der Sophien -
kirche zeigt eines der ersten Beispiele dieser Abänderung.
Die senkrechten Muster dieser Tafel, die grösstentheils den Fensterlaibungen entnommen sind, und
daher eine aufwärts strebende Tendenz haben, können als der Keim von allen den schönen Zeichnungen
diesei Alt betiachtet werden, wo die Muster durch das wiederholte Nebeneinandersetzen derselben Zeich -
nung sich vervielfältigen. Einige der Muster dieser Tafel hätten wir nach den Seiten hin doppelt darstellen
sollen, doch haben wir die Wiederholung ausgelassen um eine desto grössere Menge von Varietäten geben
zu können.
Mit Ausnahme des mittlern Ornaments der Tafel XXXII., welches von derselben Moschee als die
Ornamente der vorhergehenden Tafel entnommen ist, gehören alle die Verzierungen der Tafel XXXII.,
XXXIII. und XXXIV. dem dreizehnten Jahrhundert an, und sind daher um vier hundert Jahre jünger, als
die Ornamente der Moschee Tulun. Die in diesem Zeiträume gemachten Fortschritte zeigen sich beim
58
ARABISCHE ORNAMENTE.
ersten Blick, und doch stehen dieselben den zur selben Epoche gehörigen Verzierungen des Alhambra
bedeutend nach. Die Araber haben, in der Vollkommenheit der Masseneintheilung und in der Schmückung
der Oberflächen der Ornamente, es nie so weit gebracht als die Mauren, die sich darin besonders auszeich -
neten. Derselbe Instinkt liegt beiden zu Grunde, aber die Durchführung ist bei den Arabern bei weitem
nicht so gut. In den maurischen Ornamenten ist das Verhältnis der Flächenräume der Verzierungen
immer im vollkommensten Ebenmass mit der Grundfläche; man sieht weder Lücken noch Löcher. In der
Ausschmückung der Oberflächen des Ornaments entwickelten die Mauren ebenfalls eine überlegene Fähig -
keit, und sie verstanden es besser die Einförmigkeit zu vermeiden. Um den Unterschied deutlich darzuthun,
wiederholen wir hier das Muster No. 12, Tafel XXXIII., und, zum Vergleich mit demselben, geben wir
zwei Varietäten bunter Bautenmuster vom Alhambra.
Es findet sich in der maurischen Schmückungsweise der Oberflächen noch eine andere Eigenheit,
nämlich, dass die Muster oft auf zwei, und zuweilen auf drei Ebenen gezeichnet waren, indem die Orna -
mente der oberen Ebene kühn und frei über die Masse hin vertheilt wurden, während die der zweiten
Ebene sich mit den Verzierungen der ersten verwebten, und zugleich die Oberfläche auf der tiefem Fläche
schmückten. In Folge dieser sinnreichen Einrichtung behält ein Ornament, aus der Ferne betrachtet, die
ganze Fülle des Effects, während man, bei näherer Besichtigung desselben, die herrlichsten und sinnreichsten
Verzierungen gewahr wird. Im Allgemeinen, zeigte sich in der maurischen Behandlung der Oberflächen eine
grössere Mannichfaltigkeit; die Federverzierung, die einen so hervorragenden Zug in den Ornamenten der
Tafeln XXXII. und XXXIII. bildet, war mit schlichten Oberflächen untermischt, wie man Tafel XXXII.,
No. 17, 18, und 32, sehen kann. Das Ornament No. 13, Tafel XXXIII., ist eine durchbrochene Metall -
arbeit und kommt der Vollkommenheit in der Masseneintheilung der maurischen Formen sehr nahe ; es offen -
bart sich darin die verhältnissmässige Abnahme der Formen gegen den Mittelpunkt des Musters hin, wie auch
jenes feste, von den Mauren nie übertretene Gesetz, dass jedes Ornament, so fern es auch sei und so verwickelt
auch das Muster sein möge, immer zu seinem Zweig und seiner Wurzel zurückgeführt werden kann.
Der Hauptunterschied zwischen dem arabischen und maurischen Styl lässt sich in kurzen Worten zu -
sammen fassen: die constructiven Theile der arabischen Kunst sind grossartiger, während die der Mauren
einen höhern Grad der Verfeinerung und der Zierlichkeit besitzen.
Die ausgezeichnet schönen Ornamente der Tafel XXXIV., aus einem Exemplar des Koran, liefern uns
einen vollkommenen Begriff der decorativen Kunst der Araber. Wären die Blumen nicht ins Muster aufge-
59
ARABISCHE ORNAMENTE.
nommen worden, wodurch die Einheit des Styls einigermassen beeinträchtigt wird, so könnten diese Verzie -
rungen als das schönste Beispiel der arabischen Ornamentation gelten. Aber auch in ihrem gegenwärtigen
Zustande, bieten sie ein höchst vollkommenes und belehrendes Exempel der Form und des Colorits dar.
Die ungeheure Masse von marmornen Bruchstücken, die in den römischen Ruinen vorgefunden wurden,
musste natürlich bei den Arabern den Wunsch anregen, die so allgemein von den Römern befolgte Sitte
nachzuahmen, die Fussböden ihrer Wohnhäuser und Monumente mit geometrisch angeordneten Mosaiken
zu belegen. Tafel XXXV. enthält eine grosse Anzahl der Varietäten, welche diese Mode bei den Arabern
erzeugte. Um sich einen richtigen Begriff von der Verschiedenheit des Styls im Ornament zu machen,
darf man nur diese Mosaiken der Tafel XXXV., mit den römischen Mosaiken, Tafel XXV., den byzantini -
schen, Tafel XXX., und mit den maurischen, Tafel XLIII., vergleichen. Auf keiner dieser Tafeln Hesse
sich eine einzige Form finden, die nicht ebenfalls in allen andern vorkommt; und doch wie verschieden ist
der Anblick den diese Tafeln darbieten! Es ist eine Idee in vier verschiedenen Sprachen ausgedrückt.
Eine jede regt in der Seele des Beschauers, denselben einigermassen modificirten Begriff an, aber es geschieht
mittelst ungleicher, weit von einander verschiedener Laute.
Das gewundene Seil, die verschlungenen Linien, zwei sich durchschneidende Vierecke <^>, ein gleich -
seitiges Dreieck innerhalb eines Hexagons, das sind die Grundideen von welchen sie alle ausgehen, während
der Unterschied hauptsächlich durch die Weise des Colorits veranlasst wird, und diese richtet sich ihrerseits
grosstentheils nach der Verschiedenheit der angewandten Materialien und des Zweckes zu welchem sie
gebraucht wurden. Die arabischen und römischen Mosaiken sind Fussböden, und von matterm Ton; die
Maurischen sind Würfel; während die hellfarbigem Ornamente, TafelXXX., Verzierungen dpr constructiven
Theile der Bauten vorstellen.
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TAFEL XXXI
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ARABISCH
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TAFEL XXXY.
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Capitel IX.—Tafeln 36, 37, 38.
jTUERKISCHE ORNAMENTE.
TAFEL
1, 2, 3, 16, 18. Von einem Brunnen zu Pera, Constanti-
nopel.
4. Von der Moschee des Sultans Achmet, Constantinopel.
5, 6, 7, 8,13. Von Gräbern zu Constantinopel.
XXXVI.
9,12, 14,15. Vom Grabmal des Sultans Soliman I., Con -
stantinopel.
10, 11, 17, 19, 21. Von der Yeni D’jami, oder der neuen
Moschee, Constantinopel.
20, 22. Von einem Brunnen zu Tophana, Constantinopel.
TAFEL XXXVII.
1) 2, 6, 7, 8. Von der Yemi D’jami, Constantinopel. 4, 5. Verzierungen von Spandrillen unter der Kuppel
3. Rosette im Mittelpunkt der Kuppel der Mochee Soli- Solimans I., Constantinopel.
mans I., Constantinopel.
TAFEL XXXVIII.
Theil der Ausschmückung der Kuppel des Grabmals Solimans I., Constantinopel.
Die Architektur der Türken, wie sie sich in Constantinopel offenhart, beruht, in allen ihren constructiven
Theilen, hauptsächlich auf der Bauweise der frühen byzantinischen Monumente; ihr Omamentationssystem
hingegen ist eine Modification des arabischen Styles, zu dem es im seihen Verhältniss steht, als die elisabe-
theische Ornamentation zu der der italienischen Renaissance.
Wenn eine Nation die Kunst eines andern Volkes derselben Religion entlehnt, von dem sie aber sonst
an natürlichem Charakter und Instinkt abweicht, so wird die geborgte Kunst nothwendigerweise sich in
allen den Eigenschaften mangelhaft erweisen, in welchen die entlehnende Nation seihst, ihrem Vorhilde
nachsteht. So verhält es sich mit der Kunst der Türken, wenn man sie mit der der Araber vergleicht:
man sieht denselben Unterschied im Grade der Zierlichkeit und der Verfeinerung in der Kunst der beiden
Völker, den man in ihrem National-Charakter bemerkt.
Wir sind jedoch anzunehmen geneigt, dass die Türken nur sehr selten die Künste selbst ausübten ; sie
Hessen zwar Bauten aufführen, führten sie aber nicht selbst auf. Alle ihre Moscheen und öffentlichen Ge -
bäude offenbaren einen gemischten Styl. Auf einem und demselben Gebäude, an der Seite der von arabi -
schen und persischen Blumenverzierungen abgeleiteten Ornamente, findet man entartete Details der
römischen Periode und der Renaissance, so dass man zu glauben veranlasst wird, dass die Bauten meistens
von Künstlern aulgeführt wurden, die sich nicht zur türkischen Religion bekannten. In neuerer Zeit,
entschlossen sich die Türken, zuerst unter den mukammedanischen Völkern, den von den Vorvätern über-
61
R
'
TUERKISCHE ORNAMENTE.
lieferten Styl der Bauart aufzugeben, und in ihrer Architektur der herrschenden Mode des Tages zu folgen,
so dass die neuern Gebäude und Paläste der Türkei nicht nur von europäischen Künstlern erbauet, sondern
auch ganz im beliebtesten europäischen Styl entworfen werden.
Die türkischen Erzeugnisse, welche sich in der grossen Ausstellung von 1851 befanden, standen an
Vollkommenheit den ausgestellten Producten aller andern muhammedanischen Nationen nach.
Elisabetheiseh.
Türkisch.
Im Berichte des Herrn Digby Wyatt über den Zustand der industriellen Künste im neunzehnten Jahr -
hundert, finden sich Muster der in 1851 ausgestellten türkischen Stickerei; wenn man nun dieselben mit
den im selben Werke befindlichen Mustern indischer Stickerei vergleicht, so wird man sogleich gewahr,
dass der Kunstinstinkt der Türken dem der Indier weit nachstehen muss. Die indische Stickerei verräth,
Türkisch.
TUEBKISCHE ORNAMENTE.
in der Eintheilung der Form, und in allen den Principien der Ornamentation, eine eben so grosse Vollkom -
menheit als man in den ausgearbeitetsten und wichtigsten Verzierungen findet.
Die einzigen vollkommenen Muster der Ornamentation findet man in den türkischen Teppichen; diese
aber werden meistens in Kleinasien angefertigt, und wahrscheinlich nicht von türkischen Künstlern. Die
Zeichnungen sind durchgehends arabisch, und unterscheiden sich von den persischen Teppichen dadurch,
dass das Blattwerk auf eine conventionellere Weise behandelt ist.
V enn man Tafel XXXVII. mit Tafeln XXXII. und XXXIII. vergleicht, wird man leicht die Verschie -
denheit der Stylarten bemerken. Zwar verkünden sich durchgehends dieselben Principien der Eintheilung
der Form, doch sind einige geringere Verschiedenheiten in denselben bemerklich, die wir hier angeben
wollen.
In den arabischen sowohl als in den maurischen Stylarten hatte die Oberfläche der Ornamente nur eine
sehr geringe Rundung, und die Ausschmückung der Oberfläche geschah mittelst Linien, die in die Ober -
fläche vertieft wurden; oder wo die Oberfläche schlicht bleiben sollte, erzeugte man Muster auf Muster mit
Hülfe der Malerei.
In den türkischen Ornamenten, im Gegentheil, ist die Oberfläche ausgeschnitzt, und dieselben Ornamente,
welche im arabischen Manuscript, Tafel XXXIV., mittelst gemalter schwarzer Linien auf goldenen Blumen
erzeugt wurden, sind hier auf der Oberfläche ausgeschnitzt, so dass der Effect bei weitem nicht so kühn ist,
als der welcher aus dem vertieften Blattwerk der arabischen und maurischen Verzierungsweisen entsteht.
Eine andere Eigenthümlichkeit, welche beim ersten Blick ein türkisches Ornamentsstück von einem
arabischen unterscheidet, ist der Missbrauch den die Türken vom einspringenden Winkel A A, machten.
Dieser Winkel ist auch ein hervorragendes Merkmal in dem arabischen, aber ganz besonders im persischen
Styl. Viele Tafel XLVI.
Bei den Mauren aber bildet er nicht länger den charakteristischen Zug der Verzierung, sondern kommt
nur ausnahmsweise vor.
Dieselbe Eigenthümlichkeit wurde in die elisabetheische Ornamentationsweise aufgenommen, die, mittelst
der Renaissance in I rankreich und in Italien, vom Morgenland abgeleitet wurde, und zwar als Nachbil -
dung der zu jener Zeit so allgemeinen damascirten Arbeit.
Tafel XXX\ I. zeigt, dass die schwellende Rundung immer an der innern Seite der Spiralkrümmung des
Hauptstammes vorkommt; im elisabetheischen Ornamente aber befindet sich dieselbe eben so oft an der
äussern als an der innern Seite.
Es wäre schwer, ja fast unmöglich, in Worten die Verschiedenheiten in Verzierungsweisen anzudeuten, die
sich durch eine so starke Familienähnlichkeit auszeichnen, als die persischen, arabischen und türkischen
Stylarten; und doch entdeckt das Auge diese Verschiedenheiten eben so leicht, als es eine römische Bild -
säule von einer griechischen unterscheidet. Obwohl die Hauptprincipien in den Stylarten der Perser, der
Araber und dei Türken sich gleich blieben, findet man doch verschiedene Eigenthümlichkeiten in den
\ erhältnissen der Massen, mehr oder weniger Aninuth in der Wallung der Krümmungen, eine Vorliebe zu
gewissen Richtungen der Hauptlinien und eine besondere Weise im Verflechten der Formen, während die
allgemeine Form des conventioneilen Blattwerks durchgehends dieselbe ist. Der Grad der Fantasie, der
Zartheit oder Rohheit, der sich im Entwürfe darthut, unterscheidet aufs unfehlbarste die Werke des ver -
feinerten und geistreichen Persers von denen des nicht minder verfeinerten, aber zugleich bedachtsamem
Arabers oder des unerfinderischen Türken.
Tafel XXXVIII., die einen Theil der Ausschmückung an der Kuppel des Grabes Solimans I. zu Con-
stantinopel darstellt, bildet, so viel wir wissen, das vollkommenste Muster der türkischen Verzierung, und
kommt beinahe den arabischen Mustern gleich. Noch ein anderer Zug in den türkischen Ornamentin ist
das Vorherrschen der grünen und der schwarzen Farben; eine Eigenthümlichkeit, die man auch in den
modernen Decorationen von Kairo bemerkt. Grün ist aber nicht so vorherrschend in den ältern Mustern,
wo Blau vorzüglich gebraucht wurde. go
rilRKI S H
TÜRKISCH
TURCS
’AFEL XXXVI
PL. XXX VI
TURKI
TURCS
TURKI
PL.XXXY1I
TAFEL XXXYii
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TÜRKISCH
TURKISH N°S
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PL.XXXVIII
mm
Capitel X.—Tafeln 39, 40, 41, 41*, 42, 42% 42t, 43.
MAURISCHE ORNAMENTE
VOM ALHAMBRA.
TAFEL XXXIX.
VERSCHLUNGENE ORNAMENTE.
1-5, 16, 18, stellen Ränder von musivisclien Würfeln vor.
6-12, 14. Ornamente von Gyps in senkrechten und horizon -
talen Bändern gebraucht, um die Felder an den
Wänden zu umschliessen.
13, 15. Viereckige Punkte in den Inschriftsb'andern.
17. Gemaltes Ornament, vom grossen Bogen in der Halle
des Bootes.
TAFEL XL.
SPANDRILLEN.
1. Vom mittlern Bogen des Löwenhofs.
2. Vom Eingang zur Divanhalle der beiden Schwestern.
3. Vom Eingang, der aus dem Hof des Fischteiches in den
Löwenhof führt.
4. Vom Eingang, der aus der Halle des Bootes in den Hof
des Fischteiches führt.
5, 6. Von den Bögen der Gerichtshalle.
TAFEL XLI.
RAUTENFOERMIGE
1. Ornament der Felder in der Halle des Bootes. o,
2 f ' in der Halle der Gesandten. 6.
3. ” eines Bogenzwickels am Eingang des Löwen- 7.
hofs. 8.
4. j; an der Thür der Divanhalle der beiden Schwes -
tern.
BUNTMUSTER.
Ornament der Felder in der Halle der Gesandten.
der Felder in den Höfen der Moschee,
der Felder in der Halle der Abencerragen.
oberhalb der Bögen am Eingang des Löwen -
hofs.
TAFEL
9, 10. Ornamente der Felder, Hof der Moschee.
11. Laibung des grossen Bogens, am Eingang des Hofs des
Fischteiches.
12. Ornamente an den Seiten der Fenster, im obem Stock -
werk der Halle der beiden Schwestern.
XLI*.
13. Ornamente der Bogenzwickel, Halle der Abencerragen.
14,15. Ornamente der Felder, Halle der Gesandten.
16. Ornamente an den Bogenzwickeln der Halle der beiden
Schwestern.
S
b .3
MAURISCHE ORNAMENTE.
\ 4
TAFEL XLII.
VIERECKIGE buntmuster.
1. Fries oberhalb der Säulen des Löwenhofs. 2. Täfelwerk in Feldern an den Fenstern, Halle der Gesandten.
TAFEL XLII*.
3 Täfelwerk in Feldern der mittlern Nische der Halle der I 4. Täfelwerk in Feldern an den Wänden im Thurme des
Gesandten. ! Gefangenen.
TAFEL XLIIf.
5. Täfelwerk an den Wänden im Hause des Sanchez. | 6. Theil der Decke des Porticus im Hofe des Fischteiches.
1. Pilaster, Halle der Gesandten.
2. Würfel Ditto.
3. Würfel, Halle der beiden Schwestern.
4. Pilaster, Halle der Gesandten.
5. 6. Würfel, Halle der beiden Schwestern.
7. Pilaster, Gerichtshalle.
8. Würfel, Halle der beiden Schwestern.
TAFEL XLIII.
MOSAIKEN.
9. Würfel am mittlern Fenster, Halle der Gesandten.
10. Pilaster, Halle der Gesandten.
11. Würfel, Halle der Gesandten.
12. 13. Würfel, Halle der Gesandten.
14. Von einer Säule, Gerichtshalle.
15. Würfel in den Bädern.
16. Würfel im Divan, Hof des Fischteiches.
MAURISCHE ORNAMENTE.
Wir haben die Illustrationen der maurischen Ornamente ausschliesslich vom Alhambra entnommen, nicht
nur weil uns dieses Denkmal maurischer Kunst am besten bekannt ist, sondern auch weil es zu den Werken
gehört, in denen das erstaunliche Verzierungssystem der Mauren seinen glänzendsten Hochpunkt erreicht
hat. Der Albambra steht auf dem Gipfel der Vollkommenheit der maurischen Kunst, ebenso wie das
Parthenon den Gipfel der griechischen Kunst bildet. Wir hätten kein Denkmal finden können, das zur
Illustration einer Grammatik der Ornamente besser geeignet wäre, als dieses Meisterwerk, m welchem jedes
einzelne Ornament an sich selbst eine ganze Grammatik enthält. Jedes mögliche Principium, das sich aus
dem Studium der Ornamentationskunst irgend eines andern Volkes ableiten liesse, ist in diesem Monumente
allgegenwärtig, und wurde bei den Mauren viel allgemeiner und genauer befolgt,, als bei den andern
Nationen.
Wir finden im Alhambra die beredte Kunst der Aegypter, die natürliche Anmuth und Verfeinerung der
Griechen, die geometrischen Combinationen der Römer, der Byzanzier und der Araber. Nur eine Schönheit
“ Es giebt keinen Eroberer als Gott.”—Arabische Inschrift vom Alhambra.
vermisst man in diesem Verzierungsstyl nämlich den Symbolismus, der den eigenthümlichen Reiz der
ägyptischen Ornamente ausmachte, dessen Gebrauch aber die maurische Religion untersagte. Doch wurde
66
MAURISCHE ORNAMENTE.
dieser Mangel aufs reichlichste ersetzt durch die Inschriften, die nicht durch ihre äusserliche Schönheit das
Auge ergötzten, sondern auch den Geist ansprachen, indem das Entziffern ihrer sonderbaren durchschlunse-
nen Verwickelungen den Verstand in Anspruch nahm, während ihre Bedeutung den Geist aufs ange -
nehmste anregte, sowohl durch die Schönheit der ausgedrückten Ideen als durch den musikalischen
Wohlklang ihrer Composition.
Sie hatten eine Sprache für Jedermann. Den Künstlern und allen jenen, die mit den erforderlichen
Geistesfähigkeiten begabt waren ihre Schönheit gehörig zu würdigen, riefen sie zu: Sehet und lernet. Dem
Volke verkündeten sie die Macht, die Majestät und die Wohlthaten der Könige. Den Königen selbst
erklärten sie unaufhörlich, dass Niemand die Macht besitze als Gott, dass Er allein der Eroberer sei, und
dass ihm allein Preis und Ehre gebühre.
Die Erbauer dieses wundervollen Gebäudes waren sich der Grösse ihres Werkes vollkommen bewusst,
und nahmen keinen Anstand in den Inschriften an den Wänden wiederholt zu behaupten, dass dieses
Gebäude alle anderen Bauten übertreffe; dass beim Anblicke seiner wunderbaren Kuppeln, alle übrigen
Kuppeln vergingen und verschwanden; ja sie erklärten in der anmuthigen Uebertreibung ihrer poetischen
Fantasie, dass die Sterne, aus Neid über so viele Schönheit, in ihrem Glanze erblichen. Was uns aber
hier insbesondere angeht, ist die in diesen Inschriften enthaltene Versicherung, dass jeder, der es sieh ange -
legen sein lässt sie mit Aufmerksamkeit zu studiren, einen vortheilhaften Commentar über die Ornamen-
tation aus denselben abzuleiten vermag.
Wir haben uns bestrebt dieser Aufforderung des Dichters Folge zu leisten, und wollen hier die all -
gemeinen Principien auseinander setzen, welche den Mauren bei der Ausschmückung des Alhambra als
Leitfäden dienten — Principien, die übrigens nicht ausschliesslich ihnen zukommen, sondern allen den ver -
schiedenen glücklichsten Kunstperioden angehörten, und überall durehgehends dieselben waren, nur unter
verschiedenen Gestalten.
1. * Die Mauren hatten stets die Regel vor Augen, die wir als das erste Principium in der Architektur
betrachten — dass die Construction verziert, die Verziervmg aber nie eigens construirt werden sollte;
daher kommt es, dass in der maurischen Baukunst, nicht nur die Verzierung natürlich aus der Construction
hervorgeht, sondern die constructionelle Idee in allen Details der Verzierungen der Oberfläche kund gethan
und ausgeführt ist.
Wir sind der Meinung, dass die wahre Schönheit in der Architektur aus der Ruhe entsteht, die das
Gemüth empfindet, wenn Auge, Verstand und Gefühle befriedigt sind, weil nichts mangelt. Ein Gegen -
stand der falsch construirt ist, und zwar den Anschein hat Stütze zu empfangen, oder als Stütze zu dienen,
doch keines von beiden thut, kann unmöglich diese Ruhe gewähren, und hat daher keinen Anspruch auf
wahre Schönheit, so harmonisch er auch an und für sich sein mag. Diese Regel wurde bei den muhamme-
danischen Stämmen, und bei den Mauren besonders, stets beobachtet: daher findet man bei ihnen nie eine
überflüssige Verzierung; jedes Ornament entspriesst, frei und natürlich, aus der verzierten Oberfläche. Sie
betrachteten das Nützliche als die geeignetste Grundlage des Schönen; und hierin standen sie keineswegs
allein: dasselbe Princip wurde in allen besten Kunstperioden beobachtet; nur wenn die Kunst in Verfall
geräth, werden die wahren Principien ausser Acht gelassen, oder auch in einem Zeitalter der Nachbildung,
wie das unserige, wo man sich damit begnügt, die Werke der Vergangenheit zu copiren, ohne den Geist
welcher die Originalwerke beseelte.
2. Alle Linien entspringen allmälig und wellenförmig aus einander, und zwar ohne Auswüchse, so dass
man weder etwas hinzufügen noch etwas hinwegnehmen könnte, ohne die Schönheit des Ganzen zu beein -
trächtigen.
Im allo-emeinen Sinne des Wortes könnte es, in einer sorgfältig behandelten Construction, keine Aus-
Ö
* Dieser Versuch über die allgemeinen Principien der Ornamentation ist, zum Theile aus dem “ Guide Book to the Alhambra Court
in the Crystal Palace,” vom Verfasser dieses Werkes, abgedruckt.
67
MAURISCHE ORNAMENTE.
wüchse geben; doch nehmen wir den Ausdruck hier in einem beschränktem Sinne, nämlich, die allgemeinen
Linien können zwar im wahrsten Verhältnis mit der Construction fortlaufen, und doch dürften Knorren
und Höcker, oder ähnliche Auswüchse an denselben Vorkommen, die, ohne die Regeln der Construction zu
verletzen, doch der Schönheit höchst nachtheilig sein müssten, wenn sie nicht allmälig aus den allgemeinen
Linien entspriessen.
Keine Form kann wirklich schön, kein Ebenmass oder Anordnung der Linien wirklich vollkommen
sein, wenn keine vollkommene Ruhe daraus entsteht.
jeder Uebergang von krummen Linien zu krummen, oder von krummen zu geraden, muss allmälig
geschehen. So wäre der Uebergang in Figur A nicht länger anmuthig, wenn der Absatz in A, im Verhältmss
zu den Krümmungen, zu tief wäre, wie das m B der I all ist. So
oft zwei gebogene Linien (wie hier), mittelst eines Absatzes abge -
sondert werden, so müssen die so geschiedenen Linien in einer
eingebildeten Linie parallel mit einander fortlaufen (c), am Punkte
wo sie die Tangenten zu einander bilden würden; denn sobald die eine oder die andere Linie von dieser
parallelen Richtung abweicht, wie in Figur D, so nimmt das Auge, anstatt allmälig der Krümmung hina
zu folgen, eine auswärtige Richtung, und die Ruhe muss gestört werden*
Zuerst wurden die allgemeinen Formen entworfen, die nachher unterabgetheilt, und mittelst allgemeiner
Linien verziert wurden; die Zwischenräume füllte man dann mit'Ornamenten aus, welche ihrerseits wieder
abgetheilt und ausgeschmückt wurden, um einer nähern Besichtigung Genüge zu leisten. Dieses Prmcipium
führten die Mauren immer mit der grössten Gediegenheit durch, und der genauen Beobacatung dieses Ge
setzes verdankt ihre Ornamentation ihre harmonische Schönheit und ihren entschiedensten Erfolg. Ihre
Hauptabtheilungen contrastiren miteinander, und balanciren sich aufs herrlichste; woraus eine vollkommene
Klarheit entsteht, indem die Details nie störend auf die allgemeine Form einwirken. Aus der erne
betrachtet, fallen einem die Hauptlinien zuerst ins Auge; wenn man näher tritt, werden die Details a s
ergänzende Theile der Composition bemerkbar; und bei näherer Besichtigung entdeckt man fernere Details
auf der Oberfläche der Ornamente selbst.
4. Die Harmonie der Form beeteht im gehörigen Gleichgewicht und Contrart der geraden, krummen
und geneigten Linien. ' ,
Gerade wie in der Farbe keine Composition vollkommen sein kann, in der irgend eine der drei Grund -
farben fehlt, so kann auch, hinsichtlich der baulichen oder decorativen Form, keine Composition vollkommen
sein, worin irgend eine dieser drei Grundfiguren fehlt; und die Verschiedenheit so wie die Harmonie der
Composition und des Entwurfes hängt vom grossem oder mindern Hervorragen oder Zurücktreten dieser
drei Formen ab.t . . ,, „ olia
ln der Verzierung der Oberfläche würde jede Anordnung der Formen, welche, wie m F.gur A, Mo» aus
geraden Linien besteht, einförmig erscheinen und konnte kein
vollständiges Wohlgefallen erregen; fügt man aber andere Limen
hinzu, welche das Auge gegen die Winkel richten, wie in B, so
ist der Anblick gleich wohlgefälliger. Nun darf man nur noch
Linien hinzugeben, die eine kreisförmige Tendenz haben, wie m
c, um vollständige Harmonie zu erzeugen. In diesem Falle ist
das Viereck die tonangebende Hauptform, und die winkeligen
A B C und krummen Formen sind untergeordnet.
* Die Griechen behandelten diese Uebergätige aufs meisterhafteste in allen ihren Gesimsen, in denen diese Verfeinerung s.ch m.
höchsten Grad kund thut; dasselbe lässt sich von den gediegenen Contouren der gnechischen Vasen sagen ^ ^ krumme „
t Das trefflichste Beispiel dieser Harmonie bieten uns die griechischen Tempel dar wo die gera e , 8i IUustrationen dieses
Linien im vollkommensten Verhältniss zu einander stehen. Die gothisehe Baukunst hat und
Principiums aufzuweisen: jede Tendenz der Linien sich in derselben Pachtung fortzubewegen, wird sogleich mittelst g
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MAURISCHE ORNAMENTE.
Dasselbe Ergetmiss liesse sich ebenfalls in einer winkeligen Composition, wie in Figur D, erzielen, indem
man andere Linien, wie in E, hinzufügt, welche der Tendenz des
Auges den geneigten Linien in winkeliger Richtung zu folgen,
Einhalt thun ; fügt man aber zu diesen Linien noch Kreise hinzu,
wie in F, so erlangt man eine vollständige Harmonie, d. h. die
Ruhe — denn das Auge empfindet keinen weitern Mangel dem
man abzuhelfen hätte.*
In der maurischen Verzierung der Oberflächen entspringen
alle Linien aus einem Mutterstamm, und jedes Ornament, so fern
es auch sein möge, kann bis an seinen Zweig und seine Wurzel fortgeführt werden. Die Mauren verstanden
die Kunst, das Ornament so richtig der zu verzierenden Oberfläche auzupassen, dass man oft zu glauben
versucht wäre, dass das Ornament eben so gut die Idee der allgemeinen Form eingegeben haben mochte,
als dass es von dieser veranlasst worden sei. Unter allen Umständen entspriesst das Blattwerk aus einem
Mutterstamm, und nie wird man, wie das in modernen Werken oft geschieht, durch eine aufs Gerathewohl
eingeschaltete zweck- und grundlose Verzierung unangenehm berührt. So unregelmässig auch der auszu -
füllende Raum sein mochte, unterliessen die Mauren doch nie, denselben erst in gleiche Grundflächen abzu-
theilen, und um diese Stammlinien her brachten sie ihre Details an, ohne es je zu unterlassen zum Mutter -
stamm zurückzukehren.
Hierin ahmten sie das Verfahren der Natur nach, wie man es in einem
Weinblatte sehen kann, und welches zum Zweck hat, den Saft vom Mutter -
stamm nach den äussern Enden hin zu vertheilen; zu diesem Ende muss
der Hauptstamm, so nahe als möglich, in gleiche Grundflächen abgetheilt
werden. Dasselbe Verfahren offenbart sich in den kleinern Abtheilungen,
indem jede Grundfläche mittelst Zwischenlinien unterabgetheilt wird, die
ihrerseits durchgehends, bis auf die Ausfüllung der Saftbälge, dasselbe
Gesetz der gleichen Vertheilung befolgen.
6. Die Mauren befolgten überdiess auch das Principium der Strah -
lung vom Mutterstamm, wie es die Natur in der menschlichen Hand oder
im Kastanienblatt offenbart.
Im gegebenen Beispiel bemerkt man, wie schön und strahlenförmig alle die Linien vom Mutterstamm
ausgehen; wie jedes Blatt gegen die äussersten Endepunkte hin abnimmt, und
wie jede Grundfläche im Ebenmass mit dem Blatte steht. Die Morgenländer
führten dieses Principium mit wunderbarer Vollkommenheit aus; und die Grie -
chen thaten dasselbe in ihrem Geissblatt-Ornament. Wir haben schon im Capitel
IV., auf die im griechischen Ornamente sich offenbarende Eigenthümlichkeit
hingewiesen, die von den Cactuspflanzen abgeleitet zu sein scheint, wo ein Blatt
vom andern entspringt. Die griechischen Ornamente zeigen dieselbe Anord -
nung: ihre Acanthusblatt-RankenVerzierungen bilden eine Reihe von Blättern
ö
die in ununterbrochenener Linie von einander entspriessen, während die arabi -
schen und maurischen Ornamente immer aus einem ununterbrochenen Stamm hervorgehen.
krummen Linien gehemmt. So ist die Deckplatte des Strebepfeilers aufs beste dazu geeignet, der aufwärts strebenden Tendenz der
geraden Linien entgegenzuwirken; ebenso contrastirt der Giebel aufs trefflichste mit dem Bogenfenster und mit den senkrechten
F Gnsfcc rstöckfln •
* Aus der Vernachlässigung dieser so klaren Regel entsteht die so höchst misslungene Auffassung, die man häufig in den Papier-
Tapeten, den Teppichen und besonders in Kleidungsstücken bemerkt. Die Linien der Papier-Tapeten scheinen sich durch die Zimmer -
decke drängen zu wollen, weil die gerade Linie nicht durch die winkelige, und die winkelige nicht durch die krumme Lmie berichtigt
wird: ebenso laufen die Linien in den Teppichen immer nur in einer Richtung fort, und scheinen das Auge gerade durch die Wände der
Gemächer führen zu wollen. Aus derselben Quelle entspringen alle die abscheulichen bunt und kreuzweise gestreiften Zeuge, welche
T 69
MAURISCHE ORNAMENTE.
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7. Bei jeder Verbindung von krummen Linien-mit krummen, oder von krummen Linien mit geraden,
muss dafür gesorgt werden, dass diese Linien die Tangenten zu einander bilden. Dieses Ge -
setz offenbart sich allenthalben in der Natur, und die morgenländische Praxis ist im Einklang
mit diesem Gesetz. Viele unter den Ornamenten der Mauren beruhen auf demselben Pnn-
cipium, welches sich in den Linien einer Feder und in den Vergliederungen eines Blattes
kund thut. Aus diesem Principium entspringt der erhöhte Beiz den man in jeder vollkom -
menen Ornamentation findet und mit dem Namen der Anmuth bezeichnet. Man konnte
diese Schönheit die Melodie der Form nennen, während die früher erwähnten Eigenschaften
die Harmonie derselben ausmachen.
Diese Gesetze der gleichen Verkeilung, der Strahlung vom Mutterstamm, der ununterbrochenen
Linie und der tangentenförmigen Krümmung, finden sich allenthalben in der Natur geoffenbart.
8. Wir müssen hier auch auf die Beschaffenheit der zierlichen Krümmungen liinweisen, die bei den
Arabern und Mauren im Gebrauche waren.
Gerade wie, hinsichtlich des Ebenmasses, die Verhältnisse um so schöner sind, je schwerer es dem Auge
wird sie zu entdecken* ebenso müssen Krümmungen um so wohlgefälliger sein, je weniger das mechanische
Verfahren, mittelst dessen sie gebildet werden, dem Auge scheinbar wird; daher findet man auch ohne
Ausnahme, dass die den besten Kunstperioden angehörenden Gliederungen und Ornamente auf krummen
Linien einer hohem Ordnung begründet waren, wie die der Kegelschnitte zum Beispiel; aber im Verhältnis
als die Kunst in Verfall gerieth, wurden Kreise und andere mit Hülfe des Zirkels verfertigten Zeichnungen
viel vorherrschender.
Es geht aus den von Herrn Penrose angestellten Untersuchungen hervor, dass sämmtliche Rankenver -
zierungen und gekrümmte Linien im Parthenon, Theile von Krümmungen einer höhern Ordnung bilden,
während Zirkelabschnitte höchst selten Vorkommen. Jeder kennt die zierlichen Krümmungen der griechi -
schen Vasen unter denen sich nie ein Zirkelabschnitt findet. In der römischen Architektur, im Gegentheil,
sieht man diese verfeinerte Form nicht mehr; die Börner konnten wahrscheinlich diese Krümmungen einer
höhern Ordnung eben so wenig bilden, als sie sie zu würdigen verstanden; daher bestehen auch ihre Ge -
simsegliederungen meistens aus Kreisabschnitten, die mit Hülfe des Zirkels gebildet werden können.
In den Arbeiten der früh-gothischen Periode war das Masswerk, allem Anscheine nach, nicht so oft das
Erzeugnis des Zirkels, als dieses während der spätem Periode der Fall war, welche man mit Becht die
geometrische Periode nennt, wegen des unmässigen Gebrauches des Zirkels.
Die hier gegebene Krümmung (a) ist der griechischen Kunst
sowohl als der gothischen Periode eigen, und war ganz besonders
bei den muhammedanischen Völkern beliebt. Sie wird um so
wohlgefälliger und zierlicher, je weiter sie von der Krümmung
absteht, die aus der Vereinigung zweier Zirkelabschnitte entstehen
würde.
9. Was den Werken der Araber und der Mauren einen fernem
Beiz verleihet, ist die conventioneile Behandlung der Ornamente,
in der sie eine um so grössere Vollkommenheit zu erreichen vermochten, da sie nie lebende Wesen darzu-
<lie menschliche Gestalt entstellen, den Geschmack des Publikums gefährden, und sogar die richtige Empfindsamkeit des Auges
gehörige Form in unserer Generation herabstimmen. Wenn Kinder beim misstömgen Klang einer verstimmten Drehleiter erzo
Wörden, so musste natürlich ihr Ohr dabei leiden, und ihre Empfindsamkeit für die Harmonie der Töne abgestumpft oder ganz zerstört
werden. Dasselbe Resultat muss nothwendig auch hinsichtlich der Form erfolgen. Deswegen sollten alle diejenigen, welchen andern
Wohl der entstehenden Generation gelegen ist, rastlos darauf hinarbeiten, dem Umsichgreifen dieses schlechten Geschmackes E
/U *'Alle aus Vierecken oder Kreisen bestehenden Compositionen sind nothwendigerweise einförmig, nnd bieten nur wenig Wohl -
gefallen dar, weil die Mittel durch die sie entstanden, zu augenscheinlich sind. Daher werden, nach unserer Ansicht, alle aus gle che
Linien oder Abtheilungen enstandenen Composition minder schön sein als solche, zu deren W üidigung ein io leiei
anstrengung erforderlich ist.
MAURISCHE ORNAMENTE.
stellen hatten, indem ihre Religion ihnen solches verbot. Sie arbeiteten zwar immer gerade wie die Natur
wirkt, wussten aber die unmittelbare Nachbildung derselben zu vermeiden; sie begnügten sich damit der
Natur ihre Principien zu entlehnen, ohne den Versuch zu machen, wie es in unserer Zeit geschieht, die
Werke der Natur zu copiren. In dieser Beziehung auch stehen die Mauren nicht allein: zu jeder Epoche
wo der Glaube an die Kunst lebendig war, wurden die Ornamente durch ideale Behandlung veredelt; nie
wurde das Gefühl der angemessenen Schicklichkeit durch eine zu genaue Darstellung der Natur verletzt.
So war hei den Aegyptern ein in Stein ausgehauener Lotos, keine Darstellung der Blume wie man sie
pflücken möchte, sondern eine conventionelle Vergegenwärtigung, im vollkommensten Einklang mit dem
architektonischen Gliede, zu dem sie als ergänzender Theil gehörte, sie stellte das Sinnbild der königlichen
Macht über die Länder dar, wo der Lotos wächst, und verlieh den Reiz der Poesie dem Gliede, welches ohne
solche Verzierung nur eine rauhe Stütze gebildet hätte.
Die kolossalen Bildsäulen waren nicht etwa kleine Männer in grossem Masstabe ausgehauen, sondern
bildeten architektonische Darstellungen der Majestät, die sinnbildlich die Macht des Monarchen vorstellen
sollten, so wie dessen standhafte Liebe zu seinem Volke.
In der griechischen Kunst wurden die Ornamente, die nicht länger symbolisch waren wie sie es bei den
Aegyptern gewesen, auf eine noch conventionellere Weise behandelt, und in der architektonischen Sculptur
der Griechen verkündete sich sowohl im Flachen als im Relief eine conventionelle Behandlung, die bedeu -
tend von der in ihren abgesonderten Bildhauerarbeiten sich offenbarenden Behandlung abwich.
Während der besten Perioden der gothischen Kunst wurden die aus Blumen bestehenden Ornamente
auch conventioneil behandelt, und sie verrathen durchaus kein Streben auf unmittelbare Nachahmung
der Natur; als jedoch die Kunst in Verfall gerieth, nahm auch die idealische Behandlung ab, und der Ver -
such nachzubilden wurde viel deutlicher.
Dasselbe bemerkt man in der Glasmalerei, in welcher sowohl die Figuren als die Ornamente zuerst
conventionell behandelt wurden; aber mit dem Verfall der Kunst fing man an, die Figuren und den Falten -
wurf, die doch zur Durchlassung des Lichts bestimmt waren, mit Schattirungen und Schatten zu versehen.
In den frühen illuminirten Manuscripten waren die Ornamente conventionell, und die Illuminationen in
flachen Tinten ausgeführt, mit geringer Schattirung und ganz ohne Schatten, während in den späteren Ma -
nuscripten die Ornamente aus natürlichen Blumen bestanden, die ihren Schatten aufs Blatte verbreiteten.
UEBER DAS COLORIT DER MAURISCHEN ORNAMENTE.
Wenn wir das von den Mauren befolgte System des Colorits betrachten, finden wir, dass sie in der Farbe
sowohl als in der Form gewisse festgesetzte Principien befolgten, die aus der Beobachtung der Naturgesetze
hergeleitet wurden, und die sie mit allen den Nationen gemein hatten, welche die Künste mit Erfolg ausge -
übt haben. Dieselben Principien herrschen in allen den archaischen Stylarten die während der Epochen
des Glaubens ausgeübt wurden, und obschon man in allen diesen Stylarten hie und da einen Localanstrich
und temporären Charakter trifft, so findet man ebenfalls in allen Vieles, was ewig und unabänderlich ist:
dieselben grossen Ideen in verschiedene Formen einverleibt und, so zu sagen, in verschiedenen Sprachen
ausgedrückt. *
10. Die Alten gebrauchten die Farbe immer als Gekülfin zur Entwickelung der Form, und bedienten
sich derselben als Mittel zur Hervorhebung der constructionellen Formen eines Gebäudes.
In der ägyptischen Säule, in welcher die Basis die Wurzel — der Schaft, den Stiel das Kapital, die
Knospen und die Blumen des Lotos oder des Papyrus vorstellten, waren die verschiedenen Farben immer
derart ano-ewendet, dass sie der Säule einen grossem Anschein von Stärke verliehen, und die Contouren der
verschiedenen Linien in vollerer Entwickelung hervortreten Hessen.
Im gothischen Style ebenfalls, bediente man sich der Farbe als Gehülfin zur Entwickelung der Form
des Felder- und Masswerkes, und zwar mit einer Wirkung von der man sich heut zu Tage, heim farhelosen
71
MAURISCHE ORNAMENTE.
Zustand der gegenwärtigen Bauten, kaum einen Begriff zu macken vermag. An den schlanken Schäften
der hohen gothischen Gebäude waren aufwärts laufende spiralförmige Farbenlinien angebracht, die
den Säulen einen noch grossem Anschein der Höhe verliehen, und zugleich deren Gestalt deutlicher
entwickelten.
Ebenso wurden in der morgenländischen Kunst die baulichen Linien mittelst Farben klarer bestimmt,
deren verständige Anwendung nie verfehlte den damit versehenen Gegenständen einen grossem Anschein
der Höhe, der Länge, der Breite oder des Umfanges zu verleihen, und überdies in den Reliefverzierungen
immer neue Formen entwickelte, welche ohne die Farben gar nicht zum Vorschein gekommen wären.
Uebrigens haben die Künstler hierin sich nur von der Natur leiten lassen, in deren Werken jeder Ueber-
gang der Form zugleich durch eine Modification der Farbe bezeichnet wird, die darauf berechnet ist, eine
klare Deutlichkeit des Ausdrucks hervorzubringen. So werden mittelst der Farbe die Blumen von den
Blättern und Stielen, und diese letztem ihrerseits von der Erde, aus welcher sie entspriessen, abgeschieden.
In der menschlichen Figur ebenfalls macht sich bei jeder Formveränderung auch eine Veränderung in der
Farbe bemerklich: die Farbe der Haare, der Augen, der Augenlieder und der Augenwimpern, die Blut -
farbe der Lippen, die blühende Röthe der Wangen tragen alle dazu bei, Deutlichkeit hervorzubringen, und
die Form klarer und augenscheinlicher hervortreten zu lassen. Jedermann weiss wie sehr die Abwesenheit
dieser Farben, oder die etwa durch Krankheit bewirkte Schwächung derselben dazu beitragt, den GesicliU-
zügen ihre natürliche Bedeutung und ihren Ausdruck zu benehmen.
Hätte die Natur allen Gegenständen nur eine einzige Farbe verliehen, so wären die formen derselben
ebenso undeutlich als ihr Ansehen einförmig erscheinen müsste, während die grenzenlose Mannigfaltigkeit
der sie bezeichnenden Tinten, ihren Modellirungen Vollkommenheit verleihet, und ihre Umrisse klar
bestimmt; die keusche Lilie wird ebenso deutlich von den Blättern abgeschieden, aus denen sie entspringt
als die glorreiche Sonne, die Urheberin aller Farben, vom Firmament in welchem sie glänzt, abge -
sondert ist.
11. Die Farben, welche die Mauren bei ihren Stuck-Arbeiten anwendeten, waren, in allen Fällen, die
Grundfarben Blau, Roth und Gelb (Gold). Die secundären Farben Purpur, Grün und Orange, finden
sich nur auf den Mosaik-Würfeln, wo sie natürlich dem Gesichtskreis näher standen, und daher dem
Auge einen Ruhepunkt darboten, zur Erholung von den glänzendem Farben die höher oben angebracht
waren. Zwar ist heut zu Tage die Grundfarbe vieler maurischen Ornamente grün; aber bei genauer
Untersuchung findet man, dass die ursprünglich angewendete Farbe blau war, die aber als eine Metallfarbe
mit der Zeit grün geworden ist, Die kleinen Theilchen von Blau die überall in den Spalten vorhanden
sind, beweisen dies aufs klarste; auch geschah es, während der auf Befehl der katholischen Könige unter -
nommenen Restaurationen, dass der Grund der Ornamente mit Grün und auch mit Purpur übermalt
wurde. Es muss hier bemerkt werden, dass, bei den Aegyptern, den Griechen, den Arabern und den
Mauren, in den frühesten Perioden der Kunst, die Grundfarben allgemein, ja fast ausschliesslich, gebraucht
wurden; während, in den Epochen des Verfalls, die secundären Farben eine wichtigere Stelle einzunehmen
anfingen. So finden wir, dass in den pharaonischen Tempeln Aegyptens die Grundfarben, in den ptolomai-
schen aber die secundären Farben die vorherrschendsten sind; ebenso findet man in den frühen griechischen
Tempeln die Grundfarben, während zu Pompeji jede mögliche Varietät der Schattirung und des Tons im
Gebrauch war.
Im modernen Kairo, und im Morgenland im Allgemeinen, sieht man allenthalben Grün neben Roth,
WiO man in den frühem Zeiten gewiss Blau angewendet haben würde.
Dasselbe ist der .Fall mit den Arbeiten des Mittelalters. In den frühen Manuscripten und in der Glas -
malerei, gebrauchte man hauptsächlich die Grundfarben, ohne jedoch die andern färben gänzlich ais
schliessen; während in spätem Zeiten alle mögliche Varietäten der Schattirungen und der Tinten Vorkom -
men, die jedoch nur selten mit demselben glücklichen Erfolg angewendet wurden.
72
MAURISCHE ORNAMENTE.
12. Im Allgemeinen wurden bei den Mauren die Grundfarben auf den obern Theilen der Gegen -
stände gebraucht, die secundären und tertiären auf den untern. Dieses scheint übrigens ganz im Ein -
klang mit dem herrschenden Gesetze der Natur, wo man Blau, die Grundfarbe, am Himmel, das secundäre
Grün an den Bäumen und auf den Feldern, und endlich die tertiären Farben unten auf der Erde findet;
so verhält es sich auch mit den Blumen, wo die Grundfarben sich gewöhnlich an den Knospen und Blumen
zeigen, und die secundären an den Blättern und Stendeln.
Diese Regel wurde von den Alten während der besten Kunstperioden stets beobachtet, Doch sieht man
zuweilen in Aegypten das secundäre Grün an den obern Theilen der Tempel, dies hat aber seinen Grund
dann, dass die ägyptischen Ornamente symbolisch waren, wenn es also geschah, dass ein Lotosblatt am
obern Theil eines Gebäudes angebracht werden sollte, so musste es nothwendigerweise grün gefärbt werden.
Das Gesetz also bleibt wahr, und die Ansicht eines ägyptischen Tempels der pharaonischen Periode zeigt
immer die Grundfarben oben und die secundären unten; aber in den Bauten der ptolomäischen Periode und
besonders in der romanischen ist diese Anordnung umgekehrt, und die aus Lotos- und Palmblättern gebil -
deten Kapitale veranlassen einen Ueberfluss von Grün an den obern Theilen der Tempel.
In Pompeji bemerkt man zuweilen im Innern der Häuser eine Abstufung der Farben, die von oben
nach unten allmälig vom Hellen ins Dunkle übergehen, um endlich in Schwarz zu enden, doch ist dies
keineswegs so allgemein, dass man es als ein daselbst herrschendes Gesetz betrachten könnte; und wir
haben schon im Capital V. gezeigt, dass es Beispiele giebt, wo das Schwarz in pompejischen Häusern un -
mittelbar unter der Decke sich befindet.
13. Zwar sind die Ornamente, die sich im Alhambra befinden, und die des Löwenhofes insbesondere,
gegenwärtig mit mehreren dünnen Schichten von Tünche belegt, mit denen sie zu verschiedenen Epochen
überstrichen wurden, aber dessenungeachtet können wir behaupten, dass wir die beste Autorität zur Recht -
fertigung des in unserer Reproduction gegebenen Colorits haben; denn erstens darf man, an so manchen
Stellen in den Zwischenräumen der Ornamente, nur die Kalktünche abschälen, um die ursprüngliche Farbe
zu entdecken; überdies beruhete das im Alhambra angewendete Colorit auf einem so vollkommenen
System, dass jeder der diesem System nachgeforscht und es vollkommen studirt hat, beim ersten Anblick
eines weiss angestrichenen maurischen Ornaments, ohne Anstand und mit Bestimmtheit die Farbe angeben
kann, mit der es ursprünglich geschmückt war. Auch wurde gleich beim Entwurf der architektonischen
Formen, das nachherige Colorit mit so richtiger Genauigkeit in Betracht gezogen, dass es schon aus dem
Anblick der Oberflächen erhellen muss was für Färbung sie empfangen sollten. So oft die Mauren Blau,
Roth und Gold anwendeten, sorgten sie immer dafür, dass diese Farben an Stellen angebracht wurden, wo
sie selbst aufs vortheilhafteste erscheinen und auch zum allgemeinen Effect am meisten beitragen mussten.
Bei der Ausschmückung modellirter Oberflächen gebrauchten sie Roth, die stärkste unter den drei
Farben, in den Vertiefungen, wo sie vom Schatten etwas gemildert werden konnte, aber nie auf der Ober -
fläche ; Blau im Schatten, und Gold an allen dem Lichte ausgesetzten Oberflächen, und es unterliegt
keinem Zweifel, dass diese Anordmmg allein, einer jeden Farbe ihre gehörige Gültigkeit verleihen konnte.
Die verschiedenen Farben wurden entweder mittelst weisser Bänder, oder durch den vom Relief des Orna -
mentes gebildeten Schatten selbst, von einander abgesondert—denn es ist unumgänglich nothwendig beim
Colorit das Principium zu beachten, dass die Farben in keinem Felle mit einander zusammenstossen
dürfen.
Unter den Grundfarben der verschiedenen Buntmuster nimmt das Blau immer den grössten Flächen -
raum ein, welches ganz mit der Theorie der Optik im Einklang ist, sowohl als mit den Ergebnissen der mit
dem prismatischen Farbenbild angestellten Experimente. Die Lichtstrahlen neutralisiren sich, wie es
heisst, im Verhältnisse von 3 Gelb, 5 Roth und 8 Blau; es ist also nothwendig, dass die Quantität der
blauen Farbe der der rothen und gelben Farben zusammen genommen, gleich komme, wenn man einen
harmonischen Effect erzielen und verhüten will, dass irgend eine Farbe die andern zwei überstrahle. Da
73
u
MAURISCHE ORNAMENTE.
im Alhambra, anstatt Gelb, Gold gebraucht wurde, welches auf eia röthliches Gelb hinspielt, so musste die
Quantität der blauen Farbe noch ferner vergrössert werden, um die Tendenz der rothen Farbe, die andern
Farben zu überwältigen, gehörig aufzuwiegen.
VEBSCHLUNGENE MUSTER.
Wir haben schon im Capitel IV. darauf hingedeutet, dass man die Spur der ungeheuem Mannichfaltig-
heifc jener maurischen Ornamente, die aus gleich entfernten sich durchschneidenden Linien gebildet werden,
deutlich durch den arabischen Zinnfries bis zum griechischen Mäander hinauf verfolgen könne. Die
Ornamente der Tafel XXXIX. beruhen, in ihrer Construetion, auf zwei Principien : nämlich dm Nummern
1-12 16-18 sind nach dem einen Principium entworfen (Abriss No. 1); No. 14 aber nach dem zweiten
(Abriss No. 2). In den erstem sind die Linien gleich entfernt, und auf jedem Viereck von horizontalen
und senkrechten Linien in schräger Richtung durchkreuzt. Das System aber, auf welchem No. 14 gegrün -
det ist, besteht darin, dass die senkrechten und horizontalen Linien gleich entfernt sind, und dass die
Abriss No. i.
Abriss No.. 2.
disrenalen Linien nur jedes zweite Viereck durchkreuzen. Die Anzahl von Mustern, die sich mittelst dreier
leiden Systeme e,sengen lässt, ist ungeheuer, und durch die Färbung,weise des Grundes und der Lünen auf
den Oberflächen, kann diese Varietät noch ferner bis in. Unendliche vermehrt werden, wre aus Tafel XU X.
„ OT6h „n ist Allen den Mustern, die wi, reproducirt haben, könnte man ein ganz versch.edenes Anseben
verleihen, wenn man die verschiedenen Ketten oder andere allgemeine Massen m denselben mehr her-
vorhöbe.
RAUTENFOERMIGE BUNTMUSTER.
Der allgemeine Effect der Tafeln XLI. und XLI*, rechtfertigt, nach unserer Ansicht, auf,
de. Anspruch de, Ueberlegenheit, den wir den Ornamenten der Mauren eingeräumt haben. 0&*.
nur aus drei Farben bestehen, sind diese Tafeln doch harmonischer und effectreicher als alle die «ta»
dieser Sammlung, und besitze» einen eigenthflmlieben Kern, den man in keinem der andern Muster
Werkes antrifft. Die verschiedene» Principien die wir verfochten haben, nämlich dre im Entwmfe
sehende constructive Idee, das, jede Hauptlinie auf einer andern derselben Art ruhe, der allma .ge I
gang von einer krummen Linie zur andern, das Entspriessen der Ornamente ans einem i u er. '
Fortführung einer jeden Blume bis an ihren Zweig und ihre Wurzel, die Ahtheilung unc n ouv
der allgemeinen. Linien, alle diese Charakterziige offenbaren sieh deutlich in jedem einzelnen m
Tafeln enthaltenen Ornamente.
74
MAURISCHE ORNAMENTE.
viereckige buntmuster.
Das Ornament No. 1, Tafel XLII., liefert ein gntes Beispiel des von uns verfochtenen Principiums, dass es
in jeder Composition nothwendig sei, um den Eindruck der Ruhe hervorzubringen, dass die geraden, krum -
men, und geneigten Linien sich gegenseitig balanciren. Man sieht daselbst Linien, die sich in horizontaler,
in senkrechter und in schräger Richtung bewegen, und ihrerseits wieder, mittelst Kreise die in entgegenge -
setzter Richtung laufen, im Gleichgewicht gehalten werden. Auf diese Weise wird die vollkommenste
Ruhe erzielt, indem die Tendenz des Auges in einer Richtung fortzulaufen, sogleich durch Linien einer
entgegengesetzten Richtung gehemmt wird, so dass das Auge auf jedem Punkte des Musters, worauf es
fallt, zu verweilen geneigt ist. Der blaue Grund der Inschriften und der verzierten Felder und Central -
stücke, der mittelst der blauen Feder auf rothem Grunde durchgeführt ist, bringt einen eben so heitern
als glänzenden Effect hervor.
Die Hauptlinien der Ornamente 2-4, Tafeln XLII. und XLII*. verrathen dieselbe Bildungsweise als die
verschlungenen Ornamente der Tafel XXXIX. In den Nummern 2 und 4 entsteht die im Muster wahr -
nehmbare Ruhe aus der Anordnung des colorirten Grundes, und die Anordnung der Farben hat zugleich
die Bildung eines neuen Musters zur Folge, ganz abgesehen vom Muster, welches aus dem Entwurf der
Form entsteht.
Das Muster No. 6, Tafel XLIIj\, stellt einen Theil einer Zimmerdecke vor, wüe man deren viele im
Alhambra findet: sie werden mittelst der Abtheilungen der Kreise hervorgebracht die von durchschneidenden
Vierecken durchkreuzt werden. Dasselbe Principium offenbart sich in der Copie des illuminirten Korans,
Tafel XXXIV., und findet sich auch sehr häufig an den Zimmerdecken arabischer Häuser.
Das Ornament No. 5, Tafel XLIIf., ist bemerkenswerth wegen seiner ausserordentlichen Zartheit sowohl,
als wegen des sinnreichen Systems nach welchem es construirt ist. Die verschiedenen Theile, aus welchem
es besteht, sind einander ähnlich, und verkünden daher eines der wichtigsten Principien der maurischen
Zeichenkunst — ein Principium, das vielleicht mehr als jedes andere zum allgemeinen glücklichen Erfolg
dieser Kunst beitrug, und welches darin bestand, die herrlichsten und verwickeltsten Effecte durch das
Wiederholen einiger einfachen Elemente hervorzubringen.
Die Ornamentation der Mauren beruht übrigens auf einer geometrischen Construction, so sehr verhehlt
auch diese sein mag. Dass die Mauren eine besondere Vorliebe zu geometrischen Formen hatten, erhellt
schon aus der so häufigen Anwendung von Mosaiken in ihren Verzierungen, da diese \ erzierungsweise ihrer
Fantasie freien Spielraum gewährte. Die Muster der Tafel XLIII. scheinen zwar sehr verwickelt, sind
aber ganz einfach, wenn man einmal das ihnen zu Grunde liegende Principium versteht: sie entstanden alle
aus gleichfernen Linien, die sich, um einen fixen Mittelpunkt her, gegenseitig durchschneiden. No. 8 ver -
dankt seine Construction dem Principium, welches in dem auf der andern Seite eingeschalteten Abriss vor -
herrscht, ein Princip, welches die grösste Mannichfaltigkeit von Motiven erzeugt, und man kann mit Recht
behaupten, dass die von diesem System abzuleitenden geometrischen Combinationen ins Unendliche gehen.
MORESQLIE N° I
HAURESQUES
PL XXXIX
TAFEL XXXIX
MQRESQUE N° 2
MAURE S QU
MAURiS
TAFEL XL
MAURISCH.
TAFEL .XU.
PL, XII
MORESQUE N° 3*
MAURESQUES.
PL XU *
MALIRIS-CH
’MORESQIf E N°4
mäuresques
PL XUI.
maurisch
MORESQUE M° 5. ■ mauresques
PL XUU I
W£L XUI1
K+++i
H+++1
Ih.
Capitel XI.—Tafeln 44, 45, 46, 47, 47*, 48.
PERSISCHE ORNAMENTE.
TAFELN xliy., xlv., xlyi.
Ornamente von persischen Manuscripten im brittischen Museum.
TAFEL XLYII., XLVII*.
Aus dem Musterbuch eines persischen Fabrikanten, South Kensington Museum.
TAFEL XLYIII.
Von einem persischen Manuscript, South Kensington Museum.
n» man aus den von Flamdin und Costa in ihrem Werke “Voyages en Perse,” gegebenen
irtheilen darf, so hat die muhammedänisclie Architektur in Persien me die Vo -ommen ei err ,
dc„ in den arabischen Oebäude« vo» Kairo knnd tbnt. Zwar besitzen die P ers„ehe„ Ernte* »
[lauptzügen ein grossartige, Ansehen, aber die Contonre» sind nicht so rein und die sonst,»ctiven The*
verrathen einen Mangel an Elegant de, besonder, hervortritt, wenn man sie mit denen von Kairo verg eie i .
Das persische Ornamentationesystem scheint «ns ebenfalls minder geläutert als das arabl.c re o ei as -
rische Eie Perser unterschieden sich von den Arabern und den Mauren dann, dass e, ihnen frei stand
Thierfiguren in ihre Verzierungen aufzunehme», und diese Beimischung von verschiedene,,, dem Leben
entnommenen Segen,landen musste die HM ihre, Verzierungsstyle, beeinträchtigen. Die Araber und
die Mauren hingegen hatten keine andere Quelle zur Ausschmückung ihrer Bauten als Ornamente un
Inschriften, daher diese, als die einzigen Mittel der Verzierung, eine grössere Wichtigkeit erhielten und eine
höhen, Punkt der Ausarbeitung erreichten. Die persischen Ornamente geboren einem gemischten , y ,
denn'mit der conventioneilen Behandlung, die der arabischen ähnlich ist, und wohl auch desselben Ursprung
sein man, vereinen sie ein Streben zur Nachahmung der Natur, dessen Einlluss sich übrigen, zuweilen auch
“den arabischen und maurischen Stylarten, und selbst im Alhambra, fühlbar macht. Die illumimrten
X 17
PERSISCHE ORNAMENTE.
Ar • in Persien mit ganz besonderer Sorgfalt behandelt wurden, und daher ohne Zweifel einen
T“ m Absatz in alte» muhammedanischen Landen, finden mussten, tonnten nicht verfehlen dtesen
zu vethteiten. Die Verzierung dev Häuser von Kaivo „nd Damaskus,.»! hes^n-
dr^ MoschL und Brunne» zu Const.ntinopel, verrathen diesen gemischten Styl, und man sreht
1, th IV,en Gruppe« von natürlichen Blumen ans einer Vase entspriessend. und von Pelden, umschlossen,
dj^mit conventionellen arabischen Verzierungen geschmückt sind. In den modernen Ornamenten Ind.ens
■ob ebenfalls dieser allgegenwärtige Einfluss des persischen gemischten Styles. In dem Euc
dicke", vomlndiaHouse (Tafeln Litt und LIV.), haben wi, ein Beispiel davon' ^
des Deckels ist auf rein arabische Weise behandelt, während das Innere desselben ( ■) g
^ dL":“^IV„ verschiedenen im brittische» Museum befindlichen, illuminirten Manu-
serfpl Zmmet verr.tken ebenfalls diesen gemischten Charakter. Die geometrischen Muster geboren
zu den rein conventionellen Verzierungen «nd haben eine starke Aelmhchke.t mit den «* ■“ ® “
ten denen sie jedoch, hinsichtlich der Eintheilung, nachstehen. D,e Nummern 1-10 aber smd
Hintergrund verschiedener Gemälde entnommen, und stellen Tapeten an Wänden vor; sie «in
elegant und die Massen contrastiren trefflich mit dem Grunde.
°Die Muster der Tafel XLV. stellen meistens Fussböden und Würfel vor, un waren wa rsc un
Schmuck der glasirten Ziegel bestimmt, die bei den Persern so allgemein im Gebrauch waren Sie
"der V—g der Form, so wie in der Anordnung der Farben, eine bedeutende nfenontat im
Vergleich mit den arabischen und maurischen Mosaiken. In allen hier reproducirten persischen Orna -
ten sind die secundären und tertiären Farben viel vorherrschender als m den arabischen Tafel XX )
oder in den maurischen, wo Blau, Roth und Gold vorherrschen, wodurch, wie man beim ersten
bemerkt der harmonische Effect bedeutend erhöht wird.
Die Ornamente der Tafel XLVI., haben eine viel grössere Aehnlichkeit mit den arab.sc en '
Di. Nummern 7 16 17, 21, 23-25 kommen sehr allgemein in den pers,sehen Manuscr.pten, als T
Vignetten am Anfang der verschiedenen Capitel, vor, zeigen aber, so zahlreich sie auch smd, sehr wenig
Mannichfeltigkeit. In den Hanptlinien ans welchen die Ornamente «Mt *>»<1. » ™ V "T
"ömamentsoherflächen selbst, bemerkt man eine grosse AehMichkeit
ten°(T«fel XXXIV.); die Massen aber sind bei weitem nicht so gleichförm.g verthe.lt; obgleich
einem im Museum zu South Kensington befindlichen merk-
mittelalterlichen Schule zuweilen der Fall ist, sonst ziehen sie sich denselben Tadel - ““
Papier-Tapeten und die Teppiche der neuern Zeit so reichlich vetdienen. as rna jenen
der Tafel XLVIII., welches das Titelblatt sowohl als die Ränder im Innern des Buches bildet, _ J
gemischten Styl, in welchem die reinen Ornamente mit der verzierungsartigen Daiste ung na u
Formen verbunden sind. Dieser gemischte Styl ist ein eigentümlicher Charakterzug pem.srfmnO^
mente, die nach unserem Erachten, eben desshalb den arabischen und maurischen
nachstehen.
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PERSIÄN N° 5
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TAFEL XLYHI
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Capitel XII.—Tafeln 49, 50, 51, 52, 53, 53* 54, 54», 55.
INDISCHE ORNAMENTE
VON DEN AUSSTELLUNGEN IN DEN JAHREN 1851 UND
1855.
TAFEL XLIX.
Ornamente von Metallarbeiten, die während der Ausstellung von 1851 in der indischen Sammlung zu sehen waren.
TAFELN L., LI., LII.
Ornamente von gestickten und gewobenen Zeugen, und gemalte Verzierungen von Vasen, die während der Austeilung von
der indischen Sammlung zu sehen waren, und die sich jetzt im Museum zu South Kensington befinden
TAFELN LIII., Lin*., LIY., LIV*.
Muster von gemalten Lackarbeiten, aus der im India House befindlichen Sammlung.
TAFEL LY.
Ornamente von gewobenen und gestickten Zeugen, und von gemalten Kästchen, die während der Ausstellung
von 1855, zu Paris, in der indischen Sammlung zu sehen waren.
Kaum war die Ausstellung der Werke des Gewerbfleisses aller Nationen, in 1851, eröffnet worden, als
schon &e prachtvolle Sammlung von Indien, die Aufmerksamkeit des Publicums in Anspruch nahm.
Während in allen übrigen Departementen eine allgemeine Verwirrung in der Anwendung der Kunst
auf die Gewerberzeugnisse sich verkündete, offenbarte sich in den Werken von Indien, sowohl als in denen
der übrigen muhammedanischen Länder—wie Tunis, Aegypten und die Türkei — welche in der Ausstellung
figurirten, ein harmonischer Einklang in der Zeichnung, eine sinnreiche Fähigkeit in der Anwendung der-
selben, eine elegante und verfeinerte Ausführung, die die Aufmerksamkeit der Künstler, der Fabrikanten
und des Publicums im Allgemeinen, im höchsten Grade anregten, und nicht verfehlen konnten, nützliche
Früchte zu tragen.
Ml
INDISCHE ORNAMENTE.
In den Werken der verschiedenen, in der Ausstellung repräsentirten europäischen Nationen suchte man
vergebens irgend ein allgemeines Principium in der Anwendung der Kunst auf die Gewerbserzeugnisse:
von einem Ende des ausgedehnten G-ebäudes bis zum andern fand man nichts als ein fruchtloses Streben
etwas Neues hervorzubringen, ohne alle Eücksicht auf die erforderliche Angemessenheit. Der Entwurf der
Zeichnungen beruhete auf einem System der Nachahmung und der verkehrten Anwendung der Schönheits -
formen aller möglichen veralteten Kunststylarten vergangener Zeitperioden, und nirgends äusserte sich
das geringste Bestreben eine Kunst zu schaffen, die mit unsern gegenwärtigen Bedürfnissen und Mitteln
im Einklänge sei; der Steinhauer, der Metallarbeiter, der Weber und der Maler scheinen sich darin gefallen
zu haben, gegenseitig von einander zu borgen, um die den verschiedenen Fächern angehörigen entlehnten
Formen verkehrt anzuwenden. Im Gegensatz zu dieser Verwirrung fand man in den Sammlungen an den
vier Ecken des Kreuzganges, alle die Principien, all den Einklang und die wahre Auffassung die man sonst
überall vermisste: denn diese Sammlungen gehörten Völkern an, deren Kunst mit ihrer Civilisation auf -
gewachsen ist, und, im Verhältniss mit dem Wachsthum derselben, zugenommen hat. Das Band einer und
derselben Beligion, welches diese Nationen vereint, hat ihrer Kunst auch das Gepräge eines allgemeinen
verwandten Eindrucks verliehen, obgleich dieser Eindruck sich auf verschiedene Weise kund thut, in Folge
des verschiedenen Einflusses der sich bei jeder einzelnen Nation insbesondere geltend machte. So hält -sich
der Tuniser noch an die Kunst der Mauren, die den Alhambra schufen; die Türken offenbaren dieselbe
Kunst, mit den Modificationen, die durch den verschiedenartigen Charakter der gemischten Völkerschaften
die ihre Herrschaft erkennen, nothwendig veranlasst werden mussten; die Indier vereinen die strengen
Formen der arabischen Kunst mit der verfeinerten Anmuth der Perser.
Alle die Eegeln über die Vertbeilung der Form die sich, wie schon bemerkt, in den arabischen und
maurischen Ornamenten kund thun, finden sich auch in den indischen Erzeugnissen. In allen Werken der
Indier, von den prächtigsten Stickereien und den künstlich ausgearbeiteten Erzeugnissen des Webstuhls ab -
wärts bis zum geringfügigsten Spielzeug oder irdenem Gefass, offenbaren sich, in der Construction wie in
der Verzierung, dieselben Grundprincipien—'überall zeigt sich dieselbe Sorgfalt im Entwurf der allgemeinen
Form, man findet weder Auswürfe noch überflüssige Verzierungen, man sieht nichts das zwecklos ist, oder
entfernt werden könnte ohne Nachtheil für die Compostion. Dieselbe Abtheilung und Unterabtheilung der
Form, welche den maurischen Ornamenten solchen Eeiz verleihet, ist auch hier bemerkbar; denn der Unter -
schied, welchen die Verschiedenheit des Styls veranlasst, liegt nicht im Principium, sondern in der Ver -
schiedenheit des individuellen Ausdrucks. Im indischen Style sind die Ornamente freier, fliessender, und
minder conventionell, und verrathen deutlicher den unmittelbaren persischen Einfluss.
Die Ornamente der Tafel XLIX. sind meistens den sogenannten indischen Hukhas entnommen, die in
grosser Menge und Varietät in der Ausstellung von 1851 zu sehen waren, und die sich insgesammt durch
höchste elegante Contouren auszeichneten, wie auch durch die sinnreiche Behandlung der Verzierung der
Oberflächen, indem jedes Ornament dazu beitrug, die allgemeine Form vollständiger zu entwickeln.
Diese Ornamente sind, wie man ersehen kann, von zweierlei Art — die einen sind streng architektonisch
und conventionell, und bloss im Abriss dargestellt, wie No. 1, 4, 5, 6, 8 ; die andern verrathen schon mehr
das Streben der directen Nachahmung der Natur, wie No. 13, 14, 15. Diese letztem bieten uns eine höchst
schätzbare Belehrung dar, indem sie beweisen, wie unnütz es sei, in der Verzierung mehr zu thun als die
allgemeine Idee einer Blume anzugeben. Die sinnreiche Behandlung der in No. 25 gegebenen Blume in
voller Blüthe, die Darstellung derselben Blume in drei verschiedenen Stellungen, No. 14 und 15, und das
rückwärts umgeschlagene Blatt, No. 20, sind merkwürdig und voll Bedeutung. Die Absicht des Künstlers
ist auf eine ebenso einfache als zierliche Weise deutlich ausgedrückt. Die Einheit der Oberfläche des
verzierten Gegenstandes wird nicht beeinträchtigt, wie sie es bei der europäischen Behandlung der Blumen -
verzierung unfehlbar sein würde, wo man sich darauf verlegt, die Blumen mit Schattirungen und Schatten zu
versehen, und sie, wo möglich, der natürlichen Blume so ähnlich zu machen, dass man sich versucht fühlt
80
INDISCHE ORNAMENTE.
sie abpflücken zu wollen. In den persischen Ornamenten, Tafel XL VI Isind die Blumen auf eine ähnliche
conventioneile Weise behandelt, welches beweist, dass der persische Einfluss eine bedeutende Wirkung auf
die indische Behandlungsart der Blumenverzierung ausübte.
Die richtigste Beurtheilungskraft äussert sich auch immer in der verständigen Anwendung der verschie -
denartigen Ornamente auf die verschiedenen Theile des zu verzierenden Gegenstandes, indem das Ornament
immer im besten Einklang ist mit der Stellung die es einnimmt. An dem schmalen Hals der Hukhas sind
hängende kleine Blümchen angebracht, während die schwellende Form and die Basis des Gefässes mit
grossem Mustern verziert ist; am untern Rande desselben sieht man Ornamente die eine aufwärts strebende
Tendenz haben, aber zugleich eine ununterbrochene Linie um das Gefäss bilden, damit das Auge nicht von der
Richtung der Gestalt abgeleitet werde. Die fliessenden schmalen Ränder, wie in No. 24, finden sich immer
mittelst anderer Linien contrastirt, die sich in einer entgegengesetzten Richtung bewegen; und unter allen
Umständen ist dafür gesorgt, dass der Eindruck der Ruhe in der Verzierung nicht gestört werde.
In der gleichen Vertheilung der Verzierung der Oberflächen auf dem Grunde offenbaren die Indier
einen merkwürdigen Instinkt und eine Vollkommenheit der Zeichnung die ans Wunderbare grenzt. Das
Ornament No. 1, Tafel L., von einer gestickten Satteldecke, erregte in der Ausstellung von 1851 allgemeine
Bewunderung. Das ebenmässige Gleichgewicht das zwischen der Goldstickerei und dem grünen und
rothen Grund herrschte, war so vollkommen, dass keine europäische Hand im Stande war, dasselbe Eben-
mass und denselben vollkommenen Einklang der Form und der Farbe im Copiren hervorzubringen. Die
Indier verstehen die Kunst die Farben auf ihren gewobenen Zeugen derart auszubreiten und zu verschmel -
zen, dass die colorirten Gegenstände, aus der Entfernung angesehen, einen neutralisirten Farbenglanz dar -
stellen, ein Resultat das die indischen Künstler immer zu erzielen suchen. Um die gehörige Grenze des
Raumes auf den Tafeln nicht zu überschreiten, haben wir die Anzahl der Darstellungen natürlich beschrän -
ken müssen, so dass wir nicht immer das gehörige Gleichgewicht der Farben hervorzubringen vermochten.
Doch können alle diejenigen, die in der Anfertigung gewobener Zeuge betheiligt sind, die indische Samm -
lung im Museum zu South Kensington mit Nutzen studiren. In dieser Sammlung sieht man die glänzend -
sten Farben aufs harmonischste miteinander verschmolzen, ohne dass sich der geringste Mission entdecken
liesse. In allen Mustern offenbart sich bei der Massenvertheilung der Ornamente die genaueste Angemes -
senheit zur Farbe des Grundes: einer jeden Farbe oder Tinte, von den blässesten und mattesten Schatti-
rungen bis zu den tiefsten und glänzendsten, wird genau der Betrag von Verzierung zugemessen, den sie zu
tragen geeignet ist.
Folgende Regeln, die auf alle gewobene Zeuge anwendbar sind, machen sich in den indischen Mustern
bemerklich:
1. So oft Goldornamente auf farbigem Grund gebraucht werden, zeigt sich der Grund immer am dun -
kelsten an den Stellen, wo das Gold in grossen Massen angewendet ist, wo aber das Gold spärlicher gebraucht
wird, ist auch der Grund heller und zarter.
2. Wenn auf farbigem Grunde ein Goldomament allein steht, so wird die Farbe des Grundes in dasselbe
geleitet, mittelst Verzierungen oder Schrafürungen, die durch das Gold selbst in den Grund hineingear -
beitet werden.
3. Wenn farbige Ornamente auf einem Grunde von contrastirender Farbe sich befinden, so ist das
Ornamente mittelst eines Randes von hellerer Farbe vom Grunde abgesondert, um einem zu grellen Contrast
vorzubeugen.
4. Wenn hingegen farbige Ornamente auf einem Goldgründe angebracht sind, so ist das Ornament
mittelst eines Randes von dunklerer Farbe vom Grunde abgesondert, damit das Gold das Ornament nicht
überwältige.— Viele No. 10, Tafel L.
5. In andern Fällen aber, wo verschiedene Farben auf farbigem Grund gebraucht werden, ist das
Ornament mittelst Contouren von Gold, Silber oder auch von weisser oder gelber Seide vom Grunde abge -
sondert, wodurch dem Ganzen durchgehends derselbe Generalton verliehen wird.
y
81
INDISCHE ORNAMENTE.
In Teppichen und in Farbencombinationen von matterem Ton werden allgemein schwarze Contouren
zu diesem Zwecke angewendet.
Was die Indier immer, und in gewobenen Zeugen insbesondere, als Hauptzweck vor Augen zu haben
scheinen, ist: dass jedes Ornament sanft, nicht grell definirt erscheine; dass colorirte Gegenstände aus der
Entfernung angesehen einen neutralisirten Blüthenglanz darstellen; dass, bei jedem Schritt näher, neue
Schönheiten zum Vorschein kommen; und dass, bei ganz naher Besichtigung erst, die Mittel hervortreten
sollen, durch welche der Effect erzeugt worden ist.
Hierin befolgen sie übrigens nur die Principien der Verzierung der Oberflächen, die sich in der Archi -
tektur der Araber und der Mauren kund geben. Der Zwickel eines maurischen Bogens und ein indischer
Shawl beruhen in ihrer Construcfcion auf denselben Principien.
Das Ornament No. 3, Tafel LIII., einem im India House befindlichen Buchdeckel entnommen, ist ein
prächtiges Muster gemalter Verzierung. Das Ebenmass der Hauptlinien des Musters, die verständige Ver-
theilung der Blumen über die ganze Oberfläche, und der ununterbrochene Zusammenhang der Linien der
Stämme, trotz der verwickelten Verschlingungen derselben, stellen dieses Ornament weit über jedes europäische
Werk derselben Art. An der innern Seite desselben Deckels, No. 2, Tafel LIV., verrathen die Ornamente
zwar eine minder conventioneile Behandlung, hingegen ist die äusserste Grenze in der Behandlung der
Blumen auf flacher Oberfläche, mit einer Genauigkeit beobachtet, die Staunen erregt. Dieser Buchdeckel
bietet uns das Muster zweier abgesonderten Stylarten zugleich dar, indem die Aussenseite, Tafel LIII., auf
arabische, und das Innere auf persische Weise behandelt ist.
INDISCH
INDIAN N° I
INDIENS
PL.XLIX
20
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Capitel XIII.—Tafeln 56, 57, 58.
ORNAMENTE DER HINDUS.
TAFEL LYI.
Ornamente einer Bildsäule von Basalt, im Hause der Royal Asiatic Society.
TAFEL LVII.
1. Birmanisches Ornament von Glas.—Crystal Palace.
2. Birmanischer Schrein.—0. P.
3. Birmanische Fahne.—0. P.
4-6. Yom birmanischen Schrein.—C. P.
7-10,12-17. Ornamente aus den Copien der Gemälde an
den Wänden der Grotten zu Ajunta.—Crystal
Palace.
11. Birmanisch, von einem Kloster bei Rom.—C. P.
TAFEL LVIII.
1 Birmanisch.—East India House.
2-3. Birmanischer Schrein.—Crystal Palace.
4. Birmanischer vergoldeter Kasten..—C. P.
5. Hinduisch.—United Service Museum.
6-9. Hinduische Ornamente.—E. I. H.
10. Birmanisch.—0. P.
11. Hinduisch..—U. S. M.
12. Birmanisch.—Brittisches Museum.
13. Hinduisch.—East India House.
14. Hinduisch.—United Service Museum.
15. Hinduisch.—East India House.
16-19, 21. Birmanisch.—Crystal Palace.
20, 22-25. Birmanisch.—United Service Museum.
26. Birmanisch.—Crystal Palace.
Die beschränkten Materalien die uns in England zu-Gebote stehen, haben uns nicht verstattet Illustrationen
in hinlänglicher Quantität zu sammeln, um zu einer gehörigen Würdigung der Beschaffenheit der hindui -
sch en Ornamente zu gelangen.
In allen bisher erschienenen Werken über die alte Architektur der Indier, sind die decorativen Theile
der Gebäude nicht hinlänglich beobachtet worden, um uns in den Stand zu setzen, den wahren Charakter
der Ornamente der Hindus zu erkennen.
In den frühen Werken über die ägyptische Kunst wurden alle die Bildhauerarbeiten und Ornamente so
falsch und unrichtig dargestellt, dass es lange dauerte ehe das europäische Publicum sich überzeugen liess,
dass Anmuth und Verfeinerung in so hohem Grade in den Werken der Aegypter vorhanden seien.
Die nach England geschafften ägyptischen Ueberreste aber, so wie die Abgüsse anderer Ueberbleibsel
83
ORNAMENTE DER HINDUS.
die sieh noch in Aegypten befinden, „nd anch die zuverlässigem, in letzterer Zeit her,usgebenen Darstel -
lungen, haben endlich den hohen Werth ägyptischer Kunst über jeden Zweifel h,»ausgestellt, und derselben
die ihr gebührende Stellung in der Achtung des Publicums emgeraumt.
Etwas ähnliches müsste auch zu Gunsten der alten Architektur von Indien geschehen, und dann erst
wären wir im Stande mit besserer Sachkenntniss zu beurtheilen, ob und me weit diese einen Rang un er
den wirklichen schonen Künsten einzunehmen berechtigt sei, oder ob wir von den Hmdns glauben
müsse», dass sie nicht, verstanden als Steine auf einander zu häufen und sie mit grotesken und barbarischen
Bildhauereien zu verzieren. .... , ..
Wenn wir vom Parthenon, von den Tempeln zu Baibeck und Palmyra nur gemalte Ansichten besassen,
würden wir oh». Zaudern erklären, dass die Römer viel grössere Baukünstler waren .1, die Griechen Aber
die Contouren eines einzigen Gesimses vom Parthenon wurden ohne V eiteres dieses Urthei
laut verkünden, dass das Werk, welches wir betrachten, einer Nation angehört, welche den höchsten Gipfo
der Civilisation und Verfeinerung erreicht hatte.
Obgleich die Verzierung bloss die Gel.ülfin der Baukunst sein soll, und weder den Platz der arc i -
tonischen Bautheile usurpiren noch diese durch üeberladung verdecken darf, so bleibt sie doch, unter allen
Umständen, die belebende Seele eines architektonische» Denkmale,; denn in den Ornamenten allem offen -
bart sieh die Sorgfalt und die Geistesanstrengung, die der Vollendung des Kunstwerkes gewidmet wurde.
Alle baulichen Theile eines Gebäudes können das Ergebnis, des Lineals und des Zirkels sein; m < en er-
zierungen einer Baute allein zeigt- es sich am deutlichsten ob der Architekt auch zugleich ein Künstler war.
Wer den Versuch über die Baukunst der Hindus von Ram Eaz« gelesen hat, kann sich des Gedankens
nicht erwehren, dass die Hindus einen höher» Grad de, Vollkommenheit in der Baukunst erreicht haben
müssen, ,1s die bisher veröffentlichten Werke zu rechtfertige» scheinen. In diesem Werke finden siel, nicht
nur genaue Regeln über die allgemeine Anordnung der Bauten, sondern auch die umständlichste» An -
weisungen zur Abtheilung und Unterabtheilung ein«, jeden Ornamentes.
Eine der von Ram Raz aufgezeichneten Lehren verdient wohl hier angeführt zu werden; »Weh deu -
ten,™, die ei» Hau, bewohnen, welches nicht nach den Verhältnissen der Symmetrie erbauet worden ist.
Daher sollen bei de, Aufführung eines Gebäudes alle einzelne Theile desselben, vom Grunde bis zum Dache
hinauf, gehörig beachtet werden.” . . TT ..... .
Unter den Anweisungen zur Erhaltung des richtigen Ebenmasse, in den verschiedenen Verhältnisse»
der Säulen, Basen und Kapitale, findet sich auch eine Regel, zur gehörigen Verjungung des Obern Durc,-
messers einer Säule im Verhältniss zum untern. . , ,
Ram Raz berichtet, dass die allgemeine, von den Baukünstlern der Hindus befolgte Regel dann bestand,
den Diameter an der Basis der Säule in eben» viele Theile abzutheilen, als es verschiedene Durchmesser m
der ganzen Höhe der Säule gab. Von diesem Theile» wurde immer einer abgezogen, und die übrigen bilde en
den Obern Durchmesser. Die Folge war natürlicherweise, dass eine Säule um so weniger nach oben hm
abnahm, je höher sie war, und dies geschah, weil die Verjüngung des Durchmessers in Säulen destelben
Verhältnisses ohnehin schon um so bedeutender erscheint, je höher die Säule ist.
Die besten Muster der Ornamente der Hindus, die uns zu Gebote standen, haben wir auf Tafel LVI. dar -
gestellt. Diese sind einer Bildsäule der Surga, oder Sonne, entnommen, die sich im Hause der Asiatic Society
befindet, und gehören, wie man glaubt, einer zwischen dem fünften und dem neunten Jahrhundert fa encen
Epoche an. Diese Verzierungen sind meisterhaft ausgeführt, und verrathen unverkennbar griechischen
Einfluss. No. 8 stellt einen Lotos dar, den die Gottheit in der Hand hält; die Blume selbst ist, so zu sagen,
im Abriss vorgestellt, während die Knospen im Seitenaufriss erscheinen.
In den heiligen Büchern die von Ram Raz angeführt werden, befinden sich verschiedene Unterweisungen
zur Verzierung der verschiedenen architektonischen Glieder mit Lotosblumen und Juwelen, 1 eiche die
Haupt-Typen in der Verzierung der Simsgliederungen bilden.
* “TTistnn- of the Architeeture of the Hindus,” by Ram Raz. London, 1834.
84
ORNAMENTE DER HINDUS.
Die architektonischen Theile an den Bauten der Hindus bestehen hauptsächlich aus übereinander ge -
häuften Gesimsen. Ram Raz führt ganz bestimmte Regeln an zur gehörigen Abstufung der verschiedenen
Verhältnisse derselben, und es unterliegt keinem Zweifel, dass die Vorzüglichkeit des Styles gänzlich von der
grossem oder mindern Vollkommenheit abhängen musste, mit welcher diese stufenweisen Uebergänge zu
Stande gebracht wurden, aber wie weit man es in dieser Hinsicht gebracht haben mag, haben wir, wie schon
bemerkt, keine Gelegenheit zu urtheilen.
Tafel LVII. haben wir alle die verschiedenen Verzierungen dargestellt, die wir von den Copien der Ge -
mälde der Grotten von Ajunta entnehmen konnten, welche von der ostindischen Gesellschaft im Crystal Palace
ausgestellt worden waren. Diese Copien sollen zwar treue Nachbildungen sein, doch, da sie von Europäern
angefertigt worden sind, so ist es schwer zu bestimmen, in wie fern sie wohl als zuverlässig betrachtet werden
dürfen. In den Verzierungen und allen untergeordneten Theilen spricht sich so wenig eigenthiimlicher
Charakter aus, dass man sie ohne Unterschied zu jeder möglichen Stylart rechnen könnte. Es ist auffallend,
dass sich in diesen Gemälden so wenig Ornamente befinden: eine Eigenthümlichkeit die wir auch in
mehreren andern, der Asiatic Society gehörenden alten Gemälden, bemerkt haben. Dieser Mangel an Ver -
zierungen macht sich selbst an den Kleidern der Figuren bemerkbar.
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z
I
85
HINDOO N? I.
HINDOUS
PL. LY I.
HINDUS
TAFEL LYI.
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HINDOIIS.
HINDUS.
HINDOO N° 2
TAFEL LYII
rc.ii i Li r i t 11 t i t t tt 11111 r rr
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HINDOG N 0 3
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TAFEL LYIII.
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PL. LYIII
26
21
20
Capitel XIV.—Tafeln 59, 60, 61, 62.
CHINESISCHE ORNAMENTE.
—
TAFEL LIX.
Die Ornamente 1, 8-17, 2<F28, 33-35, 40, 42 sind Porzellanmalereien.
Die Nummern 2-7, 18-23, 29-32, 36-39, 41 sind aus Gemälden.
TAFEL LX.
Die Ornamente No. 1—12, 16, 19—24 sind Porzellanmalereien.
Die Nummern 17, 18 aus Gemälden.
Die Nummern 13, 22, 23 von gewobenen Zeugen.
Die Nummern 14, 15 sind Malereien von hölzernen Kästchen.
TAFEL LXI.
Die Ornamente 1-3 sind Holzmalereien.
Die Nummern 4-6, 9, 10, 12-15, 17, 18 sind Porzellanmalereien.
Die Nummern 7, 8, 11 von gewobenen Zeugen.
Nummer 16 aus einem Gemälde.
TAFEL LXII.
Conventionelle Darstellungen von Blumen und Früchten auf Porzellan gemalt.
Ungeachtet des hohen Alterthums ihrer Civilisation, und der grossen Vollkommenheit die ihr Fabrik -
wesen Jahrhunderte lang vor unserer Epoche erreicht hatte, haben die Chinesen doch, wie es scheint, nur
geringe Fortschritte in den schönen Künsten gemacht. “ China,” bemerkt Fergusson in seinem trefflichen
“ Handbook of Architecture,” “ besitzt fast gar nichts das des Namens der Architektur würdig sei,” und
allen den grossen Ingenieurbauten mit denen das Land bedeckt ist, “ fehlt es an architektonischem Entwurf
wie an Verzierungen.”
In der Ornamentation, mit der die zahlreichen, aus China eingeführten Fabrikate aller Art, uns hin -
länglich vertrauet gemacht haben, scheinen die Chinesen nie den Punkt überschritten zu haben, den jedes
87
CHINESISCHE ORNAMENTE.
auf der ersten Stufe der Civilisation stehende Volk erreicht, und ihre Kunst, wie sie nun einmal ist,
schreitet weder vor noch rückwärts. Im Begriff der reinen Form stehen sie seihst den Neu-Seeländern
nach, doch besitzen sie, im Gemein mit allen morgenländischen Nationen, den glücklichen Instinkt die
Farben in gefälliger Harmonie zu verschmelzen. Diese Eigenschaft übrigens, stand bei ihnen zu erwarten,
indem dieselbe mehr eine angeborne Fähigkeit als ein erlangtes Talent bildet; die gehörige Würdigung der
reinen Form hingegen erfordert die Aeusserung eines feinem Vermögens, und ist entweder das Ergebniss
eines sehr hoch begabten natürlichen Instinktes, oder entsteht aus der Entwickelung der primitiven Ideen,
die allmälig durch mehrere Generationen von Künstlern verbessert und endlich zur höchsten Vollkommen -
heit gefördert werden. i
Zwar zeichnen sich manche chinesische Porzellanvasen durch die Schönheit der Contouren und der
allgemeinen Form aufs vortheilhafteste aus, doch übertreffen sie hierin keineswegs die rauhen Wasserflaschen
von porösem Thon, die der arabische Töpfer, ohne je eine Kunsterziehung genossen zu haben, täglich an den
Ufern des Nils verfertigt, ohne andern Beistand als den anmuthsvollen Instinkt der seinem Stamme eigen
ist. Ueberdies geschieht es oft, dass die Chinesen die reine Form ihrer Vasen durch Auflage grotesker
und bedeutungsloser Verzierungen gänzlich zerstören, und diese Ornamente, anstatt aus der Oberfläche zu
entspringen, werden bloss auf dieselbe angeheftet: woraus wir schliessen zu dürfen glauben, dass die Chinesen
zwar einer gehörigen Würdigung der Form fähig sind, doch nur in einem gelingen Grade.
In ihren gemalten sowohl als gewobenen Decorationen verrathen die Chinesen kein höheres Kunstgefühl
als gerade einer primitiven Nation eigen ist. Am besten glückt es ihnen in Zeichnungen, denen eine
geometrische Combination zur Basis dient, und zwar nur in Mustern die aus gleichen sich durchschneiden -
den Linien gebildet sind; sobald sie aber von diesen Mustern abweichen, verrathen sie nur sehr geringe
Kenntniss in der Eintheilung der Flächenräume. Ihr natürlicher Instinkt der Farbenharmonie setzt sie in
den Stand die Formen gewissermassen zu balanciren, welches ihnen aber minder gut gelingt, wo sie der
Hülfe der Farben entbehren. Die Buntmuster der Tafel LIX. liefern uns mehrere erläuternde Beispiele.
Die Muster 1,8,13,18, 19, auf Zeichnungen gegründet, die durch die Beschaffenheit ihrer Gestalt nothwendig
eine gleiche Vertheilung bedingen, sind vollkommener als die Muster 2, 4—7, 41, deren Anordnung mehr
der Laune überlassen ist; die Nummern 28, 33, 35, 49 hingegen, und alle andern auf derselben Tafel dar -
gestellten Muster dieser Art, sind Zeichnungen, in denen der Einklang der Massen durch das richtige
Balanciren der Farben gesichert wird, ein Talent, welches die Chinesen instinktartig besitzen und mit den
Indiern gemein haben, besonders in den gewobenen Zeugen, wo der Grundton immer mit der Quantität der
darauf angebrachten Verzierungen im harmonischsten Einklang steht. Dass die Chinesen tüchtige Coloris-
ten sind, unterliegt keinem Zweifel, denn sie verstehen es, die reichsten Farben so wie die zartesten Schat-
tirungen mit demselben glücklichen Erfolg zu balanciren.
Sie behandeln übrigens aufs meisterhafteste, nicht nur die Grundfarben, sondern auch die secundären
und die tertiären, besonders aber die hellem Tinten der reinen Farben — von denen blassblau, blassroth
und blassgrün am häufigsten Vorkommen.
Ausser den geometrischen Mustern haben die Chinesen nur sehr wenige rein verzierende oder conven-
tionelle Formen. Einige Beispiele dieser Art finden sich jedoch in den Mustern 1-3, 5, 7, 8, Tafel LX.
Aber man sucht vergebens die in andern Stylarten so häufig vorkommenden, fliessenden conventioneil be -
handelten Ornamente, und an ihrer Stelle findet man Darstellungen natürlicher Blumen mit Linienzeich -
nungen durchzogen, wie No. 17, 18, Tafel LXI., oder natürlicher Früchte, wie in den Mustern der Tafel
LXII. Doch in keinem Falle erlaubt ihnen ihr Instinkt die gehörige Grenze zu überschreiten, und daher
wird bei ihnen nie, wie das bei uns so oft geschieht, der Einklang durch Schatten oder Schattirungen beein -
trächtigt, so unnatürlich und unkünstlerisch auch ihre Anordnungsweise sonst gewöhnlich ist. In ihren
gedruckten Papiertapeten werden Gestalten, Landschaften und Ornamente so weit conventionell behandelt,
dass sie das Gefühl des Beschauers nie, durch Uebertretung der gehörigen Grenzen der Decoration,
88
CHINESISCHE ORNAMENTE.
verletzen, so unkünstlerisch sie übrigens ausgeführt sein mögen. In ihren geblümten Mustern beobachten
sie durchgehend« die Naturgesetze der Strahlung vom Mutterstamm und der tangentförmigen Krümmungen.
Dies ist übrigens ganz natürlich, indem die getreue Nachbildung zu den Eigenheiten der Chinesen gehört,
daher sie als genaue Beobachter der Natur nicht verfehlen können, die Gesetze derselben genau zu befolgen;
was ihnen mangelt, ist das "V ermögen die Natur zu idealisiren.
Wir haben schon im Capitel der griechischen Ornamente auf die chinesischen Mäander hingewiesen.
No. 1, Tafel LXI., ist ein ununterbrochener, den griechischen gleichkommender Mäander; die Nummern
2-9, 18 ünd unregelmässige Zinnfriese; No. 4, Tafel LX., ist ein merkwürdiger Mäander mit gebogenem
Ende.
Im Ganzen genommen sind die chinesichen Ornamente ein treues Abbild der Natur dieses eigenthüm-
lichen Volkes, und der hervorragendste Charakterzug derselben ist die Seltsamkeit, — wir könnten sie nicht
launenhaft nennen, denn Launenhaftigkeit ist der ungezwungene spielhafte Lauf einer lebhaften Einbil -
dungskraft, eine Eigenschaft die den unerfinderischen Chinesen fremd ist, daher es auch ihren Werken an
der höchsten Anmuth in der Kunst, nämlich an der idealen Auffassung, gänzlich fehlt.
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HIHESI-SGH
TAFEL LIX
CHINESE N° 1
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CHINESE N° 3
TAFEL LXI
CHINESE N° 4
CHINESSISH
CHINOIS
TAFEL IX’I
PL LX1I
20
Capitel XY
.—Tafeln 63, 64, 65.
KELTISCHE ORNAMENTE.
TAFEL LXIII.
LAPIDARISCHE VERZIERUNG.
1. Das Kreuz zu Aberlemno, 7 Fuss hoch, aus einer einzigen
Steinplatte gebildet. — Chalmers, Stone Monuments of
Angus.
2. Kreisförmiges Ornament an der Basis eines Steinkreuzes,
im Kirchhof von St. Vigean, Angusshire. — Chalmers.
3. Mitteltheil des Steinkreuzes, im Kirchhof der Insel Incli-
brayoe, Schottland.
4. Ornament vom Kreuz im Kirchhof zu Meigle, Angusshire.
— Chalmers.
5. Ornament von der Basis des Kreuzes neben der alten Kirche von Eassie, Angusshire.— Chalmers.
Anmerkung.—Ausser den verschiedenen Ornamenten die sich auf den hier dargestellten Steinen befinden, kommt noch
auf vielen Kreuzen in Schottland ein eigentkümliches Ornament vor, das sogenannte Brillenmuster. Es besteht aus zwei
Kreisen die mittelst zwei gebogener Linien verbunden sind, und diese Linien werden vom schiefen. Strich eines verzierten Z
durchschnitten. Die Alterthumsforscher haben sich vergebens bemüht den Ursprung und die Bedeutung dieses Ornamentes
auszufinden, von welchem wir (auser dem genannten), nur noch ein einziges anderes Beispiel gesehen haben, nämlich auf einer
gnostischen Gemme, in Walsh’s Essay on Christian Coins.
An einigen Kreuzen von Manx und Cumberland, wie auch am Kreuz zu Penmon, Anglesea, findet sich ein Muster das
der classischen Zeichnung ähnlich sieht, die auf der griechischen Tafel VIII., Fig. 22 und 27 dargestellt ist. Dieses Muster
wurde wahrscheinlich dem römischen Mosaikpflaster entlehnt, auf welchem es zuweilen vorkommt; es findet sich aber weder
in Manuscripten noch in Metallarbeiten.
TAFEL LXIV.
VERSCHLUNGENE STYLARTEN.
1-5, 10-22, 26, 42-44 sind Ränder von verschlungenen Band -
mustern, aus angelsächsischen und irischen Manuscrip -
ten im brittischen Museum, in der bodläischen Biblio -
thek und in den Bibliotheken von St. Gallen und von
Trinity College, Dublin.
6, 7. Verschlungene Bandmuster, aus dem goldenen Evan-
geliarium der harläischen Bibliothek im brittischen
Museum.— Humphreys,
8. Schlussornament eines Anfangsbuchstaben, aus dem
Evangeliarium in der Biblothek zu Paris. No. 693.—
Silvestre.
9. Verschlungenes Ornament aus der irischen Handschrift
zu St. Gallen.—Keller.
23. Schlussornament eines Anfangsbuchstaben, aus dem
Krönungsbuch der angelsächsischen Könige, das Werk
fränkisch-sächsischer Künstler.— Humphreys.
24. Verschlungenes Schlussornament, aus dem tironischen
Psalmbuch in der Bibliothek zu Paris.—Silvestre.
25. Schlussornament, mit eingeschaltetem Blattwerk und
natürlich gezeichneten Thiergestalten, aus dem golde -
nen Evangeliarium.—Humphreys.
27. Winkelförmiges Ornament mit Verschlingungen, aus der
Bibel zu St. Denis, p 4 «* Jahrhundert.
28. Muster von Winkellinien, aus dem Evangeliarium zu
Lindisfarne. Ende des 7 ten Jahrhunderts.
29. Feld mit verschlungenen Verzierungen, aus dem Psalm -
buch des heiligen Augustin im brittischen Museum.
6 tes oder 7 tes Jahrhundert.
30. Ornament aus vier verbundenen Dreischenkeln gebildet,
aus dem fränkisch-sächsischen Sacramentarium des
heiligen Gregors, in der Bibliothek zu Rheims. 9 tes oder
lOtes Jahrhundert.—Silvestre;
31. Theil eines gigantischen Anfangsbuchstaben, aus der
fränkisch-sächsischen Bibel zu St. Denis. 9 tes Jahr -
hundert.— Silvestre.
32. Verschlungenes Vierpass-Ornament, aus dem Sacramen -
tarium zu Rheims.—Silvestre.
33. Winkelförmig verschlungenes Ornament, aus dem golde -
nen Evangeliarium (vergrössert).
34 und 37. Verschlungene Ornamente, von rothen Punkten
gebildet, aus dem Evangeliarium zu Lindisfarne.
35. Verschlungenes dreischenkeliges Muster, aus dem Krö-
nungs-Evangeliarium der angelsächsischen Könige.
36. Kreisförmiges Ornament von vier Dreischenkeln, aus
dem Sacramentarium zu Rheims (vergrössert).
| 38 und 40. Anfangsbuchstaben aus dem Evangeliarium zu
Lindisfarne, mit verschlungenen Mustern. Thierfiguren,
und winkelförmigen Linien. Ende des 7 ten Jahrhun -
derts (vergrössert).
39. Sohlussornament mit Hundesköpfen, aus dem fränkisch -
sächsischen Sacramentarium zu Rheims.— Silvestre.
41 und 45. Vierwinkelige verschlungene Ornamente, aus
dem Messbuch des Leofric in der bodläischen Biblio -
thek.
91
/
KELTISCHE ORNAMENTE.
TAFEL LXY.
SPIRALFOERMIGE, DIAGONALE, ZOOMORPHISCHE UND SPAETERE ANGELSAECHSISCHE
ORNAMENTE
1 Anfangsbuchstabe, aus dem Ev^geUarium zu Lindis -
farne. Ende des 7 tea Jahrhunderts. Britisches Mu
seum (vergrössert).
2 Ornamente von winkelförmigen Linien, aus dem gregon-
schen Evangeliarium (vergrössert).
3 Verschlungene Thierfiguren, aus dem Buch von Keils, in
der Bibliothek von Trinity College, Dublin (vergros-
sert).
, Di-iwonales Muster. Evangeliarium des Mac Durnan m
4 ' D dÄliothek des Lambeth Palastes. 9^ Jahrhun -
dert (vergrössert).
5 und 12. Spiralförmige Muster, aus dem Evangeliarium
von Lindisfarne (vergrössert).
6. Diagonale Muster aus dem irischen Manuscnpt zu St.
Gallen. 9 tes Jahrhundert (vergrössert).
7. Verschlungenes Ornament, aus demselben Manuscript
wie das vorhergehende.
8. Verschlungene Thierfiguren. Evangeliarium des Mac
Durnan (vergrössert).
9. 10, 13. Diagonale Muster. Evangeliarium des Mac
Durnan (vergrössert).
11. Diagonale Muster, aus dem Evangeliarium zu Lindis -
farne (vergrössert). .
14 Band zur Einfassung von verschlungenen Thierfiguren,
aus dem Evangeliarium zu Lindisfarne (vergrössert).
15 und 17. Felder mit verschlungenen Thier- und Vogel-
figuren, aus dem irischen Evangeliarium zu St. Gallen.
8tos oder 9 tes Jahrhundert.
16 Grosses Q, in der Gestalt eines länglichten winkelförmi-
gen Thieres, aus dem Psalmbuch des Bicemarchus,
Trinity College, Dublin. Ende des 11*® Jahrhunderts.
18. Viertel eines Balimens oder Bandes einer lllummirten
Seite im Benedictionale des Aethelgar zu Kouen. 10
Jahrhundert.—Silvestre.
19. Ditto, aus dem Arundel-Psalter, No. 155, bnttisches
Museum.—Humphreys.
20 Ditto, aus dem Evangeliarium des Canute im bnttischen
Museum. Ende des 10*™ Jahrhunderts.
21. Ditto, aus dem Benedictionale des Aethelgar.
22 Schlussornament von spiralförmiger Zeichnung mi
gehl. Stellt einen Theil eines grossen Anfangsbuch -
staben im Evangeliarium von Lindisfarne dar (wirk -
liche Grösse).—Humphreys.
KELTISCHE OKNAMENTE.
rrKsrrrrÄrcaÄ'i
den ältesten Zeiten hinauf, >m den Beschauer mit Erstaunen füllend. In spätem
druidischen Tempel mit u ser ^ ^ aufgerich teten Steinen, doch mit den Modifieatio-
Zeiten verkündete sic^toe ^ der Gestalt von riesenmässigen Steinkrenzen oft
“ sorgfältig ausgehauen, und mit Devisen verziert, deren Stylart von der aller andern
“ und Reste de, —gsknnst dm „ .sitzen C- - -j“
als man wohl im Allgemeinen glaubt), Stehen in so en er t “ d Glaubens daselbst
tenthums in die brittischen Inseln,, dass wir notwendig die ^ tdtÄ
r,.1 zu -
srariSÄäiÄS:—-
Landes darbieten muss. • 1 dlo verschiedenen Angaben
l Htstobische Beweise.-Wir wollen uns hier gar nicht darauf emlassen dre verschiede* g
der Historiker, hinsichtlich der Einführung der christlichen Rehgum 'hinlängliche
einander zu vereinbaren, da wir, ganz abgesehen von dem ' eugmsse e
Beweise haben, das, das Cbristenthum schon lange vor der Anknnft St. Augns.m s,,m Jahre 596,
c ’n Irland und ein druidisclies Monument bei
* Die heidnisch-keltischen Beste zn Gavr’ Innis in ^etagn^ zu New^ ^ aus eingeschnittenen spiralförmigen
Harlech, in Wallis, verrathen einen gewissen rauhen \ ersuch der Verzierung,
oder kreisrunden und winkelförmigen Linien besteht.
92
KELTISCHE ORNAMENTE.
festen Fuss gefasst hatte, ja sogar, dass die alten brittischen Keligionslehrer in manchen wichtigen Lehr -
punkten von diesem Abgesandten des grossen St. Gregorius abwichen. Dies ergeht aufs deutlichste aus
manchen noch erhaltenen künstlerischen Leistungen. St. Gregorius schickte nach England mehrere
Exemplare der heiligen Schrift, von denen gegenwärtig noch zwei vorhanden sind: eins in der bodläischen
Bibliothek zu Oxford, und das andere in der Bibliothek des Corpus Christi College zu Cambridge. Beide
diese in Italien verfertigte Evangelienbücher sind in der runden, in jenem Lande gebräuchlichen Handschrift
geschrieben, und ohne alle \erzierung. Selbst die grossen Buchstaben am Anfang eines jeden Evangeliums
unterscheiden sich kaum von der übrigen Schrift des Textes; doch sind die ersten zwei Zeilen mit rother
Tinte geschrieben, und vor jedem der Evangelien befand sich das Bildniss des Evangelisten (von welchem
jedoch nur das des heiligen Lucas erhalten ist), der sitzend dargestellt war unter einem runden auf Marmor -
pfeilern ruhenden Bogen, mit classisch angeordnetem Blattwerk verziert. So verhält es sich mit den
meisten alten italienischen Handschriften, die ganz von Verzierungen entblösst sind.
Wie ganz anders ist es aber in jenen ältesten Manuscripten von denen man gewiss weiss, dass sie in den
brittischen Inseln geschrieben wurden. Auf diese Handschriften stützen wir hauptsächlich unsere Theorie
des unabhängigen Ursprungs der keltischen Ornamente, deshalb erachten wir es für nöthig uns auf einige
paläographische Details einzulassen, zum Beweise des hohen Alterthums dieser unschätzbaren Documente,
da so mancher Zweifel über deren ehrwürdige Antiquität geäussert worden ist. Es ist wahr, dass die Hand -
schriften nicht datirt sind, doch findet man in manchen derselben die Namen der Schreiber, und diese Namen
haben wir in den frühesten Annalen identificirt, wodurch wir in den Stand gesetzt wurden, die Epoche zu be -
stimmen, in welcher das Manuscript verfertigt worden ist. Auf diese Weise ist es mit hinlänglicher Sicher -
heit bestimmt worden, dass die autographischen Evangelien von St. Columba, das Leabhar Dliimma oder Evan-
geliarium des St. Dimma Mac Nathi, die bodläischen von Mac Begol geschriebenen Evangelien und das Buch
von Armagh, spätestens aus dem neunten Jahrhundert herrühren. Ein anderer ebenso befriedigender Beweis
des hohen Alterthums dieser Bände ergeht aus der unvergleichlichen Sammlung der gleichzeitigen angelsäch -
sischen Freiheitsbriefe, von der Hälfte des siebenten Jahrhunderts bis zur normannischen Eroberung, die sich
im brittischen Museum und in andern Bibliotheken befinden, denn, wie Astle bemerkt, “ obgleich die Frei -
heitsbriefe freier und fliessender geschrieben sind als die Bücher derselben Zeitalter, so ist doch die Aehnlich-
keit zwischen den Freiheitsbriefen und den im selben Jahrhundert geschriebenen Büchern ganz unverkenn -
bar, und sie authentisiren sich gegenseitig.” Man vergleiche z. B. das Cottonische MS. Vespasian, A 1, welches
allgemein als der Psalter des heiligen Augustin bekannt ist, mit den Freiheitsbriefen des Sebbi, Königs der
Ostsachsen, vom Jahre 670 (Casley’s Catal. of MSS. p. xxiv.), oder mit dem des Lotarms, Königs von Kent,
datirt von Reculver, im Jahre 679 ; und andererseits wieder den Freiheitsbrief Aethelbald’s 769, mit den
Evangelien Mac Begol’s oder St. Chad’s, so wird man unfehlbar zum Schluss gelangen, dass die Manuscripte
und die Freiheitsbriefe gleichzeitig sind.
Ein drittes Zeugniss der grossen Antiquität unserer alten National-Manuscripte lässt sich aus dem Um -
stand ableiten, dass viele dieser Handschriften noch an verschiedenen Orten im Auslande aufbewahrt werden,
wo sie die irischen und sächsischen Missionäre vor Zeiten eingeführt hatten. Dass unsere Landsleute zahl -
reiche Klöster in den verschiedenen Theilen Europas gestiftet haben, wird in der Geschichte hinlänglich
beurkundet; und als Beispiel dürfen wir nur den Irländer St. Gallus anführen, dessen Name nicht nur
dem von ihm gegründeten Kloster, sondern dem ganzen schweizerischen Canton beigelegt wurde, in welchem
das Kloster gelegen ist. Unter den gegenwärtig in der öffentlichen Bibliothek gesammelten Büchern jenes
Stiftes, befinden sich einige der ältesten Manuscripte von Europa, nebst einer Anzahl von Bruchstücken aus
mehreren prächtig verzierten Bänden, die in den brittischen Inseln verfertigt, und lange als Reliquien des
Stifters zu St. Gallen heilig verehrt wurden. Ebenso wird das Evangelienbuch des heiligen Bonifaz zu
Fulda mit frommer Sorgfalt auf bewahrt. Das Evangeliarium des Irländers St. Kilian, des Apostels von
Franken, wurde, mit seinem Blute gefärbt, in seinem Grabe entdeckt, und wird seit dieser Zeit zu Würzburg
B B
93
KELTISCHE ORNAMENTE.
anfbewahrt, und allda jährlich, am Jahre^ags eines Märterthums, auf dem Alt« der Kathedrale zur Schau
a ” 8Se Xdiese Mauuscripte, die, wie bereits erwiesen worden ist, sänsmtlieh in den brachen Insel» wer
dem Ende des neunten Jahrhunderts geschrieben wurden, offenbaren Eigenhe.ten der Ornamental,.«»,
man in keinen Handschriften anderer Länder antriffl, solche Ortschaften ausgenommen, wo die mischen ode
man m Keinen _ . „ ein p. e f üb rt, oder die daselbst vorhandenen modificirt
angelsächsischen Missionäre ihre eigen J ö ' ’ ,..,1-1 Hand -
haben mögen. Es muss hier bemerkt werden, dass unsere Beweisgründe zwar hauptsächlich von Hand
schritten herge,eitet sind, doch führen die gleichzeitige» verzierte» MetaU- oder “d'dTr
Resultat und Schluss, denn die Zeichnungen diese, Werke sind in vielen Fallen so gamzhch^Abbil
Motive in den Manuscrip.en, dass man schliessen muss, dass beide Vemerungsarten ihre Ze chnnngen den
selten Künstlern verdanken; und dieses verkündet sieh so deutlich in einigen der grossen Ste,»kreuze, dass
man, beim Anblick derselben, sich beinahe einbilden konnte, man betrachte, mit Hülfe eines ergrosserungs-
0 ,i„ qpc; P ; T1 p der Seiten der illuminirten Bände. .
° 2.’ EigüMTHUBMUCHMTBK DBA KELTISCHEN ORMME.ITE.-Die vorzüglichste» Eigenheiten “ 8 6
Verzierung bestehen erstens, in de, gänzliche» Abwesenheit der Blattverzie,ungen und jedes antop J _
lomorphischen oder päanzmtigen Ornamentes - vom classischen Acanthus ist kerne ^ ’
zweitens in der ausserordentlichen Verwickelung, Umständlichkeit und in der sorgfältigen Ausarbeitung der
verschiedenen Muster. Diese sind meistens geometrisch und bestehen aus B.ndgeschling» aus di^on^eu
und spiralförmigen Linien, aus sonderbaren monströsen Thieren und Vögeln mit Kcpfschleifen, Zunge
Schweifen versehen, die sich in endlose» Knoten mit einander verflechten. jr—Jien-
In einigen der prachtvollsten dieser Handschriften, wie , B. im Buch von Keils, in den Evangelien
büehern von Liudisfarne und St. Ghad, und in einigen der Manuscripte zu St. Gallen, findetsmh^dem Anfänge
eines jeden der vier Evangelien gegenüber, ein, ganze Seite mit höchst ausgearbe.tetrm, m Felder abg >
te» Mustern bedeckt, die eine herrliche kreuzförmige Zeichnung bilden. Die Muhe, ™
Masse von Arbeit* gekostet haben muss, ist ebenso erstaunlich als die unendliche,
fall, da man selbst bei der genauesten Prüfung mit Hülfe eine. Vergrosserungsgh.es, kernen e n
Fehler in der Richtung der Linien oder in der Regelmässigkeit der Verschlingungen zu entdecken ve g ,
“Ich, bei all diesi Feinheit und Genauigkeit, ist der harmonische Effect des Color,ts vollkommen
Im Gegensatz zu der früher befolgten Weise, die Manuscripte mit Buchstaben anzufangen, le sic „
nicht oder nur sehr wenig vom übrigen Text unterschieden, wurde in diesen
besprochenen prachtvollen Seiten, aucb der Anfang eines jeden Evangeliums mi gr ö .
Der Anfangsbuchstabe war oft von riesenmässiger Glosse, und nahm den grössten Theil der eii e ein, so ass
nur »och einige der nächst folgenden Buchstabe», jeder etwa einen Zoll hoch, auf derselben Beite hinzu e-
““twlden konnten. Auf diesen Anfangsseiten, so wie in den kreuzförmigen Zeichnungengegenuber,
finden sich alle die verschiedenen Stylarten mit mehr oder weniger Detads angewende .
Eines der allgemeinsten und verschiedenartigsten Muster, dasvouden Kunstarbeitern m^ Metallen,, Ste
und Handschriften angewendet wurde, besteht aus einem, oder auch ans mehreren verso i un S™ 8
knüpften schmalen Bändern, die manchmal in änsserst verwickelten Windungen
Gisch »nd geometrisch ungeordnet sind. Die Tafeln LXIIL und LXIV. enthalten zahlre.che Mn-er
Ornamente in verschiedenen Stylarten. Durch das Ccloriren der Bänder mit verschiedenen Tinten ,uf f«
bigcm oder schwarzem Grunde, entstehen die herrlichsten Effecte verschiedener i . m si
merkwürdigen Verwickelung dieser Zeichnungen einen Begriff zu machen, darf man nur em
Bänder in linigen dieser Muster, wie z. B. im ehern Felde der Fig. ö, Tafel LXIIL, mit Aufme—t
folgen. Zwei Bänder laufen oft parallel mit einander fert, sind aber abwechselnd verschlungen, wre 1 lg.
, auf ui.., 1«*.. dieser Sei«, di. vb ... d» «-^i- ~ «**»<“ »“ * h " 4 ‘'‘
und zwanzig der fantastischsten Thierfiguren.
94
KELTISCHE ORNAMENTE.
Tafel LXIV. Wo solches anging, ward das Band winkelförmig ausgedehnt, um gewisse Stellen in der Zeich -
nung auszufüllen, wie Fig. 11, Tafel LXIV. Die einfachste Modification dieses Musters ist natürlich das
doppelte Oval, wie man es in den Winkeln der Fig. 27, Tafel LXIV., sehen kann; und welches in griechi -
schen und syrischen Handschriften, wie auch in römischen Mosaikfussböden, sehr häufig, aber in unsern
frühen Manuscripten nur selten vorkommt. Eine andere einfache Verzierungsform ist der sogenannte
Dreischenkel, der sehr häufig in Handschriften und Metallarbeiten gefunden wird. Fig. 36, Tafel LXIV.,
ist ein Muster, in welchem vier dieser Dreischenkel Vorkommen. Fig. 30 und 35 derselben Tafel sind
Modificationen dieses Musters.
Noch ein anderes charakteristisches Ornament, welches im überschwänglichen Maasse in frühen Werken
aller Art angebracht wurde, ist die Darstellung monströser Thiere, Vögel, Eidechsen und Schlangen jeder
Gattung, von höchst übertriebener Länge, und mit Schwänzen, Kopfschleifen und Zungen versehen, die in
langen verschlungenen Bändern ausgehen, und aufs fantastischste mit einander verwoben sind; die Anord -
nung ist zuweilen symmetrisch, zuweilen unregelmässig und darauf berechnet, gewisse Stellen gehörig aus -
zufüllen. Manchmal, doch nur selten, findet man ähnliche Darstellungen von menschlichen Figuren. In
einem der Felder des Kreuzes von Monasterboice, im Crystal Palace, sieht man vier menschliche Figuren
auf sonderbare Weise verschlungen, und auch auf einer der Buckelverzierungen des Bischofsstabes von Lis-
more, Eigenthum des Herzogs von Devonshire, sieht man mehrere ähnliche fantastische Figuren. Beispiele
von verschlungenen Thiergruppen dieser Art finden sich Tafel LXIII. Zu den verwickeltsten Mustern
dieser Gattung gehören die Gruppen von acht Hunden (Fig, 17, Tafel LXV.) und von acht Vögeln (Fig.
15, Tafel LXV); beide aus einer der Handschriften zu St, Gallen gezogen; das eleganteste Muster aber
ist die Kandverzierung (Fig. 8, Tafel LXV.) aus dem Evangelienbuch von Mac Durnan, Lambeth Palace.
In den spätem irischen Handschriften, so wie in denen von Wallis, berühren die Bänder der verschlungenen
Bänder einander, und die Zeichnung überhaupt ist bei weitem nicht so geometrisch und so deutlich klar.
Die sonderbare Zeichnung (Fig. 16, Tafel LXV.) ist nichts anderes als der Anfangsbuchstabe Q, des Psalms
Quid Gloriaris, im Psalter des Bicemarchus, Bischofs von St. David, vom Jahre 1088. Die Zeichnung soll ein
monströses Thier vorstellen, über dessen Schnauze sich eine Kopfschleife nach vornhin erstreckt, während eine
andere Kopfschleife ein ausserordentliches Gewinde über dem Kopf des Thieres bildet, der Hals ist mit einer
Perlenschnur verziert, der Leib ist lang und winkelförmig, und endet in zwei verdrehten Beinen mit schreck -
lichen Klauen, und der Schweif ist mit verwundenen Knoten versehen, die das Thier gewiss nicht ohne grosse
Schwierigkeit zu lösen im Stande sein würde. Oft bildet der Kopf eines Thieres oder eines Vogels allein
das Schlussornament einer Zeichnung, wie man in verschiedenen Mustern der Tafel LXIV. sehen kann, und
das aufgesperrte Maul und die lange Zunge bilden einen Schlusszierrath, der nicht ohne Grazie ist.
Das eigenthümlichste unter allen keltischen Mustern aber ist jenes, welches aus drei oder vier spiralför -
migen Linien entsteht, die von einem bestimmten Punkt ausgehen, während die entgegengesetzten Endpunkte
derselben sich gegen den Mittelpunkt eines aus andern Spirallinien gebildeten Knäuels hinbewegen. Die
Fig. 1, 5 und 12, Tafel LXV. stellen mehr oder weniger vergrösserte Beispiele dieses Ornaments dar, wäh -
rend Fig. 22 in wahrer Grösse reproducirt ist. Fig. 3, Tafel LXIII., zeigt wie dasselbe Motiv in ein
diagonales Muster verwandelt werden kann. In den Handschriften, wie auch in den schönem und altern
Metall- und Stein arbeiten, nehmen diese Spirallinien immer die Bichtung eines C nie aber eines S an.
Dieser Umstand, sowohl als die Unregelmässigkeit der Zeichnung selbst, beweisst, dass das Centralornament,
Fig. 1, Tafel LXIII., von der Hand eines Künstlers sein müsse, der in der wahren keltischen Zeichnung
wenig bewandert war, und es verräth einen gewissen Grad von Nachlässigkeit oder von auswärtigem Einflüsse.
Dieses Muster heisst auch das Trompetenmuster, weil der Kaum zwischen je zwei Linien die Gestalt einer
alt-irischen Trompete hat, dessen Mundstück mittelst des aus kleinen Punkten bestehenden Ovals dargestellt
wird, das am breiten Ende in schräger Bichtung angebracht ist. Dasselbe Muster findet sich auf mehreren
kreisförmigen Gegenständen von Bronze, etwa einen Fuss im Durchmesser, die man oft in Irland findet,
95
KELTISCHE ORNAMENTE.
ohne den Gebrauch derselben ermitteln zu können; ebenso aut gewissen kleinen kreisförmigen
Täfelchen von friib-angelsächsiseber Arbeit, die man in ,e,seltenen Theden England, get« •
Doch kommt es nur höchst selten auf Steinarbeiten vor, und, unseres Wrssens, grebt es ln En 0 l»nd m
einziges Beispiel davon, nämlich auf dem Taufstein de, Kirche zu Deerhurst, welches daher der älteste ver -
zierte Taufstein in England sein muss, da dieses Muster in keiner Handschrift vorkommt, dre spater als ,m
neunten Jahrhundert in England ausgeführt wurde.
Ebenso charakteristisch ist das aus diagonalen Linien bestehende Muster Busse Lm.en -
schlunoen, sondern in gleichen Zwischenräumen von einander .»geordnet und erzeugen eme Art chmesrohe
Ba ein umgekehrtes Z das Grundelement dieses Musters zu bilden schenrt so wd es auch da
Z-Muster genannt. Es ist zahlreicher Modificationen fähig, wie man TafelLXV„ Frg. 6, 4, 9, 10, 1 u
sehen kann. In den sorgfältig ausgearbeiteten M.nuscripten ist es rein geometrisch mrd regeh^.g,
in rohem Arbeiten artete es in eine unregelmässige Zeichnung aus, wie m Erg. 1 und 3, Tafel L. .
Man findet zuweilen in unsem M.nuscripten noch ein anderes einfaches Ornament, rve c res aus
Serie winkelförmiger Linie» besteht, die, in gleiche, Entfernung von einander angeordnet eme Kedre von
S uf n bilden. Fi* Tafel LUT, Fig. 28 und 36, und Tafel LXV., Fig. 2. Boch ist dieses Ornament
keineswegs den Kelten allein eigen, sondern kommt schon in de. ältesten Zeiten auch hei ander» Völkern
Wilwollen noch eine, Verzierungsweise erwähnen, die höchst einfach ist uni nur aus rothen Punkten
besteht. Biese Punkte dienen im Allgemeinen als Randverzierungen der grossen Anfangsbuchstaben un
auch als Details in den Ornamenten. Sie bilden einen höchst charakteristischen und eigenthuml.chen g
in den angelsächsischen und irischen Handschriften. Zuweilen aber bildeten die Punkte ein eigenes Muster
wie in Fici. 34 und 37, Tafel LXIV. zu ersehen ist.
3. Ursprung her kultischen ORNAMENTE.-Die verschiedenen hieroben besprochenen Stylarten waren
in Grossbrittanien und in Irland vom fünften bis zum zehnten oder elften Jahrhundert unje rauc ^
da sich dieselben in ihrer reinsten Form und in ihrer grössten Vollendung gerade an jenen Orten offenbaren
^ “keltischen Stämme am längsten herrschten, so nahmen wi, keinen Anstand «re insgesammt
unter dem generischen Namen keltischer Ornamente zu bezeichnen.
Wir wollen uns lieber auf die Frage gar nicht einlassen, ob die Irländer ihre Buchsta en un erzie
rungsweisen von den ersten brittischen Christen empfingen, oder ob sie dieselben m Irland entwickelten
iZIcbher in England verbreitet haben. Eine genaue Untersuchung des
angelsächsischen Handschriften, und des Entstehen, der romanische», der romanrtch-bnttisch»
.„christlichen, mit Inschriften verzierten und ausgehauenen Steindenkmale dre im Westen En landen
Wallis zu finden sind, würde am besten dazu dienen diese Frage zu entscherden. Uns genügt
Cisl des ehrwürdigm Beda, dass die brittische und irische Kirche in ihren
identisch waren; und dieselbe Identität äussert sich in den Monumenten beider Lan .
diese Stylarten Li den Angelsachsen sowohl als bei den Irländern im Gebrauch; zum Bewers erwähne, war
dl berthmte Evangeliarium von Lindisfarne, auch als das Buch des heiligen Cu.hbert —
der cottonischen Bibliothek im brittisehen Museum bewahrt wird, und welches, wre man gewiss w , t
Ende des siebenten Jahrhunderts zu Lindisfarne von angelsächsischen Kunst ein ver ei rg •
ist e, anderseits ebenfalls unläugbar, dass das Stift von Lindisfarne von den Mönchen von Jona d -
linoen des irischen Stiftes St. Cohimba, gegründet wurde, so dass es keineswegs »»natürlich war dass d e
angelsächsischen Schüler den Ornament.tionsstyl ihre, irischen Vorgänger angenommen ha ■
Sachsen, die sich als Heiden in England ansiedelten, hatten gewiss kernen eigenthuml.c en »
aufzuweisen; überdies wäre es unmöglich zu behaupten, dass die Omamentationswe.se der angelsächsisch
. Mehrere von den im obere Ttieil der chinesischen Mel UJL <“• ***• **
Modification, in unsern Stein- und Metallarbeiten, wie auch in unsem Manuscnpten.
96
KELTISCHE ORNAMENTE.
Handschriften teutonischen Ursprungs seien, indem im Norden von Deutschland durchaus keine Spur von
ähnlichen Kunstwerken zu finden ist.
Ueber die Quelle, aus welcher die ersten Christen ihre eigenthümlichen Verzierungsweisen ableiteten,
sind allerlei Muthmassungen aufgestellt worden. Manche Schriftsteller, die die Unabhängigkeit der
alten brittischen und irischen Kirche durchaus abläugnen wollen, behaupten sogar, dass einige der grossen
Stein-Kreuze Irlands in Ialien verfertigt worden seien. Diese Behauptung verwerfen wir um so bestimmter,
als Italien kein einziges, früher als vom neunten Jahrhundert herrührendes Manuscript, und auch gar keine
Steinarbeiten aufzuweisen hat, die die geringste Aehnlichkeit mit denen dieses Landes besitzen. Man darf
nur das neulich von der französischen Regierung herausgegebene Werk über die Catacomben von Rom zu
Kath ziehen, worin alle die Wand-Zeichnungen und Inschriften der ersten Christen mit grösster Sorgfalt
reproducirt sind, um zur Ueberzeugung zu gelangen, dass die altchristliche Kunst und Ornamentation von
Rom keinen Theil an der Entwickelung der Kunst in diesen Inseln hatte. Man findet zwar in den von
uns erwähnten würfeligen Prachtseiten der Manuscripte eine gewisse Aehnlichkeit mit den Mosaikfussböden
der Römer; und wenn diese verzierten Seiten nur in angelsächsischen Handschriften vorkämen, könnte man
dem Gedanken Raum geben, dass die römischen Mosaiken, deren es unläugbar in England gab, und die im
siebenten und achten Jahrhundert wohl noch nicht mit Schutt überdeckt waren, den Schriftmalern zum
Vorbild gedient haben mochten; doch sind es die irischen, und die unter irischem Einfluss verfertigten
Manuscripte, welche die vollkommensten und vollendetsten dieser Prachtseiten enthalten, und in Irland
giebt es keine römischen Mosaikböden, da die Römer nie nach jener Insel gekommen waren.
Man könnte auch behaupten, dass die Bandgeschlinge von den römischen Mosaiken hergeleitet seien,
wäre es nicht, dass die römischen Verschlingungen so einfach als nur möglich waren, und mit solchen ver -
wickelten Knotenverschlingungen, wie man Tafel LXIII. dargestellt findet, durchaus keine Aehnlichkeit
haben. Die römischen Bänder sind bloss wechselweise über einander hingelegt, während die keltischen mit
einander verknüpft sind.
Andere Schriftsteller wollen diesen Ornamenten einen scandinavischen Ursprung geben; und wirklich
werden diese Ornamente immer mit der Benennung von Runenknoten bezeichnet und mit gewissen scandi -
navischen abergläubischen Traditionen verbunden. Es ist unläugbar, dass in der Isle of Man und auch
zu Lancaster und Bewcastle manche runische Inschriften auf Kreuzen Vorkommen, die mit den oben beschrie -
benen eigenthümlichen Ornamenten verziert sind. Da jedoch die Scandinaven von Missionären dieser
Inseln zum Christenthum bekehrt wurden, da überdies unsere Kreuze den gegenwärtig in Norwegen und
Dänemark befindlichen Kreuzen gar nicht ähnlich sind, und endlich, da diese letztem um mehrere Jahr -
hunderte jünger sind als die ältesten und schönsten unserer Manuscripte, so ist kein Grund vorhanden,
warum man annehmen sollte, dass die Ornamente dieser Handschriften scandinavischen Ursprungs seien.
Um eine solche Behauptung zu widerlegen, vergleiche man nur unsere Tafeln mit den Hlustrationen der
alt-scandinavischen Reste im Museum zu Copenhagen, die neulich erschienen sind.* Unter diesen 460
Illustrationen giebt es nur eine einzige Figur (No. 398), die den Mustern unserer Manuscripte ähnlich ist,
und diese erklären wir ohne Anstand für einen Rest irischer Arbeit, Dass die scandinavischen Künstler sich
die keltische Ornamentationsweise, wie diese zu Ende des zehnten und während des elften Jahrhunderts aus -
geübt wurde, zugeeignet haben, erhellt aufs deutlichste aus der Aehnlichkeit die zwischen den geschnitzten
hölzernen Kirchen der Scandinaven (illustrirt von Herrn Dahl) und den irischen Metallarbeiten derselben
Epoche herrscht, wie man am Kreuz von Cong, im Museum der königlichen irischen Academie zu Dublin,
bemerken kann.
* In der Abtheilung, welche in diesem dänischen Werke der Bronze-Epoche gewidmet ist, finden sich verschiedene spiralförmige
Ornamente auf Metallarbeiten, aber immer in der Pachtung eines GO und mit wenigen unkünstlerischen Modificationen. In der
zweiten Abtheilung, der Eisenperiode gewidmet, finden sich wohl Beispiele von fantastisch verschlungenen Thierfiguren auf Metall -
arbeiten. Doch nirgends sieht man die verschlungenen Bandmuster, die diagonalen Z-ähnlichen oder die trompetenförmigen
Spiralmuster.
C C
97
KELTISCHE ORNAMENTE.
Ausser den Scandinaven aber, haben auch die frühen, und fähigsten Künstler aus der Sehule Karls des
G,essen und seiner Nachfeiger, so - die der Lombardei, in ihre prachtvolle Manuscripte so manch,
Eigenthümlichkeit der keltischen Ornamente aufgenommen. Doch mischten s,e d.esen Ornamenten manche
classische Verzierungen bei, fugten den Acanthns und anderes Blattwerk hinzu, und verliehen dadurch rhren
Handschriften eine Anmuth, die man vergeblich in unsem so atmgearbeiteten Kunstwerken derselben ,
findet, deren bis anfs äusserste getriebene Verwickelung oft peinlich wird. Fig. 25, Tafel LXIV copn en
wir aus dem goldenen Evangeliarium, im brittischen Museum, einer herrlichen Leistung fränkische,
Kunst im neunte» Jahrhundert, worin die eben besprochene Combination von Ornamenten sieb offenbar,.
Die angelsächsischen und irischen Muster wurden in einigen der grossen fränkischen Manuscripte so genau
copirt (obwohl im vergrösserten Masstabe), dass man ihnen den Namen fränkisch-sächsischer Handschriften
gab. Dasselbe ist der Fall mit der in de, Biblotheque Nationale zu Paris befindlichen Erbe von St. Berns,
von welcher vierzig Seiten im brittischen Museum verwahrt werden. Fig. 31, Tafel LXIV., nt m wir -
licher Grösse aus diesem Manuscript abcopirt.
E. bleibt nun noeh zu untersuchen übrig, ob nicht etwa Byzanz oder das Morgenland die Grundideen
geliefert haben mögen, welche die frühen keltischen Künstler nachher m der Zuruckgezogenhe, . rer
Klöster ferner entwickelten, und die hier behandelten vollendeten Muster darnach bildeten. Der Umstand
dass dieser keltische Omamentationsstjl vor Ende des siebenten Jahrhunderts vollkommen entwickelt, und
das» Byzanz schon seit der Mitte des vierte» Jahrhunderts der Mittelpunkt de, Künste war, zeigt wohl
auf die Möglichkeit hin, dass die brittischen oder irischen Missionäre (welche beständig nach dem he, .gen
Land und nach Aegypten reisten) wohl daselbst die Principien einiger dieser Ornamente geschöpft haben
möoen. Diese Behauptung zu beweisen, wäre freilich eine schwierige Sache, indem von der rem byzan mi -
schen Kunst, wie sie vor dem siebenten oder achten Jahrhundert existirte, nur sohl V emgcs
ist. Hingegen ist es gewiss, dass die Omamentation der Sophienkirehe, wie man aus den herr ic en von
H Salzenberg herausgegebenen Illustrationen ersehen kann, keine Aebnlichkeit mit unser» keltischen Mus em
hat; doch gleichen diese letztem mehr den spätem, sowohl als den frühen Monumenten des Berges; A os,
von denen sich mehrere Darstellungen in der Iconographie de Pi«, von Dideron befinden. Die Fig. ,
13-1« 18-23, der ägyptischen Tafel X., und die Fig. 1, 4, 6, 7, Tafel XL, stellen Muster vor, die aus
Spirallinien oder Seilen gebildet sind, welche wohl den keltischen Künstlern die erste Idee ihrer spiralför -
migen Muster eingegeben haben mögen. Doch muss bemerkt werden, dass die Spirallinie in den meis en
äoyptischen Mustern die Gestalt eines S hat, nur in Fig. 11, Tafel X., ist sie in der t orm eines C gebildet
und kommt daher unsem Mustern viel näher, so sehr verschieden auch die letztem 1» ihren Details sind.
Die künstlich ausgearbeiteten Verschlingungen, die in der maurischen Ornamentation so allgemein Vor -
kommen, stimmen gewisse,messen mit den Ornamenten der sklavonischen, ath,opisehen und s,„sehen
Handsehriften überein, von denen zahlreiche Beispiele in dem Werke Silvestre’s, sowohl als in unsrer eigenen
Palccographi«. Sacra Pie fori« angeführt sind; und da alle die genannten Manuscripte ihren Ursprung von
Byzanz „der dem Berg Athos herleiteten, so lässt es sieh annehmen, dass ein ähnlicher Ursprung der Idee
unserer Manuscripte zu Grunde lag;-diese Idee aber wurde von den irischen und angelsächsischen Kuns -
lern auf verschiedene Weise aufgefasst und entwickelt.
Es erhellt also aus den Beweisen die wir hier zusammenzufassen uns bestrebt haben dass die frühen
Künstler dieser Inseln, seihst wenn man zugeben will, dass sie den Keim ihrer eigentümlichen Stylarten
einer andern Quelle als ihrem Nationalgenie verdankten, doch jedenfalls, zwischen der Epoc re er un u -
rung des Christenthums und dem Anfang des achten Jahrhunderts, mehrere verschiedene Systeme der
Ornamentation gebildet haben, die, im Zustande ihrer völligen Entwickelung, sich von der \Wse aller
andern Länder vollkommen unterschieden ; und das bewirkten sie überdies zu einer Zeit, wo, mF olge der
Zerstückelung des grossen römischen Reichs, ganz Europa in Bezug auf die Künste in tiefe
versenkt lag.
98
KELTISCHE ORNAMENTE.
4. Juengere ANGELSAECHSISCHE Ornamente.— Ungefähr um die Mitte des zehnten Jahrhunderts
brachten einige Künstler, hei der Ausschmückung ihrer schönsten Manuscripte, einen andern Styl in An -
wendung, der nicht minder auffallend war als der der frühem Künstler, und ebenso sehr vom Style jedes
andern Landes abwich. Dieser bestand aus einer rahmenartigen Zeichnung, mit goldenen Stäben,'die die
ganze Seite umgaben, während in dem auf diese Weise umschlossenen Kaum der Titel und andere Minia -
turmalereien angebracht waren. Die Kähmen waren mit Blattwerk und Knospen verziert, aber auch hier
behauptete die Idee der verschlungenen Muster ihren Einfluss, indem die Blätter und Stämme mit einander
und auch mit den Stäben verwoben waren; ausserdem waren die Winkel mit zierlichen Kreisen, Vierecken,
Rauten und Vierpässen geschmückt. Im Süden von England erreichte, wie es scheint, dieser Ornamenta-
tionsstyl seine höchste Vollendung, und die prächtigsten Beispiele dieser Verzierungsweise wurden zu Win -
chester, im Kloster des heiligen Aethelwold, während der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts verfertigt.
Das prachtvollste dieser Exemplare ist wohl das in der Archceologia vollständig illustrirte Benedictionale des
Herzogs von Devon shire; doch kommen zwei andere in der Bibliothek zu Kouen verwahrte Exemplare,
diesem Prachtwerke beinahe gleich, und dasselbe kann vom Evangeliarium, in der Bibliothek von Trinity
College, Cambridge, behauptet werden. Das Evangeliarium des Königs Canute, im brittischen Museum,
ist ein Beispiel derselben Art, und hat uns die Fig. 20, Tafel LXV., geliefert.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass die grossen Manuscripte der fränkischen Schulen Karls des Grossen,
die mit Blattwerk geschmückt waren, unsern spätem angelsächsischen Künstlern ursprünglich die Idee ein -
gegeben haben, Blattwerk als Schmuck in ihre Verzierungen aufzunehmen.
J. 0. WESTWOOD.
BIBLIOGRAPHISCHE NACHWEISUNGEN.
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O’Conor. Biblioth. Stowensis. 2 Bände 4to. 1818. Auch, Berum
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Keller, Ferdinand, Dr. Bilder und Schriftzuge in den Irischen
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Zürich. Bd. 7, 1851.
Westwood, J. 0. Palceographia Sacra Pictoria. 4to. 1843-1845.
„ Im Journal of the Archceological Institute, Bände
vii. und x. Auch zahlreiche Artikel in der
Archceologia Cambrensis.
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in Archceologia, Band xxiv.
Goodwin, James, B.D. Evangelia Augustini Gregoriana ; in Trans.
Cambridge Antiq. Soc. No. 13, 4to. 1847, mit elf Tafeln.
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Franpais. Imp. fol. Paris.
Worsaae, J. J. A. Afbildninger fradlet Kong.Museum i Kjöbenhavn.
8vo. 1854.
Und verschiedene Werke von Willemin, Strutt, Du Sommerard,
Langlois, Shaw, Silvestre and Champollion, Asyle (on
Writing), Humphreys, La Croix, und Lysons (Magna Britan-
nia).
99
CELTf G N° I
KELTISCH
TAFEL I/XIII.
CELTIQÜES
PLATE LXIII.
CELTIC N°2
KELTISCH
CELTIQUES
TAFEV LX1Y
PL.LXIY
rag
itf
CELTIC N°3
KELTISCH
CELTIQUE5
TAFEL LXY.
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w
Capitel XYI.—Tafeln 66, 67, 67*, 68, 69, 69*, 70, 71, 72, 73.
MITTELALTERLICHE ORNAMENTE.
TAFEL LXVI.
Conventionelle Blaetter und Blumen, aus Manuscripten verschiedener Epochen.
TAFEL LXVII., LXVII*.
Sammlung von Baendern, aus illuminirten Manuscripten, vom 19*™ bis zum 14t™ Jahrhundert.
TAFEL LXVIII.
Buntmüster an Waenden, aus Miniaturmalereien in Manuscripten, vom 12t™ bis zum 16*™ Jahrhundert.
TAFEL LXIX.
1,5, 6, 8.
3.
2,4.
Glasmalereien aus verschiedenen Epochen
Kirche zu Attenberg, bei Köln.
Southwcll Kirche, Nottinghamshire.
Kapitelhaus, Kathedrale zu York.
Nördlicher Kreuzgang, Kathedrale zu York.
UND VON VERSCHIEDENEN STYLARTEN.
9, 11. Kathedrale zu Soisson.
10. St. Thomas, Strassburg.
13. Kathedrale zu Troyes.
14. Kathedrale von Canterbury.
TAFEL LXIX*.
Glasmalereien aus verschiedenen Epochen und von verschiedenen Stylarten.
12,17. St. Kunibert, Köln. ‘ 18-24,25,27,29. Kathedrale von Bourges.
15. Kathedrale von Canterbury. 28. Kathedrale von Angers.
16, 26. Abtei von St. Denis.
D I)
101
MITTELALTERLICHE ORNAMENTE.
TAFEL LXX.
Encaustische Kacheln. 13*e» und 14*<* Jahrhundert.
TAFEL LXXI.
Illuminirte Manuscripte, No. 1.
1-12 sind aus dem 12*- Jahrhundert; 13 aus dem 13*- Jahrhundert 12 und 13 entnahmen wir aus den
Illuminated Books of the Middle Ages, von Humphrey. .
TAFEL LXXII.
Illuminirte Manuscripte, No. 2.
T , , , , vom i 4 ten Jahrhundert. 2, 7, 12, 15, vom 15*e« Jahrhundert.
—4, »1 ™» 13“ 4-"* _ Boot, of * Mim. A,„.
r>in iihricrAn vom brittisohen Museum.
TAFEL LXXIII.
Handschriften vom Anfang bis Ende des 15*en Jahrhunderts.
Die übrigen vom brittisohen Museum
Illuminirte Manuscripte, No. 3.
11-15 aus den Illuminated Books of the Middle Ages.
MITTELALTERLICHE ORNAMENTE.
Dka um vom Rungen, der de» —he» *1"" “h.
Jahrhunderts, lässt sich deutlich in alle» Baute» verspüre»,.» welche» ,he,e zwo,S^-e
verkomme»; der Debergang vo» de» romanische» Ornamente» eher zu “'"»» sieht
allgemein vorherrschenden Verziemngsweisen, aussert sich keineswegs so S VOTierimgss tyl herrscht
in de» letzter» keine Spur mehr vom Acanttasblatt, und de, rer» convent,onelle ermerung y
allgemein 1» alle» de» Baute» diese, letzte» Epoche. Beinahe dieselbe «sieh a.mh m^
illuminirte» Mannscripten des zwölfte» Jahrhunderts, die so manche ihrer E.genbe. ^ ^
Manuscripte» abgeleitet zu haben scheine». Die Verzierungen derse Die allgemeine Anlage
Stamm der ,» der Aussenseite hi» Blatter entfaltet, und auf eine Blume ansgeht. Die allgemeine
102
MITTELALTERLICHE ORNAMENTE.
und Ordnung der Linien in einem gegebenen Raum gleicht genau der Anordnung, welche sich in den aus
geschnitzten Ornamenten des früh-gothischen Styles offenbart.
Korclie zu Warraingtou.—W. Twopeny.
Früh-gothischer Decorationsstyl. Wells.—Collins.
Die früh-gothischen Ornamente sind, sowohl im Princip als in der Ausführung, die vollkommensten,
welche die gothische Kunstepoche aufzuweisen hat. Sie verrathen, in den gestaltenden Modulationen der
Form, dieselbe Zierlichkeit und Verfeinerung, welche die griechischen Ornamente auszeichnete. Sie sind
immer im harmonischsten Einklang mit den baulichen Theilen aus denen sie auf natürliche Weise ent-
spriessen. In einem Worte, sie erfüllen alle die Bedingungen die man nur in einem vollkommenen
Kunststyl vereint zu sehen wünschen kann; doch erhielt sich diese Vollkommenheit nur so lange, als
der Styl conventionell blieb. Im Verhältniss als der Styl minder idealisch ward, und mehr auf unmittelbare
Nachahmung hinstrebte, verschwanden auch die eigenthümlichen Schönheiten desselben, und die Orna-
mentation, anstatt die ergänzende Verzierung der baulichen Theile zu bilden, bestand bloss aus Ornamenten
die nur auf die Bauten hingelegt schienen.
Frtth-gothisch. Wells.—Collins.
Kii’che zu Warmington. Northampton.—Twopeny.
103
MITTELALTERLICHE ORNAMENTE.
In den Säulenkapitälen der früh-gothischen Architektur entspringen die Ornamente unmittelbar aus
dem Schaft, welcher sich oberhalb des Halses in eine Serie von Stämmen abtheilt, von denen jeder einzelne
in eine Blume ausgeht. Diese Verzierungsweise kommt der des ägyptischen Kapitals gleich. Im decorir-
ten Styl hingegen, wo sich ein deutlicheres Bestreben auf Nachahmung der Natur offenbart, hörte dieses
natürliche Entspriessen der Ornamente auf, indem es unmöglich wäre ein natürliches Blatt als einen Theil
des Schafts zu behandeln. Deshalb endete man den Schaft in der Gestalt einer Glocke von Blättern
umwunden, und im Verhältniss als diese Blätter natürlicher wurden, ward auch die Anordnung derselben
minder künstlerisch. Ebenso verhält es sich mit den Buckelverzierungen, die die Kreuzungspunkte
der Gewölberippen verdecken. In den früh-gothischen Gewölben bilden die Stämme und Blätter, aus
welchen die Buckelverzierungen bestehen, die Fortsetzung der Rippenglieder; in den spätem Perioden
aber maskirte man die Kreuzungspunkte der Rippen, indem man die Buckelverzierungen darüber hin-
Kirche za Sions, Kent.—Von der topographischen Gesellschaft herausgegeben.
legte, demzufolge bildeten dieselben nur ein aufgelegtes Ornament, gerade wie das Acanthusblatt an dem
Glockenkorb des corinthischen Kapitals.
In den Bogenspandrillen erstreckte sich, so lange die conventioneile Behandlung beibehalten wurde, ein
einziger Hauptstamm über den ganzen Bogenzwickel hin, und aus diesem einzigen Stamm entsprossen
Blätter und Blumen; als man aber anfing die Natur nachahmen zu wollen, war der Stamm nicht länger
die Grundlage der Gestalt des Ornamentes, welches überdies, bei diesem verwerflichen Bestreben dem
Steine den weichen Schmelz der Natur einzuprägen, seine ganze Anmuth einbüsste. Der Hauptstamm als
der hervorragende Grundzug der Verzierung verlor sich nach und nach, und die Bogenzwickel wurden oft
mit drei Ungeheuern Blättern bedeckt, die aus einem verdrehten Stamm im Mittelpunkt entsprangen.
Von der innern Ausschmückung der Häuser im dreizehnten Jahrhundert sind nur wenige Reste vorhanden,
daher wir nicht im Stande sind diese Art Ornamente vollkommen zu beurtheilen. Die in den illuminirten
Manuscripten jener Epoche vor kommenden Ornamente geben uns keinen zuverlässigen Leitfaden-zu dieser
Beurtheilung, indem der Styl derselben, nach dem zwölften Jahrhundert, selten architektonisch ist; über-
104
MITTELALTERLICHE ORNAMENTE.
dies gab es so viele Schulen der illuminirten Miniaturmalerei, und diese entlehnten so vieles von einander,
dass man oft im selben Manuscript verschiedene Stylarten vermischt findet. Doch lässt es sich als wahr -
scheinlich annehmen, dass, während die Ornamente in der Sculptur durchgehends conventionell behandelt
wurden, wohl auch in der innern Ausschmückung der Gebäude derselbe Styl herrschte.
Die Tafeln LXYII. und LXVII*. enthalten eine Auswahl von Rändern aus illuminirten Manuscripten,
die dem Zeiträume zwischen dem neunten und vierzehnten Jahrhundert angehören. Die Tafel LXVIII.
stellt Buntmuster von Wänden dar, meistens von Hintergründen verschiedener illuminirter Handschriften
entnommen, die vom zwölften bis zum sechzehnten Jahrhundert herrühren. Doch finden sich unter den
Beispielen beider Arten nur sehr wenige, die den rein conventionellen Ornamenten des früh-gothischen
Styls würdig zur Seite stehen könnten.
Im dreizehnten Jahrhundert stand die Baukunst unstreitig auf ihrem höchsten Glanzpunkt. Die
Moscheen von Kairo, der Alhambra, die Kirchen von Salisbury, Lincoln, Westminster, verrathen alle dieselbe
. Kunstfahigkeit einen kühnen schlagenden Effect in der allgemeinen Form, zugleich mit der sorgfältigsten
Kathedrale zu Wells.—Collins.
Vollendung in den Verzierungen hervorzubringen. In allen den genannten Kauten herrscht eine gewisse
Familienähnlichkeit; und wenn auch die Formen noch so verschieden sind, haben sie doch dieselben Prin-
cipien zur Grundlage. In allen äussert sich dieselbe Sorgfalt im Entwurf der Hauptmassen der Composition,
dieselbe Würdigung derweilenförmigen Gestaltung, dieselbe richtige Beobachtung der Naturprincipien in
der Ornamentationj dieselbe Zierlichkeit und Verfeinerung in der Ausschmückung.
Jeder Versuch in unserem Zeitalter ein Gebäude im Style des dreizehnten Jahrhunderts auszuführen,
muss nothwendig fehlschlagen. Uebertünchte Wände, Glasmalereien und encaustische Kacheln sind nicht
hinreichend um den Effect zu erzielen, welchen man zu jener Epoche zu erlangen vermochte, als jedes
Gesims die Farbe trug, welche am besten geeignet war dessen Form zu entwickeln, als jeder Zoll Raumes,
vom Boden bis zur Decke hinauf, mit angemessenen Ornamenten versehen, und der Gesammteffect über die
Massen prachtvoll war. Ja, der Kunststyl hatte sich in jener Periode zu einem so glänzenden Hochpunkt
emporgeschwungen, dass er, ermattet von der Anstrengung, auf dem Gipfel seiner Höhe erlag — das Feuer
. E E 105
MITTELALTERLICHE ORNAMENTE.
hatte sich selbst aufgezehrt. Die Baukunst sowohl als die sie begleitenden decorativen Künste neigten sich
zum Verfall, der auf seiner abwärtsgehenden Bahn nie anhält bis der Styl gänzlich erloschen ist.
Unter den Darstellungen encaustischer Kacheln, Tafel LXX., sind es die frühesten, wie No. 17 und 27,
welche die grösste Fülle des Effects verrathen und ihrem Zweck am besten entsprechen. Zwar kam es,
selbst während der Epoche des Verfalls, nie so weit, dass man den Verzierungen einen Relief-Anschein zu
geben versucht hätte, doch kam man oft der Darstellung natürlicher Blätter ziemlich nahe, wie in No. 16 ;
und in manchen Mustern, wo Masswerk und bauliche Theile der Gebäude dargestellt werden, wie z. B. m
No. 23, verkünden sich deutliche Merkmale des A erfalls.
Tafel LXVI. enthält mannichfaltige Darstellungen conventioneller Blätter und Blumen aus illumimrten
Handschriften. In den Original-Manuscripten sind dieselben zwar meistens reichlich lllumimrt, doch haben
wir sie nur in zwei Farben hier abgedruckt, um zu beweisen, dass eine Darstellung im Abriss hinlänglich ist
den allgemeinen Charakter der Blätter darzuthun. Man dürfte nur diese Blätter oder Blumen einem Volu -
tenstamme anpassen, um scheinbar eben so viele Stylarten zu erzeugen, als es einzelne Ornamente auf der
Tafel giebt. Diese Mannichfaltigkeit könnte, mittelst einer Combination der verschiedenen Varietäten, noch
bedeutend vergrössert werden; und endlich könnte man dieser Sammlung noch andere, ebenfalls conven -
tioneil behandelte natürliche Blätter oder Blumen hinzufügen, und auf diese Weise dem Erfindungsgeist des
Künstlers ein neues grenzenloses Feld eröffnen.
Die Tafeln LXXI., LXXII., LXXIII., enthalten eine Sammlung von Typen verschiedener Stylarten die
wir verzierten Illustrationsarbeiten entnahmen, welche vom zwölften bis zum Ende des fünfzehnten Jahr -
hunderts herrühren. Auch in diesen Mustern äussert sich die Spur des Verfalls schon von der ältesten
Epoche her. Der Buchstabe N, Tafel LXXI., wird von keinem unserer Beispiele späterer Perioden über -
troffen: er entspricht in jeder Hinsicht dem wahren Zwecke der illumimrten Bilderschrift, und bleibt durch-
gehends den Anforderungen der rein verzierten Schrift getreu. Der Buchstabe bildet die Hauptverzierung
des Blattes; vom Buchstaben selbst entspringt ein Hauptstamm, der sich mit kühnem Schwünge von der
Basis entwickelt und zu einer grossen Volute anschwillt, und zwar am Punkte wo diese Schwellung den zier -
lichsten Contrast mit der winkelförmigen Linie des Buchstaben bildet. Diese Linie wird wieder mittelst
der grünen Volute unterstützt, die den obern Tlieil des N umschlingt, als ob sie das Vorwartsfallen desselben
verhindern wollte, und ihr Ebenmass ist in so vollkommenem Verhältniss, dass sie mit Anmuth und Leichtig -
keit die daraus entspriessende rotlie Volute zu tragen vermag. Auch die Farben contrastiren mit einander
und balanciren sich aufs trefflichste, und die sinnreiche Weise die Rundung des Stammes anzudeuten ohne
auf positives Relief hinzustreben, bietet uns eine nutzreiche Lehre dar. Es giebt eine ungeheuere Anzahl
Manuscripte dieser Art, die wir als die schönsten Beispiele der illumimrten Bilderhandschnft betrachten.
Dieser Styl verräth in seinen wesentlichsten Merkmalen den morgenländischen Charakter, und entwickelte
sich wahrscheinlich aus der byzantinischen Bilderhandschrift. Die allgemeine Verbreitung dieses Styls
hatte zur Folge, dass die in demselben herrschenden Principien der allgemeinen Vertheilung der Form, auch
in der früh-gothischen Ornamentation als Gesetze beobachtet wurden.
Durch beständiges Wiederholen jedoch verlor dieser Styl nach und nach jene eigenthümliche Schönheit
und Angemessenheit, welche die Frische der ersten Eingebung ihm verliehen hatte, bis er endlich ganz
erlosch, indem die Schnörkel der Rankenverzierungen immer verwickelter und winziger wurden, wie man in
No. 13, Tafel LXXI., sehen kann. Man bemerkt da nicht länger das gehörige Gleichgewicht der Form,
sondern die vier Serien von Rollwerk bilden nur eine einförmige Wiederholung derselben Gestalt.
Von dieser Periode an, bildet der Anfangsbuchstabe nicht länger die Hauptverzierung des Blattes,
sondern der Text wird von Rändern eingeschlossen, die sich um die ganze Seite herum erstrecken, wie No. 1,
Tafel LXXII., oder das Blatt ist mit zwickelförmigen Verzierungen an einer Seite versehen, wie No. 9, 10,
11, 12. Die Ränder erlangten immer grössere Wichtigkeit, und von der Vignettenform, die in der ersten
Zeit so allgemein war, ging man zuerst zu der in No. 15, und endlich zu der in den Nummern 7 und 2
106
MITTELALTERLICHE ORNAMENTE.
illustrirten F orm über, wo der Hand nach aussen von einer rothen Linie begrenzt, während der innere
Raum desselben mit Stämmen und Blumen ausgefüllt wurde, um eine gleiche Tinte zu erzeugen. No. 8
ist das Muster eines im vierzehnten Jahrhunderte allgemein verbreiteten Styls von wesentlich architektoni -
schem Charakter. Es ist ein Ornament das man häufig in kleinen Messbüchern findet, wo es prächtige
Miniaturbilder umschliesst.
Die allmälige Abweichung von den flachen conventionellen Formen, No. 13 und 14, äussert sich stufen -
weise in den Nummern 9, 10, 11, bis sich endlich, in den Nummern 15, 7, 2, das Streben, die Rundung der
natürlichen Formen in Relief darzustellen, aufs deutlichste kund thut. Es offenbart sich ebenfalls ein
Zeichen des allmäligen Verfalls im ununterbrochenen Zusammenhang der Hauptstämme. Zwar lässt sich
jede Blume oder Blättergruppe in No. 15, 7, 2, zu ihrer Wurzel zurückführen, aber die allgemeine Anord -
nung ist fragmentarisch.
In den bisher abgehandelten Beispielen schlugen die Ornamente noch ins Fach des Schreibers, und wurden
zuerst in schwarzen Contour-Linien entworfen und nachher colorirt; aber in den, auf der Tafel LXXIII.,
dargestellten Ornamenten, fing der Maler an dem Schreiber ins Handwerk zu greifen, und je weiter man
fortschreitet, desto mehr entfernt man sich vom eigentlichen Charakter und den rechtmässigen Grenzen der
Bilderhandschrift.
No. 5 stellt uns die erste Stufe dieses Ueberganges dar. Die Anordnung ist geometrisch und besteht
aus conventioneil behandelten Ornamenten, die goldene Felder umschliessen, und auf diesen Feldern sieht
man gemalte Blumengruppen, gewissermassen conventioneil behandelt. In den Nummern 6, 7, 8, 9, 10,
15, finden sich conventioneile Ornamente mit natürlichen Blumen untermischt, und fragmentarisch geordnet.
In diesen Beispielen schon ist das Gesetz des ununterbrochenen Zusammenhangs der Zeichnung ausser Acht
gelassen, aber in No. 11 sieht man sogar eine natürliche Blume und ein conventioneiles Ornament an einem
und demselben Stamme angebracht, und endlich in No. 12 und 13 scheint der Maler seiner ungebundenen
Laune freien Lauf gelassen zu haben, indem er Blumen und Insekte hinmalte, die ihren Schatten deutlich
aufs Blatt verbreiten. Nachdem die Miniaturmalerei einmal diese Stufe erreicht hatte, konnte sie nicht
weiter gehen —jeder Gedanke der Idealität war hin, und an ihre Stelle trat das Streben ein Insekt so genau
und natürlich nachzuahmen, dass es den Anschein habe, als ob es sich aus der Luft aufs Papier niederge -
lassen hätte.
In No. 1 und 2 sieht man Beispiele einer Stylart die den italienischen Manuscripten eigen ist. Es ist
eine Verzierungsweise die ursprünglich im zwölften Jahrhundert allgemein verbreitet war und nachher, im
fünfzehnten Jahrhundert, aufs neue ins Leben gerufen wurde. Diese Verzierungsweise führte zu dem in
No. 3 offenbarten Styl, der aus reichlich colorirten verschlungenen Mustern auf goldenem Grunde besteht.
Dieser Styl erlosch auf dieselbe Weise als der vorher benannte, indem die verschlungenen Zeichnungen,
anstatt rein geometrischer Formen, nur Nachahmungen natürlicher Zweige vorstellten, wodurch der Styl,
natürlicher Weise in Verfall gerathen musste.
Die Ornamente der Glasmalereien kommen in ihrer Beschaffenheit den Ornamenten der Manuscripte
viel näher, als den Sculpturverzierungen an den Monumenten derselben Epoche, und gehen ebenso wie die
Verzierungen der Handschriften, den baulichen Ornamenten immer bedeutend voran. Daher kommt es
z. B., dass die Glasmalerei des zwölften Jahrhunderts schon denselben kühnen vollen Effect und dieselbe
Constructionsweise offenbart, der sich in den Sculpturornamenten erst im dreizehnten Jahrhundert ent -
wickelte, während die Glasmalerei des dreizehnten Jahrhunderts, nach unserer Ansicht, schon im Verfall
begriffen ist, und denselben Uebergang offenbart, der sich in den schon besprochenen Nummern 13 und 12,
Tafel LXXI., bemerken lässt.
Die stetige Wiederholung derselben Form veranlasste nach und nach eine Ueberladung der Details,
wodurch der allgemeine Effect sehr beeinträchtigt wurde, indem die Verzierungen nicht mehr mit den
allgemeinen Massen im gehörigen Verhältniss standen. Dieser Mangel an Ebenmass, wo er wirklich
107
MITTELALTERLICHE ORNAMENTE.
existirt, ist um so auffallender, da das vollkommene Verkältniss, hinsichtlich des Gleichgewichtes und des
Effects,’zwischen den Ornamenten und den verzierten baulichen Gliedern, zu den schönsten Eigenschaften
des früh-^othischen Styls gehörte. Alle Ornamente von 12 bis 28, Tafel LXIX. und LXIX*, rühren vom
zwölften Jahrhundert her, No. 3 und 7 vom dreizehnten, No. 1, 2, 4, 5, 6, 8, 9, 10, 11 vom vierzehnten,
und sie bestätigen beim ersten Blick alles was wir behauptet haben.
Die Glasmalereien des zwölften Jahrhunderts offenbaren alle die Principien die einem vollkommenen
Kunststyl eigen sind. Zum Beweise dürfen wir nur auf die sinnreiche Methode hindeuten, mittelst wel -
cher die geraden, krummen und geneigten Linien in allen Buntmustern mit einander contrastiren und sich
gegenseitig balanciren.
No. 2 und 4 illustriren ein allgemeines Princip, welches in seinem Wesen durchgehends einen orienta -
lischen Charakter verrätli, und besteht darin, dass das zusammenhängende Grundmuster sich mit dem
allgemeinen Muster der Oberfläche in gleicher Tinte verwebt.
°Die Nummern 1, 5, 6, 8 des vierzehnten Jahrhunderts bezeichnen den Anfang des auf die unmittelbare
Nachahmung der N atur hin strebenden Styls, in welchem endlich alle die Grund principien der Glasmalerei
ganz vernachlässigt wurden, und die Ornamente und die Figuren, die doch das Licht durchlassen sollten,
wurden in Folge dieses übertriebenen Strebens nach wahrhafter Darstellung, mit Schatten und Schattirungen
versehen.
MITTELALTER
TAFEL LXVI.
MIDDGEAGES N G I
MO.YEN-AGE
PL. LXVI
MITTELALTER
' TAFEL LXYIi:
MQYJSN-AGE
PL.LXVII
:
MITTELALTER
MIDDLE ACE'S N° %
M0VEN ÄGE..
r: ~~
LXYII*
I TAFEL UY1I *
MITTELALTER
MIDDLE AGES N°S. mqyen-äge
82.
Capitel XVII.—Tafeln 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81,
ORNAMENTE DER RENAISSANCE.
TAFEL LXXIY.
1, 8, 9. Basreliefs von der Kirche Sta. Maria dei Miracoli,
Venedig.
2. Basrelief von der Scuola di San Marco, Venedig.
3. Basrelief, bildet die Fortsetzung aufwärts der Fig. 2.
TAFEL
1, 2. Von einer Sammlung von Gipsmodellen, unter der
Aufsicht des Professors Varny von den vorzüg -
lichsten Monumenten des Cinque-Cento Styls zu
Genua abgegossen.
3. Von der ersten Thiire des Ghibcrti am Baptisterium
zu Florenz.
4, 6. Basreliefs von der Kirche San Michele in Murano,
Venedig.
5, 7. Basreliefs von der Scala dei Giganti, Venedig.
Lxxy.
4, 5, 8, 9, 11. Von Genua.
6. Von Venedig.
7. Von der Kirche Santi Giovanni e Paolo, Venedig.
10. Vom Hötel de Bourgtheroulde, Rouen.
TAFEL LXXYI.
1. Basrelief von Andrea Sansovino, Kirche Sta. Maria
dei Popolo, Rom.
2. Basrelief von derKircheSta.Maria deiMiracoli,Venedig.
3. Basrelief vom Hötel de Bourgtheroulde, Rouen.
4. Basrelief von einer Sammlung von Gipsmodellen von
den vorzüglichsten Monumenten des Cinque-Cento
Styls zu Genua, unter der Aufsicht des Professors
Varny abgegossen.
5, 7, 8, 10. Basrelief von Genua.
6. Basrelief vom Grabmal Martinengo, Brescia.
9. Basrelief von der Basis der “ drei Grazien ” des Ger-
main Pilon, im Louvre.
TAFEL
1—3. Emailornamente auf Kupfer im früh-limusinischen
Champlevö-Styl, vom Museum des Hötel Cluny zu
Paris.
4-8. Ditto, einer spätem Periode.
9. Ornamente aus dem Hintergrund einer Malerei, im
Hötel Cluny.
10,11. Emails auf goldenem Grunde, vom Louvre.
12. Elfenbein mit Silber eingelegt, aus dem sechzehnten
Jahrhundert, vom Hötel Cluny.
13. Von einem Kästchen, im Hötel Cluny.
14. Von einem eisernen Pulverhorn des sechzehnten
Jahrhunderts, im Hötel Cluny.
15-17. Aehnliche Gegenstände von Buchsbaumholz, vom
selben Museum.
18-20. Limusinische Emails vom sechzehnten Jahrhundert,
Louvre.
21. Vom Museum im Louvre.
22-24. Emails auf goldenem Grunde, aus dem sechzehnten
Jahrhundert, Louvre.
25. Theil eines Schrankes von Ebenholz, aus dem sech -
zehnten Jahrhundert, Hötel Cluny.
26. Eingelegte Arbeit an einer Dolchscheide des sech- j
zehnten Jahrhunderts, Hötel Cluny.
27, 28. Von Töpferarbeiten des sechzehnten Jahrhunderts,
Louvre.
LXXYII.
29. Email auf Kupfer im Champleve-Styl von Limoges,
Hötel Cluny.
30. Gemalte Ornamente, Hötel Cluny.
31. Von der Rüstung Heinrichs III., im Louvre.
32. Eine Metallplatte, im selben Museum.
33-35. Von Metallarbeiten, Louvre.
36. Von der Rüstung Franz II., im Louvre.
37-39. Ornamente von getriebener Arbeit in Kupfer, Hötel
Cluny.
40, 41. Emails im Champlevö-Styl von Limoges, vom selben
Museum.
42-44. Von Goldarbeiten des sechzehnten Jahrhunderts,
Louvre.
45,46. Von einer limusinischen Emailmalerei des sechzehn -
ten Jahrhunderts, Hötel Cluny.
47. Ornamente auf Kupfer, Hötel Cluny.
48. Ebenholz mit Elfenbein eingelegt, im selben Museum.
49. Gemaltes Ornament, Hötel Cluny.
50-53. Emails im Champleve-Styl von Limoges, vom selben
Museum.
54-56. Aus den Accessorien verschiedener Malereien im
selben Museum.
57-61. Emails im Champleve-Styl von Limoges.
109
F F
ORNAMENTE DER RENAISSANCE.
TAFEL LXXVIII.
,-3,. Ornament, vo. „yh-.d,,.. SÄ
SÄ^ÄSSiSÄMti. .» d.„ fünfzehnten, teehzehnfn «nd eiebz.hnt.» J^hundert.
1-3.
4-10.
11-13.
14-18,
TAFEL LXXIX.
Ornamente von
überzogenem
Hotel Cluny.
der Fayence, oder dem mit Schmelz
Geschirr des Bernhard de Palissy,
l
Von Majoliken, Hötel Cluny.
Von Fayence des fünfzehnten Jahrhunderts, Hötel
Cluny.
21. Von Fayence des sechzehnten Jahrhunderts,
Louvre.
19-20.
22, 23.
24-33.
34.
Von Porzellan des siebzehnten Jahrhunderts, Louvre.
Von deutschem irdenen Geschirr, en gres, mit
Schmelzmalerei, aus dem sechzehnten Jahrhun -
dert, Hötel Cluny.
Von französischem, spanischem und italienischem
Thongeschirr, Hötel Cluny.
Vom Louvre.
TAFEL LXXX.
1 2 Ornamente von Fayence.
3_ß. Ornamente von Fayence des sechzehnten Jahrhun -
derts.
7-10. Ornamente von Fayence des siebzehnten Jahrhun -
derts.
1112. Von Fayence mit metallartigem Glanz.
’ 13. Von einer Vase venetianischen Glases, aus dem sech -
zehnten J ahrhundert.
14-21. Von Fayence des sechzehnten Jahrhunderts.
22-23. Von Fayence einer frühem Epoche.
24-27. Von irdenem Geschirr, Gres Flamaud genannt.
28—32. Von Fayence des sechzehnten Jahrhunderts.
33. Von einem Täfelwerk geschnitzten Holzes des sieb -
zehnten Jahrhunderts.
34-38. Von Thongeschirr mit Schmelz überzogen.
39-42. Von Seidenstickereien auf Sammet.
H.B. Sämmtliche Muster dieser Tafel sind dem Hötel
Cluny zu Paris entnommen.
TAFEL LXXXI.
1. Von einem Credenztische geschnitzten Holzes, vom
Jahre 1554, Hötel Cluny.
2. Hölzernes Täfelwerk des sechzehnten Jahrhunderts,
Hötel Cluny.
3. Von einer eichenen Stuhllehne, Hotel Cluny.
4-G. Von geschnitzten hölzernen Chorstühlen, aus dem
fünfzehnten Jahrhundert, Hötel Cluny.
7-10, 25, 26, 35, 36. Von Möbeln, Hötel Cluny.
11. Verzierte Spitze eines Balkens, aus dem fünfzehnten
Jahrhundert, im Hötel Cluny.
12 13 20, 21, 39, 40. Von Möbeln des sechzehnten Jahrhun -
derts, Hötel Cluny.
14,15. Von Möbeln des fünfzehnten Jahrhunderts, Hotel
Cluny.
16. Von einem Credenztisch, im Hötel Cluny.
17. Felder eines Fensterladens, Ende des fünfzehnten
Jahrhunderts, Hötel Cluny.
18. Geschnitztes Ornament vom Louvre.
19. Von einem Kamm von Buchsbaumholz, Hötel Cluny.
22. Steinernes Geländer vom Schloss Anet.
23. Steinhauerarbeit vom Louvre.
24. Von einem Kamine im Hötel Cluny.
27-30. Ausgehauene Marmorarbeiten, von dem berühmten
Becken des Brunnens des Schlosses Gaillon, gegen -
wärtig im Louvre.
31,32. Steinhauerarbeiten des siebzehnten Jahrhunderts,
Louvre.
33. Holzschnitzereien, Hötel Cluny.
34, 38. Vom Brunnen des Schlosses Gaillon, Louvre.
1 37. Vom Schaft einer Hakenbüchse des sechzehnten
Jahrhunderts, im Hötel Cluny.
TAFEL LXXXII.
1-9. Geschnitzte Ornamente von eichenen Möbeln des
sechzehnten Jahrhunderts, Hotel Cluny.
10, 11, 19, 34. Vom Bette Franz I., Hötel Cluny.
12 13. 14, 32, 33. Von eichenen Möbeln des sechzehnten
Jahrhunderts, Hötel Cluny.
13-17, Von einem Credenztisch des fünfzehnten Jahrhun -
derts.
18. Von einem eichenen Credenztisch, vom Jahre lo24,
Hötel Cluny.
20-29. Von Möbeln des sechzehnten Jahrhunderts, Hötel
Cluny.
30 31. Felder an Fensterläden, vom Ende des fünfzehnten
Jahrhunderts, Hötel Cluny.
ORNAMENTE DER RENAISSANCE.
W ENN zwei verständige Kunstforscher darauf ausgingen den Spuren der italienischen Kunst und Litteratur
in allen ihren Phasen zu folgen, indem der Eine es sich angelegen sein liesse, den Zeitpunkt zu ermitteln,
wo das directe, doch ermattete Licht römischer Grösse so weit abgenommen hatte, dass es nur noch einen
schwachen und glimmernden Abglanz über das Land verbreitete, über welches es vormals seine leuchtenden
Strahlen mit blendender Fülle ergossen, während der Andere es sich zur Aufgabe machte den frühesten
Versuchen nachzuspüren, die daraufhinzielten, die Verehrung für die im Verlauf der Zeiten beinahe gänz -
lich erloschene classische Schönheit aufs neue anzuregen, so müssten sie nicht nur im Laufe ihrer Nach -
forschungen mit einander Zusammentreffen, sondern auch auf ihrer Bahn an einander vorübergehen. Dass
die Bestrebungen zur Wiederbelebung der Kunst sich lange vor dem gänzlichen Erlöschen derselben offen -
barten, war übrigens ganz natürlich: denn die materiellen Monumente des alten Eoms, die in dichten
Massen den Boden Italiens bedeckten, waren zu bedeutend, zu majestätisch um vergessen zu werden. Man
durfte nur den Boden aufwuhlen, um mit leichter Mühe Bruchstücke von Stein, Bronze oder Marmor von
ausgezeichneter Schönheit aus der sie kaum bedeckenden Erde an den Tag zu fördern. Diese Fragmente
benutzte man zuweilen zu Grabmälern oder als Accessorien in Bauten, doch wurden in diesen Gebäuden
selbst alle die Principien, welchen diese Bruchstücke ihre Schönheit verdankten, gänzlich ausser Acht
gelassen. Daher fasste der gothische Styl nur langsam Wurzel in Italien, wo er im vollsten Glanz, aber
nur kurze Zeit zu blühen bestimmt war. Beinahe zur selben Epoche als der Spitzbogen zuerst von einem
Engländer m die Baute von St. Andrea, zu Vercelli, im Norden Italiens, zu Anfang des dreizehnten Jahr -
hunderts emgefuhrt wurde, und gleichzeitig mit den deutschen Arbeiten des Magisters Jacobus, zu Assissi,
erhob Nicola Pisano, der so viel zur Wiederbelebung der antiken Sculptur beigetragen hat, seine Stimme
zu Gunsten der Alten und ihrer Künste. Gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts erlitt überdies auch
die litterarische Welt eine gänzliche Umwälzung; und Dante machte sich nicht nur als einer der grössten
christlichen Dichter berühmt, sondern auch als ein würdiger Nacheiferer des unsterblichen Dichters von
Mantua, und als ein tiefsinniger Nachforscher classischer Gelehrsamkeit. Im vierzehnten Jahrhundert ver -
wendeten die zwei innigen Freunde, Petrarch und Boccaccio, ein langes, thatenreiches Leben, nicht etwa
bloss darauf, poetische und prosaische Werke in italienischer Sprache zu schreiben, sondern ihr vorzüg -
lichstes Bestreben war dahin gerichtet, der Welt den längst verlornen Text römischer und griechischer
Autoren wieder zu geben. Cino da Pistoia und andere gelehrte Commentatoren und Rechtsgelehrte brachten
das Studium des grossen “ Corpus •’ der alten Rechte wieder in Aufschwung, und bildeten Academien, wo
dasselbe als Lehrtext angenommen wurde. Boccaccio war der erste der in Italien einen klaren Bericht der
alten heidnischen Götterlehre herausgab; und er war es auch der den ersten Lehrkatheder der griechischen
Sprache zu Florenz errichtete, zu welchem er einen gelehrten Griechen aus Konstantinopel, Namens Leontius
Pilatus als ersten Professor bestellte. Diese Bestrebungen zur Wiederbelebung der classischen Gelehrsam -
keit erhielt die kräftigste Unterstüzung von Seiten einer zahlreichen Phalanx vornehmer Männer, unter
denen wir Johann von Ravenna (Schüler des Petrarch), Leonardo Aretino, Poggio Bracciolini, Aeneas
Sylvius (später Papst Pius II., 1458-1464) und Cosmo, den Vater der Medicis, als die bekanntesten anfüh -
ren. Gerade nachdem es den Anstrengungen solcher Männer gelungen war, alle noch vorhandenen Ueber-
4
ORNAMENTE DER RENAISSANCE.
bleibsel der classischen Gelehrsamkeit in öffentlichen sowohl als in Privatbibliotheken zu sammeln, wurde
die Buchdruckerkunst, ungefähr in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, in Italien emgefuhrt. Zwei
deutsche Buchdrucker, Sweynheim und Pannartz, errichteten unter dem Schutz der Benedictmer-Monc
von Subiaco ihre Buchdruckerpresse im berühmten Kloster von Santa Scholastica, wo sre rm Jahre 1465
den Lacantius herausgaben. Im Jahre 1467, begaben sie sich nach Eom, wo ihr “ Cicero de Oratore bald
darauf erschien. Während in Deutschland und in Frankreich biblische Werke und Kirchenlitteratur, und
in England populäre Schriften zuerst die Buchdruckerei in Anspruch nahmen, lieferte diese m Italien eine
Zeitlang beinahe nichts als ausschliesslich classische Arbeiten. Der Franzose, Nicholas Jenson, den Lud -
wig XL zu Frist und Scheffer absandte um “le nouvel art par lequel on faisait des livres,” bei denselben
zu erlernen, begab sich mit seiner neu erlangten Kenntniss von Mainz nach Venedig, wo er die Cursivschnf
erfand die nachher vom gelehrten Aldus Manutius angenommen wurde. Dieser letztere, ein ebenso thatiger
Buchdrucker als gelehrter Verleger, begann im Jahr 1490 den Verlag der griechischen und lateinischen
Classiker, die in schneller Folge nach einander erschienen. Unter seinen ersten Werken war “ Hypnero-
tomachia” oder der Traum des Poliphilus, von Fra Colonna, einem gelehrten Geistlichen: ein Merk,
welches ewig denkwürdig in der Geschichte der Kunst bleiben wird. Es ist mit zahlreichen Holzschnitten
verziert, die, wie man glaubt, vom grossen Künstler Andra Mantegna gezeichnet worden sind. Diese Illu -
strationen, welche ein gründliches Studium der alten Ornamentationskunst verrathen, verbreiteten über den
ganzen europäischen Continent den Geschmack für Typen die mit denen des Mittelalters im diametrischen
Gegensatz standen. Die Herausgabe des Vitruvius, der in 1486 zu Korn, m 1496 zu Florenz, und m 15
in Venedig mit Illustrationen erschien, so wie auch Albertis grosses Werk « De Re ^dificatoria, welches
1485 zu Florenz herauskam, setzte den classischen Kunstbestrebungen jenes Zeitalters die Krone auf, un
bot die Mittel dar, die in Italien mit so warmem Eifer aufgenommenen Details der alten Zeichnungen auch
den übrigen Ländern mitzutheilen. Die Gioliti, Nachfolger des ersten Aldus in Venedig, und die Giunti
in Florenz vervielfältigten schnell die Ausgaben der classischen Werke, so dass dieses Streben der Renais -
sance, welches ohne die Buchdruckerei sich wahrscheinlich auf Italien beschränkt hätte, mit Hülfe derselben
schnell einen kosmopolitanischen Charakter erhielt.
Doch äusserten die Italiener, wie schon bemerkt, ihre Abneigung gegen die gotbischen Formen, lange
ehe die ernten Vorarbeite, in den Minen des Alterthnms die Frucht ihres Streben, gesammelt hatten. In
den Ornamenten, welche die Decke der Kirche von Assisi umgeben, und welche dem Cunabue, later der
Malerei zugeschrieben werden, findet sich eine ziemlich richtige Zeichnung des Acantlmsblattes. Ebenso hat
Nicola Pisano, wie auch andere Künstler des dreizehnten Jahrhunderts, manche wichtige Elemente der
Zeichnung aus dem Studium der antiken Beste abgeleitet. Doch entwickelten sich dre wahrhaft wichtigen
Resultate der Renaissance erst im Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts. Was auf der ersten Stufe nur als
Princip sich offenbarte, wurde gegen die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, eine Renaissancen, wahren
Sinne des Wortes. Es ist unleugbar, dass, in der frühesten Periode de, Renaissance, wo die Eingebungen aus
der Natur geschöpft wurden, und die Details der classischen Formen kaum bekannt waren, so manche
Leistungen gewisse Unvollkommenheiten verrietben, denen man spater, unter einem regelmassigem System
der Ausbildung abzuhelfen gewütet hat, und doch können wir nicht umhin, der Frische und der Na.veta
der ersten Vorlauter den Vorzug eins,.raumen über die zwar vollkommenere, aber auch minder schwelge
Zierlichkeit der spätem Arbeiter, die sich an eine beinahe unmittelbare Nachahmung der antiken Wense
^Der erste grosse Schritt vorwärts wurde vom berühmten Jacopo della Quercia gemacht. Dieser Künst -
ler, aus seiner Vaterstadt Sienna verbannt, begab sich nach Lucca, wo er in 1413, in der Kathedrale , ei
Stadt ein Monument zum Andenken der Ilaria di Caretto, Gemahlin dte Giunigi d. Caretto, Oberie m,beim
der Stadt, errichtete. In dieser Arbeit (von der im Crystal Palace ein trefflicher Abguss zu sehen ist),
verrieth der Künstler eine genaue Beobachtung der Natur, sowohl in den Blumengehangen, welche den o ern
112
ORNAMENTE DER RENAISSANCE.
M^ F T St t umgebe», ab auch in *. - Puttiui „der pausbäckigen Knabe» die eie trage». Die
° ” mte » B “” h " e, " eS «■» “ P “ tM ” W- die ungekünstelte Nachahmung der Natur, die dem
A ;r:zr r : T Sein r saes werk aber war der Brunnen auf dem Marktpiatz zu ^a, dessen
sfuluung auf zwei Tausend zwei Hundert Goldducaten zu stehen kam. Dieser Brunnen ist jetzt beinahe
,-7 'Z“, 7' “' St “ bCr ’ MlbSt “ sdnem gegenwärtigen Zustande, unverkennbare Spuren der ungewöhn-
ti d 2T:: tt Seit der A " sfäh, ' u ” g *- M “ ks -«—
Jacope delU Fante bekannt. Auch wurde ihm als Anerkennung manche Auszeichnung zu Tbeil, und er
ward zum K.rohenvorsteher de, Stadt ernannt, wo e, sein thätiges und bewegte, Lebe», in 1424, im Alter
d™ bemiett ' ^ ^ “ !hm r ‘ ie A, “ fÖb ™® d “ B^nzetbüre
Baptisteriums zu Florenz, um die er sieb nebst andern Candidate» beworben hatte, zu erhalte» doch
genoss er der höchsten Achtung während seines Lebens, und übte auch nach seinem Tode noch einen grossen
und heilsamen Einfluss aut die Sculptur aus. So gross aber auch sein Verdienst war, stand er doch, in der
richtigen Nachahmung der Natur.au Anmuth, an geschickter und leichter Combinatio» der Verzier,,».,
seinem Zeitgenossen, Lorenzo Ghiberti, bei weitem nach.
s "— “ T 401 ; unter .. einer . weseiltlicl1 demokratischen Regierungsform, eine der blühendsten
in uiopa. n dieser bürgerlichen Demokratie waren die verschiedenen Handwerke in Zünfte
un er dem Namen «Arid,” abgesondert, und wurden von Abgeordneten (Gonsoli) repräsentirt. Diese
e ztern beschlossen, im obgenannten Jahre, eine zweite Bronzethüre am Baptisterium errichten zu lassen
a " ^ ZU l d6r ’ Welche Andrea Pisano frülie ^ in einem sehr edlen aber gotliischen Styl angefertigt hatte!
11 ^ Se ieses Entschlusses, lud die Signoria, welche die vollziehende Macht ausübte, alle die vorzüg -
lichsten Künstler Italiens zum Wettstreit ein. Lorenzo Ghiberti, in Florenz gebürtig, der zu jener Zelt
erst zwei und zwanzig Jahr alt war, ging auf den Wettstreit ein, und wurde, nebst zwei andern Künstlern
runelleschi und Donatello, des Unternehmens würdig erklärt. Die zwei letztem zogen sich, wie es scheint,
reiwi hg zuruck, und er übernahm die Arbeit, welche drei und zwanzig Jahre nachher beendet war. Dil
iisfuhrung sowohl als die Zeichnung war so meisterhaft, dass die Signoria sich veranlasst fühlte ihm die
n f ÜgUng emer ZWeiten ThÜre zu übertragen, die im Jahre 1444, beendigt war. Es wäre unmöglich die
ic tig 'eit dieser Arbeit zu hoch anzuschlagen, welche, sowohl im Betracht ihres Einflusses auf die Kunst,
a s lmsichtlich ihres innern Werth es, über jedes andere Werk dieser Art erhaben steht. Das Ornament,
we cies. die Felder umschliesst (von dem ein Theil unter Fig. 3, Tafel LXXY., zu sehen ist), verdient es’
wo ü m ü der grössten Aufmerksamkeit geprüft zu werden.
Loienzo Ghiberti, der ursprünglich von seinem Schwiegervater zur Goldschmiedekunst gebildet wurde,
gehörte keiner besondern Schule an, und hat auch keine eigentliche Schule gebildet, und sein Einfluss auf
c le Kunst rührt weniger von der Entwickelung einer Kunstschule oder von der Heranbildung von Zöglingen
her, als von der Aufmerksamkeit und der Huldigung die seinen Arbeiten, von Männern wie Buonarotti und
Rafael, zu Theil wurde. Er starb in einem sehr vorgerückten Alter in seiner Geburtsstadt, im Jahre
1455. Einer seiner unmittelbaren Nachfolger, Donatello, wusste der Kunst eine lebensvolle männliche
Kraft zu geben, die m Ghiberti’s Compositionen, so schön diese auch waren, oft fehlte. Die Eigenschaften
dieser beiden genannten Künstler vereinigten sich in der Person des Lucca Deila Robbia, der während seines
langen Lebens (von 1400 bis 1480) eine unendliche Menge von Werken lieferte, in deren Verzierungsdetails
sich der anmuthigste und freieste Einklang mit der Antike kund thut, Filippo Brunelleschi vereinte in
sich zugleich die Talente eines Bildhauers und die eines Architekten. Die erstem bewährte er im ausge -
zeichneten Probestück, das er bei Gelegenheit des Wettstreites mit Ghiberti, um die Ausführung der be -
rühmten Thuren von San Giovanni Battista, verfertigte, und als Beweis der letztem kann die von ihm
erbaute Kathedrale Sta. Maria delle Fiore, Florenz, angeführt werden. Diese Combination von Fähigkeiten
der Baukunst und der Bildnerei, bildete übrigens einen Charakterzug jener Periode. Figuren, Blattwerk
und conventioneile Ornamente verschmolzen sich so harmonisch mit Gesimsgliederungen und andern
G G
113
ORNAMENTE DER RENAISSANCE.
architektonischen Formen, dass man sich des Gedankens
nicht erwähren konnte, dass das ganze Werk in seiner
vollkommenen Gestalt zugleich im Geiste des Künstlers
entstanden sein müsse.
Der Geschmack, welcher sich derart im toscanischen
Gebiete entwickelte, verbreitete sich zugleich nach Rom,
Mailand, Venedig und Neapel. In diesem letztem Staate
ging die von Massuccio zuerst angezündete Fakel in die
Hände der Künstler Andrea Ciccione, Bomboccio, Monaco,
und Amillo Fiore, über.
Der Reichthum der römischen Prinzen, und die
grossartigen Werke, welche die verschiedenen Päpste
zu Rom ausführen liessen, versammelten in dieser Stadt
W",
Feld von der Piscina am Hochaltar der Certosa, Pavia.
die talentreichsten und fähigsten Männer, die die Welt auf -
zuweisen hatte; daher trifft man auch jetzt noch in den
Palästen und Kirchen Rom’s Bruchstücke der gediegen -
sten decorativen Bildhauerarbeiten. Bramante, Baldas-
sare Peruzzi, Baccio Pintelli (von dessen Arabesken, an
der Aussenseite der Kirche des Sant’ Agostino, einem der
Arabesken von Baccio Pintelli,
an der Kirche Sant’
Agostino zu Rom.
1 1 d.
Felder von der Piscina,
am Hochaltar der Certosa,
Pavia.
Arabesken von Baccio Pin
an der Kirche Sant’
Agostino zu Rom.
ORNAMENTE DER RENAISSANCE.
ersten im reinen Eenaissance-Styl zuEom ausgeführtenGebäude, wir in unsere Holzschnitten einige elegante
Muster darstellen) und der grosse Eafael selbst hielten es nicht unter ihrer Würde den Bildhauern Zeich -
nungen zu Ornamenten zu liefern, die den reinsten Geschmack und die reichste Fülle der Phantasie ver-
riethen. Zu welcher Vollkommenheit dieser letzt-genannte Künstler es in diesem Zweige der Kunst gebracht
hat, wird aus den berühmten hölzernen Chorstühlen klar, die sich im Chor der Kirche San Pietro dei
Casinensi befinden. Die Schnitzerei derselben wurde von Stefano da Bergamo ausgeführt, der sich in seiner
Arbeit der herrlichen Compositionen des Eafael würdig zeigte.
Die merkwürdigen Bauten des Doms zu Mailand und der Certosa von Pavia schufen eine eigene und
wichtige Schule, zu deren Anhängern, nebst andern Künstlern, Fusina, Solari, Agrati, Amadeo und Sacchi
gehören. Das Bildhauertalent war in jenen Gegenden lange einheimisch gewesen, und die genannten
Künstler belebten, m der vollendetsten Gestalt, die überlieferten Traditionen der Maestri Comaschi, oder
Freimaurer von Como, deren geniale Kunst so manche, der berühmtesten Bauten des Mittelalters mit der
höchsten Grazie ausgeschmückt hatte. Unsere höchste Bewunderung gebührt jedoch unstreitig dem
Agostino Busti, besser bekannt unter dem Namen Bambaja, und seinem Zögling Brambilla, deren herrliche
Arabesken an der Certosa erstaunliche Beispiele meisterhafter Ausführug sind. Unsere Holzschnitte, dem
Hochaltar der Piscina entnommen, liefern ein Beispiel des allgemeinen Styles der pavischen Arabesken.
In Venedig glänzte unter den vorzüglichsten Meistern, die Familie der Lombardi (Pietro, Tullio, Guilio,
i i
Ornamente von der
Piscina am Hochaltar
der Certosa, Pavia.
Theile von Pilastern der Kirche Sta. Maria dci Miracoli, Venedig.
Sante und Antonio), der diese Stadt ihre berühmtesten Denkmäler verdankt. Diesen folgten die Künstler
Eiccio, Bernardo und Domenico di Mantua, und viele andere Bildhauer, deren Namen jedoch von dem des
grossen Jacopo Sansovino gänzlich verdunkelt wurden. Zu Lucca behauptete Matteo Civitale (geh. 1435,
115
ORNAMENTE DER RENAISSANCE.
gest. 1501) den Ruhm seiner Epoche. Wenn wir uns wieder nach Toskana zurückwenden, finden wir,
gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts, die höchste Vollkommenheit in der decorativen Sculptur, deren
Hauptzug nicht länger in der emsigen und einfachen Nachahmung der Natur besteht, sondern in der con -
ventioneilen Darstellung der Antike. Die Namen Mino da Fiesoie — der grösste Meister der berühmten
Schule der Fiesolani—Benedetto da Majano, und Bernardo Rossellini, erinnern uns an die zahlreichen
und prächtigen Denkmäler, die die Kirchen von Florenz und die der andern Städte des Grossherzogthums
zieren. Diese Künstler lieferten gleich merkwürdige Arbeiten in Holz, in Stein und in Marmor, und
standen in diesen ihren Werken bloss ihren obgenannten Vorgängern und einigen wenigen ihrer Zeitgenos -
sen nach. Unter diesen zeichnete sich Andrea Contucci, besser bekannt als Sansovino der ältere,-besonders
ans; ja es scheint unmöglich, grössere Vollkommenheit in der decorativen Bildnerei zu erreichen, als ei in
den wundervollen Monumenten, den Hauptzierden der Kirche Sta. Maria del Popolo, zu Rom, an den Tag
gelegt hat. Jacopo Tatti, sein Scliüler§ von dem wir weiterhin sprechen werden, ist allein würdig als
Nebenbuhler an der Seite seines Meisters zu stehen, dessen Namen er später annahmj
Nach dieser kurzgefassten Uebersicht der Leistungen der'grossen Bildhauer Italiens, die zugleich auch
Ornamentisten waren, wollen wir auf einige der Lehren hindeuten, die sich aus ihren Werken zum Nutzen
der Künstler und der Kunstarbeiter ableiten lassen. Was in den Reliefornamenten des Cinque-Cento Styles
aufs eigenthümlichste hervortritt, und am meisten bezaubert, ist die treffliche Benutzung des Spiels des
Helldunkels, welches aus den unendlichen Variationen der Flächen entsteht, und zwar nicht nur an Ober -
flächen, die mit dem Grunde parallel sind, aus welchem das Ornament entspringt, sondern auch in Flächen
die in mannichfaltig abgeänderten Berührungswinkeln die Tangenten des -
selben bilden.
Der Unterschied zwischen einer volutenförmigen Rankenverzierung,
wo das Relief vom Entstehungspunkt der Volute bis zum Mittelpunkt
allmälig abnimmt, und einer Volute, deren Relief durchgehends gleichförmig
bleibt, ist hinsichtlich des erzielten Effects, sehr gross. Die Künstler des
fünfzehnten Jahrhunderts gaben, ohne Ausnahme, der erstgenannten Form
den Vorzug, und verdankten diesem Umstande die unfehlbar wohlgefälligen
Resultate, welche sich in ihren einfachsten, so wie in ihren verwickeltsten
Combinationen der Spiralformen offenbaren.
Diese genaue Abstufung der zartesten Reliefschattirungen in der Sculp -
tur, übte Donatello ganz besonders mit einer unübertroffenen Vollkommen -
heit aus, und seine Autorität, in Punkten des Geschmacks, stand bei seinen
florentiniscken Zeitgenossen in der höchsten Achtung, während sein Beispiel
mit ehrerbietigem Eifer von Künstlern jeder Classe befolgt wurde. Er
war der erste Künstler, der das bassissimo relievo in Anwendung brachte,
worin man den Effect der Projection und der gerundeten Modellirung in
kaum wahrnehmbaren Grenzen des Reliefs zu erreichen vermag, und er
war auch der Erste der dasselbe mit dem mezzo und alto relievo com-
binirte, wodurch er in seinen Arbeiten eine fast malerische Abtheilung in
mehrere Flächen zu erzielen vermochte. Ohne je die gehörigen Grenzen
der Sculptur zu überschreiten, hat er die Bildhauerkunst doch mit manchen,
aus dem Gebiete der Malerei abgeleiteten Elementen bereichert, welche
die florentinischen Cinque-Centisti in ihrer Praxis in Anwendung brachten.
Dieser Erfindungen — denn sie verdienen beinahe diesen Namen, obgleich
sie nur die Frucht eines emsigen Studiums der Antike waren — bemäch-
Kleine Pilaster einer
^Eärche stafMaria ?r tigten die Ornamentisten der Epoche sich begierig zur Nachahmung ; und
DeiMiracoli, Venedig,
Tullio Lombardo,
ungefähr 1485.
116
ORNAMENTE DER RENAISSANCE.
diesen Eiflndungen muss ein Theil der so auffallenden Vortrefflichkeit, der vorzüglichem Schnitzereien und
Modellii ungen der Renaissance wohl auch zugeschrieben werden.
Endlich erreichte dieses System der regelmässigen Abtheilung der Ornamente in mehrere Flächen,
einen so hohen Punkt der Vollkommenheit, hinsichtlich der Anordnung des Helldunkels, dass das Relief,
aus der Ferne betrachtet, nur gewisse Punkte, die um einige hervorragende geometrische Figuren sym -
metrisch angeordnet waren, dem Auge darstellte. Wenn man aber einige Schritte näher kam, entdeckte
man die Linien und Figuren, die die bedeutendsten Punkte mit einander zu verbinden dienten. Trat man
dann noch näher hinzu, so stellten sich die Blätter und die zarten Ranken zur Schau, die im Geiste des
Beschauers die Idee des natürlichen Typus anregten, den der Künstler zum Gegenstand seiner conven-
tionellen Behandlung gewählt hatte, und die allergenaueste Untersuchung konnte in der vollkommenen
Auffassung des zarten Gewebes der Oberfläche keinen Mangel entdecken. Ausgezeichnet und überaus
preiswürdig ist die “ Cisellatura,” oder Ciselirarbeit, in den vorzüglichem Ornamenten des italienischen
Cinque-Cento Styles, wie'z. B. die der Kirche dei Miracoli zu Venedig (Fig. 1, 8, 9, Tafel LXXIV.), von
den Lombardi; die der Kirche Sta. Maria del Popolo, Rom (Fig. 1, Tafel LXXVI.), von Sansovino; an
den 1 büren des Baptisteriums, Florenz (Fig. 3, Tafel LXXV.), von Ghiberti; an den Schnitzereien von /
San Michele di Murano (Fig. 4, 6, Tafel LXXIV.); in der Scuola di
San Marco (Fig. 2, Tafel LXXIV.); an der Scala dei Gigant! (Fig. 5,7,
Tafel LXXIV.) und an vielen andern Gebäuden zu Venedig. Die
Fasern eines Blattes oder einer Ranke haben nie eine falsche Richtung,
noch sieht man je die Tendenz zur graziösen Anmuth, welche die Natur
im Wachsthum entwickelt, verkehrt angewendet oder falsch aufgefasst.
Da sieht man weder Abglättung noch Details, ausgenommen wenn sie
einem bestimmten Zweck zu entsprechen haben; und während die Arbeit
in reicher Fülle angewendet wurde und jeder Meisseistreich ein Werk
der Liebe zu sein schien, so ward doch die Arbeit nie nutzlos verschwen-
detj wie das heut zu Tage häufig geschieht, indem man untergeordnete
Theile der Zeichnung, die den zweiten oder dritten Rang behaupten
sollten, in den ersten Rang hervorhebt.
Unter den Händen von Künstlern aber, die nicht so lebhaft als
Donatello vom richtigen Gefühl der gehörigen Grenze der Sculptur
durchdrungen waren, artete diese Entlehnung der Elemente der Malerei
zur Verwendung in den Basreliefs, bald in Verwirrung aus. Der grosse
Ghiberti selbst schwächte den Effect so mancher seiner anmuthigsten
Corriposition, durch die Einführung der Perspective und durch die Zu -
gabe von Accessorien, die in ihrer Nachahmung, der Natur zu nahe
kamen. Diesen Fehler bemerkt man an so manchen Verzierungssculp-
turen der Certosa, und er ist oft so weit getrieben, dass Monumente, die
darauf berechnet schienen, durch Schönheit und Würde die ernsthafte
Bewunderung des Beschauers in Anspruch zu nehmen, bloss dazu dienen
ihn zu belustigen, —denn sie gleichen Puppenhäusern, von Feen bewohnt,
Kleiner Pilaster der mit Blumenkränzen geschmückt, mit Täfelchen behängen, von Laub- Kleiner Pilaster der Riesen-
KireheSte-Marradei werk fantastisch überwachsen, anstatt ernsthafte Kunstwerke darzu- KzuVenedig“* 1 Bendetto
Miracoli, Venedig. .57 ^ und Doünenieo da Mantua.
stellen, die das Andenken der Verstorbenen vei*wiögen sollen oder zu
heiligen Zwecken bestimmt sind.
Was man dergleichen Denkmälern noch ausserdem mit Recht zum Vorwurf machen kann, ist die
Ungereimtheit und der Mangel an Uebereinstimmung zwischen den Ideen, die der Zweck der Gebäude
HH 117
a?.
ORNAMENTE DER RENAISSANCE.
einflössen sollte, und den Gedanken, die der Anblick der Ornamente an den Friesen, Pilastern, Feldern,
Bogenzwickeln nnd allen den verzierten Bautheilen erregen muss. Tragische und komische Masken,
musikalische Instrumente, halb priapische Schlussverzierungen, antike Altäre, Dreifüsse, Trinkgeräthe, tan -
zende Amorini, hybridische Seeungeheuer und Chimären, stehen kaum in harmonischem Einklang mit Denk -
mälern in heiligen Bauten oder in Tempeln errichtet, die dem Gottesdienst geweihet sind. Doch wäre es un -
recht die Künstler der Kenaissance allein, für diese fehlerhafte Vermischung profaner und heiliger Dinge mit -
einander, verantwortlich zu machen. Ihre Arbeiten müssen als der Spiegel des herrschenden Geistes jener
Epoche betrachtet werden, in welcher der mythologische Symbolismus einen neuen Aufschwung erhielt und
nur als ein Protest galt, gegen die hemmenden und beschränkenden Fessel der ascetischen Tradition, die unter
den Herrschern des Ostens zum Dogma wurde, und von der Kirche, die Jahrhunderte lang auf die ebenso
unruhige als unwissende Bevölkerung den grössten Einfluss ausübte, eifrig bestätigt und unterstützt worden
war. So kam es, dass im vierzehnten Jahrhundert, selbst die frömmsten Männer von dergleichen unge -
reimten Verbindungen erfüllt waren. Es ist gar nicht nöthig weiter zu gehen, als zur “Commedia” von
Dante, die die litterarische Welt doch einstimmig als das göttliche Heldengedicht bezeichnet, um zu erken -
nen, wie das ganze Gewebe der Litteratur jener Zeit, vom verschlungenen Gewinde gothischer und classischer
Eingebung, aufs bunteste durchkreuzt war.
Das Studium der italienischen Cinque-Cento Ornamente in Belief ist für den Architekten von nicht
minderem Nutzen als es für den Bildhauer sein kann: denn in keinem andern Style sind die Ornamente
besser abgemessen, oder in ihrer Anordnung besser darauf berechnet, mit den anliegenden architektonischen
Linien aufs gefälligste zu contrastiren, von denen sie begrenzt und in den Schranken der Subordination
gehalten werden. Selten, ja fast nie, sieht man in senkrechter Stellung ein Ornament, das seiner N atur
nach eine horizontale Stellung erfordert, oder vice versa. Die Verhältnisse der Ornamente und die der
Gliederungen, so wie die der Stiele und Querstücke, welche dazu dienen dem Ganzen eine regelmässige
Symmetrie zu verleihen, stehen fast immer im vollkommensten Einklang miteinander. Die Tafeln LXXIV.,
LXXV. und LXXVI. stellen eine Sammlung von Mustern dar, die sich meistens durch anmuthvolle Linien,
und durch eine höchst künstliche, obwohl dem Anschein nach ganz natürliche, Vertheilung der Ornamente auf
den Feldern besonders auszeichnen. Die Werke der Lomhardi in der Kirche Sta. Maria dei Miracoli, Venedig
(Tafel LXXIV., Fig. 1, 8, 9, und Tafel LXXVI., Fig. 2); die des Andrea Sansovino zu Bom (Tafel LXXIV.,
Fig. 1) ; und die des Domenico und des Bernandino. di Mantua, zu Venedig, (Tafel LXXIV., Fig. 5 und 7),
verrathen die grösste Vollkommenheit in diesen Eigenschaften. Später aber, nach der Periode in welcher
diese Künstler blühten, fing man an die Ornamente beinahe durchgehends im Hoch-Belief auszuarbeiten,
zugleich wurden die Stämme und Banken dicker gemacht und ohne immer spitz auszulaufen, der zufällige
Wachsthum und das Spiel der Natur wurde nicht mehr so emsig nachgeahmt, die Felder wurden über -
dies reichlicher mit Verzierungen ausgefüllt, so dass das Ganze zwar bunter erschien, aber auch weniger
zarte Verfeinerung verrieth. Die Bildhauerarbeiten traten in die Schranken als Nebenbuhler der Bau -
werke, so dass die Architekten zu ihrer Selbstvertheidigung und um die Sculptur in den Schatten zu
stellen, ihre Gliederungen grösser und hervorragender machten, demzufolge, nach und nach, ein schwer -
fälligerer Styl zur Mode wurde. Diese Tendenz der Ornamente zur Ueberschwülstigkeit verkündet sich schon
in manchen genuesischem Werken, die wir Tafel LXXV., Fig. 1, 2, 4, 5, 8, 9, 11; und Tafel LXXVI.,
Fig. 4, 5, 7, 8, 10, dargestellt haben. Fig. 6 der letztgenannten Tafel, vom berühmten Grabmal Mar-
tinengo, zu Brescia, verräth ebenfalls diese Tendenz der Ueberfüllung.
Zugleich mit der hier kurz berührten Umwandlung in der Sculptur, äusserte sich eine ähnliche Bewegung
in der Malerei. Giotto, ein Schüler des Cimabue, befreiete sich von den Fesseln der griechischen Tradition,
um sich mit ganzer Seele der Natur zu widmen. Seine Ornamente, wie die seines Meisters, bestanden aus
einer Combination von gemalten Mosaiken, verschlungenen Bändern und freien Darstellungen des Acanthus.
In seinen Werken zu Assisi, Neapel, Florenz und Padua entwickelte er durchgehends eine anmuthige und
118
ORNAMENTE DER RENAISSANCE.
richtige W urdigung des unentbehrlichen Gleichgewichtes in Bezug auf Quantität, Verkeilung und verhält-
nissmässiges Colorit, welches zwischen den Wandmalereien und den Wandomamenten obwalten muss. Diese
richtigen Principien des Gleichgewichts wurden im vierzehnten Jahrhundert allgemein gewürdigt und aus-
geübt, und die Künstler Simone Memmi, Taddeo Bartolo, die Familie Orcagna, Pietro di Lorenzo, Spinello
Aretino und viele andere waren anerkannte Meister in der Kunst der Wändeverzierung. Im folgenden
Jahrhundert zeigte sich Benozzo Gozzoli ebenso eifrig in seinen Nachforschungen des Alterthums als in
seinen Studien der Natur, wie man ans den Hintergründen seiner Malereien im Campo Santo, wie auch
aus den herrlichen Arabesken in seinen Malereien in San
Gimignano wohl ersehen kann. Doch war es vorzüglich
Andrea Mantegna, der der Malerei dieselbe Richtung gab,
welche Donatello der Sculptur gegeben hatte, und zwar nicht
nur in den Figuren, sondern in jeder
Varietät der Ornamente, die er dem
Alterthum entlehnte. Seine herrlichen
Cartons, die sich im Schlosse Hampton
Court in England befinden, wären in
jeder Beziehung, und bis auf die klein -
sten Details der Ausschmückung, des
Pinsels t , eines alten Römers würdig.
Gegen Ende des fünfzehnten Jahrhun -
derts nahm der Styl der Polychromie
wieder eine frische Wendung. Von
den Eigenthümlichkeiten dieses Styls,
in Bezug auf Arabesken und groteske
Ornamente, werden wir in einem der
folgenden Capitel zu sprechen Gelegen -
heit haben.
Wenn wir uns von Italien gegen
Frankreich wenden, finden wir, dass
die Franzosen die ersten waren, andern
in Italien auflodernden Feuer der Be-
ÄtVäÄ.SS naissance die Fackel der auflebenden
dei Miraeoii, Ve.edi,. Kunst zum Nutzen ihres Landes anzu -
zünden, wozu die Kriegszüge Karls VIII. und Ludwigs XII. in Italien nicht wenig beitrugen, indem die
ra ° tWC1 6 V ° U E ° m ’ * Iorenz und Mailand bei dem Adel Frankreichs eine hohe Verehrung für die Künste
civcc Ae. Ras eiste Merkmal der bevorstehenden Umwälzung zeigte sich in dem zu Ehren Karls VIII. in
1499 errichteten Monument (welches unglücklicherweise in 1793 zerstört wurde), um welches zwölf weib -
liche Figuren, von vergoldeter Bronze, die Tugenden darstellend, ganz im italienischen Styl gruppirt waren.
Im selben Jahre wurde der berühmte Architekt, Fra Giocondo von Verona, Freund und Mitschüler des
a. ern Aldus, und der erste Verleger einer richtigen Ausgabe des Vitruvius, von Ludwig dem Zwölften nach
Frankreich berufen, wo er sich von 1499 bis 1506 aufhielt, und für seinen königlichen Gönner den Entwurf
zweier Brucken über die Seine lieferte, und wahrscheinlich auch andere unbedeutendere Werke, von denen
jedoch keine Spur mehr bleibt. Man hat diesem Künstler auch die Baute des prächtigen, im Jahr 1502
vom Cardinal d’Amboise angefangenen Schlosses Gailion zuschreiben wollen, doch wird diese Annahme von
Emeric David und andern französischen Archäologen als grundlos erklärt. Der Styl des Gebäudes selbst
verrath unlaugbar einen französischen Ursprung und zeugt deutlich gegen Giocondo, der vielmehr ein
119
Theil einer Thür in einem der Paläste der Dorias, nabe der
Kirche San Matteo, Genua.
ORNAMENTE DER RENAISSANCE.
Ingenieur und Kunstforscher als ein Dekorationskünstler war. Ueberdies zeigt dieses Gebäude, nebst vielen
wirklich classiscben Zügen, so viel unverkennbar burgundisclie Arbeit, dass es ebenso ungerecht wäre, die
Ausführung desselben auf Rechnung des Giocondo zu setzen, als es unbillig sein würde Frankreich die
Ehre absprechen zu wollen, sein erstes grosses Werk der Renaissance einem einheimischen Künstler zu
verdanken. Dass dem wirklich so sei, erhellt aus den von Herrn Deville in 1850 veröffentlichten Berichten,
aus welchen deutlich hervorgeht, dass der Franzose Guillaume Senault der Architekt und Maurermeister
des Schlosses Gaillon war. Doch wäre es nicht unmöglich, dass der Cardinal heim Entwurf des Gebäudes
den Giocondo zu Rath gezogen haben möge, während dem Senault und seinen Gehülfen, meistens Fran -
zosen, die Ausführung der Details überlassen wurde. Unter den Italienern, welche heim W erke thätig
waren, nennen wir als den vorzüglichsten den Bertrand de Meynal, der, dem Styl nach zu urtheilen, einige
der classischsten Arabesken ausgeführt hat. Derselbe Künstler hatte den Auftrag, den prächtigen vene-
tianischen Brunnen von Genua nach Frankreich zu schaffen, der als Becken des Schlosses Gaillon wohl
bekannt ist und sich gegenwärtig im Louvre befindet. Wir haben einige zierliche Ornamente von diesem
Becken, Tafel LXXXI., Fig. 27, 30, 34, 38, dargestellt. Colin Castille, der in dem -Verzeichniss der
Kunstarbeiter als “tailleur ä l’antique” besonders genannt wird, mag wohl ein Spanier gewesen sein, der
seine Kunst in Rom studirt hatte. Jene Theile der Arbeit, welche nicht burgundischen Styles sind, sind
in ihren wesentlichsten Zügen rein und geläutert und unterscheiden sich kaum von den vorzüglichen
italienischen Mustern.
Das erste französische Denkmal aber, worin sich Symmetrie des baulichen Entwurfes mit meisterhafter
Ausführung der Details vereinte, war das, gegenwärtig zu St. Denis by Paris befindliche Monument Lud -
wigs XII., eines der prächtigsten des sechzehnten Jahrhunderts. Dies herrliche Kunstwerk wurde zwischen
1518 und 1530, auf Befehl Franz des Ersten, von Jean Juste de Tours ausgeführt. Die nackt dargestellten
Bildsäulen des königlichen Paares sind von zwölf halbkreisförmigen Bögen umgeben; unter jedem Bogen
steht die Bildsäule eines Apostels; in den vier Ecken sieht man vier Statuen, die Gerechtigkeit, die Stärke,
die Klugheit und die Weisheit vorstellend; das Ganze wird von zwei Bildsäulen des Königs und der
Königin in knieender Stellung gekrönt. Die Basreliefs zeigen den Triumpheinzug Ludwigs in Genua,
sowohl als die Schlacht von Aguadel, wo sich der König durch seine persönliche Tapferkeit auszeichnete.
Man hat dieses Monument Ludwigs XII. dem Trebatti (Paul Ponee) zuschreiben wollen; doch ist diese
Muthmassung falsch, indem das Denkmal vollendet war ehe dieser Künstler nach Frankreich kam, wie
folgender Auszug aus den königlichen Archiven unwiderlegbar beweist. Franz I. schreibt nämlich an den
Cardinal Duprat, wie folgt“ II est deu ä Jehan Juste, mon sculpteur ordinaire, porteur de ceste la
somme de 400 escus, restant des 1200, que je lui avoie pardevant or donnez pour la menage et conduite de
la ville de Tours au lieu de St. Denis en France, de la sculpture de marbre de feuz Roy Loys et Royne
Anne, &c. Novembre 1531.”
Ebenso merkwürdig als das Grabmal Ludwigs XII., sind die zur selben Zeit ausgeführten prächtigen
Schnitzereien in Hoch- und Flachrelief, welche die ganze Aussenseite des Chors der Kathedrale zu Chartres
verzieren. Die Motive sind aus dem Leben unseres Heilands und der heiligen Jungfrau entnommen, und
bilden im Ganzen ein und vierzig Gruppen, von denen vierzehn die Arbeit des Jean Texier sind, der die -
selben im Jahre 1514 begann, nachdem er den ihm zur Anfertigung übertragenen Theil des Thurms vollen -
det hatte. Diese Compositionen zeichnen sich durch richtige Auffassung und Schönheit aus, die b iguren
sind belebt und natürlich, der Faltenwurf ungezwungen und anmuthig, und die Köpfe voll lebnaften Aus -
drucks ; den schönsten Theil der ganzen Composition aber, bilden die Arabeskenverzieiungen, weiche die
hervorragenden Theile der Pilaster, der Friese und der Gliederungen an der Basis beinahe gänzlich bedecken.
Diese Ornamente sind ganz winzig, so dass selbst die grössten unter den Gruppen, welche sich an den
Pilastern angebracht befinden, nicht mehr als acht bis neun Zoll breit sind. Blattwerk, Baumzwcige,
Vögel, Brunnen, Waffengruppen, Satyren, militärische Insignien und Werkzeuge der verschiedenen Künste
120
sind in geschmackvollen Gruppen angeordnet. Ausserdem tritt das gekrönte F — Monogramm Franz des
Ersten —deutlich in den Arabesken hervor und die Jahreszahlen 1525, 1527 sind auf den Faltenwürfen
zu sehen.
ORNAMENTE DER RENAISSANCE.
Die Verzierungsdetails sind besonders elegant. Das in der Kathedrale zu Rouen, zu Ehren des Cardinais
d’Amboise errichtete Monument, wurde im Jahre 1515, unter der Aufsicht des Baumeisters der Kathedrale,
Roulant le Roux, begonnen. Kein Italiener war bei diesem Werke beschäftigt, welches daher als der
Ausdruck der neuen Geisteskraft gelten kann, welche die Renaissance den einheimischen Künstlern Frank -
reichs eingeflösst hatte. ,
In den Jahren 1530 und 1531 berief Franz I. die Meister Rosso und Primaticcio nach Frankreich, und
bald darauf begaben sich auch die Künstler Xicolo del’ Abbate, Luca, Penni, Cellini, Trebatti, und Girolamo
della Robbia dahin. Die Ankunft dieser ausgezeichneten Männer und die Gründung der Schule von
Fontainebleau führten neue Elemente in die französische Renaissance ein, von welchen wir weiterhin zu
sprechen Gelegenheit haben werden.
Es wäre unmöglich uns hier auf die historischen Details der Holzschnitzerei weitläufig einzulassen, ohne
die Grenzen dieser Skizze zu überschreiten. Wir begnügen uns daher mit der Bemerkung, dass jedes mög -
liche Ornament, das in Stein, Marmor oder Bronze ausgearbeitet werden konnte, auch bald m Holzschmtz-
werk ausgeführt wurde, und zu keiner andern Periode der industriellen Künste ist das Talent des Holzbild-
ners mit glücklicherem Erfolg zur Verschönerung reicher Möbel und Hausgeräthe verwendet worden. Als
Beweis unserer Behauptung deuten wir auf unsere Tafeln LXXXI. und LXXXII., hin. Dei aufmeiksame
Beobachter wird bald die allmälige Abweichung von den ursprünglichen Blattwerk-Verzierungen bemerken,
welche die Hauptquelle der ersten Künstler der Renaissance ausmachten. Zunächst wird ihm das Anhaufen
der aus dem Alterthum abgeleiteten Gegenstände und “ capricci auffallen, die eine Fülle der Projection
und gewissermaßen eine schwerfällige Tendenz verrathen; und endlich wird es seiner Aufmerksamkeit
nicht entgehen, dass eine Serie neuer und durchgehends nationaler Formen aufgenommen wurde, die sich
*anz von den italienischen unterscheiden, wie z. B. die conventionellen Voluten mit kleinen viereckigen oder
länglichen, eingekerbten Zacken (Tafel LXXXI., Fig. 17, 20), und die Medaillonsköpfe (Tafel LXXXI.,
Fig. 1 und 17).
Die Glasmalerei des fünfzehnten Jahrhunderts verräth kaum eine Spur von den dämmernden Strahlen
des Lichtes der neu auflebenden Kunst, welches in Frankreich aufging. Die Ornamente, Baldachine,
Blattwerke und Inschriften sind winkelig und flamboyant, obgleich kräftig und ungezwungen, und die
Figuren verrathen den Einfluss des vorherrschenden Zeichenstyles. Das Glas, besonders das blaue, ist viel
dünner als das des dreizehnten Jahrhunderts, obgleich es einen angenehmen Effect hervorbringt. Es wurde
während jener Epoche eine ungeheuere Menge gemalter Fenster angefertigt, und beinahe jede grossere
Kirche in Frankreich hat einige, mehr oder minder vollkommene Muster derselben aufzuweisen. In der
Kirche St. Ouen zu Rouen sieht man an den Fenstern des Lichtgadens einige schöne Figuren auf weissem
rautenförmigem Grunde; auch in St. Gervais, Paris, und Notre Dame zu Chalons-sur-Marne finden sich
mehrere gute Glasmalereien desselben Jahrhunderts.
Manche Verbesserungen wurden zur Zeit der Renaissance in die Kunst der Glasmalerei eingeführt. Die
besten Künstler lieferten die Cartons; Schmelz wurde angewendet um den Farben die erforderliche Dichte
zu geben, ohne ihren Glanz zu beeinträchtigen, und es wurde auch mehr Weiss gebraucht. Manche dieser
Fenster, wie z. B. die von Jean Cousin gezeichneten Fenster der Sainte Chapelle zu Vincennes, sind aum
mehr als blosse Grisaille-Malereien. Eines dieser Fenster, welches einen Engel vorstellt, der die vierte
Trompete bläst, ist von ausgezeichneter Composition und Zeichnung. Die Kathedrale von Auch entha t
mehrere schöne Glasmalereien von Arneaud Demole. Zu Beauvais finden sich zahlreiche Glasmalereien
derselben Epoche, unter denen besonders ein Fenster mit dem Stammbaum Christi bemerkenswerth ist. s
ist das Werk des Enguerand le Prince; die Köpfe sind grossartig und die Haltung der I iguren erinnern
unwillkürlich an die Werke Albrecht Dürers.
Die Grisailles, welche die Fenster in den Häusern des Adels und selbst des Bürgerstandes verzierten,
waren zwar klein aber mit merkwürdiger Feinheit ausgeführt, und liessen hinsichtlich der Zeichnung und
des Gruppirens nur wenig zu wünschen übrig.
122
ORNAMENTE DER RENAISSANCE.
Gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts fing diese Kunst an in Verfall zu gerathen, und die zahl -
reichen Glasmaler fanden keine Beschäftigung, daher der berühmte Bernard de Pallissy, der sich zur Glas -
malerei herangebildet hatte, diese Kunst aufgab, um sich einer andern schwierigem zu widmen, in der er
sich einen hohen Euf erwarb. Von ihm rühren die wunderschönen Grisailles her, welche die Geschichte
des Cupid und der Psyche, nach den Zeichnungen Bafaels, darstellen, und vormals das Schloss Ecouen,
Besidenz seines grossen Gönners, des Konstabels Montmorency, schmückten. -—
Die Benaissance drang zwar frühzeitig in Deutschland ein, fasste aber nur langsam Wurzel im Herzen des
Volkes, bis die immer zunehmende Anzahl von Büchern und Kupferstichen dieselbe endlich allgemein ver -
breitete. Künstler aus Deutschland und Flandern strömten nach Italien um da unter den grossen Meistern
zu studiren. Unter diesen erwähnen wir Boger de Bruges (gest. in 1464), der einen grossen Theil seines
Lebens in Italien hinbrachte, Hemskerk und Albrecht Dürer, die einen grossen Einfluss auf ihre Landsleute
ausübten. Dieser letztgenannte Künstler verräth die richtigste Auffassung des Wesens der italienischen
Zeichnung in seinen verschiedenartigen Werken, die bald das gothische Gepräge seines Meisters Wohlge-
muth an sich tragen, bald wieder in der rafaelischen Einfachheit des Marc’Antonio aufgefasst waren.
Seine Arbeiten dieser letztem Art waren es vorzüglich, die die Grundlage zur Bildung jenes Geschmackes
legten, der es Männern wie Peter Vischer möglich machte, die plastische Kunst Italiens in Deutschland
zur Mode zu machen. Doch war die Benaissance in Deutschland, selbst in ihrer glänzendsten Epoche, nur
ungeläutert. Das Streben nach Schwierigkeiten der Handarbeit vielmehr als nach Schwierigkeiten der
geistigen Auffassung, erzeugte bald einen verwickelten, verzerrten Styl, und Nestelverzierungen, juwelenfor-
mige Ornamente und verschlungene Ungeheuer, die mehr Lebhaftigkeit als Grazie verriethen, traten an die
Stelle der zarten Eleganz der früh-italienischen und französischen Arabesken.
Arabesk von Theodor de Bry, einem der sogenannten “Kleinmeister” Deutschlands (1598) im italienischen Style, aber mit Einführung
von Nestelver/.ierungen, Caricaturen, und juwelenförmigen Ornamenten.
Wenden wir uns nun von den schönen Künsten zu den Gewerbskünsten um dem Einflüsse nachzufor -
schen, den die Benaissance auf die Musterzeichnungen der Fabrikenerzeugnisse der Zeit ausübte. Die
Geschichte der Ceramik und der Glasurproducte ist, in Folge der unvergänglichen und unveränderlichen
Natur dieser Erzeugnisse, ebenso deutlich als vollständig, daher wir uns veranlasst fühlten, drei Tafeln,
LXXVIII., LXXIX. und LXXX., den Illustrationen dieser Producte zu widmen. Die meisten Beispiele
haben wir den “Majoliken” Italiens entlehnt, über deren Anfertigung und Verzierungsweise wir einige
Bemerkungen machen wollen.
123
ORNAMENTE DER RENAISSANCE.
Die Kunst Thongeschirre mit Glasur zu bekleiden, wurde, wie es scheint, in Spanien und den balearischen
Inseln zuerst durch die Mauren bekannt gemacht, die von jeher die zur Verzierung ihrer Wohnung dienenden
Kacheln mit Schmelz zu glasiren pflegten. Das unter dem Namen “Majolika” bekannte Thongeschirr soll
seinen Namen von der Insel Majorca abgeleitet haben, von wo, wie man glaubt, die Kunst glasirtes Thon -
geschirr anzufertigen, nach dem Innern Italiens verpflanzt worden war. Diese Muthmassung wird übrigens
durch den Umstand bestätigt, dass die frühen italienischen Thonarbeiten mit geometrischen Mustern und
kleeblattförmigen Laubwerk sarazenischen Charakters verziert waren (Tafeln LXXIX. und LXXX., Fig. 31
und 13). Diese Art Waare gebrauchte man zuerst in der Form concaver farbiger Kacheln, die hie und da
in den Ziegelmauern angebracht wurden, und später zu enkaustischen Fussböden dienten. Aon 1450 bis
1700 betrieb man diese Fabrikation mit grosser Thätigkeit in den Städten Nocera, Arezzo, Citta di Castillo,
Forli, Faenza (daher kommt der Name Fayence), Florenz, Spello, Perugia, Deruta, Bologna, Rimini,
Ferrara, Pesaro, Fermignano, Castel Durante, Gubbio, Urbino, Ravenna, und auch in manchen Ortschaften
der Abruzzen; doch war es unstreitig in der Stadt Pesaro, dass die Majoliken zuerst einige Bedeutung und
Berühmtheit erlangten. Man nannte diese Arbeiten zuerst mezza oder Halb-Majoliken, und sie bestanden
gewöhnlich aus dicken, schwerfälligen, oft sehr grossen Tellern von dunkelgrauer Farbe, häufig mit matt -
gelber Glasur an der Rückseite versehen. Der Stoff ist grob und griesig, zeigt hie und da einen goldenen
oder prismatischen Glanz, doch öfters eine perlenfarbige Tinte. Diese Halbmajolika-Arbeiten wurden,
wie Passeri und andere Schriftsteller uns berichten, im fünfzehnten Jahrhundert angefertigt, und machten
erst später den feinen Majoliken Platz.
Lucca Deila Robbia, geboren zu Florenz im Jahre 1339, entdeckte eine neue Art Schmelz, der, wie man
glaubt, aus einem Gemisch von Spiessglas, Zinn und andern mineralischen Substanzen bestand, und als
Glasur auf die von ihm modellirten Statuen und Basreliefs von Terracotta aufgelegt wurde. Die Familie
des Erfinders bewahrte das Geheimniss bis es beim Tode des letzten Mitgliedes derselben ganz verloren
ging. Man hat zu Florenz die Fabrikation der Majoliken des Deila Robbia wieder ins Leben zu rufen ver -
sucht, doch mit geringem Erfolg, indem die Anfertigung derselben mit grossen Schwierigkeiten verbunden
ist. Die Gegenstände der Basreliefs des Deila Robbia sind meistens religiösen Charakters, der in den glän -
zend weissen Figuren aufs vortheilhafteste hervortritt. Die Augen sind geschwärzt, um den Ausdruck der -
selben zu erhöhen, während die weissen Figuren selbst mittelst des dunkel-blauen Grundes hervorgehoben
werden. Die Nachfolger des Deila Robbia fügten Kränze von Blumen und Früchten in ihren natürlichen
Farben hinzu, und einige von ihnen pflegten die Bekleidung der Figuren zu coloriren, während sie die un -
bekleideten Körpertheile ohne Glasur liessen. Passeri behauptet, dass die Entdeckung dieser farbigen
Glasur schon früher in Pesaro gemacht worden sei, wo man schon im vierzehnten Jahrhundert Thongeschirr
anfertigte; aber obgleich die Kunst, Schmelz mit Farben zu vermengen, schon früh bekannt gewesen sein
mochte, erlangte dieselbe ihre Bedeutung erst im Jahre 1462, als Matteo di Raniere von Cagli, und \ entura
di Maestro Simone dei Piccolomini von Sienna, sich in Pesaro niederliessen, um die daselbst bestehenden
Fabriken zu leiten; und wahrscheinlich zogen die Arbeiten Deila Robbias, der für Sigismondo Pandolfo
Malatesta zu Rimini gearbeitet hatte, die Aufmerksamkeit dieser Männer auf sich. Es herrscht einige
Ungewissheit in Bezug auf das von Deila Robbia entdeckte Verfahren, welches von ihm selbst und von
seiner Familie als ein höchst schätzbares Geheimniss betrachtet wurde. Nach unserer Ansicht lag dieses
Geheimniss vielmehr in der gehörigen Mischung des Thons und in dem zweckmässigen und vollkommenen
Durchbrennen desselben als in der schützenden Glasur, deren Anfertigung, wie es scheint, wenig Neues
oder Verhehlungswerthes enthielt.
Was man in den “feinen ” Majoliken von Gubbio besonders suchte, war der prismatische Schimmer, und
eine glänzend w^eisse, durchsichtige Glasur. Der metallische Schimmer wurde mittelst Zubereitungen von
Blei, Silber, Kupfer und Gold hervorgebracht, und in dieser Hinsicht übertrafen die Majoliken von Gubbio
alle andern. Die blendend weisse Glasur bestand aus einem von Zinn bereiteten Schmelz, in welchen
%
124
ORNAMENTE DER RENAISSANCE.
man die halbgebackenen Thongeschirre versenkte; und ehe dieselben noch trocken waren, malte man die
Verzierungen darauf hin, und da das feuchte Gefass die Farben sogleich einsaugte, so ist es kein Wunder,
dass man häufig Unrichtigkeiten in den Zeichnungen bemerkt. •
Ein im Museum zu Haag befindlicher alter Teller von Pesaro ist mit einem Schriftzug versehen, der
aus den Buchstaben “ C. H. 0. N.” zu bestehen scheint. Ein anderer Teller, den Pungileoni erwähnt,
■
trägt als Merkzeichen die verschlungenen Buchstaben “ G. A. T.” Doch sind das seltene Beispiele, indem
die Künstler, welche dergleichen Teller anfertigten, ihre Werke nur selten Unterzeichneten.
Die Gegenstände der Malereien waren meistens Figuren von Heiligen, oder historische Begebenheiten
aus der Bibel entnommen; die erstem aber waren die beliebtesten, und blieben es auch bis zum sechzehn -
ten Jahrhundert, wo diese Figuren Scenen aus Ovid und Virgil Platz machen mussten, während Darstellun -
gen von Vorfällen aus der heiligen Schrift auch dann noch im Gebrauch blieben. Eine kurze Erklärung
der Malerei in blauen Buchstaben, nebst einer Hinweisung auf den Text, befand sich gewöhnlich auf der
Rückseite des Tellers. Der Gebrauch, Thongeschirr mit den Bildern historischer, classischer und lebender
Personen zu verzieren, kam etwas später in die Mode als die Scenen aus der heiligen Schrift. Alle diese
Gegenstände wurden auf eine flache und matte Weise ausgeführt, ohne allen Schatten, und waren von einer
Art roher sarazenischer Ornamente umgeben, die sich aufs entschiedenste von den rafaeli sehen Arabesken
unterschieden, die in den letzten Jahren der Regierung Guidobaldo’s so sehr beliebt waren. Die Teller mit
colorirtem Obst in Relief verziert, sind wahrscheinlich den Arbeiten Deila Robbia’s entnommen.
Die Fabrication dieser Majoliken aber fing an bedeutend abzunehmen, in Folge der verringerten Ein -
künfte des Herzogs und des geringen Eifers, den der Nachfolger desselben für die Beförderung dieser Kunst
an den Tag legte; was aber am meisten zum Verfall derselben beitrug, war die Einführung des Porzellans
aus dem Morgenlande und der zunehmende Gebrauch des Silbergeschirrs unter den vornehmen und reichen
Ständen. Die historischen Gegenstände bildeten nicht länger den Gegenstand der Verzierungen der Majo -
liken, die jedoch mit gut ausgeführten Zeichnungen von Vögeln, Tropheen, Blumen, musikalischen Instru -
menten, Seeungeheuern, etc., ausgeschmückt wurden; nach und nach aber wurden diese immer schwächer
in Farbe und Durchführung, bis sie endlich ganz verschwanden, um Nachbildungen der Kupferstiche
Sadeler’s und anderer flämischen Meister Platz zu machen. Alle diese Ursachen führten den schnellen
Verfall der Majolika-Arbeiten herbei, trotz der Anstrengungen die der päpstliche Legat, Cardinal Stoppani,
zur Wiederbelebung derselben machte.
Die feinen Majoliken von Pesaro erreichten den höchsten Punkt der Vollkommenheit während der
Regierung des Guidobaldo II., der in dieser Stadt seinen Hof hielt, und die Töpfereien der Stadt aufs kräf -
tigste unterstützte und beförderte. Von dieser Zeit an glichen die Majoliken von Pesaro so genau denen
von Urbino, dass man die Waaren der zwei Städte nicht von einander zu unterscheiden vermochte, denn die
Qualität war dieselbe und dieselben Künstler wurden oft an beiden Orten angewendet. Schon im Jahre
1486 galten die Majoliken von Pesaro als die vorzüglichsten unter allen italienischen Waaren derselben Art,
und um die Fabrication derselben gegen Concurrenz zu schützen, verbot der damalige Herrscher von Pesaro
die Importation jeder ausländischen Töpferarbeit unter Strafe einer Geldbusse und der Confiscation der
eingeführten Güter, ja er ging noch weiter, indem er den Befehl erliess, alle fremden im Lande befindlichen
Vasen binnen acht Tagen aus seinen Staaten wegzuschaffen. Dieses Schutzgesetz wurde im Jahre 1532,
von Francesco Maria I. bestätigt. Im Jahre 1569 bewilligte Guidobaldo II. dem Giacomo Lanfranco von
Pesaro ein privilegirtes Patent, mit einer Geldstrafe von 500 Scudi gegen den Uebertreter desselben, für
die von ihm erfundenen grossen, in Relief ausgearbeiteten Vasen von antiker Form, und mit Gold belegt.
Ausserdem wurde er, sowohl als sein Vater, von allen Steuern und Abgaben frei erklärt.
Die Neuheit und Mannichfaltigkeit, welche die Majoliken darboten, veranlassten die Beherrscher des
Herzogthums diese Arbeiten vorzugsweise als Geschenke an fremde Prinzen zu schicken. So sandte im
Jahre 1478 Costanza Sforza dem Sixtus IV. einige “ Vasa fictilia; ” Lorenzo der prächtige, in einem Briefe
125
K K
ORNAMENTE DER RENAISSANCE.
an Robert Malatista, dankt diesem für ein ähnliches Geschenk. Guidobaldo verehrte Philipp II. von
Spanien ein Service, gemalt von Orazio Fontana nach den von Taddeo Zuccaro entworfenen Zeichnungen.
Derselbe Fürst schickte Karl V. ein doppeltes Service als Geschenk. Die Sammlung von Tiegeln die
Francesco Maria II. der Schatzkammer von Loreto schenkte, wurden auf Befehl des Guidobaldo II. für
sein eigenes Laboratium angefertigt; einige derselben sind mit Bildern oder andern Gegenständen verziert,
alle aber tragen die Inschrift des Namens irgend einer Arznei oder Mixtur. Diese Tiegel, von denen noch
380 in der Schatzkammer von Loreto sich befinden sind grün, blau und gelb. Passen giebt eine recht
interessante Classification der verschiedenen verzierten Töpferarbeiten, nebst den Ausdrucken, deren die
Arbeitsleute sich bedienten um die Arten der Malereien zu bezeichnen, die zur Verzierung der Teller ange -
wendet wurden, und er giebt sogar die Summen an, die den Malern für ihre Arbeit bezahlt wurden. Diese
Angaben finden sich im folgenden von ihm gegebenen Auszug aus einem Manuscript des Piccolpasso, eines
«majolicaro,” der eine Abhandlung über seine
Kunst schrieb. Um diesen Auszug verständlich
zu machen, müssen wir bemerken, dass ein Bo-
lognino den neunten, und ein gros den dritten
Theil eines Paul vorstellte (welcher letztere etwa
5 Silbergroschen galt), ein livre war ein Drittel,
und der petit ecu oder ecu ducal zwei Drittel
eines römischen Ecu (etwas über zwei Gulden).
Tropheen. — Die Ornamente dieser Art be -
standen aus antiken und modernen Waffen, musi -
kalischen und andern Instrumenten, und offenen
Büchern; sie wurden gewöhnlich monochramatisch
gelb auf blauem Grunde hingemalt. Die mit
Tropheen verzierten Teller wurden zu Castel Du-
ränte angeferti'gt, und auch meistens da verkauft.
Die Maler bekamen einen ecu ducal fürs Hundert.
Dieser Ornamentationsstyl war bei den Cinque-
Centisten sehr beliebt und sowohl zu Marmor- als
zu Steinärbeiten gebraucht, wie man am Denkmal
des Gian Galeazzo Visconti, in der Certosa zu
Pavia, und an den in unsern Illustrationen gege -
benen Theilen einer Thür zu Genua, ersehen
kann.
Arabesken waren Verzierungen die aus einem
locker verbundenen Schriftzug bestanden, der mit
Postament an einer Thür im Palaste den die Genueser dem Andrea Doria
schenkten.
, —— ., -n- ri.-psip Weise verzierten Arbeiten wurden nach Venedig
Schleifen und Kränzen verschlungen war. Die aut diese weise
und Genua versandt, wo das Hundert einen ecu ducal galt.
Cerqnate nannte man verschlungene Eickenzweige, von dunkelgelber Malerei auf blauem frrun e,
man nannte diese Verzierung auch die “ ufbinische Malerei,” weil die Eiche im herzoglichen Wappenbrld
vorkam. Diese Art Decoration wurde fünfzehn Gros das Hundert bezahlt; doch erhielt der Künstler euren
petit een, wenn er, ausser der genannten Verzierung, noch irgend eine kleine Scene auf den Boden der
Teller hinmalte.
Grotesken hiessen Verzierungen, die aus verschlungenen männlichen und weiblichen Ungeheuern be -
standen, deren Körper in Blättern oder Zweigen endeten. Diese fantastischen Decorationen waren meistens
monochramatisch weis« auf blauem Grunde gemalt. Sie wurden gewöhnlich mit zwei ecu das Hundei
ORNAMENTE DER RENAISSANCE.
bezahlt, wenn sie aber auf Bestellung eigens für Venedig gemalt wurden, so war der Preis acht ducal
livres.
Blätter.—Dieses Ornament bestand aus einigen blätterigen Zweigen auf dem Grunde hingestreuet. Der
darauf gesetzte Preis war drei livres.
Blumen und Früchte.— Diese höchst gefälligen Gruppen wurden nach Venedig versandt, und die
Künstler bekamen fünf livres fürs Hundert. Es gab noch eine andere Varietät desselben Styls, die nur
aus drei oder vier grossen Blättern bestand, welche in einer Farbe auf einem verschieden colorirten Grunde
gemalt wurden. Sie galten einen halben Gulden das Hundert.
Porzellan nannte man eine Arbeit die aus ganz zarten blauen Blümchen mit kleinen Blättern und
Knospen bestand, und auf weissem Grunde gemalt war. Diese Arbeit wurde auf zwei livres, und auch
mehr, fürs Hundert geschätzt. Dieser Styl war wahrscheinlich eine Nachahmung der aus Portugal einge -
führten Arbeiten.
Tratti waren weisse verschiedenartig geknüpfte Bänder, aus denen kleine Zweiglein entsprossen, und
galten zwei livres das Hundert.
Tlieile eines Pilasters an der Thür eines Palastes zu Genua, den die Genueser dem Andrea Doria schenkten.
Soprabianco war eine weisse Malerei auf einem Grund von Bleiweiss, mit grüner oder blauer Einfas -
sung am Kande des Tellers. Der angesetzte Preis war ein demi-ecu das Hundert.
Quartieri.-—Zur Erzeugung dieses Musters theilte man den Boden des Tellers in sechs oder acht
Fächer ab, mittelst Strahlen die vom Mittelpunkt ausgehend, nach dem Umfange hin divergirten. Jedes
Fach hatte eine verschiedene Grundfarbe, auf welcher Blumensträusse von verschiedenen Tinten angebracht
waren. Für diese Art Verzierung erhielten die Künstler zwei livres per Hundert.
Oruppi waren breite Bänder mit kleinen Blumen verwoben. Dieses Muster war grösser als das
'der “Tratti,” und hatte zuweilen noch ausser den Bändern ein kleines Gemälde im Mittelpunkte, in
welchem Falle das Hundert einen demi-ecu kostete, aber ohne diese Malerei nur zwei jules.
Candelabri hiessen die Ornamente, welche aus einem aufrechtstehenden Blumenstrauss bestanden,
der von einem Ende des Tellers zum andern reichte und an dessen Seiten hingestreuete Blätter und Blumen
angebracht waren. Der hier eingeschaltete Holzschnitt zeigt, dass dieses Subjekt schon in den frühesten
Zeiten unter den Künstlern des Cinque-Cento Styls eben so beliebt als allgemein war.
127
ORNAMENTE DER RENAISSANCE.
Es wäre unmöglich, ohne die Grenzen dieser Notiz zu überschreiten, auf dem Verdienst und den beson-
dern Werken ausgezeichneter Künstler, wie Maestro Giorgio Andreoli, Orazio Fontana, und Francesco
Xanto von Rovigo, hier im Einzelnen zu verweilen; auch ist
das kaum nöthig, indem Herr Robinson in seinem Catalog der
Sammlung von Soulages erst ganz neulich der Welt so manche
höchst interessante Ansichten über einige schwierige Punkte
dieses Gegenstandes mitgetheilt hat. Es dürfte also genügend
sein, hier nur auf mehrere wichtige Modificationen hinzudeuten,
welche in der Form und im Betrieb der Ceramik im Allgemei -
nen durch die unbeugsame Beharrlichkeit des Bernard de Palissy,
Töpfermeisters des Königs Franz I., in Frankreich zu Stande
gebracht wurden. Die Fig. 1, 3, Tafel LXXIX., zeigen Pro -
ben der verschiedenen Verzierungen seiner eleganten Arbeiten,
welche, im Bezug auf die Zeichnung, im selben Verhältniss zu
den andern Monumenten der französischen Renaissance stehen
als die frühesten Majoliken zu den Monumenten der italienischen
Renaissance.
Schon während der Regierung Ludwigs XII. thaten sich die
Arbeiten der französischen Juweliere durch ihren eigenen Styl
hervor, und die hohe Gönnerschaft des mächtigen Cardinais
d’Amboise gab dieser Industrie einen bedeutenden Aufschwung;
doch erreichte die Kunst des Juweliers den höchsten Punkt der
Vollkommenheit erst unter Franz I., welcher den grossen Meister
der Renaissance — Cellini — an seinen Hof berief. Um den
Zustand und das Wesen der kostbaren Metallarbeiten genau zu
fassen und gehörig zu würdigen, wird es nöthig sein die Haupt -
züge der Kunstschule flüchtig zu berühren, aus welcher alle jene
Emailleurs hervorgingen, die im fünfzehnten, und noch mehr
im sechzehnten Jahrhundert, einige der elegantesten Ornamente,
die je auf Metallarbeiten angewendet worden sind, weit und
breit nach allen Richtungen hin verbreiteten.
Gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts fanden die Künst -
ler von Limoges, dass die alten Emaillen des Champleve-Styls—
von dem wir, Tafel LXXVII., Fig. 1, 3, 4, 8, 29, 40, 41, 50,
53, 57, 61, des Contrasts halber, zahlreiche Beispiele geben —
ganz aus der Mode waren, und dass beinahe jeder Goldschmied
eingegrabene oder transhicide Emaillen von Italien kommen
liess, oder dieselben, je nach seiner Geschicklichkeit, mehr oder
minder vollkommen selbst anfertigte. Unter diesen Umstän -
den fanden sie es gerathener, anstatt es mit der Concurrenz zu
versuchen, ein neues Verfahren zu erfinden, welches ausschliess -
lich ins Fach des Emailleurs gehörte, und den Grabstichel des
Goldschmieds ganz entbehrlich machte. Die ersten Versuche, von denen gegenwärtig nur noch sehr wenig
Beispiele vorhanden sind, waren natürlich sehr roh, auch machte diese Kunst nur langsame Fortschritte,
und erst gegen die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts trifft man eine gewisse Anzahl Proben die einen
höhern Kunstwerth besitzen. Die Verfahrungs weise war wie folgt: — Der Künstler entwarf zuerst
Der untere Theil eines kleinen Pilasters, zeigt den Ent -
sprang der schmückenden Ranken Verzierung, von
den Lombardi, in der Kirche Sta. Maria dei
Miracoli, Venedig.
128
ORNAMENTE DER RENAISSANCE.
mit Hülfe eines spitzen Werkzeuges, die Zeichnung auf einer unpolirten Kupferplatte, die hierauf mit einer
dünnen Schichte durchsichtigen Emails belegt wurde. Hierauf überzog er seine Zeichnung mit einer
dicken schwarzen Linie und füllte die Zwischenräume mit verschiedenen, meistens durchsichtigen Farben
aus, so dass die schwarzen Linien denselben Dienst leisteten, den die goldenen Zwischenfaden in den erhabe -
nen oder sogenannten cloisonnes Emails versehen. Die Ausführung der Carnationen bot die grösste
Schwierigkeit dar, und man bildete sie mittelst einer Auflegung von schwarzer Farbe, auf welcher man das
volle Licht, so wie die Halbtinten mit undurchsichtigem Weiss modellirte, mit gelegentlicher Hinzugabe
eines leichten Auftrags von hellem durchsichtigen Koth. Dann blieb nichts übrig als die Vergoldung anzu -
bringen und die nachgeahmten Edelsteine anzuheften — die letzte Spur beinahe der byzantinischen Schule,
die ehemals einen so mächtigen Einfluss in Aquitanien ausgeübt hatte.
Diese Arbeit, in ihrem vollendeten Zustand, glich so ziemlich einem grossen roh gearbeiteten sogenann -
ten translucide Email. Wahrscheinlich war diese Aehnlichkeit nicht zufällig entstanden, sondern absicht -
lich erzielt, besonders da die Emails dieser letztem Art nur in kleinen Stücken verfertigt wurden, so dass
sie vollkommen geeignet waren die Stelle des Elfenbeins zu vertreten, in der Anfertigung jener kleinen
Triptycha, welche, während des Mittelalters, als ein unentbehrliches Zugehör der Gemächer und Betstuben
der Keichen betrachtet wurden. Deshalb sind auch alle die frühesten Emails in der Gestalt eines Tripty -
chons oder Diptychons, oder bilden wenigstens Bruchstücke derselben. Viele unter den gegenwärtig erhal -
tenen Emails dieser Art sind noch mit ihrer ursprünglichen Einfassung von Bronze versehen, und sollen,
wie die Alterthumsforscher annehmen, aus der Werkstätte des Monvearni hervorgegangen sein, dessen
Initialen sie gewöhnlich tragen. Monvearni und P. E. Niebolat, oder, nach einer richtigem Auslegung des
Namens, Penicaud, sind die einzigen deren Namen auf uns herabgekommen sind; die übrigen Künstler
folgten der nur zu allgemeinen Sitte der Kunstarbeiter des Mittelalters, ihre Arbeiten nicht zu zeichnen,
daher ihre Namen vergessen und für die Nachwelt verloren sind.
Im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts hatte die Kenaissance grosse Fortschritte gemacht, und
manche Veränderungen bewirkt, unter welchen der zunehmende Geschmack für “camaieu” oder “grisaille”
Malereien zu rechnen ist. Diese neue Mode wurde sogleich in den Werkstätten von Limoges allgemein,
und so entstand die zweite Serie von Emailmalereien. Das Verfahren war beinahe dasselbe, welches bei
den Carnationen der frühem Emails in Anwendung gebracht wurde, nämlich, man bedeckte zuerst die
Kupferplatte gänzlich mit schwarzem Schmelz, auf welchem das Licht und die Halbtinten mit undurch -
sichtigem Weiss modellirt wurden; jene Theile die Farben erforderten, wie Gesicht oder Blattwerk, erhielten
eine Glasur von gehöriger Tinte, und um den Effect des Ganzen zu erhöhen, wurde beinahe immer ein
leichter Auftrag von Goldstrichen hinzugefügt. Zuweilen, wenn es erforderlich war, der Arbeit ausser -
ordentlichen Glanz zu geben, wurde ein dünnes Gold — oder Silberblättchen, “ paillon ” genannt, auf den
schwarzen Grund aufgelegt, und dann mit Glasur bekleidet. Alle diese Verfahrungsweisen sieht man ver -
einet in den von Leonard Limousin zur Ausschmückung der Sainte Chapelle verfertigten, und gegenwärtig
im Louvre befindlichen, zweien Bildnissen der Könige Franz I. und Heinrich II. Die Stadt Limoges war
dem erstem dieser Monarchen die grössten Verbindlichkeiten schuldig: denn er war es, der die Fabrik in
der Stadt anlegte und den Leonard, “ peintre, emailleur, valet-de-chambre du Roi,” zum Director derselben
ernannte, wobei er ihm zugleich den Namen “ le Limousin ” beilegte, um ihn von dem andern noch berühm -
tem Leonardo da Vinci zu unterscheiden. Dass der “ Limousin ” 'kein gemeiner Künstler war, ergeht aus
seinen Copien der frühen deutschen und italienischen Künstler sowohl, als aus den von ihm verfertigten
Originalbildern des Herzogs von Guise, des Constabels von Montmorency, der Catherine von Medicis, und
mancher anderer seiner berühmten Zeitgenossen, bei deren Beurtheilung man nicht ausser Acht lassen
muss, dass das Material in welchem sie ausgeführt sind unter allen andern, die grössten Schwierigkeiten in
seiner Anwendung auf Kunstwerke darbietet. Die Werke Leonard’s erstrecken sich vom Jahre 1532 bis
zum Jahr 1574, und zu gleicher Zeit mit ihm blühten zahlreiche Emailmaler derselben Schule, deren
129
L L
ORNAMENTE DER RENAISSANCE.
Werke denen Leonardo’s gleich kommen, wenn sie sie nicht ubertreffen. Unter den vorzüglichsten nennen
wir Pierre Raymond, die Familien Penicaud, und Courtey, Jean und Susanna Court, und M. D. Pape.
Pierre, der älteste unter den Courteys, war nicht nur ein trefflicher Künstler, sondern hatte auch den Ruf
die grössten Stücke von Emailarheiten geliefert zu haben die je ausgeführt worden sind; neun derselben
werden gegenwärtig im Museum des Hotel Cluny bewahrt, und drei andere sollen, wie Labarte uns berich -
tet, sich jetzt in England befinden. Diese Stücke waren zur Decoration der Fagade des Schlosses Madrid
bestimmt, auf dessen Bau und Verschönerung Franz I. und Heinrich II. bedeutende Summen verschwendeten.
Wir müssen hier bemerken, dass die limusinischen Emails in dieser letztem Gestalt keineswegs mehr, wie
in den vorigen Perioden, auf heilige Gegenstände beschränkt wurden, im Gegentheil, selbst die ersten Künst -
ler der Zeit verschmäheten es nicht, Vasen, Kästchen, Becken, Wasserkannen, Tassen, Kredenzteller und
andere zum täglichen Gebrauch dienende Gegenstände zu entwerfen, die ganz mit schwarzem Schmelz be -
deckt und nachher mit Medaillons, &c., von undurchsichtigem Weiss verziert wurden. Während der
frühen Epoche dieser neuen Arbeiten verzierte man die meisten Emails mit Gegenständen, welche den
Kupferstichen des Martin Schön, Israel van Mecken, und anderer deutschen Künstler entlehnt wurden.
Diese wichen bald darauf den Kupferstichen des Marc’ Antonio Raimondi, und anderer Italiener, welche
ihrerseits wieder, ungefähr in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, den Werken Virgilius Solis, Theodore
de Bry, Etienne de l’Aulne, und anderer Kleinmeister Platz machen mussten.
Die Emailmalerei war im thätigsten Betrieb zu Limoges während des fünfzehnten, sechzehnten, sieben -
zehnten, und sogar weit bis ins achtzehnte Jahrhundert, ehe sie endlich erlosch. Die letzten Emailmaler
waren die Familien Nouailler und Laudin, deren vorzüglichste Arbeiten sich dadurch unterscheiden, dass
die Metallblättchen, “ paillons,” an ihnen fehlten, und dass sie eine gewisse Unbestimmtheit der Zeichnung
verriethen.
Zum Schlüsse ermahnen wir nur den Kunstforscher noch, die Schönheiten der Renaissance eifrig zu
pflegen, aber auch die übertriebene Extravaganz derselben emsig zu vermeiden. In der Kunst, wie in der
Staatspolitik, bedingt grosse Freiheit, auch grosse Verantwortlichkeit. In einer Stylart, wo keine andere
Fessel als die seines eigenen Urtbeils den Künstler hemmt, muss dieser besonders darauf bedacht sein,
seine Phantasie im Zaum zu halten. Er darf wohl Verzierungen in Fülle entwerfen, doch muss er, im
Entwürfe derselben, Bescheidenheit und Schicklichkeit nie ausser Acht lassen, und überladener Schmuck
ist ebenso sorgfältig zu vermeiden als schmucklose Nacktheit. Wenn der Künstler keinen besondern
Gegenstand darzustellen hat, soll er sich mit Blumenverzierungen und conventioneilen Elementen zur Aus -
schmückung seiner Arbeit begnügen, die dem Auge schmeicheln, ohne den Geist besonders in Anspruch zu
nehmen. In Folge dieser nüchternen Enthaltsamkeit wird es ihm um so leichter werden, die Aufmerksam -
keit des Beschauers auf jene Punkte zu richten, wo es ihm daran zu thun seinmag, einen materiellen Gegen -
stand darzustellen. Im Styl der Renaissance, wo die verschwisterten Künste nicht nur zusammen bestehen
können, sondern oft verbunden werden müssen, ist es wichtig, dass der Künstler immer die besondern und
speciellen Eigenheiten jeder einzelnen Kunst in Betracht ziehe. Wie in einer wohlgeordneten Familie sollen
die verschiedenen verwandten Künste in enger und harmonischer Verbindung mit einander stehen, ohne
dass je die eine Kunst die Vorrechte der andern antaste, oder gar ihr eigenes Gebiet verlasse, um in das
Fach ihrer verschwisterten Kunst zu greifen. Bei strenger Aufrechthaltung dieser Grenzen muss der
Kunststyl, in welchem, wie im Styl der Renaissance, die Architektur, die Malerei, die Sculptur und die voll -
kommenste technische Durchführung in ihrer vereinten Zusammenwirkung, zum vollständigen Effect unent -
behrlich nothwendig sind, auch natürlicherweise der wirksamste, der prächtigste, unter allen Stylarten
sein, und am besten geeignet, den vielfachen Bedürfnissen unseres verwickelten und künstlichen Social-
sytems Genüge zu leisten.
M. DIGBY WYATT.
130
ORNAMENTE DER RENAISSANCE.
FOLGENDE BUECHER HABEN WIR ZU UNSERN LITERARISCHEN UND MALERISCHEN
ILLUSTRATIONEN BENUTZT.
Alciati (A.) Emblemata D. A. Alciati, denuo ab ipso Antore recog-
nita; ac,quce desiderabantiir, imaginibus locupletata. Accesserunt
noua aliquot ab Aulore Emblemata suis quoque eiconibus insignita.
Klein 8vo. Lyon, 1651.
Antonelli (G.) Collezione dei migliori Ornamenti antichi, sparsi
nella cittä di Venezia, colV aggiunta di alcuni frammenti di Gotica
architettura e di varie invenzioni di un Giovane Alunno di questa
I. R. Accademia. Längliches 4to. Venezia, 1831.
Baltard. Paris, et ses Monumens, mesurds, dessines, et graves, avec
des Descriptions Historiques, par le Citoyen Amaury Duval:
Louvre, St. Cloud, Fontainbleau, Chdteau d'Ecouen, de. 2 Bde.
Gross Folio. Paris, 1803-5.
C. Becker und .1. von Hefner. Kunstwerke und Gerätlischaften
des Mittelalters und der Renaissance. 2 Bde. 4to. Frankfurt,
1852.
Bergamo (Stefano Da). Wood-Carvings from the Choir ofthe Mon-
astery of San Pietro at Perugia, 1535. (Cinque-cento.) Nach
Zeichnungen von Bafael, wie man glaubt.
Bernard (A.) Recueil d’Ornements de la Renaissance. Dessinds et
graves ä Veau-forte. 4to. Paris, n. d.
Chapuy. Le Moyen-Age Pitloresque. Monumens et Fragmenti
d’Architecture, Meubles, Armes, Armures, et Objets de Ounosite
X<s au XVII 0 Siecle. Dessine d’apres Nature, par Chapuy, de.
Avec un texte archMogique, descriptif, et historique, par M.
Moret. 5 Bde., klein Folio. Paris, 1838-40.
Clerget et George. Collection portative d’ Ornements de la Renais -
sance, recueillis et choisis par Ch. Ernest Clerget. Gravis sur
cuivre d' apres les originaux par C. E. Clerget et Mme.E. George.
8vo. Paris, 1851.
D’Agincourt (J. B. L. G. S.). Histoire de VArt par ses Monuments,
depuis sa Decadence au IV e . siecle, jusqu’ä son Renouvellement
au XVI e . Ouvrage enrichi de 525 planches. 6 Bde. Folio, Paris,
1823.
Dennistoun (J.) Memoirs of the Dukes of Urbino, ülustrating the
Arms, Arts, and Literature of Italyfrom 1440 to 1630. 3 Bde.
8vo. London, 1851.
Deville (A). Documenls inedils sur l'Histoire de France.
Comptes de Ddpenses de la Construrtion du Chateau de Gaillon,
publies d’apres les Registres Manuscrils des Tre'soriers du Car -
dinal d’Amboise. Avec un Atlas de Planches. 4to. Paris, 1850.
Tombeaux de la Cathedrale de Rouen; avec douze planches,
gravees. 8vo. Rouen, 1837.
Durelli (G. & F.) La Certosa di Pavia, descritta ed illustrata
con tavole, incise dai fratelli Gaetano e Francesco Durelli. 62
Tafeln. Folio. Mailand, 1853.
Dussieux (L.) Essai sur l’Histoire de la Peinture sur Email. 8vo.
Paris, 1839.
Gailhabaud (J.) L’Arcliitecture du V“. au XVI e . Siecle et les Arts
qui en dependent, le Sculpture, la Peinture Murale, la Peinture sur
Verre, la Mosaique, la Ferronnerie, de., publies d’aprh les tra-
vaux inedits des Principaux Architectes Pranpais et Etrangers.
4to. Paris, 1851, et seq.
Ghieerti (Lorenzo). Le tre Porte del Battisterio di San Giovanni
di Firenze. 46 Tafeln in Umriss, gravirt von Lasimo, mit
französischer und lateinischer Erklärung. Folio, halb Saffian.
Florenz, 1821.
Hopfer. Collection of Ornaments in the Grotesque Style, von
Hopfer.
Jmbard. Tombeaux de Louis XII. et de Franpois /., dessine's et gravts
au trait, par E. F. Imbard, d’apres des Marbres du Muse'e des
Petits Augustins. Klein Folio. Paris, 1823.
Jubinal (A.) Recherches sur l’Usage et l’Origine des Tapisseries a
Personnages, dites Hislorides, depuis l’Antiquild jusqu’au XVI e .
Siecle inclusivement. 8vo. Paris, 1840.
De Laborde (Le Comte Alexandre). Les Monumens de la France,
classds chronologiquement, et consideiFs sous le Rapport des
Faits historiques et de l’Etude des Arts. 2 Bde. Folio. Paris,
1816-36.
De Laborde. Notice des Emaux exposes dans les Galeries du Musee
du Louvre. Premiere partle, Histoire et Descriptions. 8vo.
Paris, 1852.
Labarte (J.) Description des Objets d’Art, qui composent la Collec -
tion Debruge-Dumdnil, pre'cedee d’une Introduction Historique.
8vo. Paris, 1847.
Lacroix et Ser£. Le Mögen Age et la Renaissance, Histoire et
Description des Mceurs et Usages, du Commerce et de Vlndustrie,
des Sciences, des Arts, des Litt&atures, et des Beaux Arts en
Europe. Direction Litteraire de M. Paul Lacroix. Directum
Artistique de M. Ferdinand Sert. Dessins fac-similes par M.
A. Eivaud. 5 Bde. 4to. Paris, 1848-51.
Lenoir (Alex.) Atlas des Monumens des Arts libdraux, mecaniqucs,
et industriell de la France, depuis les Gaulois jusqu’au regne de
Franpois I. Folio, Paris, 1828.
131
ORNAMENTE DER RENAISSANCE.
Lenoir (Alex.) Musde des Monumens F rang als: ou Description
historique et chronologique des Statues en Marbre et en Bronze,
Bas-reliefs et Tombeaux, des Hommes et des Femmes celebres, pour
servir a V Histoire de France et ä celle de V Art. Ornee de gravures
et augmentee d’une Dissertation sur les Costumes de chaque siecle.
6 Bde. 8vo. Paris, 1800-6.
Marryat (J.) Collections towards a History of Pottery and Porcelain
in the Fifteenth, Sixteenth, Seventeenth, and Eighteenth Centuries,
ivitfi a Description of the Manufacture ; a Glossary, and a List of
Monograms. Illustrated with Colonred Plates and Woodcuts.
8vo. London, 1850.
Morley (H.) Palissy the Potter. The Life of Bernard Palissy of
Saintes, his Labonrs and Discoveries in Art and Science, with an
Outline of his Philosophical Doctrines, and a Translation of Illus -
trative Selectionsfrom his Wortes. 2 Bde. 8vo. London, 1852.
Passeri (J. B.) Histoire des Peintures sur Majoliques faites a Pesari
et dans les lieux circonvoisins, deente par Giambattista Passeri
(de Pesaro). Traduite de VItalien et suivie d’un Appendice par
Henri Delange. 8vo. Paris, 1853.
Queriere (E. de la). Essai sur les Girouettes, Epis, Creles, &c., des
Andens Combles et Pignons. Mit zahlreichen Tafeln alter-
thiimliche Wetterfahnen und Dachkränze darstellend. Paris,
1846.
Renaissance. La Fleur de la Science de Pourtraicture et Patrons de
Broderie. Fagon Arabicque et Ytalique. Cum Privilegio Regis.
4to. Paris.
Reynard (0.) Ornemens des Annens Maitres des XV., XVI.,
XVII. et XVIII. Siecles. 30 Tafeln mit Abbildungen vieler
alten und höchst seltenen Ornamente, Alphabete, Silberarbei -
ten. Folio, Paris, 1844.
Sere (F.) Les Arts Somptuaires de V®. au XVII e Siecle. Histoire
du Costume et de VAmeublement en Europe, et des Avis que en de-
pendent. Klein 4to. Paris. 1853.
Sommerard (A. Du). Les Arts au Mögen Age. (Collection de
l’Hotel de Cluny.) Text, 5 Bde. 8vo; Tafeln, 6 Bde. Folio.
Paris, 1838-46.
Verdier et Cattois. Architecture Civile et Domestique au Moyen
Age et a la Renaissance. 4to. Paris, 1852.
Waring and MacQuoid. Examples of Architectural Art in Italy and
Spain, chiefly of the VMh and 1 Gth centuries. Folio. London,
1850.
Willemin (N. X.) Monuments Frangais inedits, pour servir a V His -
toire des Arts, depuis le VI e . siecle jusquau commencement du
XVII e . Choix de Costumes civiles et militaires, d'Armes,
Armures, Instruments de Musique, Meubles de taute espece, et de
Decoi'ations intdrieures et exterieures des Maisons, dessines, graves,
et colories d’apres les originaux. Classes chronologiquement, et
accompagnes d' un texte historique et descriptif par Andre Pottier.
6 Bde. klein Folio. Paris, 1806-39.
Wyatt, M. Digby, et J. B. Waring. Hand-bookto the Renaissance
Court in the Crystal Palace, Sydenham. London, 1854.
Wyatt (M. Digby). Metal Wwk and its Artistic Design. London,
1851.
TAFEL LXXIY.
PL LXXIY.
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9
RENAISSANCE N° 2
RENAISSANCE
RENAISSANCE
PL. LXXV
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RENAISSANCE
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RENAISSANCE N°3.
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RENAISSANCE
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RENAISSANCE N°7.
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RENAISSANCE
TAFEL LXXX1.
S SANGE N° 8.
RENAISSANCE
PL. LXXXI
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Capitel XVIII.—Tafeln 83, 84, 85.
ELISABETHEISOHE ORNAMENTE.
TAFEL LXXXIII.
1. Das Mittelstück der Verzierung eines steinernen Ka -
mins, vormals im königlichen Palast zu Westminster,
gegenwärtig in der Garderobe des Gerichtshofs von
Queen’s Bench.
2. Steinhauerei, von einem alten Haus zu Bristol. Jakobi.
3. Fries, von Goodrich Court, Herefordshire. Aus der
Zeit Heinrichs VIII. oder Elisabeths. Flämische
Arbeit.
4. Ornament eines Kirchenstuhls, Wiltshire, Elisabeth.
5. 7. Holzschnitzerei, von Burton Agnes, Yorkshire.
Jakob I.
6. Holzschnitzerei über der Thür eines Hauses bei Nor-
wich. Elisabeth.
8. Holzschnitzerei von einem Kirchenstuhl zu Pavenham,
Bedfordshire. Jakob I.
9. Holzschnitzerei, von einem Kamin, Old Palace, Brom-
ley, bei Bow. Jakob I.
10, 15. Steinhauerei von einem Grabe in der Abtei von
Westminster. Jakob I.
11 und 12.
13. Holzschnitzerei, von Montacute, Somersetshire. Elisa -
beth.
14. Steinhauerei, Crewe Hall. Jakob I.
16. Holzschnitzerei von der Halle des Trinity College,
Cambridge.
TAFEL LXXXIY.
1. Steinverzierung, Burton Agnes, Yorkshire. Jakob I.
2. Gemaltes Ornament an der Treppe von Holland House,
Kensington. Jakob I.
3. Holzschnitzerei. Holland House.
4. Ditto, Ditto.
5. Holzschnitzerei, Aston Hall, Warwiokshire. Jakobi.
6. Von einem alten Stuhl. Elisabeth.
7. Stein-Ornamente von einem der Grabmäler zu West -
minster. Elisabeth.
8. 9. Ornamente von Burton Agnes, Yorkshire. Jakob I.
10. Holzschnitzerei in Buntmustern, Old Palace, Enfield.
Elisabeth.
11. Holzschnitzerei in Buntmustern, Aston Hall. Jakobi.
12 16. Holzornamentc von den Kirchenstühlen zu Paven -
ham, Bedfordshire. Jakob I.
13,14. Von Burton Agnes. Karl II.
15, 24, 26. Steinhauerei in Buntmustern, von Crewe Hall,
Cheshire. Jakob I.
17. Ornament an einem Kamin von bethesdanischem Mar -
mor, Little Charlton House, Kent.
18, 20. Holzornamente im Hause des Peter Paul Pindar,
Bishopsgate. Jakob I.
19,21. Holzornamente von Burton Agnes, Yorkshire.
Jakob I.
22. Von einem Schrank. Jakobi. Französische Arbeit.
23. Von einem Grabmal in der Abtei von AVestminster.
Jakob I.
25. Von einem Grabmal in der Kirche von Aston. Jakob I.
27. Holzschnitzerei von der Treppe zu Aston Hall, AA 7 ar-
wickshire. Jakob I.
28. Gipsverzierung eines Feldes in der Zimmerdecke von
Cromwell Hall, Highgate. Karl II.
133
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ELISABETHEISCHE ORNAMENTE.
TAFEL LXXXY.
1,15, 18. Buntmuster von Burton Agnes, Yorkshire.
2. Holzschnitzerei in Buntmustern von der Halle des
Trinity College, Cambridge.
9. Muster von dem Faltenwurf eines Grabmals zu West-
minster. Elisabeth.
6,8. Ditto, Ditto. Jakob I.
10. Yon einem damastenen Ueberzug eines Stuhles zu
Knowle, Kent. Jakob I.
3. Vom Faltenentwurf an einem Grabmal zu Westminster.
Elisabeth.
11. Sogenannte Appliqu6 Nähterei. Jakob I. oder Karl I.
In der Sammlung des Herrn Maekinlay. Der Grund
ist dunkelroth ; das Ornament von gelber Seide ; die
Contourei^. voiq gelben Seidensträngen.
4. Buntmuster in Holzschnitzerei von einem alten Hause
zu Enfield. Jakob I.
5. Buntmuster von Gips, in einem alten Hause nahe der
Kirche von Tottenham. Elisabeth.
12, 14,16, 17. Muster von Kleidern, alten Bildnissen ent -
nommen. Elisabeth oder Jakob I.
7. Tapeten-Nähterei. Elisabeth. (J der wirklichen Grösse).
Aus der Sammlung des Herrn Mackinlay. Der Grund
hellgrün ; das Motiv hellgelb, blau oder grün; die
Contouren von gelben Seidensträngen.
13. Appliquti Nähterei. Jakob I. oder Karl I. Von einem
italienischen Künstler.
ELISABETHEISCHE ORNAMENTE.
Ehe wir die Charakterzüge des sogenannten elisabetheischen Styls auseinander setzen, dürfte es wohl nöthig
sein, einen kurzgefassten Abriss der neuen Entwickelung der Antike in England zu geben, und zwar vom
Ursprung derselben bis zum sechzehnten Jahrhundert, wo sie endlich über den spät-gothischen Styl trium-
phirte. Die früheste Verpflanzung der Eenaissance auf englischen Boden rührt vom Jahre 1518 her, und
äusserte sich zuerst im Monument, welches zum Andenken Heinrich’s VII., auf Befehl Heinrich’s VIII., im
obgenannten Jahre, von Torrigiano in der Abtei von Westminster errichtet wurde, wo es noch gegenwärtig
zu sehen ist. Dieses Denkmal ist ein Muster der rein italienischen Schule jener Epoche. Das Monument
der Gräfin von Eichmond zu Westminster wurde im selben Styl und ungefähr zur selben Zeit errichtet,
ebenfalls nach der Zeichnung Torrigiano’s, der sich bald darauf nach Spanien begab, aber mehrere Italiener
im Dienste des Königs Heinrich zurückliess, durch deren Arbeiten der Geschmack dieses Styls sich natür -
lich immer weiter verbreitete. Unter den Künstlern jener Epoche, deren Namen bis zu uns herab gelangt
sind nennen wir Girolamo da Trevigi, Architekt und Ingenieur, Bartollomeo Penni und Antonio Toto (del
’Nunziata), Maler, und den wohlbekannten florentinischen Bildhauer Benedetto da Eovezzano. Etwas später
finden wir den Johann von Padua, der mehr leistete als irgend einer der genannten Künstler, und unter
andern wichtigen Arbeiten den Entwurf des alten Somerset House, im Jahre 1549, lieferte. Doch war
keineswegs der italienische Einfluss allein in der Entwickelung des neuen Styls thätig, denn unter den
Künstlern jener Zeit zählt man Gerard Hornebande, oder Horebout, von Gent, Lucas Cornelis, John Brown,
und Andrew Wright, Leibmaler des Königs. Im Jahr 1524, kam der berühmte Holbein nach England.
Holbein und Johann von Padua gebührt die Ehre den neuen Styl in England einheimisch gemacht zu
haben, mit den Modificationen, welche das individuelle Genie und die deutsche Bildung des erstem und die
localen Modelle und Keminiscenzen des letztem nothwendig bedingten. Johann von Padua führte so
manche Eigenheiten der frühen venezianischen Eenaissance ein, doch nicht ohne bedeutende ’S eränderungen.
Er überlebte den Holbein, welcher 1554 starb, und zeichnete den Entwurf des prächtigen Schlosses von
Longleat in 1570. In den Verordnungen hinsichtlich des Leichenhuges bei der Bestattung Eduards I\ .
1553 (Archceol. Band xii. 1796), erwähnt man die Namen des schon benannten Antonio Toto, Nicholas
Lyzarde, Maler, und des Nicholas Modena, Bildschnitzer; alle übrigen Namen der Maurermeister, &c., sind
134
ELISABETHEISCHE ORNAMENTE.
englisch. Etwas später, während der Regierung Elisabeth’s, findet man nur noch die Namen zweier
Italiener, nämlich den Federigo Zucchero (dessen Haus zu Florenz, von ihm selbst entworfen, wie man
glaubt, vielmehr darauf hindeutet, dass der englische Baustyl seinen Einfluss auf ihn ausübte als vice versa),
und Pietro Ubaldini, Miniaturmaler illuminirter Bücher.
Zu dieser Epoche, wo der elisabetheische Styl sich eben vollkommen zu entwickeln angefangen hatte,
zog England die grösste Anzahl von Künstlern aus Holland, unter denen besonders genannt zu werden
verdienen : Lucas de Heere von Gent, Cornelius Ketel von Gouda, Marc Garrard von Brügge, H. C. Yroom
von Haarlem, Maler; Richard Stevens, ein Holländer, der das Monument des Sussex in der Kirche von
Boreham, Suffolk, ausführte; und Theodore Haveus von Cleves, Architekt der vier Thüren, Humilitatis,
Virtutis, Honoris und Sapientise, im Caius College zu Cambridge, und ausserdem auch das Denkmal des
Dr. Caius, entworfen, und, ungefähr im Jahre 1573, errichtet hatte. Um diese Epoche treffen wir schon
eine ansehnliche Zahl englischer Künstler, unter denen Robert und Bernard Adams, die Familie der Smith-
sons, Bradshaw, Harrison, Holte, Thorpe, und Shute, Verfasser des ersten wissenschaftlichen Werkes über
Architektur in englischer Sprache, im Jahre 1563 herausgegeben, der Goldschmied und Juwelier Hilliard,
und der Portraitmaler Isaac Oliver, die berühmtesten waren. Die meisten der obgenannten Künstler waren
noch zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts thätig, zur Zeit als der neue Styl durch Sir Henry Wooton’s
‘‘Elements of Architectur”* noch allgemeiner verbreitet worden war. Bernard Jansen und Gerard
Chrismas, beide in Holland gebürtig, waren unter Jakob I. und Karl I. sehr beliebt, und die Fapade von
Northumberland House, Strand, ist eine ihrer Leistungen.
Gegen Ende der Regierung Jakob’s I., in 1619, war der elisabetheische Styl seinem vollkommenen
Verfall ganz nahe gekommen, da der von Inigo Jones neu erbauete Palast von Whitehall eine vollständige
Revolution im Gebiete der Baukunst hervorbrachte. Doch hatte Sir Horatio Pallavicini auch schon früher,
bei der Baute seines eigenen (jetzt zerstörten) Hauses zu Little Shelford, Cambridgeshire, den palladischen
Styl des sechzehnten Jahrhunderts in Anwendung gebracht. Die Architekten und Bildhauer Nicholas
Stone und sein Sohn, hielten sich zwar noch einige Zeit am alten Styl, besonders in der Erbauung von
Grabmälern, doch wich derselbe bald gänzlich dem minder geläuterten aber viel malerischem Styl der
vorzüglichsten italienischen Schulen.
Die meisten wichtigen Werke der sogenannten elisabetheischen Kunstperiode rühren vom Jahrhundert
her, welches mit den Arbeiten des Torrigiano zu Westminster, im Jahre 1519 anfängt, und mit dem Beginne
der neuen Baute von Whitehall, unter der Leitung des Inigo Jones in 1619 endet.
In den oben angeführten Künstlerverzeichnissen, wechseln italienische, holländische und englische
Namen mit einander ab. In der ersten Periode aber, d. h. unter Heinrich VIII. waren die Italiener die
zahlreichsten und vorherrschendsten Meister, zu denen wir auch den berühmten Holbein rechnen zu dürfen
glauben, indem seine verzierten Metallarbeiten, wie z. B. der Becher den er für Jane Seymour entwarf, und
der für den König angefertigte Dolch und Schwert, eine Grazie und Reinheit des Styls verrathen, die des
grossen Cellini selbst nicht unwürdig gewesen wäre. Auch die von ihm gemalten Arabesken, im grossen
Bilde zu Hampton Court, Heinrich VIII, und seine Familie vorstellend, sind genaue Nachahmungen der
Modelle des Cinque-Cento-Styles, obwohl man ihnen etwas Groteskes und Schwerfälliges nicht absprechen
kann; und die Decke der königlichen Kapelle im Palaste von St. James, deren Zeichnung er in 1540 ent -
warf, entspricht vollkommen dem Style mancher der prächtigsten Muster zu Venedig und Mantua.
Während der Regierung Elisabeth’s bildeten die holländischen Künstler die Mehrzahl, da ein enges
Band politischer und religiöser Sympathie die zwei Länder, England und Holland, zu jener Zeit miteinander
verknüpfte. Die meisten dieser Künstler werden als Maler bezeichnet, doch muss man dabei nicht ausser
Acht lassen, dass die verschiedenen Künste damals in naher Verbindung zu einander standen, indem Maler
* l)ie Werke Lomazzo’s und De Lorme’s sollen, wie es heisst, schon während der Regierung Elisabeth’s in’s Englische übersetzt
worden sein, aber wir haben nie ein Exemplar derselben finden können.
135
IN
ELISABETHEISCHE ORNAMENTE.
oft Modelle zu gemalten sowohl als zu geschnitzten Ornamenten zeichneten, und sogar in ihre Gemälde häufig
Verzierungen einschalteten, wie Solches im Bilde der Königin Maria, von Lucas de Heere, zu sehen ist, m
welchem sich abgetheüte Felder von geometrisch verschlungener Gestalt befinden, die mit juwelenformigem
Blattwerk ausgefüllt sind. Wir können also mit Zuversicht schliessen, dass die protestantischen Staaten
der Niederlande und Deutschland^* im Anfang der Regierung Elisabeths einen bedeutenden Einfluss au
die Kunst von England ausgeübt haben müssen. Zur selben Zeit (1556-1559) wurde auch das Heidel -
berger Schloss erbauet, welches wohl nicht ohne Wirkung auf die englische Kunst blieb, besonders da die
Prinzessin Elisabeth, Tochter Jakob’s I., als Königin von Böhmen, zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts
sich mit ihrem Hofe da aufhielt.
Gegen Ende der Regierung Elisabeth’s und unter Jakob I. sind die englischen Künstler am zahlreichsten,
ja sie hatten kaum einen Concurrenten in der Kunst, wenn man etwa Jansen und Chrismas ausnimmt;
daher auch zu jener Periode der Ausdruck der einheimischen Kunst sich auf’s bestimmteste äussert,und die
jenem Zeitpunkt angehörigen merkwürdigen Bauten von Audley End, Holland House, W ollaton, Knowle
und Burleigk, nebst den damit verbundenen Decorationen, sind alle Leistungen englischer Baukunstler.
Demzufolge findet man den rein italienischen Ornamentationsstyl, in den meisten Werken der Künstler
die unter Heinrich VIII. blühten, wie man aus den schon genannten Kunstwerken sowohl als aus den
Fig. 1, 3, Tafel LXXXIII., wohl ersehen kann. Zur Zeit der Elisabeth findet man nur selten die Nach -
bildung italienischer Modelle, indem damals der decorative Styl der deutschen und niederländischen Künst -
ler allgemein befolgt wurde. Unter der Regierung Jakob’s I. macht sich derselbe Styl bemerkbar, den die
englischen Künstler zu dem ihrigen gemacht hatten, und meistens auf eine grossartigere Weise ausubten;
viele Tafel LXXXIV., Fig. 5 und 11, von Aston Hall, einem Gebäude das gegen Ende der Regierung des
letztgenannten Monarchen erbauet wurde. Der Charakter der Ornamente jener Periode verräth wenig
Originalität, sondern bloss eine Modification fremder Modelle. Schon gegen Ende des fünfzehnten Jahr -
hunderts lässt sich in der Glasmalerei, in den illuminirten Büchern und andern ähnlichen decorativen
Arbeiten Italiens, der Keim der durchbrochenen Schnörkelverzierungen bemerken. Die prächtigen Ränder
des Giulio Clovio (1498-1578), Schülers des Giulio Romano, offenbaren an vielen Stellen dieselben
Charakterzüge, welche die Schnörkel, die Bänder, die Nagelkopf-Verzierung und die Laubgehänge der
Arbeiten der elisabetheischen Periode an den Tag legen. Dasselbe lässt sich von den Glasmalereien des
Giovanni da Udine (1487-1564) an den Fenstern der laurentianschen Bibliothek zu Florenz, bemerken, und
verkündet sich noch deutlicher an den Frontispicen im grossen Werk Serlio’s über die Architektur, Paris
1545. Das andere Merkmal der elisabetheischen Ornamente, nämlich die verwickelten und fantastisch
verschlungenen Bänder hat seinen Ursprung in den zahlreichen und trefflichen Zeichnungen der sogenannten
“ Kleinmeister ” von Deutschland und den Niederlanden, und namentlich in den Werken der Kunst er
Aldegrever, Virgilius Solis aus Nürnberg, Daniel Hopfer aus Augsburg, und Theodore de Bry, die alle wah -
rend des sechzehnten Jahrhunderts eine grosse Menge Ornamentszeichnungen in Kupferstichen heraus -
gegeben haben. Auch dürfen wir die Baucompositionen und Ornamente des W. Dieterlin nicht mit Sti -
schweigen übergehen; sie trugen ganz das fantastische Gepräge des elisabetheischen Styls an sich, und
wurden, nach der Behauptung Vertue’s, von Chrismas in seinem Entwurf der Fa ? ade von Northumberland
House benutzt. Nachdem wir also die Quellen angegeben haben, welchen der sogenannte elisabetheisc e
Ornamentationsstyl sein Dasein verdankt, wollen wir noch folgendes bemerken. Es ist unläugbar, dass
Decorationen verschieden behandelt werden sollten und müssen, je nach den verschiedenen Gegenständen
und Materialien zu welchen sie gebraucht werden, daher die italienischen Meister, von diesem ästhetischen
Gesetz lebhaft durchdrungen, es in den meisten Fällen sorgfältig vermieden den Styl der Malerei m’s Gebiet
der Sculptur oder der Architektur zu übertragen; sie beschränkten den Gebrauch desselben auf
* Das merkwürdige Monnment des Sir Francis Vere faus der Zeit Jakobs I.j zu Westminster ist in seinem Entwürfe beinahe
identisch mit dem Denkmal Engelbert's von Nassau, in der Kathedrale von Breda (sechzehntes Jahrhundert;.
136
ELISABETHEISCHE ORNAMENTE.
illuminirte Bücher, Kupferstiche, damascirte Metallarbeiten und andere ähnliche Werke der reinen Orna-
mentation, während die Künstler, welche in der hier behandelten Periode in England thätig waren, den der
Malerei eigenen Ornamentationsstyl in allen Zweigen der Kunst anwendeten, und keinen Anstand nahmen,
die ungefesselten launenhaften Phantasien der decorativen Künstler, wie sie in den Kupferstichen erschienen,
auf den Fajaden der Gebäude darzustellen.
Die Charakterzüge der elisabetheischen Ornamente äussern sich in grotesk verwickelten Varietäten von
durchbrochenen Schnörkeln und Kankenverzierungen mit gekräuselten Bändern; in verschlungenen Bändern,
bald geometrisch angeordnet, bald fliessend und launenhaft, wie z. B. Fig. 12, Tafel LXXXIII. und Fig. 26
und 27, Tafel LXXXIV.; in Nestelverzierungen und Bändern von Nagelköpfen; in gekrümmten und ge -
brochenen Contouren; in Laubgehängen, Früchten, Faltenwürfen, mit eingeschalteten Menschenfiguren in
roher Ausführung; in grotesken Thieren und Ungeheuern; hier und da mit grossen und fliessenden Zeich -
nungen natürlicher Zweige und Blätterverzierungen, wie man in Fig. 7, Tafel LXXXIII., und in einem
noch vorhandenen Motiv, an der Decke der grossen Gallerie zu Burton Agnes in Yorkshire, sehen kann;
und endlich in Ballenblumen und Diamantenverzierungen. Auch sieht man häufig grotesk gebildete
Wölbsteine und Kragsteine. Die Ausführung der Steinhauerei und der Holzschnitzerei ist zwar rauh aber
kühn und effectvoll. Diese Ornamente wurden nicht, wie das im Anfang der Kenaissance auf dem Festland,
vorzüglich in Frankreich und Spanien geschah, auf gothische Formen angebracht, sondern das Grundwerk,
oder die architektonische Masse war, mit Ausnahme der Fenster, wesentlich von italienischem Charakter ; die
verschiedenen Bautheile waren rauh auf einander gelegt, die äussern Mauern waren mit Kranzgesimsen und
Geländern versehen, während die innern Wände mit Friesen und Kranzgesimsen eingefasst und von flachen
oder gewölbten Decken begrenzt wurden; selbst die Giebel mit ihren concaven und convexen Linien, die in
diesem Styl so häufig Vorkommen, waren den Mustern der venetianischen Kenaissance-Schule nachgebildet.
Was die colorirten Buntmuster anbetrifft, die auf Holz, an den Kleidern der monumentalen Bildsäulen
und an Tapeten zu finden sind, so verrathen sie einen höhern Grad von Richtigkeit und Reinheit der Zeich -
nung als die Schnitzarbeit, und die Farben sind reich und kräftig ausgeprägt. Der grössere Theil dieser
Arbeiten, und besonders die sogenannten Arras-Tapeten, die zur Verzierung der Wände und als Möbel-
Ueberzüge allgemein gebraucht wurden, kamen wahrscheinlich von flämischen Webstühlen, oder auch aus
Italien her, denn in England gab es keine Fabriken dieser Art bis im Jahre 1619, wo die erste ein -
heimische Fabrik zu Mortlake angelegt wurde.
Die Fig. 9, 10, 11, 13, Tafel LXXXV. verrathen das Gepräge des italienischen Charakters deutlicher
als alle andern von uns dargestellten Muster, und Fig. 13 ist die Arbeit eines Italieners. Die Fig. 12, 14,
16, verschiedenen Bildnissen aus der Zeit Elisabeth’s und Jakob’s I. entnommen, tragen auch das Gepräge
italienischer Kunst und rühren wahrscheinlich von holländischen oder italienischen Künstlern her. Die
Fig. 1, 4, 5, 15, 18, sind zwar im italienischen Geschmack, verkünden aber zugleich eine bedeutende Origi -
nalität, während die Fig. 6 und 8 im gewöhnlichen elisabetheischen Styl ausgeführt sind. Die Zunft der
Eisenhändler in London besitzt ein Bahrtuch, welches von 1515 herrührt und manch schönes Muster der
colorirten Ornamente jener Zeit enthält. Der Grund des Tuches ist Gold mit einem reichen und fliessenden
Muster von Purpur verziert. Im Ganzen gleicht es genau den gemalten Antipendien einiger Altäre der
Kirche Santo Spirito zu Florenz (fünfzehntes Jahrhundert), und wurde wahrscheinlich in Italien angefertigt.
In der Kirche St. Mary zu Oxford bewahrt man ein prächtiges Kanzeltuch mit blauem Muster auf
goldenem Grund, und zu Hardwike Hall, Derbyshire, befindet sich eine prächtige Tapete mit einem Muster
von carmesinrothen und goldenen Fäden auf blauseidenem Grund. Das schönste Beispiel dieser Art Arbeit
befindet sich aber im Besitze der Gesellschaft der Sattler in London: es besteht aus einem carmesinrothen
Bahrtuch von Sammet* mit goldenem Muster verziert, und wurde im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts
* Vide Shaw’s herrliches Werk, “Arts of the Middle Ages.’
N N
137
ELISABETHEISCHE ORNAMENTE.
verfertigt. In den Mer genannten Beispielen, so wie in den Mustern der Tafel LXXXV., beruhet der Effect
hauptsächlich nur auf zwei Farben, in vielen andern Arbeiten aber wurde jede mögliche Varietät der Farben
reichlich angewendet, doch gab man im Allgemeinen der Vergoldung den Vorzug, ein Geschmack der
wahrscheinlich aus Spanien herstammt, wo, zur Zeit Karl’s V. und Philipp’s II., m Folge der m Amen a
entdeckten Goldminen, das Gold aufs verschwenderischste zu Decorationen gebraucht wurde. Ein Beispie
dieser Arbeit ist das prächtige Kamin, mit reicher vergoldeter Schnitzerei und schwarzen Marmor -
ornamenten verziert, welches sich im Zimmer des Gouverneurs der Karthause zu London befindet.
Ungefähr um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts waren die hervorragendsten Charakterzuge dieses
Styls gänzlich erloschen, und von derZeit an vermissen wir, nicht ohne Bedauern, die Merkmale jenes
Styles, der zwar keine tüchtigen Leitungsprincipien zur Grundlage hatte und geneigt war m Verwirrung
auszuarten, zugleich aber, nebst seiner Pracht und Mannichfaltigkeit, auch etwas Malerisches m seinem
Wesen besass, bei dessen Anblick der Beschauer sich unwiderstehlich von einem gewissen Eindruck er
Grösse und des Adels durchdrungen fühlte.
October, 1864.
J. B. WARING.
VERZEICHNISS DER BEI DIESER NOTIZ BENUTZTEN BUECHER.
H. Shaw. Dresses and Decorations ofthe Middle Ages.
„ The Decorative Arts of the Middle Ages.
Details of Elizabethan Archilecture.
C. J. Richakdson. Studies of Ornamental Design.
Arehitectural Bemains ofthe Beigns of Elizabeth
and James I.
Studies from Old English Mansions.
Joseph Nash. The Mansions of England in the Olden Time.
S. C. Hall, The Baronial Halls of England.
Joseph Gwilt. Encyclopiedia of Architecture.
Hokace Walpole. Aneedoles of Painting in England.
Archeeologia, Bd. xii. (1796).
The Builder (mehrere Aufsätze von C. J. Puchabdson), 1846.
Dallaway. Anecdotes of the Arts in England.
Clayton. The Ancient Timber Edißees of England.
Bbitton. Arehitectural Anliquities of Great Britain.
ELIZABETHAN N° I.
ELISABETHEEN S
PLATE LXXXI11.
ELIZABETHAN N°2
EUSABETHEEN
PLATE LXXXIV
TAFEL LXXXIV
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HEENS
18
Capitel XIX.—Tafeln 86, 86*, 87, 88, 89, 90
ITALIENISCHE ORNAMENTE.
TAFELN LXXXVI., LXXXYI*.
Eine Auswahl Arabesken in Frescomalerei, von Giovanni da Udine, Perino del Vaga, Giulio Romano, Polidoro da Carravaggio,
Francesco Penni, Vincenzio da San Gimignano, Pellegrino da Modena, Bartolomeo da Bagnacavallo und andern Künst -
lern. nach Zeichnungen von Rafael ausgeführt; den. Decorationen der Loggie, oder des Mittlern offenen Säulengangs
im Yatican zu Rom, entnommen.
TAFEL LXXXVIL
Eine Auswahl Arabesken in Frescomalerei auf weissem Grund im Palazzo Dueale zu Mantua.
TAFEL LXXXVIII.
Eine Serie Arabesken in Frescomalerei auf theilweise gefärbtem Grund, meistens vom Palazzo Dueale zu Mantua.
TAFEL LXXXIX.
Eine Serie Arabesken in Frescomalerei auf vollständig gefärbtem Grund, im Palazzo del Te, zu Mantua, nach Zeichnungen
von Giulio Romano.
TAFEL XC.
Eine Auswahl von Mustern typographischer Verzierungen des sechzehnten Jahrhunderts aus verschiedenen von den
Aldinen, Giunten, Stephanen und andern berühmten Buchdruckern in Italien'und Frankreich, verlegten Werken
entnommen.
Das Streben nach der Wiederbelebung der Antike, welches sich während des fünfzehnten Jahrhunderts
nur auf eine fragmentarische und unvollständige Weise in Italien geäussert hatte, erhielt, bald nach dem
Beginn des sechzehnten Jahrhunderts, eine systematischere Entwickelung und eine bedeutendere Kraft, in
Folge der unschätzbaren Mittel, welche die Buchdruckerei und die Grravirkunst zur Beförderung und zur
allgemeinen Verbreitung der neu belebten Kunst darboten. Mit Hülfe dieser beiden Künste wurde jeder
Zeichner von Bedeutung, in Italien sowohl als im Auslande, in den Stand gesetzt, sich Uebersetzungen des
139
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S(
p
ITALIENISCHE ORNAMENTE.
Vitruvius und des Alberti mit zahlreichen Illustrationen und geistreichen Commentaren zn verschaffen
und che noch das Jahrhundert zu Ende war, lieferten die Abhandlungen der Serbe, Pabadio, \ignola un
Eusconi ein unvergängliches Zeugmss des Eifers mit welchem
das Studium der Monumente des Alterthums betrieben wurde.
Aber im selben Maasse als die Bedürfnisse des Socialsystems wah -
rend des sechzehnten Jahrhunderts, sich von denen des Zeit -
alters der römischen Kaiser unterschied, mussten auch die
neuern Denkmäler von denen des Alterthums wesentlich ver -
schieden sein. Im Style der Renaissance des fünfzehnten Jahr -
hunderts waren die Künstler hauptsächlich darauf bedacht, die
antiken Ornamente nachzuahmen. Die Künstler des sechzehnten
Jahrhunderts aber Hessen es sich vielmehr angelegen sein, die
alterthümüchen Verhältnisse wieder herzustellen, hinsichtlich
der fünf Säulenordnungen sowohl als in Bezug auf die bau -
liche Symmetrie im Allgemeinen, während die reine Ornamen -
talen, in den Details etwas vernachlässigt, und bloss m Massen
als Zulage und Gehülfm der Architektur betrachtet wurde. Die
verschiedenen Künste, welche während des fünfzehnten Jahr -
hunderts sich bei den Maestri, unter deren Leitung die grossen
Monumente ausgeführt wurden so häufig vereint fanden, zeig -
ten sich im sechzehnten Jahrhundert nur vereinzelt bei den
verschiedenen Individuen. Es erforderte den riesenhaften Geist
eines Rafaels und Michel Angelos um die dreifachen Attribute
der Malerei, der Architektur und der Sculptur zu vereinen und
gegenseitig in der gehörigen Subordination zu erhalten; daher
auch Männer wie Bernini und Pietro da Cortona, die eine ähn-
Hche Combination in spätem Zeiten versuchten, ihren Zweck
ganz verfehlten und nichts als Verwirrung erzeugten. Als die
Kunstregeln schwieriger und verwickelter wurden, bildeten sich
Akademien, in welchen das System der abgetheilten Arbeit in
Anwendung gebracht ward, und die Folgen dieser neuen An -
ordnung zeigten sich bald: die Architekten beschäftigten sich
ausschliesslich mit Plänen, Abschnitten und Aufrissen, wo es
sich von nichts weiter handelte als von der Errichtung der Säu -
len, Bögen, Pilaster und Säulengebälken; die Maler arbeiteten
öfters in ihren Werkstätten als an den Gebäuden die sie mit
ihren Werken verzieren sollten, wobei sie natürlich den allge -
meinen Effect ganz vergassen und nur auf anatomische Rich -
tigkeit, auf kräftiges Helldunkel, auf meisterhafte Composition
und auf Kühnheit des Tons und der Durchführung zielten.
Die Bildhauer ersten Ranges gaben die Omamentation
o-änzlich auf, und lieferten nur isolirte Statuen und Gruppen
oder Denkmäler, in welchen der Effect der Schönheit, der plas-
—Entwickele „ntergeo.toet und nochges^ We
während de, Entwurf der Ornate dem Zufall oder der Laune überlassen und Kuna.lern
zur Ausführung anvertrauet wurde. Unsere Holzschnitte zeigen günstrge Be.sp.ele dreser Art Ornamente.
140
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L
ITALIENISCHE ORNAMENTE.
Doch bilden die im italienischen Styl gemalten Arabesken und die Stucchi, die ihnen oft zur Seite stehen,
eine bemerkenswerthe Ausnahme, daher wir uns Vorbehalten ihnen weiter hin eine spezielle Notiz zu wid -
men. Die Bauten, welche von Rafael herrühren, im Palaste Pandolfini zu Florenz und im Palaste Cafferelli,
vormals Stoppani zu Eoin, sind zwar vortrefflich, doch beruht Bafaels Ruf als ein Ornamentist mehr auf seinen
Arabesken als auf seinen architektonischen Leistungen, daher wir auch seiner hier nicht weiter erwähnen
wollen. Noch wollen wir auf den Werken des Baldassare Peruzzi verweilen, denn, so interessant sie auch sein
mögen, bieten sie doch, in Bezug auf die Ornamente, keine auffallende Individualität dar, indem sie der
Antike genau gleichen. Bramante kann ebenfalls nur als ein Künstler der Renaissance,
und unter keinem andern Gesichtspunkt angesehen werden. Erst der grosse Florentiner,
dessen leuchtendes Genie und feuriger Geist keinen Zwang dulden konnte, riss sich mit
Gewalt von den Fesseln der Tradition los, und pflanzte den ersten Keim jener eigen -
willigen Originalität, der nach und nach alle seine Zeitgenossen in jedem Gebiete der
Kunst ansteckte, und eine zügellose Licenz erzeugte, welche am Ende, unter minder
kräftigen Händen, in allen Zweigen der Kunst in eine allgemeine Abweichung von den
Gesetzen des verfeinerten Geschmackes ausartete.
Michelangelo, geboren 1474, gehörte zur edeln Familie der Buonarrotti, Nach -
kömmlinge der Grafen von Canossa. Er war ein Schüler des Domenico Ghirlandaio,
und entwickelte schon frühzeitig ausgezeichnete Anlagen zur Sculptur, daher er den
Antrag erhielt, diese Kunst, in der von Lorenzo de Medici gegründeten Schule, weiter
auszubilden. Als die Familie der Medici, in 1494, aus Florenz verbannt wurde, begab
sich Michelangelo nach Bologna, wo er am Grabmal St. Dominic’s arbeitete. Bald
aber kehrte er wieder nach Florenz zurück, wo er seinen “ Bacchus ” ausführte und im
Alter von drei und zwanzig Jähren den berühmten “ Cupid ” lieferte, dem er seine Be -
rufung nach Rom verdankte. In dieser letztem Stadt verfertigte er unter andern
W erken die “ Pieta,” welche vom Cardinal d’Amboise bestellt worden war und sich
gegenwärtig in der Peterskirche befindet. Seine nächste Leistung war die riesenmässige
Statue “ David s zu Florenz. Im Alter von neun und zwanzig Jahren begab er sich,
auf Einladung Julius II., wieder nach Rom, um das Mausoleum dieses Papstes zu er -
richten. Für dieses Mausoleum war der “ Moses” zu San Pietro in Yincoli, so wie auch
die im Louvre befindlichen “ Sklaven,” ursprünglich bestellt worden; doch wurde das
Gebäude in einem kleinern Masstabe ausgeführt, als es zuerst beabsichtigt worden war.
Hierauf unternahm er das Ausmalen der Sixtinischen Kapelle, eine seiner grössten
Leistungen, sowohl hinsichtlich der erhabenen Ausführung, als auch im Betracht des
Einflusses welchen diese Arbeit, nicht nur auf die Kunst der damaligen Epoche, sondern
auch auf den Kunststyl der Nachwelt, ausübte. In 1541 vollendete er die vom Papst
Paul III. bestellte Frescomalerei des “jüngsten Gerichtes.” Der Rest seines langen
Lebens war dem Bau der Peterskirche gewidmet, ein Werk das ihn bis zu seinem Tode
beschäftigte, und wofür er jede ihm dargebotene Belohnung ablelmte.
In allen den zahlreichen Leistungen des Michelangelo, scheint das Begehren nach
Neuheit, seine Aufmerksamkeit von dem ausschliesslichen Streben nach gediegener Vortrefflichkeit abge -
wendet zu haben. Seine kühnen Neuerungen im Gebiete der Ornamentation waren nicht minder auffallend als
die, welche er in den andern lächern der Zeichenkunst offenbarte. Seine grossen gebrochenen Giebel und
Gliederungen, seine kühn entworfenen Consolen und Schnörkel, seine unmittelbare Nachahmung (nicht ohne
eine gewisse Uebertreibung) der Natur, die sich in einigen seiner Verzierungen darthut, die schlichte
Aussenfläche seiner architektonischen Compositionen, waren eben so viele neue Elemente, und wurden von
Seiten minder erfinderischer Künstler gierig aufgegriffen. So erlitt die römische Zeichenschule eine
0 0
Senkrechtes Ornament
von Genua.
141
ITALIENISCHE ORNAMENTE.
vollständige Umwälzung, und Mannet wie Gi.como della Porta, Domenico Fontana, Bartolomeo Amman»«,
Carlo Mademo, und selbst Vignola, ahmten in den Ornamenten, nebst manchen Schonherten auch viele
der Fehler Michelangelo’, nach, und der hervorragendste unter diesen Fehlem wa, eure höchst übertriebene
Auffassung Zn Hörens zählt, er unter seinen eifrigen Verehrern und Nachfolgern, Baccro Band.nelh
u nd Benvenuto CeUini. Venedig war so glücklich diesem hinreissenden Taumel gewrssermassen su ent-
gehen oder doch wenigstens dem Einfluss desselben länger als die meisten andern Theile Italiens su w,
Sh“ Diesen Vortheil verdanh.e Venedig in grossem Maasse dem entgegenwirkende» Einfluss ein«
Genies, da, sich sw.r minder kräftig, zugleich aber geläuterter und beinahe ebenso vrelsertrg sorgte, als .
Michelangelo’.. Wir meinen den grössten der beiden Sansovinos - den Gracopo.
Dieser grosse Künstler wurde 1477 su Florenz geboren und stammte von einer alten Farn. .
er frühzeitig bedeutende Anlagen zur Kunst an den Tag legt«, that ihn seine Mutter beim Andrea Centn«.
L“Tte Sansovin» (dessen wir schon im Capital XVII. erwähnten) in die Lehre, der an lener Zeit ,n
Florenz arbeitete. Dieser Künstler, wie Vasari uns berichtet “ sah bald ein, das, der Jungbng e.n ausge -
zeichneter Mann z« werden versprach.” Die gegenseitige Zuneigung zwischen Meister und Sehr, er war »
jnojg dass sie beinahe für Vater „nd Sohn galten, daher de, letztere sreh nicht lange de T.tt nannte
sondern « di Sansovino." Unter diesem Namen ist er gegenwärtig bekannt und wird wohl auch ewig
benannt werden. Zu Florenz machte er sich schnell durch seine Fähigkeiten bemerkbar und da er
überdies für einen Jüngling von Genie und trefflichem Charakter galt, nahm ihn Giul.ano £ Sa» GaUo
Architekt des Papstes Julius II., mit sich nach Born, wo Bram,nte bald auf den jungen Kuu stier auf
merksam wurde, de, unter der Leitung Bramante’s eine grosse in Wachs ausgeführte Copre des La«.,
ausfertigte, und zwar im Wettstreit mit andern Künstlern, unter welchen der berühmte span che Bäumend
Alonzo Berruguete sich befand. Sansovino’s Werk wurde als das teste erklärt. Man machte eine „
in Bronze davon, und dieser Abguss gerietH endlich in den Besitz des Cardinal, von Lothringen, der hn ,m
Jahr« 1534 nach Frankreich brachte. San Gallo wurde krank und musste Eom verlassen, daher Bramarde
den Giacopo beim Pietro Perugino unterbrachte, der zu jener Zeit für den Papst Ju ms an einem a
im Torre Borgia arbeitete, »nd Perugino wurde von seinen Fähigkeiten so eingenommen dass er ihn beauf -
tragte mehrere Wachsmodelle für ihn anzufertigen. Er macht, auch die Bekanntschaft der Künstle, Lnca
Signorelli, Bramantino di Milano, Pinturicchio, und Ce.are Cesariano, so berühmt wegen seiner CommenUre
zum Vitruvius, und wurde endlich dem Papste Julius vorgestellt und von demselben beschäftigt Doch
mitten in seiner Bahn wurde er, in Folge einer schweren Krankheit, gezwungen sich nach seiner Vate stadt
zurück zu begeben. Er genas bald und trug im Wettstreit mit Bandmell, und ander» Kunstlen. um
eine grosse Marmorbildsäule, den Sieg davon. Von dieser Zeit an war er vielfach und beständig bescha g
und verfertigte, unter andern, für Giovanni Bartolini den schonen •‘Bacchus," der sich gegenwa. lg ,»
Florenz befindet. , ^
Im Jahre 1514 wurden grossartige Anstalten gemacht zum Einzug Leo s X. m oienz, unc i ^
erhielt den Auftrag verschiedene Zeichnungen zu Triumphbögen und Statuen zu liefern. Diese gefieien
dem Papst ganz vorzüglich, daher Sansovino, von seinem Freund Giacopo Salviati geführt, die Ehre hat e
dem Pontifex die Füsse zu küssen, der ihn mit der grössten Güte empfing und ihn zugleich beauftragte
einen Entwurf zur Fa ? ade von San Lorenzo, Florenz, zu liefern. Seine Heiligkeit war mit der • r ei
höchst zufrieden, aber Michelangelo, der als Mitbewerber um die Leitung dieser Baute m die Schran en
treten sollte, wusste es so listig anzufangen, dass er den Sansovino um die Frucht seiner Bemühungen
brachte, denn Michelangelo, wie Vasari versichert, «war entschlossen alles für sich selbst zu belia en.
Doch liess Giacopo sich dadurch nicht entmuthigen, sondern arbeitete in Eom als Architekt un i auci,
und war so glücklich, in einem Wettstreit um die Baute der Kirche San Giovanni der Florentiner, über
Eafael, Antonio da Sangallo, und Balthazar Peruzzi, den Sieg davon zu tragen. Wahrend er den e a i
der Arbeiten leitete fiel, er vom Gerüste und wurde so schwer verletzt, dass er die Stadt verliess.
ITALIENISCHE ORNAMENTE.
verschiedenen Ursachen wurde der Bau eingestellt, bis Giacopo später, unter Papst Clement, wieder
zurückkehrte und die Fortsetzung des Werkes unternahm. Von dieser Zeit an war er in jedem wichtigen
Werke zu Eom hetheiligt, bis er diese Stadt, nach Einnahme und Plünderung derselben durch die
Franzosen am 6 ten Mai, 1527, gänzlich verliess.
Giacopo flüchtete sich nach Venedig mit der Absicht sich nach Frankreich zu begehen, wo der König
ihm Beschäftigung angetragen hatte. Doch bewog ihn der Doge, Andrea Gritti, zu bleiben um die
Restauration der Kuppeln von S. Marco zu unternehmen. Diese Arbeit vollendete er zur allgemeinen
Zufriedenheit und erhielt, als Anerkennung seines Verdienstes, den Posten eines Proto-Maestio der
Republik, nebst einem Wohnhaus und einem Jahrgehalt. Er verwaltete sein Amt mit der grössten Umsicht
und Emsigkeit, und es gelang ihm, mittelst mancher Verbesserungen und Veränderungen, die er in der
Stadt bewerkstelligte, die Einkünfte des Staates zu vermehren. Zu seinen schönsten Werken — und man
kann sagen zu den schönsten Werken der italienischen Kunst—gehören die alte Bibliothek, die Münze
(Zecca), die Paläste Cornaro und Moro, die Loggia am Glockenthurm von S. Marco, die Kirche San
Georgio dei Greci, die Statuen der Riesentreppe, das Monument des Francesco Veniero, und die Bronze-
thüren der Sacristei. Seine Persönlichkeit wird von Vasari (herausg. v. Bohn, Band V., Seite 426)
als höchst angenehm, verständig, liebenswürdig, muthig und thätig geschildert. Er wurde allgemein
verehrt und hatte zahlreiche Schüler, unter denen, Tribolo und Solosmeo Danese, Cattaneo Girolamo von
Ferrara, .Tacopo Colonna von Venedig, Luca Lancia von Neapel, Bartolommeo Ammanati, Jacopo di
Medici von Brescia, und Alessandro Vittoria von Trident, genannt zu werden verdienen. Er starb am
2 ,eD November 1570, im Alter von drei und neunzig Jahren; “und obgleich seine Lebensjahre (wie Vasari
sich ausdrückt) im gewöhnlichen Laufe der Natur zu Ende gingen, beklagte doch ganz Venedig seinen
Verlust.” Dem günstigen Einfluss Sansovinos verdankt die venezianische Schule hauptsächlich ihre
Berühmtheit in den Kuntstarbeiten von Bronze.
Wenden wir uns nun von Italien nach Frankreich um den Faden der Nationalfortschritte in diesem
Lande wieder aufzufassen, den die italienischen Künstler, welche ungefähr im Jahre 1530 in den Dienst
Franz I. traten, und die sogenannte “ Schule von Fontainebleau,” bildeten, eine Zeitlang unterbrochen
hatten. Der einflussreichste Meister unter dieser Schaar war Primaticcio, dessen Zeichnungsweise auf
dem Verhältniss-System des Michelangelo begründet, doch mit etwas verringerten Gliederungen und einer
ziemlich manieristischen Grazie in geschlängelten Linien dargestellt war. Die der Schule von Fontainebleau
eigenthümliche Anordnung und Auffassungsweise des Faltenwurfes übte einen ausserordentlichen Einfluss
auf die heimischen Künstler aus, und zwar nicht nur in diesem besondern Fache, sondern in der Orna-
mentation im Allgemeinen. Die eigenthümlich geknitterten Falten der Gewänder, anstatt m der Richtung
zu fliessen, wie sie, sich seihst überlassen, wohl natürlich fallen würden, waren in ihrer Anordnung nur
darauf berechnet, die Lücken der Composition so gut als möglich auszufüllen. Diese Auffassungsweise
führte eine allgemeine Leichtfertigkeit in der Behandlung ähnlicher Elemente herbei, und erzeugte jenen
flatterhaften Styl der sich in all den Werken jener Meister darthut, die die herrschende Mode der Zeit
nachahmten und befolgten. Unter den bedeutendsten dieser Künstler verdient der berühmte Jean Goujon,
am Anfang des sechzehnten Jahrhunderts in Frankreich geboren, nahmhaft und besonders hervorgehoben
zu werden. Seine vorzüglichsten Werke, die glücklicherweise grösstentheils noch gegenwärtig existiren,
sind: die “Fontaine des Innocents” zu Paris (1550); die Gallerie im Saale “des Cent Suisses,
gegenwärtig “la Salle des Caryatides ” genannt, welche auf vier kolossalen weiblichen Figuren ruht, die zu
seinen besten Leistungen gerechnet werden; die berühmte Diane dePoitiers, “ Diane Chasseresse” genannt,
ein kleines und herrliches Flachrelief desselben Bildes; seine hölzernen Thüren an der Kirche St. Maclou
zu Rouen; sein Schnitzwerk im Hofe des Louvre; und sein « Christ am Grabe ” im Museum des Louvre.
Goujon theilte den Enthusiasmus den die Entdeckung der Schriften des Vitruvius allenthalben hervor -
gerufen hatte, und schrieb einen Aufsatz darüber, der in der Uebersetzung des Vitruvius von Martin im
ITALIENISCHE OENAMENTE.
Druck erschien. Unglücklicherweise wurde er während des Bartholomäus-Blutbades auf seinem Bau -
gerüste am Louvre, in 1572, erschossen. Bartbelemy Prieur, ein Künstler, der sich noch in einem hohem
G-rade als Jean Goujon den Geist der italienischen Schule von Fontainebleau eigen gemacht hatte, war
nahe daran sein trauriges Geschick zu theilen, wurde aber durch den Schutz des Konstabels von Montrno-
rency, dessen Bildsäule er zu errichten bestimmt war, vom Tode gerettet. Zu gleicher Zeit mit den zwei
benannten Meistern lebte Jean Cousin, ein eifriger Nachfolger und Verehrer der Weise des Michelangelo.
Er ist besonders wegen der von ihm ausgeführten Statue des Admirals Chabot berühmt, und auch wegen
seiner Glasmalerei, deren wir schon im Cap. XVII., Erwähnung gethan haben. Unter den Künstlern jener
Periode thut sich besonders Germain Pilon hervor. Er wurde zu Loue bei Mans geboren, und ward 1550
von seinem Vater nach Paris gesandt. Zu seinen frühesten Werken gehören die Statuen im Kloster von
Soulesmes. Im Jahre 1557 wurde das von ihm verfertigte Denkmal zu Ehren des Guillaume Langei du
Bellay in der Kathedrale zu Mans errichtet. Ungefähr zur selben Zeit vollendete er das Monument
Feld eines Plafonds nach einer Zeichnung von Le Pautre.
Heinrich’s II., und das der Catherine de Medici, nach der Zeichnung des Philibert de Lorme, in der
Kirche St. Denis bei Paris. Eine seiner besten Leistungen war das Monument zu Ehren des Kanzlers de
Birague.
Seine herrliche und wohlbekannte Gruppe der “ Drei Grazien,” aus einem soliden Marmorblock gehauen,
war ursprünglich bestimmt der Urne zur Stütze zu dienen, welche das Herz Heinrich’s II. und das der
Catherine de Medici enthielt, befindet sich aber jetzt im Louvre. Um den Lesern einen Begriff vom Orna-
mentationsstyl dieses Künstlers zu geben haben wir Tafel LXXVI., Fig. 9, die Basis dieses Monuments
dargestellt. Die Statuen und Basreliefs am Monument Franz I. sind von Pilon und Pierre Bontemps.
Die Werke Pilon's reichen nicht weiter als 1593, in welchem Jahre er, wie Kugler angiebt, gestorben sein
soll.
Die übersehlanke verlängerte Gliederung und die manieristisch gesuchte Grazie, die der Schule von
144
ITALIENISCHE ORNAMENTE.
Ärabesk, gezeichnet von Baccio
Pintelli für die Kirche Sant’ Agos-
tino, Rom.
Fontainebleau eigen waren, erreichten den höchsten Punkt
der Uebertreibnng von Seiten des Künstlers Francavilla,
oder Pierre Francheville von Cambray (geb. 1548), welcher
den straff gezogenen Sty T l seines vieljährigen Lehrers Johann
von Bologna in Frankreich einheimisch machte. Die
Charakterzüge des in der ersten Hälfte des siebzehnten
Jahrhunderts herrschenden Ornamentationsstyls, der den
sogenannten Styl Louis XIV. herbeiführte, lassen sich
nirgends deutlicher erkennen, als in den Gemächern der
Marie de Medicis, im Palais de Luxembourg zu Paris, die
ungefähr im Jahre 1620, ausgeschmückt wurden.
Dieser Behandlungsweise folgte der von Le Pautre,
einem vielseitigen und fruchtbarem Künstler, eingeführte
Styl, von welchem der nachstehende Holzschnitt ein Muster
darstellt.
Von den ausgehauenen Ornamenten Italien’s und
Frankreichs wollen wir uns zu den gemalten Verzierungen
wenden, welche, während der kurzen Epoche wo eine
besondere Sorgfalt für die Erhaltung der Spuren alt -
römischer polychromatischer Decorationen an den Tag
gelegt wurde, einen hohen Grad der Vollkommenheit und
der Schönheit erreicht hatten. Man muss dabei > nicht
ausser Acht lassen, dass der Unterschied zwischen den
gemalten und den geschnitzten Arabesken der Alten sehr
gross war. Die letztem wurden während der frühen
Periode der Renaissance beinahe ganz vernachlässigt,
während die erstem mit grossem Erfolg nachgeahmt
wurden, wie man aus den in unsern Holzschnitten dar -
gestellten Pfeilern, von Baccio Pintelli für die Kirche Sant’
Agostino zu Rom gebildet, wohl ersehen kann.
Dem Studium der alten römischen und griechischen
Sculpturen folgte die Untersuchung der antiken auf
Marmor und Stein ausgeführten Decorationen, welche in
Italien in so reichlichem Maasse vorhanden waren, und von
denen die angestellten Nachgrabungen jeden Tag neue
Muster ans Licht förderten. Diese bestanden aus voll -
ständigen Resten oder auch zertrümmerten Bruchstücken
von verzierten Vasen, Altären, Friesen, Pfeilern, Gruppen,
einzelnen Figuren, Büsten und Köpfen in Medaillons oder
auf architektonischem Grunde angebracht; aus Früchten,
Blumen, Laubwerk, und Thierfiguren, untermischt mit
Täfelchen von verschiedener Gestalt mit allegorischen
Inschriften. Diese Gegenstände von auserlesener Schön -
heit boten sich zu . jener Zeit den Künstlern, welche sich
nach Rom begaben um dergleichen Ueberbieibsel zu co-
piren, in endloser Mannichfaltigkeit dar. Wenn hierauf
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Arabesk, gezeichnet von Baccio
Pintelli für die Kirche Sant’ Agos -
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145
ITALIENISCHE ORNAMENTE.
' , „ „ W77M1 auf moderne Arabesken in Anwendung brachten, so
die frühen Künstler die daselbst en wor ene >- förmliche Gepräge aufzudrücken, welches
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«»”» de “ kaiSerli f e ", S ä Taie Antike» „>t besonderem Eifer studirten, that sich Pietro Perngmo
Unter den Kunstforschern, die d Ta hrhunderts zu diesem Zweck in Rom aufhielt, wo
besonders hervor, der sich gegen Ende r es un ze an tiker Ornamente zusammenhrachte,
er eine so ausgezeichnete und vollständige Sammlung Ä ^ Cambio ;> mit Fresken
dass er den Auftrag erhielt in seiner \ aters a “ ^ Gegenstande lebhaft darstellen sollten. Dieses
auszuschmücken, die den alten Sty um man j heg er in p erU gia bald nach seiner Heimkehr
prächtige Kunstwerk, denn als solches ^ das . gchen Qüelle der antiken Kunst geschöpft
aus Rom vollendete, beweist dass er m v * ^ , oductioI1 der « Grotesken” der Alten dar, und ist
hatte. Es stellt unstreitig die erste vo s an g ^ pietro , g bestätigt a l s der erste Künstler
überdies bemerkenswerth, erstens m so fern . Genauigkeit und im Grossen aufs neue
betrachtet zu werden, der d» —1“^ "-übten Händen zum Modell
entwickelte, und zweitens a s ae Yollkommenheit gebracht wurde,
diente, bis es durch ihre unermüdlichen Bestrebungen - ^nj ^ ^ Fraa .
Bi c vorzüglichsten Schüler des;^“ e n'Bac’cbiacca, und Pintnricchic, deren Bemühungen
cesce Ubertini, besser bekannt unter de A r „, m ente beitrugen. Der Einfluss, den
wesentlich zur Ausbildung jener anmuthigen un an “ e ^ ‘ auf die künftige Laufbahn dieser drei
der Erfolg ihrer ersten jugendlichen Bemühungen m verdankten Rafael und Pinturicchio die
Künstler ausübte, ist höchst merkwürdig, denn diesem zu Sienna . Ueberdies
von Beiden zusammen angeführten Decorationsar m^en ^ verleg en, welche zur Composition seiner
wurde Rafael dadurch veranlasst sich mi i er au j führte n- und Pinturicchio übernahm in
unnachahmlichen Arabesken in den Logg» un d die der Gemächer des
der Folge die Ausschmückung der Decke c es mrs vo dass er sein ganzes Leben
r^ . dass er - -
Italien als der vollkommenste Meister dieses Styla berühmt wu c glänzendem Farbenauftrag,
A „ frei fliesender um. geflickt — * Malereien *
z::x:r:tzzz,
gleichgestellt werden können. er yom Papst Leo X. beauftragt einen Säulengang zu
Während Rafael sich m Rom aufh , T T von Bramante, Schwiegervater des Rafael
decoriren, der unter der Regierung des vorigen Papstes, Julius II., von Bramante,
gebauet worden war. hpilio-em Charakter sein müsste, doch
Et wurde beschlossen, dnss da. Thema der Decorahonen zwar von h fl, . BpoA# au
das, der S. y l und die Durchfuhr mit den schönsten wie es scheint, von Kafne,
Rom entdeckt worden waren, wetteifern sollten. » an P » Gehülfen überlassen wurde, die sich
selbst angefertigt, während die Details einer au*,rlesenenjch ^ gele „ kt und
ihmr Arbeit unstreitig mit grdsst.m Eifer die „en die berühmten * Loggie.« die von J.
beseelt vom gediegenen Geschmack des grosse ■ . » sorgfältig gewählten Sammlung
her ein Gegenstand der Bewunderung aller Künstler gewesen smd. In sorgt „
146
ITALIENISCHE ORNAMENTE.
der Tafel LXXXVI. haben wir die vorzüglichsten in jenem Werke vorkommenden Motive der Ornamenta-
tion dargestellt.
Es wäre unrecht die bekannten Arbeiten der Alten mit den Arabesken der Loggie vergleichen zu wollen,
indem diese letztem von den grössten Meistern der Zeit ausgeführt wurden und zugleich zur Verzierung
eines der prächtigsten und bedeutendsten Gebäude dienten, die erstem aber einer minder ausgezeichneten
Kunstperiode angehörten und, so weit die gegenwärtig vorhandenen Beispiele zeugen, bloss die Decorationen
von Bauten bildeten die an königlicher Pracht dem Vatikan bedeutend nachstanden. Wenn es möglich
wäre den verblichenen Glanz des Palastes der Cäsaren, oder des “Goldenen Hauses ” Nero’s wieder ins
Leben zu rufen, dann dürfte der Vergleich wohl nicht unbillig erscheinen.
“ In den alten Arabesken wurden die verschiedenen Theile, beinahe ohne Ausnahme, in.einem verjüngten
Masstabe erhalten, um der zu verzierenden Localität eine scheinbar bedeutendere Ausdehnung zu
verleihen, überdies verkündet sich in denselben ein vorherrschendes ebenmässiges Verhältniss unter den
verschiedenen Theilen. Da findet man nie den auffallenden Unterschied der Verhältnisse zwischen den
verschiedenen Motiven, den man oft in den Arabesken Rafaels gewahr wird, wo die verschiedenen Bestand-
theile zuweilen unmässig gross und zuweilen unmässig klein sind. Dabei wird noch der grosse Tlieil
neben oder über den kleinen gesetzt, wodurch der Widersatz nur um so emphatischer hervortritt, und das
Ganze berührt doppelt unangenehm wegen des Mangels an Symmetrie sowohl als durch die Wahl der Deco-
rationsmotive selbst. An der Seite der prächtigsten Arabesken die, in einem sehr kleinen Masstab,
zierliche und winzige Combinationen von Blumen, Früchten, Thier und Menschenfiguren, Ansichten von
Tempeln, Landschaften, &c., darstellen, findet man Blumenkelche aus denen gedrehte Stiele, Blätter und
Blüthen entspriessen — die insgesammt, im Vergleich mit den daneben befindlichen eben beschriebenen
Arabesken, von kolossalen Verhältnissen sind: wodurch nicht nur die zur Seite stehenden Decorationen
beeinträchtigt, sondern das Imposante der ganzen baulichen Zeichnung aufgehoben wird. Endlich, wenn
man die Gegenstände, im Bezug auf die Ideen welche ausgedrückt werden sollen, in Betracht zieht, und
zugleich die Decorationen der Symbole und der Allegorieen untersucht,die dazu dienen diese Ideen sinn -
bildlich darzustellen, so kann man sich nicht verhehlen, dass die Werke der Alten, die von keiner andern
Quelle als aus der Mythologie hergeleitet waren, hinsichtlich der Einheit der Idee, einen höchst günstigen
Eindruck hervorbringen, im Vergleich mit der in den “ Loggie” so auffallend hervortretenden Vermischung
von Gegenständen aus der Welt der Phantasie mit den Symbolen des Christenthums.” Diese Bemer -
kungen entlehnten wir dem tiefsinnigen Nachforscher der alten Polycliromie, Herrn Hittorff, und man kann
nicht umhin die Eichtigkeit derselben anzuerkennen. Doch, obwohl man dergleichen I ehler im ensemble
wohl rügen darf, muss man andererseits die unvergleichliche Grazie der Details nicht ausser Acht lassen,
die sich in der Ausführung Eafaels und seiner Schüler kund giebt. “Wenn man sich vom Vatican nach
der Villa Madama begiebt, findet man, gleich beim Eintritt in die Hallen, dass die Abtheilungen daselbst
minder verwirrend in ihrem Gesammteffect wirken. Man bemerkt in den Hauptverzierungen ein besser
abgemessenes Verhältniss und eine grössere Symmetrie. Die prächtigen Decken, trotz der Mannichfaltigkeit
der Ornamente, üben einen besänftigenden und angenehmen Einfluss aufs Gemüth aus. Hier sind alle die
vorzüglichsten Gegenstände den Scenen der alten Mythologie entnommen, daher sich auch eine mehr im
Geiste der alten aufgefasste Einheit darin verkündet. Wenn wir die allgemeine Meinung als gegründet
annehmen, dass diese herrliche Arbeit ein zweites von Eafael im Geiste des Loggie entworfenes V erk sei,
dessen Ausführung aber gänzlich dem Giulio Eomano und dem Giovanni da Udine angehört, so kommen
wir zum Schlüsse, dass die Lieblingsschüler des unvergleichlichen Meisters so glücklich waren jene Vergehen
gegen den guten Geschmack zu vermeiden, welche Eafael selbst, sowohl als seine Zeitgenossen, im erstem
Werke unfehlbar bemerkt haben muss, ungeachtet der günstigen Aufnahme die demselben einstimmig vom
Publikum, von den Hofleuten und selbst von der Kunstwelt zu Theil wurde.” Im Gegensatz zu den
Arabesken des Vatikans, die meistens auf weissem Grund stehen, sind die des genannten reizenden Land-
147
ITALIENISCHE ORNAMENTE.
hauses grösstentheils auf verschieden colorirtem Grunde ausgeführt-eine Weise für welche Giulio Romano
eine grössere Vorliebe zeigte als Rafael und Giovanni da Udine.
Die Villa selbst wurde von Romano und seinem Gehülfen für den Cardinal Giulio di Medici, nachherigen
Papst Clement VII. gebaut, der erste Entwurf aber wurde von Rafael geliefert. Das Werk war noch
nicht vollendet als es zum Theil vom Cardinal Pompeo Colonna zerstört wurde, aus Rache gegen
Clement VII., der in der Campagna von Rom vierzehn Schlösser des Cardinais niedergebrannt hatte.
Gegenwärtig kommt diese Villa täglich ihrem gänzlichen Verfall näher, aber die drei grossartigen Bögen,
die noch stehen, sind allein hinlänglich zu beweisen, dass der Entwurf dem Genie Rafaels würdig entsprach.
Dass der Entwurf wirklich von ihm herrührte, unterliegt keinem Zweifel und ist aus einem Briefe von
Castiglione an Francesco Maria, Herzog von Urbino, so wie aus einigen Zeichnungen welche, sowohl als der
genannte Brief, noch gegenwärtig vorhanden sind, aufs klarste bewiesen.
Als im Jahre 1537 die Güter der Medicis confiscirt worden waren, wurde diese Villa von Margarethe,
Tochter KaiTs V. und Wittwe des Herzogs Alexander di Medici käuflich erstanden, und nahm, nach dem
Titel dieser Fürstin, den Namen Villa Madama an. Das Gebäude wurde zum Theil restaurirt aber nie
ganz vollendet, doch bewohnte es Margarethe zur Zeit ihrer Vermählung mit Ottavio Farnese. Die Krone
von Neapel kam später, in Folge einer Heirathsverbindung, in den Besitz dieser Villa und aller andern
Güter der Farnese.
Die Schüler und Nachfolger Rafael’s verfertigten eine solche Menge von Arabesken-Verzierungen, und
zwar meistens mit so vollkommener Gewandtheit, dass es schwer zu ermitteln wäre, welchen unter ihnen wir
die herrlichen Arabesken verdanken, die noch gegenwärtig viele der Paläste und Landhäuser m der Nahe
von Rom schmücken. Der unzeitige Tod Rafaels zerriss das Band, welches die um ihn her versammelte
Schaar während seines Lebens geknüpft hatte, und die Künstler, die mit so glücklichem Erfolg unter ihm
gearbeitet hatten, zerstreuten sich nach allen Richtungen hin, und trugen nach den verschiedenen Theilen
Italiens die Erfahrung und die Kenntnisse mit sich, die sie in den grossen Unternehmungen ihres Meisters
gesammelt hatten. Auf diese Weise verbreiteten sich die Elemente der gemalten Arabesken-Decorationen
in vollen Strömen durchs Land. Im Verhältniss■ aber als die Künstler, welche die spätem Werke untei-
nahmen, sich weiter vom classischen Einfluss Roms entfernten, wurde auch ihr Styl minder malerisch und
148
ITALIENISCHE ORNAMENTE.
minder rein-decorativ, und im siebzehnten Jahrhundert verlor sich die Auffassungsweise der Arabesken
ganz in dem Streben nach jenen verblümten Decorationsweisen, die mit den übertriebenen Ideen architec-
toniscber Pracht übereinstimmten, welche die Jesuiten nährten und zu verbreiten suchten. In den Tagen
Bertinis, und noch später zur Zeit des Borromini, schwelgte der Stuccatore triumphirend in Schnörkeln
aller Art, während es dem decorativen Maler höchstens vergönnt war die perspectiven Schalkhaftigkeiten
des Padre Pozzo und seiner Schule, im beschränkten Raum zwischen den flatternden Flügeln und an dem
Faltenwurf der Engel anzubringen, die von den gewölbten Decken und Kuppeln in der Luft herabhingen.
Ehe wir vom Gegenstand der Arabesken gänzlich scheiden, dürfte es rathsam sein auf einige Anomalien
in den verschiedenen Localansichten derselben hinzuweisen. Es lässt sich wohl annehmen, dass der Einfluss
der alten Reste auf den Localstyl jener Ortschaften am deutlichsten wirkte wo diese Ueberbleibsel sich am
häufigsten vorfanden. Daher die Schule der Arabesken zu Rom der Antike viel näher steht als in Mantua,
Pavia und Genua, wo sich besondere Typen und Einwirkungen kund thun. So kann man zum Beispiel
das zu Mantua herrschende Ornamentationssystem in zwei verschiedene Schulen abtheilen, nämlich in die
Schule der Natur und in die der kraftvollen, beinahe an Caricatur grenzenden conventioneilen Auffassung,
die als ein Widerschein des beliebten römischen Heidenthums, von Giulio Romano eingeführt worden war.
Im verlassenen Palazzo Ducale verbleichen täglich mehr und mehr die anmuthvollen Fresken, von denen wir
Tafeln LXXXVII. und LXXXVIII. zahlreiche Darstellungen gegeben haben, und die grösstentheils auf
weissem Grund ausgeführt sind. Blumen, Blätter und Ranken winden sich um einem Centralstamm, wie
in Fig. 7 und 9, Tafel LXXXVII., und in diesen Fällen schien der Künstler seine Eingebungen an der
begeisternden Quelle der Natur geschöpft zu haben. In andern Beispielen aber, wie in Fig. 1, 2, 3, 4, 5, 6,
derselben Tafel, äussert sich ein rein conventioneller Styl in welchem die Hand des Künstlers dem Spiel
seiner wunderlichen Laune folgend, sich in Reihen von Schnörkeln und Krümmungen erging, die sich zwar
unablässig wiederholen, doch nur selten einförmig erscheinen, deren Hauptpunkte mittelst Blumenkelche
hervorgehoben werden, während die vorzüglichsten Hauptlinien derselben von parasitischem Schmarotzerlaub
verziert und hier und da gebrochen werden.
In den Beispielen 1, 2, 4, 5, Tafel LXXXVIII., zeigt sich ein deutlicher Unterschied in den Decora-
tionen eines und desselben Gebäudes. In diesen Fällen hat sich der Künstler noch weiter von der Natur
entfernt, dabei aber auch eine noch malerischere Darstellungsweise an den Tag gelegt als in den frühem und
reinem Mustern. Wir wollen keineswegs behaupten, dass es unmöglich sei den höchsten Ausdruck
architektonischer Schönheit mittelst ganz conventionell aufgefasster Ornamente zu erlangen, nur müssen
dergleichen Ornamente, wenn sie einen angenehmen Eindruck machen sollen, einfach und flach, im Bezug
auf Licht, Schatten und Farbe, behandelt werden. Im selben Verhältniss als die Elemente eines Orna -
ments mehr oder weniger vom gewöhnlichen Ansehen der Natur abweichen, muss auch die Darstellung
derselben verschieden sein. Daher die feinen Arabesken der Tafel LXXXVII., in welchen die Formen der
in den Gärten und auf den Feldern wachsenden Pflanzen in freien Skizzen nachgebildet worden sind, einen
gewissen Grad zarter Modellirung und zufälligen Effects rechtfertigen, der uns in den absolut conven-
tionellen Beispielen der Tafel LXXXVIII., als ungerufen und kraftlos erscheint. In dem Gewühle von
Linien, in den flatternden Bändern und in den undeutlichen juwelenartigen Formen der Fig. 5, so wie in
den einförmigen Masken und Narrenkappen, No. 1 (Tafel LXXX.), zeigt sich schon die Tendenz zur
Caricatur, welche die Leistungen so sehr entstellt die das Genie des Romano mit so meisterhafter Gewalt,
aber unglücklicherweise mit zu grosser Ueberschwänglichkeit, schuf. So lange die üppige Fülle seiner
Fantasie durch den Umgang mit Künstlern von feinerem Geschmack im Zaum gehalten wurde, wie in der
Villa Madama und in seinen andern römischen Werken, war wenig dagegen einzuwenden; als er aber später
in Mantua zum “ Gran Signore” wurde, da liess er sich vom Rausche seiner Eitelkeit überwältigen, und
er mischte mit dem Schönen so manches das höchst lächerlich war.
Die Beispiele seiner Arabesken, die wir Tafel LXXXVIII. zusammengestellt haben, illustriren zugleich
Q Q 149
ITALIENISCHE ORNAMENTE.
seine Fähigkeit und seine Schwäche als Ornamentist. Er kann sich der Erinnerungen der Antike nicht
erwehren, ist aber zugleich viel zu selbstsüchtig um sich mit der sorgfältigen Reproduction derselben zu
genügen, daher seine dem Alterthum entlehnten Motive unter seiner Behandlung ein gewisses unruhig
bewegtes Ansehen annehmen, welches man in den Resten der classischen Antiquität nie antrifft. Die der
Natur entnommenen Motive wurden ebenso übel von ihm behandelt, und es schien als ob er die Blumen
pflückte, bloss um sie mit rauhem Griff zu erdrücken. Doch hat seine Phantasie etwas Kühnes, seine
Behandlung einen freien Schwung und eine Sicherheit die ihm eine ehrenvolle Stelle im Tempel der Kunst
versichern. 0 Gleich dem - Van, dem es zwar an Grazie, nie aber an Witz fehlte,” zeigt er sich besonders
mangelhaft hinsichtlich des Geschmackes, dessen Richtung zu seiner Zeit von ihm, als einem der Haupt -
schiedsrichter, abhing. Dieser Mangel verkündet sich in manchen Ornamenten der Tafel LXXXIX., welche
meistens dem Palaste del Te zu Mantua entnommen sind. So wird der Effect der im freien Schwung kulm
ausgeführten Rankenverzierung, Fig. 2, gänzlich zerstört durch das lächerliche Aussehen der Figur aus
welcher sie entspringt. In Fig. 3 scheint es als ob die Masken, die anmuthigen Formen welche sie umgeben,
verhöhnen wollten; und in Fig. 4 ist die Natur ebenso übel behandelt als die Antike. Die big. 6 deutet
auf eine wichtige Moral hin. Knechtisch, gerade da wo ein Ornament frei sein sollte, nämlich m der
Anordnung der Hauptlinien; und frei, wo eum gewisse Unterwürfigkeit für einige allgemein angenommene
Typen nicht mehr knechtisch genannt werden könnte, nämlich in den accessorischen Elementen, verratli
Typographisches Ornament aus einem der Werke der frühen pariser Presse. — (Stephans, griechisches Testament.)
diese seine laufende Rankenverzierung, welche einem der gewöhnlichsten Muster des Altei thums nachgebildet
ist, zugleich Giulio’s geringe Erfindungskraft und Mangel an Geschmack.
Derselbe eigenthümliche Einfluss, den gewisse Localumstände auf den Ornamentationsstyl ausüben, wie
wir schon im Bezug auf die Arabesken bemerkt haben, äussert sich ebenso bestimmt in den -vorzüglichsten
typographischen und xylographischen Illustrationen der frühen Buchdrucker. In den Ornamenten, Hg.
4_7, 9-16, Tafel XC., zum Beispiel, die wir dem berühmten, im Jahr 1499 zu Venedig gedruckten “ Ety -
mologion Magnum” entnommen haben, beruhen die Formen der Verzierungen und die fast gleiche
Vertlieilung der “pieni” und “ vuoti” auf dem Styl jener orientalischen und byzantinischen Bruchstücke,
die zu Venedig besonders in reichlichem Maasse Vorkommen. Manche der aldinischen Anfangsbuchstaben
der letztgenannten Tafel dürften, ihrem Ansehen nach, von derselben Hand gestochen worden sein, welche
die Motive der damascirten Metallarbeiten derselben Epoche ausgegraben hatte. Die toskanische Bibel
von 1538 zeigt endlose Beispiele von conventionellen Behandlungen der Bildhauer arbeiten des Cinque-Cento
Styles, die in den Kirchen von Florenz in reicher Fülle vorhanden sind. Ebenso verehrbar und beaclitens-
werth sind die Leistungen der pariser Presse.
Die Leistungen des Stephans (Fig. 29, aus dem berühmten griechischen Testament), die des Colinaeus,
seines Schülers (Fig. 3), die des Mace Bonhomme, von Lyon, 1558, die des Theodore Rihel von Frankfurt,
1574, die des Jacques de Liesveldt von Antwerpen, 1544, und die des Jean Palier und des Regnault Chaul-
diere aus Paris, liefern so manche anziehende und interessante Illustrationen der Verschiedenheit dei
Localtypen in den Verzierungs-Details eines halb-alterthümlichen Charakters.
150
ITALIENISCHE ORNAMENTE.
Um wieder auf Italien und dessen geläuterten Styl zurückzukommen, und ehe wir den “ersten
Ursachen ” nachforschen, die zum Verfall der neuen Entwickelung der classischen Kunst führten, wollen
wir einen oder zwei daselbst blühende Gewerbzweige flüchtig berühren, die man nicht ohne Ungerechtigkeit
ganz unbeachtet lassen kann. Der vorzüglichste und anziehendste Zweig der Industrie war die vene-
tianische Glasfabrikation, die nicht wenig dazu beitrug den Ruhm Venedig’s weit und breit über die
bewohnbare Welt zu verbreiten.
Nach der Eroberung Constantinopels von den Türken, im Jahre 1453, flohen die da ansässigen grie -
chischen Handwerksleute nach Italien, und von diesen lernten die Glasfabrikanten Venedig’s die Kunst ihre
Erzeugnisse mit Farben, Vergoldung und Email auszuschmücken. Im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts
Ornamente zu eingelegten Arbeiten, von Fay im Style Louis Seize.
Felder von Fay im Style Louis Seize.
erfanden die Venetianer die Kunst, Fäden von colorirtem und undurchsichtigem weissem Glas (latticinio)
in die Substanz der von ihnen fabricirten Artikel einzuführen, welche einen ebenso schönen als dauerhaften
Schmuck bildeten, der, seines leichten Wesens wegen, zur Verzierung zartgestalteter Gegenstände besonders
geeignet war. Das Geheimniss dieses Verfahrens wurde vom Staate mit argwöhnischer Sorgfalt gehütet und
die strengsten Strafen waren gegen die Arbeiter verhängt die das Geheimniss verrathen, oder ihr Handwerk
in einem fremden Lande ausüben möchten. Andererseits räumte man den Meistern der Glashütten zu
Murano grosse Privilegien ein, und auch die Arbeiter wurden über die Classe gewöhnlicher Handwerker
gestellt. Im Jahre 1602 wurde zu Murano eine Denkmünze geprägt, die zum Zweck hatte, die Namen
derjenigen zu verewigen, die die ersten Glashütten auf der Insel angelegt hatten. Diese Namen sind die
folgenden: Muro, Leguso, Motta, Bigaglia, Miotti, Briati Gazzabin, Vistosi, und Ballarin. Zwei Hundert
Jahre lang gelang es den Venetianern ihr schätzbares Verfahren geheim zu halten und den Glashandel in
Europa zu monopolisiren ; aber am Anfang des achtzehnten Jahrhunderts fing der Geschmack für schweres
geschnittenes und geschliffenes Glas sich geltend zu machen an, und der Handel desselben verbreitete sich
über Böhmen, Frankreich und England.
Zu jener Zeit wurden zahlreiche und höchst prachtvolle Arbeiten in edeln Metallen ausgeführt, von
denen jedoch viele, zur Zeit der Plünderung Rom’s, in Italien eingeschmolzen wurden, und ebenfalls in
151
ITALIENISCHE ORNAMENTE.
Frankreich, um da» Lösegeld für Franc L au bezahlen; der grössere Therl aber rst wabrsche.nkch m
spaterer Zeit „mgea,beitet worden. Doch befinden sich im Cabinet des Grossherzogs von Toskana und im
Louvre zu Paris, schöne Sammlungen von emaillirten und mit Juwelen besetzten Schalen Beo em un
andern Gegenstände», die von der Geschicklichkeit und dem Geschmack de, Goldschmiede und Juweliere des
sechzehnten Jahrhunderts hinlängliches Zeugnis ablegen. Eines der reichste» zu jener Zeit gebräuchlichen
Kleinodien war die sogenannte “ enseigne," eine Art Medaille die die Edelleute gewöhnlich am Hute un
die Damen im Kopfputz zu tragen pflegten. Die zu jener Zeit herrschende Sitte be, allen wichtigen Gele -
genheiten Geschenke zu machen, gab den Juweliere» beider Länder beständig Beschäftigung, die n, “
Nähe der Höfe, selbst in den stürmischsten Zeiten keine Unterbrechung erlitt. Als die V ertrage zu
Chateau Cambresis Italien den Frieden wieder schenkten, und die Thronbesteigung Heinrich s in
Frankreich den Kriegen daselbst ein Ende machte, fanden die Goldschmiede einen noch grossem Absatz für
ihre Arbeiten. Etwas später bahnte die Prachtliebe der Cardinäle Richelieu und Mazarm den eg zum
kommenden Zeitalter Ludwigs des Grossen, auf dessen Befehl zahlreiche und prächtige Kunstwerke von
dem pariser Goldschmiede Claude Ballin, welcher zugleich mit Labarre, Vincent Petit Jul,an Desfontames
und manchen andern Künstlern im Louvre arbeitete, ausgeführt worden sind. Unter den Gegenstand« .e
zu jener Epoche de» Scharfsinn der Goldschmiede vielfach in Anspruch nahmen, war die von den Edelleuten
allgemein getragene - aigrette.” Von diese, Zeit an gerieth der Styl der französischen Juwelenarbe,ten m
Verfall während die Werke in Bronze und Messing sich durch gediegene und vollkommene Arbeit auszeich-
£ 'und die ciselirten Werke in Messing, die der berühmte Gouthie, zur Zeit Ludwigs XVI ausfuhrt ,
wten über alles Lob erhaben. Wir geben zwei sehr hübsche gravirte Beispiele dieser Art pari», Arbeit.
Die straffe Gespanntheit und die Kleinlichkeit dieser Art Ornamente wurde durch die fehlerfreie gediegene
Aripfiilirnncr derselben wieder vergütet.
Arabesken von Theodore de Bry, einem der “ Kleinmeister.”
Die Entwickelung und die Popularität der Kunst der Goldarbeiter blieb nicht ohne Einfluss auf die
Zeichenkunst im Allgemeinen, indem die Goldschmiede bei den fähigsten Zeichnern und Graveuren ihre
Zeichnungen und Muster machen liessen, die aber nachher auch als Decorationen zu ganz verschiedenen
Arbeiten verwendet wurden. Dies war in Deutschland, und ganz besonders in Sachsen der Fall, wo die
Kurfürsten zahlreiche Arbeiten ausführen liessen, in welchen ein Gemisch von Renaissance und verdorbenen
italienischen Stylarten vorherrschte, die aus Nestelverzierungen, Bandwerk, Zierrahmen, und verwickelten
Complicationen architektonischer Glieder bestanden. Der hier eingeschaltete Kupferstich einer Decoration
152
\
ITALIENISCHE ORNAMENTE.
von Theodore de Bry dient als eine gar nicht üble Illustration der eigentümlichen Weise auf welche die
verschiedenen, zum Emailliren im Style Cellini’s eigens angepassten Motive zusammengestellt wurden, um
die zu jener Zeit üblichen Grotesken zu erzeugen. Dergleichen Solecismen finden sich keineswegs nur in
den Werken des Theodore de Bry, denn die radirten Kupferstiche von Etienne de Laulne, Gilles l’Egare,
und andern französischen Künstlern offenbaren denselben Charakterzug.
Die deutschen und französischen Graveure und Musterzeichner lieferten auch häufig Modelle zu den
damaseirten Arbeiten die in Deutschland, Frankreich und Italien so allgemein beliebt waren.
Wenn man bedenkt, dass die Kreuzfahrer morgenländische Waffen zu Damascus kauften und oft
gediegene Arbeiten dieser Gattung, wie zum Beispiel die “ Vase de 5 incennes, ’ nach Europa brachten, so
begreift man kaum wie es kam, dass kein Versuch gemacht wurde dergleichen Arbeiten nachzuahmen, bis
etwa in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, wo man anfing die zu jener Zeit in Italien adoptirte Platten -
rüstung mit damascirter Arbeit zu schmücken. Wahrscheinlich gelangte diese Kunst aus dem Oriente
zuerst nach den grossen Handelsstädten Venedig, Pisa und Genua, und wurde nachher, anstatt der theil-
weisen Vergoldung, als eine bleibendere Verzierung der Waffenrüstungen allgemein angenommen, besonders
in der Stadt Mailand, welche zu jener Epoche dieselbe Stelle in Europa einnahm, die Damascus im Morgen -
land behauptet hatte, als der grösste Stapelort der besten Waffen und Rüstungen. Doch wurde die damascener
Arbeit zuerst ausschliesslich zur Verzierung der Waffen gebraucht, so dass die italienischen Schriftsteller
sie immer nur unter dem Namen “ lavoro all’azzimina ” bezeichneten. Im Anfang des sechzehnten Jahr -
hunderts fing diese Kunst an sich ausserhalb Italiens zu verbreiten, indem die französischen und spanischen
Kunstarbeiter sie wahrscheinlich von den reisenden Künstlern erlernten, welche die Könige jener Zeit, aus
Liebe zur Kunst oder vielleicht nur aus Eitelkeit, an ihren Höfen unterhielten. Das schönste Beispiel
damascirter Arbeit ist wohl die Büstung Franz I., im Cabinet des Medailles zu Paris. Diese Rüstung,
sowohl als der der Königin von England angehörige Schild zu Windsor, wird dem berühmten Cellini
zugeschrieben ; wenn man aber diese Stücke mit andern Werken vergleicht, von denen man bestimmt weiss,
dass sie von ihm sind, so findet man, dass die Zeichnungen der Figuren vielmehr die Arbeit eines Augsburger
Künstlers verrathen, als den kühnen Styl welchen Cellini sich aus den Werken Michelangelo’s angeeignet
hatte.
Vom genannten Zeitpunkt bis gegen die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts wurde eine grosse Menge
damascirter Waffen verfertigt, von denen zahlreiche und herrliche Beispiele im Louvre, im Cabinet des
Medailles und im Musee d’Artillerie auf bewahrt werden. Unter den Künstlern, die wegen ihrer damaseirten
Arbeiten und als Waffenschmiede besonders ausgezeichnet waren, nennen wir Michelangelo, Negroli,
Piccinini und Cursinet.
In England wurde diese Kunst nur sehr wenig ausgeübt, und anstatt der damaseirten Arbeit gebrauchte
man theilweise Vergoldung, gravirte Verzierungen, schwarze oder rothbraune Politur. Die wenigen Beispiele
dieser Art Arbeiten die sich in Grossbritannien befinden, wurden vom Auslande eingeführt odei in
Schlachten erobert, wie z. B. die prächtigen Rüstungen die der Graf von Pembroke nach der Schlacht von
St. Quentin nach England brachte.
Im Vorhergehenden haben wir mit Wohlgefallen darauf hingewiesen, wie die französische Ornamenta-
tionskunst, mittelst der Nachahmung italienischer Vorbilder, im sechzehnten Jahrhundert sich aufs neue
entwickelte; jetzt aber ist es unsere Pflicht den höchst schädlichen Einfluss darzuthun, den das Befolgen
derselben Modelle im siebzehnten Jahrhundert ausübte. Es unterliegt keinem Zweifel, dass zwei begabte,
aber zu hoch geschätzte italienische Künstler, die während ihrer Lebenszeit von ihren Zeitgenossen auf den
Gipfel des Ruhmes gestellt wurden, der französischen Kunst den grössten Schaden zugefügt haben. Diese
zwei Künstler waren Lorenzo Bernini und Francesco Borromini. Der erst genannte, geboren 1589, war
der Sohn eines florentinischen Bildhauers. Er verrieth frühzeitig ungemein grosse Anlagen zur Sculptur,
und fand schon im Jünglingsalter beständige Beschäftigung als Bildhauer und als Architekt. Er wohnte
153
E E
ITALIENISCHE ORNAMENTE.
beinahe uusschliesslich in Rom, nnd entwärf dsselbst den Brunnen Bareace.a, Pmzz» d. Spagna de,
berühmten Triton, Plätze Barberini, und die grossen Brunnen der Prazsa Navona; das Collegium
paoanda Fide , die grosse Halle und F.fade des Palastes Barberini, de, Strad. Feboe gegenüber; einen
Glöckenthurm der Peterskirehe (de, nachher niedergerissen wurde); den Palast Ludovrco, Monte Citono ,
Müde Hu» di S. Pietro; die grosse Treppe die von S. Pietro nach dem Vat,Iran fuhrt, und manche
andere Werke. Könige nnd Fürsten bemühten sich, wo möglich, Büsten von Bemm, zu erlangen, um
selbst^Ludwig XIV., der es nicht gewöhnt war abschMgige Antworten zu erhalten und noch viel wen,gor den
Bittsteller z« machen, sah sieh genöthigt, dringende Gesuche an den Papst und an Berum, se s zu
schreiben, um den letztem, der damals acht und sechzig Jahre alt war, zu emem Besuch nach Paus z
beweeen. Während seines Aufenthalts in der Hauptstadt Frankreichs erhielt Be,trn, obgleich er nur
sehr weine arbeitete, fünf Louisd’or des Tags, und ein Geschenk von funfz.g Tausend Kronenthalei n e,
«iner Abreise, nebst einem Jahrgehalt von zwei Tausend —^ “
XJ,,rarlorf 'KTn-nfintVialem für
«Ki-mo rliV ihn hficrleitet hatten. Bei
Verzierungs-ComPosition nach einer Zeichnung von Le Pautre.
er zu Ehren des Königs Ludwig eine Reiterstatue, die sich gegenwärtig zu Versailles befindet. Er a
viele Werke im Fache der Architektur, der Sculptur und in Bronze geliefert, besass aber auch bedeuten e
Anlagen zu mechanischen Arbeiten und soll überdies nicht weniger als fünf Hundert Gemälde m den
Häusern Barberini und Chigi angefertigt haben. Er starb im Jahre 1680. .
Francesco Borromini wurde im Jahre 1599 bei Como geboren. Er trat ganz jung bei Carlo i a emo
in die Lehre und wurde bald ein ausgezeichneter Bildhauer und Architekt. Beim Tode seines Meisters
154
ITALIENISCHE ORNAMENTE.
Maderno wurde er an seiner Stelle zur Ausführung der Bauten an der Peterskirche ernannt, und zwar unter
der Leitung des Bernini, mit dem er doch bald zerfiel. Seine lebhafte Phantasie und seine ausserordent -
liche Fertigkeit im Zeichnen, verschafften ihm mehr als genügende Beschäftigung. In seiner aus -
schweifenden Launenhaftigkeit trieb er die barocke Uebertriebenheit Berninis bis zur Caricatur. Bis zu
seinem Tode, in 1667, arbeitete er beständig darauf hin, alle anerkannten Principien der Ordnung und der
Symmetrie uinzustossen ; und doch glückte es ihm dabei, nicht nur sich zu bereichern sondern die Bewun -
derung der modischen Welt seiner Zeit im höchsten Grade zu erregen. Alle die Anomalien, welche seine
Zeichnungen charakterisirten: unverhältnissmässige Gliederungen, abgebrochene, contrastirende und
einspringende Curven, unterbrochene, krumme Linien und Flächen und andere Ausartungen dieser Gattung
wurden in ganz Europa zur Tagesmode. In Frankreich besonders verbreitete sich dieses fieberhafte
Streben mit reissender Schnelligkeit, und an die Stelle der seltsamen aber malerischen Formen, die sich in
den Kupferstichen des Du Cerceau, 1576, darthun, setzte der populäre Geschmack die minder einfachen,
aber auch weniger angenehmen Zeichnungen die in den Werken Marots, 1727, und Mariettes, 1/26—7,
Vorkommen. Borromini’s Werke die in 1725 erschienen, und die Bibiena’s, die nicht viel geläuterter waren,
und in 1740 herausgegeben wurden, fanden einen sehr grossen Absatz, und trugen dazu bei, den Geschmack
für leichtfliessende und reiche Arbeit zu verbreiten, zum Nachtheil des Einfachen und Schönen. Doch
lieferten manche französische Künstler zur Zeit Ludwig’s XIV. und Ludwig’s XV., dieses störenden Ein -
flusses ungeachtet, und bei all ihrer barocken Ausschweifung, viele prächtige Decorationswerke, in denen
sich ein Gefühl der launenhaften Schönheit der Linien äusserte, das nur selten übertroffen worden ist.
Dieses zeigt sich besonders in den Zeichnungen von Le Pautre (zur Zeit Ludwig’s XIV.), wie auch in
mehrern innern Decorationen, die in den von Blondel herausgegebenen Werken (unter der Regierung
Ludwig’s XV.) zu finden sind.
Fries-Ornament, Louis Seize, von Fay.
De Neufforge aber kann als der Ceremonienmeister an diesem Hofe der Schwelgerei betrachtet werden,
und den Albernheiten, die in den 900 Tafeln seines grossen Werks der Ornamente enthalten sind, fehlt es
nicht an graziöser Anmuth. Es wäre unmöglich alle die fähigen Decorateurs, Zeichner und Graveure
anzuführen die unter dem “ Grand Monarque ” und am glänzenden Hofe seines Nachfolgers wohlbezahlte
und beständige Beschäftigung fanden; doch können wir “ den Jean Berain nicht mit Stillschweigen
übergehen. Er bekleidete das Amt eines “ Dessinateur des Menus-Plaisirs du Roi ” (Ludwig XIV.) und
ihm verdankt man die herrlichen Zeichnungen, die den Namen Buhl berühmt machen werden, so lange
der Geschmack für schöne Möbeln sich erhalten wird. Er hatte bedeutenden Antheil an der Decoration
der Gallerie d’Apollon im Louvre und der Staatsgemächer der Tuilerien, wie dies aus einem in 1710
erschienenen Werk erhellt. Ausserdem gravirten Daigremont, Scotin und andere Künstler eine bedeutende
155
%
ITALIENISCHE ORNAMENTE.
Sammlung seiner trefflichen schäkerhaften Zeichnungen. Bei der Thronbesteigung Ludwig’s XV., in 1715,
wurde der Kunststyl noch in einem hohem Grad “ rococo ” und “ barock ” als er es unter der frühem
Regierung gewesen war. Ungeachtet des Talentes der Künstler und trotz der schönen Beispiele, die man in den
Werken Soufflots fand, wurden die verdrehten und belaubten Schnörkel und Schnecken, welche vorher im
Gebrauch gewesen waren, zu “rocaille” und Grottenarbeiten, und arteten endlich in die Excentricitäten der
“Chinoiserie” aus. Doch erholte sich der Ornamentationsstyl unter Ludwig XVI. von diesem Zustande der
Entkräftung. Die Ornamente wurden wieder elegant, obgleich linearmässig, und glichen denen die Robert
Adams in England, besonders in seinen Bauten im Adelphi, in Anwendung brachte. Kurze Zeit vor der Re -
volution übte das Genie dreier fähigen Männer einen sehr wohltliätigen Einfluss auf die industrielle Zeichen -
kunst aus: nämlich Reisner, Ebenist, berühmt wegen seiner gediegenen eingelegten Arbeiten; Gouthier,
Kupfer-Ciselirer der Marie Antoinette; und Demontreuil, Holzbildner der königlichen Familie. Während der
Revolution war alles in Chaos aufgelöst, woraus jedoch eine neue Ordnung sich entwickelte, die auf ewig die
“Colifichets” der Monarchie abschwur und dem streng republikanischen Ernst huldigte, wie er sich in den
Werken des David darstellte. Als aber die Republik wieder dem Kaiserthum wich, ging auch die Mode von der
republikanischen strengen Nüchternheit zum prächtigen kaiserlichen Glanz über. Napoleon I. gab den besten
Feld zur eingelegten Arbeit Reisners, von Fay.
Fries-Styl, Louis Seize, von Fay.
Künstlern reichliche Beschäftigung, und der anmuthige, gelehrte, zugleich aber steife und kalte “ Style de
PEmpire” erlangte unter den talentreichen Händen der Künstler Percier, Fontaine, Normand, Fragonard,
Prudhon und Cavelier, die höchste Stufe der Vollendung. Während der Restauration ging die Antike ganz
aus der Mode und liess wieder Verwirrung hinter sich. Doch die hohen Fähigkeiten die dem Lande
eigenthümlich sind und welche durch zweckmässig angelegte und reichlich unterstützte Lehranstalten
schnell entwickelt wurden, gaben dem öffentlichen Interesse bald einen neuen Aufschwung, und es entstand
ein neuer Enthusiasmus und Wetteifer der etwas Archäologisches an sich hatte. Man beschäftigte sich
sorgfältig mit den Monumenten des Alterthums und der Renaissance, die man aufsuchte, restaunrte und
auf allen Seiten nachahmte. Aus diesem Bestreben und den damit verbundenen Studien entwickelten sich
im Lande gar bald Stylarten, die zwar das Gepräge ihres eklektischen Wesens an sich trugen, aber doch
der Originalität ganz nahe kamen.
Frankreich steht für jetzt unläugbar ohne Nebenbuhler im Felde der Ornamente aller Art, hinsichtlich
der Vertheilung sowohl als im Bezug auf die Durchführung derselben; doch macht seit einiger Zeit die
Kunst in England so schnelle vielversprechende Fortschritte, dass wir zur Hoffnung berechtigt sind, es
möge vielleicht einem künftigen Historiker schon in einigen Jahren vergönnt sein, die zwei alliirten 'S ölker,
wie billig, auf gleichen Fuss setzen zu dürfen.
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M. DIGBY MWATT.
ITALIENISCHE ORNAMENTE.
FOLGENDE BUECHER SIND ZU UNSERN LITTERARISCHEN UND MALERISCHEN
ILLUSTRATIONEN BENUTZT WORDEN.
Adams (E.) ThePolyehromaticOrnamentof Italy. In Quarto, London.
Alberti (L. B.) De Re JEdifieatoria Opus. Florent. 1485, in Folio.
Albertolli, Ornamenti diversi inventati, de., da. Milan. In Folio.
D’Androuet du Cerceau. Livre d’Architecture. Paris, 1559, in
Folio.
D’Aviler, Cours d’Architecture, par. Paris, 1756, in Quarto.
Bibiena, Architettura di. Augustse, 1740, in Folio.
Borromini (F.) Opus Architectonicum. Bornse, 1725, in Folio.
Clochar (P.)j Monumens et Tombeaux mesurds et dessinds en Italie,
par. 40 Plans et Vues des Monuments les plus remarquables
de VItalie. Paris, 1815.
Dedaux. Chambre de Marie de Medicis au Palais du Luxembourg ;
ou Recueil d’Arabesques, Peintures, et Omements qui la decormt.
In Folio, Paris, 1838.
Diedo e Zanotto. Sepulchral Monuments of Venice. I Monu-
menti cospicui di Venezia, illustrati dal Cav. Antonio Diedo e da
Francesco Zanotto. In Folio, Mailand, 1839.
Doppelmayr (J. G.) Mathematicians and Artists of Nuremberg, de.
Historische Nachricht von den Nürnbergischen Mathematicis und
Künstlern, de. In Folio, Nürnberg, 1730.
Gozzini (V.) Monumens Sepulcraux de la Toscane, dessines par
Vincent Gozzini, et graves par Jeröme Scotio. Nouvelle Edition,
augmentee de vingUneuf planches, avec leur Descriptions. In
Quarto, Florenz, 1821.
Grüner (L.) Description of the Plates of Fresco Decorations and
Stuccoes of Chur dies and Palaces in Italy during the Fifteenth
and Sixteenth Centuries. With an Essay by J. J. Hittorff, on
the Arabesques of the Ancients compared with those of Raffaelle
and his School. New edition, largely augmented by numerous
plates, plain and coloured. In Quarto, London, 1854.
. Fresco Decorations and Stuccoes of Churches and
Palaces in Italy during the Fifteenth and Sixteenth Centuries,
with descriptions by Lewis Grüner, K.A. New edition, aug -
mented by numerous plates, plain and coloured. In Folio,
London, 1854.
. ——■ Specimcns of Ornamental Art selected from the best
models of the Classical Epochs. Illustrated by 80 plates, with
desci'iptive text, by Emil Braun. In Folio, London, 1850.
Magazzari (G.) The most select Ornaments of Bologna. Raccolia
de’ piu scelti Ornati sparsi per la Citta di Bologna, desegnati
ed incisi da Giovanni Magazzari. In Querquarto, Bologne,
1827.
De Neufforge, Recueil elementaire d’Architecture, par. Paris
(1757). 8 Bde. in Folio.
Pain’s British Palladio. London, 1797, in Folio.
Palladio, Architettura di. Venet. 1570, in Folio.
Passavant (J. D.) Rafael von Urbino und sein Vater Giovanni
Santi. In zwei Theilen mit vierzehn Abbildungen. 2 Bde.
in 8vo. 1 Bd. in Folio, Leipzig, 1839.
Percieret Fontaine, Recueil de Decorations interieures, par. Paris,
1812, in Folio.
Perrault, Ordonnance des cinq speces de Colonnes, selon les Anciens,
par. Paris, 1683, in Folio.
Philibert de Lorme, CEuvres d’Architecture de. Paris, 1626, in
Folio.
Piranesi (Fr.) Differentes Manieres Horner les Chemindes, &c., par.
Rome, 1768, in Folio, und andere Werke.
Ponce (N.) Description des Bains de Tite. 40 Tafeln, in Folio.
Kaphael. Life of Raphael, by Quatremere de Quincy. In 8vo,
Paris, 1835.
Receuil d’ Arabesques, contenant les Loges du Vatican d’apres Raphael,
et grand nombre d’autres Compositions du meme genre dans le
Style antique, d’apres Normand, Queverdo, Boucher, de. 114
Tafeln, in Folio Imperial. Paris, 1802.
Busconi (G. Ant.), Dell 1 Architettura, Hb. X., da. Yenez. 1593,
in Folio.
Scamozzi, Idea deV Architettura da. Yenez. 1615. 2 Bde. in
Folio.
Serlio (Seb.) Tutte le Opere d?Architettura di. Venet. 1584. In
Quarto.
Libri cinque d'Architettura di. Yenet. 1551. In Folio.
Terme de Tito. Sammlung von 61 Blättern der Malereien, Decken,
Arabesk-Yerzierungen, &c., in den Bädern des Titus, gravirt
von Carloni, 2 Bde. Folio. Born.
Tosi and Becchio. Autels, Tabernacles, et Monuments sepulcraux
du quinzieme siecle et du seizieme, qui existent a Rome.
Mit Genehmigung der berühmten Academie von St. Lucas,
herausgegeben von Herren Tosi und Becchio, mit italienischer,
englischer und französischer Erklärung, von Mrs. Spry Bart-
lett. Folio, Lagny, 1853.
Vignola, Regola dei cinque Ordini d’ Architettura, da. In Folio.
Volpato ed Ottavtano. Loggie del Raffaele nel Vaticano, de.
Borne, 1782.
*Zahn (W.) Ornamente aller klassischen Kunst-Epochen nach den
Originalen in ihren eigenthümlichen Farben dargestellt. In
Querfolio. Berlin, 1849.
Zobi (Ant.) Notizie Storiche sull 9 Origine e Progressi dei Lavori
di Commcsso in Pietre Dure che si esequiscono nell’ I. e R.
Stabilimento di Firenze. Zweite vermehrte und verbesserte
Auflage. 4to., Florenz, 1853.
* Diesem interessanten Werke haben wir die Malereien zu den Tafeln LXXVII., LXXVIII., LXXIX., entlehnt.
ITALIENS
PL.UXXYI*
ITALIENISCH.
TA.FEL LXXXVI#
ITALIÄH N° 1*
ALI AN N°2
ITALIEN
ITALIENISCH
.XXXYIl
TAFEL LXXXYII
^ vfi * £ nt i *
■VF;'''.,.
ITALIAN N 4
ITALIENISCH
TAFEL i-VYYTV
ITALIENS.
PL. I,XXXIX.
ITALIENS
PL. XC
ITALIÄH N° 5
27
28
TAFEL XCI.
Rosskastanien-Blätter, in voller Grösse nach der Natur gezeichnet.
TAFEL XCII.
Weinblätter, in voller Grösse nach der Natur gezeichnet.
TAFEL XCIII.
1. Palm-Epheu. 2, 3, 4 und 5. Gemeiner Epheu, in voller Grösse nach der Natur gezeichnet.
TAFEL XCIY.
1. Scharlacheiche. 2. Weisse Eiche. 3. Feigenbaum. 4. Ahorn. 5. Teufelskirsche.
7. Lorbeerbaum. Sämmtlich in voller Grösse nach der Natur gezeichnet.
6. Lorbeer.
1. Weinrebe.
TAFEL XCY.
2. Stechpalme. 3. Eiche. 4. Türkische Eiche.
Grösse nach der Natur gezeichnet.
5. Linsenbaum. Sämmtlich in voller
TAFEL XCYI.
1. Wilde Rose. 2. Epheu. 3. Brombeere. Sämmtlich in voller Grösse nach der Natur gezeichnet.
TAFEL XCYII.
Hagedorn, Eibe, Epheu, und Erdbeerenstrauch. Sämmtlich in voller Grösse nach der Natur gezeichnet.
159
Capitel XX.—Tafeln 91-100.
BLAETTER UND BLUMEN NACH DER NATUR.
BLAETTER UND BLUMEN NACH DER NATUR.
1. Schwertlilie.
2. Weisse Lilie.
3. Affodille.
4. Narzisse.
5. Zwiebel.
6. Hagebuttenrose.
TAFEL XCYIII.
Blumen in Plan und Aufriss.
7. Mäuseohr.
8. Geissblatt.
9. Malve.
10. Wiesengauchblume.
11. Ehrenpreis.
12. Campanula.
13. Glossocomia clematidea.
14. Winde.
15. Primel.
16. Sinngrün.
17. Clarkia.
18. Leycesteria formosa.
TAFEL XCIX.
1. Geissblatt. 2. Winde. Natürliche Grösse.
TAFEL C.
Passionsblumen. Natürliche Grösse.
BLAETTEE UND BLUMEN NACH DEE NATUE.
IN den vorhergehenden Capiteln haben wir darzuthun gesucht, dass alle Ornamente der besten Kunst -
perioden vielmehr auf der Beobachtung der Principien beruheten, die in der Natur bei der Anordnung
der Form sich verkünden, als auf dem Bestreben die Werke der Natur nachzuahmen; und dass die
Ueberschreitung dieser Grenze, in jeder Kunst, als ein sicheres Symptom des Verfalls galt: indem die wahre
Kunst darin besteht, die Formen der Natur zu idealisiren, nicht zu copiren.
Wir erachten es für nöthig mit Nachdruck auf diesem Punkt zu verwehen, da im gegenwärtigen Zu -
stand der Ungewissheit worin wir uns befinden, eine allgemeine Tendenz sich zu entwickeln scheint, m den
Ornamentationsarbeiten die natürlichen Formen so getreu als nur möglich darzustellen. Die Welt ist es
müde die ewige Wiederholung derselben conventioneilen Formen anzuschauen, die den verschollenen Sp -
arten längst vergangener Zeiten entlehnt, gegenwärtig nur wenig Anspruch finden. Von allen Seiten
hört man daher das Losungswort erschallen: “Nehmet Eure Zuflucht zur Natur, wie die Alten es thaten.
Wir wären unter den Ersten diesem Rufe beizustimmen, doch wird der Erfolg ganz davon abhangen was man
an den Quellen der Natur suchen mag. Wenn wir an den Quellen der Natur schöpfen, wie die Aegypter
es thaten, dürfen wir uns wohl einen glücklichen Erfolg versprechen, wenn wir aber zur Natur zurückgehen,
wie die Chinesen es thun, oder etwa wie die gothischen Künstler des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhun -
derts es zu machen pflegten, so werden wir nur wenig dabei gewinnen. Dass auf diese Weise keine wahrhafte
Kunst sich entwickeln lässt, erhellt deutlich genug aus den geblümten Teppichen, den geblümten Papier-
Tapeten und aus den blumigen Schnitzereien der gegenwärtigen Zeit; im Gegentheil, je genauer wir die
Natur copiren, desto weniger gelingt es uns ein Kunstwerk zu schaffen.
Die Ornamente gehören freilich nur zu den Accessorien der Architektur, und dürfen daher billigerweise
weder die Stelle der baulichen Theile usurpiren, noch dieselben überladen oder gar verbergen; doch bilden
sie nichts desto weniger, unter allen Umständen, die wesentliche Seele eines architektonischen Monumentes.
160
BLAETTER UND BLUMEN NACH DER NATUR.
Aus den Ornamenten eines Gebäudes lässt es sich mit grösster Sicherheit beurtheilen, in welchem
Grade der Erfindungsgeist des Künstlers bei der Ausführung des Werkes betheiligt und thätig gewesen sein
mochte. Das Gesammtverhältniss des Gebäudes mag wohl vortrefflich erscheinen, die Gliederungen mehr
oder minder genau den gediegensten Modellen nachgebildet sein, aber die Ornamente allein können
zeugen wie weit der Architekt zugleich ein Künstler ist; sie allein dienen zum richtigen Maasstab der
Sorgfalt und gediegenen Feinheit die bei der Arbeit in Anwendung gebracht wurden. Ein Ornament
am rechten Ort anzubringen ist schon keine so sehr leichte Aufgabe; das Ornament aber so zu gestalten,
dass es dem Werke neue Schönheit verleihe und als Ausdruck der Absicht desselben diene, ist noch viel
schwerer.
Unglücklicherweise ist es in unsern Zeiten nur zu allgemein der Gebrauch die Verzierung der architek -
tonischen Theile der Gebäude, und besonders die innere Ausschmückung derselben, unfähigen Händen zu
überlassen, die dieser Aufgabe durchaus nicht gewachsen sind.
Die unglückselige Leichtigkeit, welche die erneuerte Anwendung des Acanthusblattes zur Anfertigung
von Ornamenten darbietet, hat viel zu diesem Resultat beigetragen, und zugleich den schöpferischen Instinkt
im Geiste der Künstler abgestumpft, die nur zu geneigt sind andern Händen alles zu überlassen, was andere
Hände möglicherweise leisten können, und sich ihrer hohen Stelle als Architekt, als Haupt und Anführer
zu Gunsten Anderer zu begeben.
Wie muss man es also anstellen um diesem allgemeinen Verlangen nach Fortschritten Genüge zu leisten
— auf welche Weise soll der neue Ornamentationsstyl erfunden oder entwickelt werden? Manche dürften
wohl zur Antwort geben: man müsse zuerst einen neuen Styl der Architektur finden, und mit den Ornamen -
ten den Anfang zu machen, hiesse am Unrechten Ende beginnen.
Das ist aber unsere Ansicht nicht. Wir haben schon bewiesen, dass bei allen Völkern das Verlangen
nach Ornamentationswerken sich gleichzeitig mit den ersten Schritten der Civilisation entwickelte, und dass
die Architektur die Ornamente adoptirt ohne sie zu schaffen.
Die korinthische Bauordnung soll, wie man sagt, dem Erfinder derselben durch ein Acanthusblatt,
welches um einen irdenen Topf wuchs, zuerst eingeflösst worden sein; doch existirte das Acanthusblatt als
Ornament schon lang vorher, oder, jedenfalls wurden die Principien des Wachsthums dieses Blattes in den
conventioneilen Ornamenten beobachtet. Aber die Anwendung dieses Blattes zur Bildung des Kapitals,
das war die Erfindung, welche die korinthische Bauordnung schuf.
Das Princip der blattartigen Gestaltung und selbst die allgemeine Blätterform, welche in der Architektur
des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts vorherrschten, fanden sich schon lange vorher in den illumi-
nirten Manuscripten ; und da diese Formen wahrscheinlich aus dem Morgenlande hergeleitet sind, so haben
sie dem früh-englischen Styl ein beinahe morgenländisches Gepräge aufgedruckt. Die Architekten des
dreizehnten Jahrhunderts waren also mit diesem Ornamentationssystem vollkommen vertraut; ja, es lässt
sich kaum bezweifeln, dass dieser Styl während des dreizehnten Jahrhunderts nur deshalb so allgemein
angenommen wurde, weil die Hauptzüge desselben schon früher existirten und allgemein familiär waren.
Der später darauf folgende geblümte Styl in unmittelbarer Nachahmung der Natur, war ebenfalls schon
vorher in Ornamentationsarbeiten vorgekommen. Der glückliche Erfolg mit welchem allerlei Blumen in
unmittelbarer Nachahmung der Natur auf die Seiten der Messbücher hingemalt wurden, veranlasste die
Künstler zum Versuch, ähnliche Verzierungen im Gestein der Bauten zu bilden, die mit den gemalten
Ornamenten wetteifern sollten.
Die architektonischen Ornamente der elisabetheischen Periode waren grösstentheils Nachbildungen der
Arbeiten des Webers, des Malers und des Graveurs. Den Künstlern der elisabetheischen Epoche waren,
die Gemälde, Tapeten, Möbeln, Metallarbeiten und andere Luxus-Artikel, welche England vom Continent
bezog, besser bekannt als sie es mit den architektonischen Monumenten sein konnten. Die Künstler waren
daher mit der Omamentation der Epoche wohl vertraut, besassen aber nur eine sehr unvollkommene
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BLAETTER UND BLUMEN NACH DER NATUR.
Kenntniss der Architektur, und dieser Umstand führte zur Entwickelung jener Eigenheiten, welche die
elisabetheische Architektur von der reinem Baukunst der Renaissance unterschieden.
Wir glauben daher mit Recht annehmen zu dürfen, dass es möglich ist einen neuen Ornamentationsstyl
zu schaffen, ganz unabhängig von der Nothwendigkeit eines neuen architektonischen Styles; ja, wir
o-lauben vielmehr, dass die Erfindung eines neuen Styles der Ornamentation das leichteste Mittel zur
Bildung eines neuen Baustyles abgeben würde: wenn man z. B. dazu gelangen könnte einen neuen Aufsatz
zur Verzierung der Pfeiler und anderer architektonischen Stützen zu erfinden, so wäre schon einer der
schwierigsten Punkte vollbracht.
Die Haupttheile einer Baute die den Styl derselben angeben, sind, erstens, die Tragestutzen; zweitens
die Mittel zur Ueberspannung des Raumes zwischen den Trägern; drittens, die Gestaltung des Daches.
Die Ausschmückung dieser baulichen Theile aber ist es, die den Charakter des Styles verkündet, und diese
Theile stehen in so natürlicher Folgenreihe mit einander, dass die Erfindung eines einzigen derselben die
der übrigen notbwend.ig berbeifübren würde.
' Beim ersten Anblick dürfte es wohl scheinen, als ob alle Mittel diese baulichen Theile zu vermannich-
faltigen, gänzlich erschöpft worden wären, und dass uns also nichts weiter gelassen sei, als dies oder jenes
von den bereits abgenutzten Systemen zu unserem Gebrauch zu wählen.
Was bleibt aber übrig, wird man wohl fragen, wenn wir den Pfeiler und den horizontalen Balken der
Griechen und der Aegypter, den Rundbogen der Römer, den Spitzbogen und das Gewölbe des Mittelalters
und die Kuppeln der Muhammedaner verwerfen sollen ? Auch wird man uns wahrscheinlich sagen, dass
jedes Mittel den Raum zu bedecken bereits erschöpft und es daher unnütz sei, andere Formen zu suchen.
Darauf antworten wir, dass man zu jeder Zeit dieselbe Einwendung hätte machen können. Hätte der Aegypter
es sich je einfallen lassen können, dass man zur Ueberspannung des Raumes andere Mittel erfinden werde, als
die bei ihm gebräuchlichen Ungeheuern Steinblöcke ? Hätte der mittelalterliche Architekt es sich je träumen
lassen, dass man einst seine luftig leichten Gewölbe Übertreffen, oder dass man mittelst hohler eisernen
Röhren über Abgründe und Meerbusen setzen werde? Verzweifeln wir also nicht: die Veit hat ganz
gewiss noch nicht das letzte Bausystem gesehen. Wir bewegen uns zwar in einem Zeitalter der Nachbildung
und unsere Architektur verräth unstreitig grossen Mangel der Vitalität, doch hat die W eit auch m frühem
Zeiten ähnliche Perioden zu Überstehen gehabt. Aus dem gegenwärtigen Chaos wird sich ohne Zweifel
(wenn auch vielleicht nicht in unserer Zeit) eine neue Baukunst entwickeln, würdig in jeder Beziehung der
riesigen Fortschritte, welche die Welt in ihrem Streben nach dem Baume der Erkenntniss gemacht hat.
Um wieder auf unsern Gegenstand zurückzukommen, wie soll also ein neuer Kunststyl oder ein neuer
Ornamentationsstyl gebildet werden, und auf welche Weise soll der Versuch zu solcher Umbildung einge -
leitet werden? Wir gestehen, dass wir kaum der Hoffnung Raum geben können, mehr als den Anfang der
Umwandlung zu erleben. Die Baukünstler unserer Zeit sind einerseits zu sehr unter der Einwirkung einer
der Vergangenheit angehörigen Erziehung, und andererseits sind sie dem hemmenden Einfluss eines schlecht
unterrichteten Publikums zu sehr ausgesetzt. Das gegenwärtig auf kommende Geschlecht aber ist unter
günstigem Umständen und glücklicherer Vorbedeutung für alle Klassen geboren, und erlaubt uns einer
hoffnungsvollen Zukunft entgegen zu sehen. Zum Gebrauch dieser kommenden Generation haben wir die
gegenwärtige Auswahl aus den Werken der Vergangenheit gesammelt, nicht etwa um die knechtische Nach -
ahmung derselben zu empfehlen, sondern damit Künstler die Gelegenheit haben, jene Prmcipien, welche m
allen den Werken der Vergangenheit vorherrschten und allgemeine Bewunderung erregt haben, mit Auf -
merksamkeit zu prüfen, um dadurch zum Schaffen neuer ebenso schöner Formen angeregt zu werden.
Wenn der Kunstforscher, dem es ernsthaft um sein Streben nach Kenntniss zu thun ist, jedem Versuche der
Trägheit widersteht, auf eigener Faust dkTVVerke der Vergangenheit untersucht, sie mit den Werken der
Natur vergleicht, und seine Geisteskraft anstrengt um die in jedem derselben obwaltenden Prmcipien voll -
ständig zu würdigen, so muss er unfehlbar selbst zum Schöpfer werden und neue selbstständige Formen
162
BLAETTEß UND BLUMEN NACH DEE NATUR.
erzeugen, anstatt die Formen der Vergangenheit nachzubilden. Ein Studirender, der von dem in der
Natur herrschenden Gesetz der allgemeinen Zweckmässigkeit der Dinge lebhaft durchdrungen ist, der über -
dies die erstaunliche, obwohl nur auf wenigen unabänderlichen Gesetzen beruhende Mannichfaltigkeit der
Form, die verhältnissmässige Abtheilung der Grundflächen, die tangentenförmigen Krümmungen der Linien
und die Strahlung vom Mutterstamme beobachtet und gehörig aufgefasst hat, muss sich ja nicht versuchen
lassen, irgend einen der Natur entlehnten Typus nachzuahmen, sondern darauf bedacht sein, den von der
Natur so deutlich angezeigten Pfad zu verfolgen, dann werden neue Formen unter seinen Händen sich ent -
falten, m grösserer Fülle als er deren je erzeugen könnte, wenn er in der herrschenden Weise verharrte seine
Eingebungen der Gegenwart ausschliesslich aus den Arbeiten der Vergangenheit zu schöpfen. Es bedarf
nur des ersten Impulses von Seiten einiger erfinderischen Geister: wenn der Weg einmal eröffnet ist, so
wird es an Nachfolgern nicht fehlen, die es sich zur Aufgabe machen werden, ihre gegenseitigen Leistungen
zu vervollkommnen und zu verfeinern, bis die Kunst einen neuen Culminationspunkt erreicht hat, um
wieder in Verfall und Verwirrung zu gerathen. Für jetzt aber sind wir von diesen zwei äussersten Stufen
noch weit genug entfernt.
Vir sind vom Wunsche beseelt diese Entwickelung, so weit dies in unserer Kraft steht, zu befördern.
V ir haben deshalb in den zehn Tafeln, die diesem Capitel angehängt sind, eine Auswahl von Blättern und
Blumen dargestellt, welche gewisse Naturtypen illustriren, die uns am besten geeignet scheinen zur Er -
kenntnis der in der Natur vorherrschenden Gesetze der Vertheilung der Form zu führen. Diese Gesetze
sind übrigens so allgemein, dass sie sich in einem einzelnen Blatte ebenso deutlich äussern, als in Tausen -
den. Das einzige Beispiel des Kastanienblattes, Tafel XCI., verkündet alle die Gesetze, die man in der
Natur beobachtet findet. Die vollkommene Grazie der Form, die verhältnissmässige Abtheilung der
Grundflächen, die gehörige Strahlung vom Mutterstamme, die tangentenförmige Krümmung der Linien
und die gleichmässige V ertheilung der Decoration der Oberfläche stellen es weit über jede mögliche Leistung
der Kunst. So viel wird aus einem einzigen Blatte klar. Wenn wir aber weiter dem Wachsthum der
Blätter nachforschen, können wir aus einer Gruppe von Wein- oder Epheublättern ersehen, dass dasselbe
Gesetz, welches sich in der Bildung des einzelnen Blattes kund thut, auch in der Bildung der ganzen
Gruppe vorherrscht. Gerade wie im Kastanienblatt, Tafel XCI., die Grundfläche einer jeden Abtheilung
in gleichem Maasse abnimmt, je näher sie dem Stamme kommt, so ist auch in jeder Combination von Blättern,
jedes Blatt in Harmonie mit der ganzen Gruppe; gerade wie im einzelnen Blatte die Grundflächen so voll -
kommen vertheilt sind, dass die Kühe des Auges nicht gestört wird, so verhält es sich auch in den Gruppen,
indem nie auch nur ein einziges unverhältnissmässiges Blatt sich zeigt, das die Kühe der Gruppe auf-
heben könnte. Dieses allgemeine Gesetz des Gleichgewichtes äussert sich überall in den Tafeln XCVIII.,
XCIX., C. Dieselben Gesetze herrschen in der Vertheilung der Linien an der Oberfläche der Blumen:
man sieht keine einzige Linie auf der Oberfläche, die nicht zum Zwecke hat die Form mit grösserer Sicher -
heit zu entwickeln, keine einzige Linie die man wegnehmen könnte ohne die Vollkommenheit der Form
zu beeinträchtigen; und warum ? Weil die Schönheit sich natürlich aus dem Gesetze des Wachsthums ent -
wickelt. Das Lebensblut — der Saft, steigt vom Stamme auf, und verfolgt den leichtesten Pfad der zu den
äussersten Grenzen der Oberfläche führt, so verschiedenartig auch diese Oberfläche sein möge; je grösser die
Entfernung die er zu durchlaufen hat, je grösser das zu ertragende Gewicht, desto dichter ist auch die
Substanz (vide Winden, XCVIII., XCIX.).
Tafel XCVIII., zeigt verschiedene Varietäten von Blumen in Plan und Aufriss, aus denen zu
ersehen ist, dass die Geometrie die Basis aller Formen ist, denn, der Impuls aus welchem die Oberfläche
entsteht, entspringt mit gleichmässiger Kraft vom Mittelpunkt und bleibt daher auch nothwendig in gleichen
Entfernungen stehen: das Ergebniss ist natürlicherweise Symmetrie und Regelmässigkeit.
Wer wird es also zu behaupten wagen, dass uns nichts übrig bleibt als die fünf- oder siebenlappigen
Blumen des dreizehnten Jahrhunderts, das Geissblatt der Griechen oder das Acanthusblatt der Römer nach-
BLAETTER UND BLUMEN NACH DER NATUR.
zuahmen,—ist die Natur denn so beschränkt? Man bemerke nur wie mannickfaltig die Formen und wie
unabänderlich die Principien derselben sind! Wir sind überzeugt, dass uns noch eine neue Zukunft Vor -
behalten ist, wenn wir nur aus unserer Starrsucht erwachen. Der Schöpfer hat alle Dinge in der Natur mit
Schönheit geschmückt und wollte es nicht, dass wir unserer Bewunderung Schranken setzen; im Gegentheil,
seine Werke sollen uns nicht nur zum Genüsse, sondern auch zur Belehrung dienen. Sie sollen den uns
eingegebenen Instinkt erwecken, der uns anregt in unsern Werken nach jener Ordnung, Symmetrie,
Grazie, und Zweckmässigkeit hin zu streben, die der-Schöpfer in so reichlicher Fülle über die Erde
ergossen hat.
London :—Day and Son, Limited, Gate Street, Lincoln’s Inn Fields.
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LAAVES FROH NATURE N°2. feiiilles 'jqäpkes nätcS
BLÄTTER HACH DER NATUR
TAFEL. XCII.
LEAVES FROM NATUREN“3
BLATTER NACH DES NATUR
TAFEL xqui.
FEHILLES D'APRES NATURE
N? 5.
BLÄTTER NACH DER NATUR LEÄYES FROH NATURE N G 4. FEIIILLES D’APRES NATURE
TAPELXCIY.
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BEATTEE HACH DER KÄTUPx LEAYES FROH NATURE N°7. feuilles d'äpres näüire.
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TAFEL XGYII.
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