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Hauskatalog
M 93C
AUS „KUNST UND KUNSTHANDWERK“, JAHRGANG XXII
AUS DER DEUTSCHÖSTERREICHISCHEN STAATSDRUCKEREI
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JOHANN GEORG LOEHNIG, EIN HAUPTMALER
DER MEISSNER PORZELLAN FABRIK VON
GUSTAV E. PAZAUREK-STUTTGART $<►
"uf der zweiten Porzellan Versteigerung C. H. Fischer-
Dresden (bei Hugo Helbing-München 1918) erwarb
das Landes-Gewerbemuseum von Stuttgart unter
anderem auch die in mehrfacher Hinsicht interes -
sante Louis XVI-Deckeltasse Nr. 348 (Stuttgarter
Inv. Nr. 18, 40), die im Katalog nicht abgebildet ist,
aber auch aus der Textbeschreibung nicht als eine
der eigenartigsten und besten Arbeiten ihrer Zeit
erkannt werden kann; der Wettbewerb um sie
war offenbar nur deswegen weniger heiß, weil die
Untertasse gesprungen und — mit Messingklammern — alt repariert ist
(Abb. 1 a und b). Der königsblaue Grund mit den ausgesparten Bildfeldern
ist allerdings nichts Ungewöhnliches, ebensowenig die zarten, in mehr -
farbigem Gold radierten Louis XVI-Ränderungen der Bilder, die bei anderen
Arbeiten von Meißen zwischen 1780 und 1790 noch reicher zu sein pflegen.
Nicht einmal die Bildmedaillons selbst sollen uns hier näher beschäftigen:
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264
Die Identität des jungen Prinzen mit dem blauen Großkreuzband wird sich
nach einer gleichzeitigen Miniatur, der er sicherlich ganz gewissenhaft und
überaus sorgfältig nachgemalt ist, im Laufe der Zeit wohl ebenso mühelos
herausstellen,
wie die Kupfer -
stichvorlagen,
die dem allego -
rischen Deckel -
bilde der drei
geflügelten, von
Musen gefolg -
ten Gestalten
mit den feuri -
gen Zungen wie
auch der Mi -
nerva auf der
Untertasse zu -
grunde liegen
mögen. Was uns
aber ungleich
mehr beschäfti -
gen muß, ist zunächst die originelle Deckelkonstruktion: An Stelle des Deckel -
knaufes, der um jene Zeit in Meißen meist die Gestalt eines Blattknospenkelches
oder auch eines vergoldeten Kränzchens aufweist, findet sich hier eine seitliche
Henkelbildung, die ebenso rechteckig gebrochen erscheint wie der größere
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Abb. 1 a. Deckeltasse von J. G. Loehnig
im Landes-Gewerbemuseum zu Stuttgart
(Inv. Nr. 18, 40)
Abb. 1 b. Deckeltasse von J. G. Loehnig
im Landes-Gewerbemuseum zu Stutt -
gart (Inv. Nr. 18, 40)
Henkel der Obertasse.
Dieser meines Wissens
nicht häufig wiederkeh -
rende, sondern offenbar
rasch wieder aufgege -
bene Versuch einer
Neuerung ist allerdings
ästhetisch keineswegs
einwandfrei, da der Ge -
samtanblick nur eini -
germaßen befriedigen
kann, wenn der Henkel
des Deckels ganz genau
über jenem der Ober -
tasse steht, während er
ment — mehr war es offenbar nicht
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Abb. 1 c. Minerva von der Untertasse
J. G. Loehnigs im Landes-Gewerbe -
museum zu Stuttgart (Inv. Nr. 18, 40)
in jeder anderen Lage,
auch bei der allerklein -
sten Verschiebung, als
eine unangenehme Stö -
rung empfunden wer -
den muß, so daß die
Rückkehr zum altein -
gebürgerten, den gan -
zen Aufbau nach oben
harmonisch abschlie -
ßenden, überdies auch
handlicheren Deckel -
knauf von selbst gege -
ben war. Und doch
hatte dieses Experi -
gewiß seinen guten Grund: Durch jede
Knaufbildung werden die Deckeloberflächen für Medaillonreserven unbrauch -
bar, so daß nur Raum für ganz kleine seitliche Bildchen übrig bleibt, die für
den Maler immer eine Verlegenheit bilden und meist nur mit emblematischen
265
Kleinigkeiten ausgefüllt wurden. Es war also wohl der Wunsch eines
tüchtigen Porzellanmalers, auch auf dem Deckel der Geschenktasse Gelegen -
heit zu einer größeren Medaillonmalerei zu erhalten, für diese konstruktive
Seltsamkeit und Seltenheit maßgebend gewesen.
Die nähere Erklärung dafür gibt uns vielleicht die (im Versteigerungs -
katalog nicht erwähnte) eingeritzte Signatur der zugehörigen Untertasse:
auf dem unteren Rande des Minervaschildes finden wir — allerdings nur
unter dem Vergrößerungsglase erkennbar — den ausgeschriebenen Namen:
Loehnig (Vergrößerung in Abb. 2). Sollte nicht just dieser Maler, der sich
bei unserer fürstlichen Geschenktasse besonders auszeichnen wollte, vielleicht
selbst die Veranlassung zu dem erwähnten Deckelbildungsversuch gegeben
haben?
Der Name Loehnig war uns schon bisher nicht unbekannt, obwohl die
klassizistische Zeit von Meißen weniger geschätzt, daher auch überall wenig
ausführlich behandelt wird. Gerade deshalb aber erfordert es die Gerechtigkeit,
auf diesen Namen mit
besonderem Nachdruck
hinzuweisen, da er sich
neben den besten seiner
Zeitgenossen, selbst in
den damaligen Vororten
der Porzellankunst Sev-
res und Wien durch -
aus ehrenvoll behaupten
Abb. 2. Vergrößerte eingeritzte Si -
gnatur auf der Loehnig-Tasse des
Landes-Gewerbemuseums zu Stutt -
gart (Inv. Nr. 18, 40)
kann, sich auch seiner -
zeit des größten An -
sehens erfreute und erst
im Laufe des XIX. Jahr -
hunderts unverdienter -
weise in Vergessenheit
geriet.
Bisher wußten wir
von Johann Georg Loeh -
nig _ aus Berlings „Meißner Porzellan“, I, 175, Anmerkung 351 — nur,
daß er in den Jahren 1775 und 1786 als einer der besten Figurenmaler der
Fabrik bezeichnet wird; in Looses „Meißner Künstlerlexikon“ sucht man
sonderbarerweise seinen Namen vergeblich, ebenso bei Keller oder O Byrn.
Und doch zählte unser Maler zu den angesehensten Persönlichkeiten seiner
Stadt. Nach der Feststellung von Professor A. Achtenhagen* wird Loehnig
in den Meißner Personalakten 1767 zum erstenmal und 1794 zum letzten -
mal genannt. In der „Rechnung der Wittwen-Caße des Mahler-Corps auf
das Jahr 1806“ findet sich auf Seite 6 folgende Eintragung: „3 Thlr. an
Frau Salzverwalter Löhnig auf dem Monat Decbr: e: a: V/ard durch
das am i7 ten May dieses Jahres erfolgte Ableben ihres Ehemannes
Wittwe, welcher vom Septr: 1763 an Caßen-Mitglied gewesen ist, und
daher in 42 Jahren, 9 Monaten 157 T. 18 gr. an Steuerung entrichtet
hat.“ Loehnig ist demnach schon seit 1763 — also schon im Alter von
20 Jahren — an der Manufaktur tätig gewesen. In den Kirchenbüchern der
Frauenkirche von Meißen begegnen wir — nach den gütigen Feststellungen,
die ich Herrn C. O. Langhammer verdanke — dem „Kunstmahler bei
* Dem genannten Herrn Malereivorsteher in Meißen wie auch Herrn Hofrat Professor Dr. K. Berling, der
diese Auskunft freundlichst vermittelte, danke ich auch an dieser Stelle für ihre liebenswürdige Mithilfe bei dieser
Feststellung.
266
hiesiger Churfürstl. Sächs. Porcellaine-Fabrique“ Johann Georg Löhnig,
einzigem Sohn von Johann Georg Löhnig, Pächter auf dem Questenberg,
einem kleinen Dörfchen bei Meißen, zum erstenmal im Jahre 1767, am
22. September; dies ist sein Trauungstag, an dem er Johanna Friederika
Magdalena, die Tochter
des ebenfalls Meißner
Porzellanmalers Christian
Benjamin Gerlach,* der
auch als Erb-Lehn- und
Gerichtsherr des Rotsch-
berges bezeichnet wird, als
Frau heimführt. Von den
acht Kindern dieser Ehe,
Johanna Charlotte Mag -
dalena (geb. 8. Oktober
1768, f 5. Februar 1769),
GeorgKarlSiegmund (geb.
6. Mai 1770, f 6. Oktober
1772), Georg Karl Benja-
min (geb. 24. Februar 1773, f 23. März 1779), Johann Friedrich August (geb.
19. Juni 1774, 1802 als Gutsverwalter genannt), Johann Georg Siegmund
(geb. 8. September 1776), Georg Gotthelf Ernst (geb. 2. Dezember 1778,
wurde königlich sächsischer Finanz-Commissarius in Meißen und Erb-Lehn-
und Gerichtsherr des Rotschberges wie sein Großvater, f 21. April 1831),
Johanna Friederika Char-
lotta (geb. 14. November
1780) und Johanna Ama-
lia (geb. 9. Juni 1783,
f 7. Februar 1784), über -
leben ihn nur drei Söhne
und eineTochter. Seit 1780
wird J. G. Loehnig im
Kirchenbuch auch Salz -
verwalter genannt, was
damals eine einflußreiche
Stellung bei der Stadt
bedeutet. Da die Paten
der Kinder zu den vor -
nehmsten Kreisen der Stadt
* Christian Benjamin Gerlach war — nach Berling — 1714 geboren, 1731 als Lehrling in die Fabrik
eingetreten und hauptsächlich als Blumenmaler tätig; zur Zeit des siebenjährigen Krieges galt er als eine der
besten Kräfte seines Faches. In welchem Verhältnis er zu jenem Meißner „Miniaturmaler“ Johann Karl Gerlach
steht, der — nach Paul Seidel im „Hohenzollernjahrbuch“ 1902, Seite 178 — von König Friedrich II. nach Berlin
geholt wird, ist vorläufig ebensowenig bekannt wie die Lebensschicksale von zwei anderen Porzellanmalern des
Namens Gerlach, von denen der eine 1790 auf der Durchreise durch Wallendorf genannt wird, der andere 1804
als ideenreicher Landschafts- und Miniaturmaler in Limbach erscheint (Stieda). '
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Abb. 4. Loehnig-Kännchen (Rückseite)
(Kunstgewerbemuseum in Dresden)
Abb. 3. Loehnig-Kännchen mit Karten-Signatur
(Kunstgewerbemuseum in Dresden)
267
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Abb. 5 a. Teetasse im Landes-
Gewerbemuseum zu Stuttgart
(Inv. Nr. io, 115)
zählen, muß die Familie Loehnig eine der angesehensten gewesen sein. Am
17. Mai 1806 stirbt unser Porzellanmaler, 62 Jahre 8 Monate 11 Tage alt,
wodurch auch sein Geburtsdatum, das sonst in den
Kirchenbüchern der Frauenkirche fehlt, festgelegt
wird: der 5. August 1743.
Rund vier Jahrzehnte läßt sich also Loehnigs
Tätigkeit in Meißen verfolgen; sie fällt vollständig in
die sogenannte Punktzeit (1763 bis 1774) un d be -
sonders in die Marcolini-Periode (Sternzeit, 1774 bis
1814), also in eine Epoche, in der der Einfluß des
gealterten Monumentalplastikers J. J. Kandier (f 177 5)
von einem stärker vortretenden Interesse für die Ma -
lerei abgelöst wurde, in der der Dresdner Hofmaler
und Akademieprofessor Christian Wilhelm Ernst
Dietrich in Meißen für die Arbeiter der Fabrik eine
Kunstschule begründet hatte (1764) und mit seinem Stabe von Lehrern und
Zeichenmeistern, wieBorstichen, J.C. Dietrich, Häuer, Grahl, Lindner, Ehrlich,
H. G. Schaufuß, Mehner, Arnhold und anderen der klassizistischen Richtung
ebenso die Wege zu ebnen
suchte wie der Hofmaler
und Professor J. E. Schön -
au, der von 1773 bis 1796
die Oberaufsicht führt und
hiebei von den Malervor -
stehern Richter und Walter,
mit derenNachfolgernKüh-
nel, Birnbaum und Donat
einerseits und Grahl und
Tiebel anderseits unter -
stützt wird.
Die ältere Malergene -
ration der Rokokozeit, die
Böhme, Brecheisen oder
Heynemann sind abgelöst
worden, die längst zu ste -
reotypen Schemen erstarr -
ten Muster des 1765 pen -
sionierten Heroldt wurden
endgültig verlassen; ton -
angebend war für den be -
ginnenden Klassizismus
Sevres, das selbst auf der Leipziger Messe starken Absatz fand, zum großen
Verdruß des Grafen Marcolini, der am 20. August 1774 die Zügel der Regierung
in die Hand nahm. Hatte ein Jahrzehnt zuvor eine doch recht bescheidene
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Abb. 5 b. Landes-Gewerbemuseum zu Stuttgart
(Untertasse zu Inv. Nr. 10, 115)
268
Leistung wie das sogenannte „grüne Watteau-Service“ dem sächsischen Hofe
genügen müssen, waren um dieselbe Zeit im „Preis-Courante“ von 1765 meist
nur „ordinäre Malereien“ und selbst unter der „feineren Malerey“ außer den
weitaus vorherrschenden stereotypen Blumen oderFrüchten nebst „Mosaique“-
Rändern nur Landschaften, Federvieh, Viehstücke, Jagden und Bataillen,
Bauern und Watteau-Figuren — meist nur in der Art des grünen Watteau-
Services —, höchstens einige Tabatieren mit besserer Malerei erkennbar, so
wird dies nun fast mit einem Schlage anders. Die Anregungen, die Direktor
Fletscher (1764) aus Paris mitgebracht, beginnen Früchte zu tragen; neue
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Abb. 6. Tete-ä-tete im Landes-Gewerbemuseum zu Stuttgart
klassizistische Kupferstiche nach Angelika Kaufmann oder van der Werff,
Vignettenbildchen von G. Geßner bereichern das Vorbildermaterial; klassi -
zistische Elemente, wie „Festonen“, „ä la Greque“-Ränder oder „Hetrurische
Kanten“ melden sich seit 1765 zunächst schüchtern an, um allmählich den
Rokokogeist zu verdrängen. Dazu kommen technische Errungenschaften, wie
die Verbesserung der Farben Rosa, Grün und Fleischfarben, besonders aber
des französischen Königsblaus (bleu royale), das zwar schon 1765 in Meißen
versucht wurde, aber erst seit 1782 als sogenanntes „Gutbrennblau 1 , ganz
im Sevres-Ton gelingt und von nun an für die ganze Marcolini-Zeit als die
beliebteste Fondfarbe beibehalten wird. Ornamentale Goldränder in ra -
diertem Gold, meist in Verbindung von Blumenkränzen und Bandschleifen,
mitunter auch gemalte Rähmchen in Deckfarben (Abb. g) sorgen dafür, daß
I
269
etwaige Ungenauigkeiten an den Trennungslinien zwischen dem königs -
blauen Grunde und dem Weiß der für die Malerei ausgesparten Medaillons
nicht stören.
Und diese Medaillonmalerei, die hinter der der besten Tabakdosen der
vorangegangenen Zeit nicht zurücksteht, ja mitunter noch sorgfältiger aus -
geführt ist, wird nun das Hauptbetätigungsfeld der ersten Malerklasse,
nämlich der figuralen Maler, an deren Spitze beidemal, nämlich 1775 und
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Abb. 7. Reiseservice im Landes-Gewerbemuseum zu Stuttgart
1786, Johann Georg Loehnig urkundlich* angeführt wird, hinter dem alle
anderen, auch seine vorläufig noch nicht ganz genau zu differenzierenden
Mitarbeiter Matthäi, Schütze und Thile erheblich zurückstehen. Da wir
außer der eingangs erwähnten, nun im Landes-Gewerbemuseum in Stuttgart
verwahrten Deckeltasse noch eine zweite, voll bezeichnete Arbeit Loehnigs
kennen, läßt sich das Urteil der Zeitgenossen leicht nachprüfen und findet
seine volle Bestätigung.
* K. Berling „Meißner Porzellan“, Seite 175, Anmerkung 351; in K. Berling „Die königlich sächsische
Porzellan-Manufaktur Meißen“ wird Seite 84, beziehungsweise Anmerkung 328 statt 1775 1776 gesetzt.
35
270
Auch die zweite signierte Porzellanmalerei von Loehnig,* nämlich
das Teekännchen im Kunstgewerbemuseum zu Dresden (Abb. 3 und 4), läßt
uns dieselben Vorzüge in Zeichnung und lebhafter und doch zart-harmoni -
scher Farbengebung erkennen wie die Stuttgarter Deckeltasse, wenn es sich
auch um ein schlichteres, offenbar nur zu einer persönlichen Beziehung ge -
brauchtes Stück handelt, weshalb der Maler auch seinen Namenszug nicht
versteckte, sondern geradezu als Hauptmotiv auf Einzelkarten verteilt, mit
denen ein Mädchen spielt, während in dem zweiten Medaillon ein rot -
gekleideter Knabe — von
rückwärts gesehen — bei
einer Urne vorbeigeht.
Nachdem nun durch
zwei voll bezeichnete
Werke die Richtung und
Malweise dieses in seiner
Zeit besten Meißner Fi -
gurenmalers, dem ja auch
— nach den Meißner
Personalakten — Korrek -
turen der anderen Porzel -
lanmalereien anvertraut
waren, ziemlich genau
festgelegt sind, ist es nicht
schwer, auch andere
Loehnig-Arbeiten, die
nicht mit dem Namen si -
gniert sind, festzustellen.
Ich gehe hiebei von der
Porzellansammlung des
Stuttgarter Landes-Ge-
werbemuseums aus, die
an guten Meißner Louis XVI- und Marcolini-Stücken reicher ist als so
ziemlich alle anderen Sammlungen.
Die größte stilistische Übereinstimmung mit dem Dresdner Teekänn -
chen zeigt die schöne Teetasse mit den beiden jugendlichen Liebespaaren
im Freien (Abb. 5, Inv. Nr. 10, 115), die noch der Punktzeit angehört; sie
kann nur von Loehnig gemalt worden sein. Die gleiche Hand — man
vergleiche nur den Mädchenkopf der Untertasse mit den Venuskopf der
Platte — zeigt aber auch das Tete-ä-tete mit den Amoretten im Boucher-
Charakter in den Medaillons auf königsblauem Grund; es hat ebenfalls noch
die Punktmarke (Abb. 6). Damit ist aber auch das in jeder Beziehung
übereinstimmende ebenfalls königsblaue Reiseservice mit den ebenfalls in den
* Berling a. a. O. (ohne Abbildung) Seite 165. — Herrn Hofrat Professor Dr. Karl Berling, der die Güte
hatte, mir dieses Kännchen zu näheren Vergleichen nach Stuttgart zu senden, danke ich hiefür herzlichst.
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Abb. 8. Marcolini-Fußplatte des Landes-Gewerbemuseums zu Stuttgart
(Inv. Nr. 14, 148)
271
mehrfach schattierten
Wolken schweben -
den Putten (in alter
Lederkassette mit
Goldpressung; italie -
nisches Wappen) als
Werk Loehnigs fest -
gestellt (Abb. 7); auch
dieses trägt noch die
Punktmarke. Die Far -
ben, leicht und hell,
auch in den Schatten -
tönen nicht schwärz -
lich verschmiert, wie
dies andere Meißner
Maler dieser Zeit lei -
der zu häufig anwen -
den, gewöhnlich ein
ganz lichtes Gelb,
Hellblau, Karmin,
Lila, ein wenig Krebsrot
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Abb. 9. Deckeltasse des Landes-Gewerbemuseums zu Stuttgart (Inv.Nr. 8, 847)
o , kehren überall wieder, auch die überaus sorgfäl -
tige, getupfte Malweise, die in der Karnation einige wenige rötliche, bräun -
liche, gelbliche und graue Partien geschickt ineinander übergehen läßt, um die
Augen überall — in der noch immer nachklingenden Watteau-Mode durch
kräftige dunkle Punkte zu betonen. Bei zwei
anderen, auch mit Putten geschmückten Ar -
beiten, nämlich bei der Punktzeit-Teetasse
(Inv. Nr. 7, 337) in Braun-Camayeu, dem so -
genannten Caca-de-Dauphin, das man als Mode -
farbe mit dem erstgeborenen Sprößling der
Ehe Ludwigs XVIII. mit Marie Antoinette
in Verbindung zu bringen pflegt, und der
reizvollen Marcolini-Kanne mit den Grisaille-
Amoretten auf Türkisfond (Inv. Nr. 14, 306),
ist die Übereinstimmung nicht so vollständig
überzeugend, obwohl es sich doch auch in
diesen Fällen um Loehnig-Arbeiten handeln
dürfte.
Natürlich werden mit diesen Objekten
auch zahlreiche Porzellane anderer Samm -
lungen für Loehnig in Anspruch genommen.
So ist als Gegenstück der obengenannten
Abb. 10. Kaiser Leopold-Tasse im Boucher-Anbieteplatte die ebenfalls königs-
(inv. Nr. g, 67) blaue Louis XVI-Platte des Nordbohmischen
272
Gewerbemuseums in Reichenberg* aufzufassen, die auch in Wolken ver -
schiedene Putten mit dem Monogramm A. A. unter einen Kurhut aufweist,
vielleicht auf Anna Amalia von Sachsen-Weimar (1739 bis 1807) zu beziehen,
wobei der Kurhut eine Anspielung auf ihre braunschweigische Herkunft
sein könnte. Auch das ebenso schöne Frühstückservice bei Emil Weyer -
busch in Elberfeld** gehört zu der gleichen Gruppe.
Ein Putto der zwei Initialenmedaillons, mit P S und N S bekränzt,
erscheint auch in dem obersten der drei ausgesparten, kreisrunden Bilder
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Abb. 11. Frühstückservice im Landes-Gewerbemuseum in Stuttgart (Inv. Nr. g, 431)
der königsblauen Marcolini-Fußplatte des Stuttgarter Landes-Gewerbe-
museums (Inv. Nr. 14, 148; Abb. 8), deren sonstige zwei ovidischen Szenen
— die Fragonard-Darstellung von Venus und Mars ist im Kunstgewerbe
des XVIII. Jahrhunderts eine der meistverbreiteten in den verschiedensten
Techniken — auf die populärsten Stichvorbilder zurückgehen. Das Jupiter
und Juno-Medaillon in Verbindung mit den Blumeninitialen E. A. L. finden
wir auf dem Service bei Konsul Eugen Gutmann in Berlin *** wieder; beide
sind dem Werke Loehnigs zuzuzählen.
* Abbildung in Pazaurek, „Keramik des Nordböhmischen Gewerbemuseums“ (Reichenberg, i go5),Tafel 16.
** Düsseldorfer Ausstellung von 1902, Nr. 856.
*** Abbildung bei Berling, „Meißner Porzellan“, Tafel XXIX.
273
Aber auch nach zeitgenössischen, eben erst für die Manufaktur ange -
kauften Stichen arbeitet Loehnig, wie sich an zwei Beispielen des Stuttgarter
Landes-Gewerbemuseums nachweisen läßt, die in der Behandlung mit den
ersterwähnten, voll bezeichneten beiden Arbeiten übereinstimmen. Es sind
zwei königsblaue Deckeltassen, und zwar die eine mit „empfindsamen“
historischen Szenen nach Angelika Kaufmann, und zwar nach dem Stiche
von William Wynne Ryland von 1778: Kleopatra bekränzt das Grab des
Marc Anton mit Blumen (Inv. Nr. 8, 487, Abb. 9), bei welcher noch nebst
dem üblichen goldradier -
ten Einfassungskranze ein
yy .
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Abb. 12 a und b. Marcolini-Deckeltasse des Landes-Gewerbemuseums zu Stuttgart (Inv. Nr. 13, 326)
braunes Rähmchen mit weißen antikisierenden Blumenranken, die aus
symmetrischen Puttenpaaren herauswachsen, zu bemerken ist. Die andere
Deckeltasse zeigt uns das Grisaillebrustbild des römisch-deutschen Kaisers
Leopold II. (1790 bis 1792) im Kaiserornat* (Inv. Nr. 9, 67, Abb. 10), dessen
Kupferstich unter den Neuankäufen der Meißner Fabrik um jene Zeit nament -
lich angeführt erscheint. Und diese beiden Tassen weisen nebst den üblichen
Marcolini-Fabriks- und Modellmarken noch ganz kleine Malermarken auf,
* Eine weitere Kaiser Leopold-Tasse, jedoch nach einem anderen Stich, findet sich zugleich mit dem
Gegenstück, auf dem seine Frau dargestellt ist, im Berliner Kunstgewerbemuseum; sie stammt aus der Berliner
Auktion A. von Lanna-Prag II (ign) unter Nr. 1071, in dessen Katalog aber die falsche Bezeichnung steht, daß es
sich um Ludwig Anton von Bourbon, Herzog von Angouleme handle; schon der deutsche Kaiserornat hätte diesen
Fehler leicht beheben können. Während hier die zugehörigen Untertassen richtig in Wolken die Buchstaben L,
beziehungsweise M. T. C. tragen, zeigt die Untertasse der Stuttgarter Leopold-Tasse ein T, beruht somit auf
einer alten Verwechslung mit der Untertasse ihres Gegenstückes.
274
nämlich ein L in Gold, beziehungsweise
in Rot. Wir werden wohl nicht fehlgehen,
auch dieses bisher nicht beachtete Maler -
zeichen auf Loehnig zurückzuführen.
Dieselbe ganz kleine L-Marke findet
sich aber auch — und zwar wiederholt,
zum Beispiel deutlich auf einer Untertasse
und auf einer Kaffee-Obertasse — auf dem
reizvollen kompletten Frühstückservice mit
den offenbar auch nach gleichzeitigen
Almanach-Kupferstichen gemalten Genre -
szenen* des Stuttgarter Landes-Gewerbe-
museums (Inv. Nr. 9, 431, Abb. n), das
auch sonst ganz Loehnigs Hand aufweist,
wenngleich die Weinbergszene der großen
Platte schwärzlichere Tinten und eine
geringere Sorgfalt zeigt als die besser ge -
ratenen zugehörigen Kannen, Tassen und
Löffelchen. An diesem Stücke der Marco-
lini-Zeit wiederholt nun Loehnig den Einfall
seiner vollbezeichneten Dresdner Tee -
kanne: auf der Zuckerdose bauen nämlich
Kinder ein Kartenhaus und auf dem Deckel
desselben spielt geradezu ein Kind wieder
mit Abc-Karten, die jedoch diesmal, da es
sich nicht um ein Privatstück handelt, keine
Signatur bedeuten. Mit diesem Stück nahe verwandt ist das königsblaue Früh -
stückservice bei Rittmeister Crusius in Hirschstein,** das somit wohl auch
den Arbeiten Loehnigs beigezählt werden dürfte, wie die schlanke Marcolini-
Genredeckeltasse des Stuttgarter Landes-Gewerbemuseums (Inv. Nr. 13, 326,
Abb. 12), die etwas flüchtiger gezeichnet ist; auf der Unterseite sind noch
Reste einer goldenen L-Signatur erkennbar.
Wenn wir die verschiedenartigen, aber fast durchwegs ausgezeichneten
Porzellanmalereien von J. G. Loehnig überblicken, begreifen wir seine große
Wertschätzung bei seinen Zeitgenossen, finden es jedoch unverständlich, daß
man trotz der großen Porzellanleidenschaft in heutigen Sammlerkreisen dieser
tüchtigen Kraft noch keine rechte Aufmerksamkeit geschenkt hat, sondern
nur im allgemeinen von einem „Verfall“ der Meißner Marcolini-Zeit spricht.
Gewiß, die Zeit der großen selbständigen Leistungen in Meißen ist gegen
Ende des XVIII. Jahrhunderts vorbei; „führend“ ist die Fabrik nicht mehr,
sondern Sevres, später Wien. Es sollen auch die anderen Meißner Malereien
Abbildung in Lichtdruck im Jahresbericht des Stuttgarter Landes-Gewerbemuseums über 190g, Tafel V;
der Jahresbericht über 1908 hatte auf Lichtdrucktafel III das obengenannte Boucher-Service vonLoehnig gebracht.
** Abbildung bei Berling, „Meißner Porzellan“, Seite 112, Fig. 203.
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Abb. 13. Vergrößerung eines Löffels aus dem
Reiseservice des Stuttgarter Landes-
Gewerbemuseums (Abb. 7)
275
dieser Zeit nicht über Gebühr auf eine unverdiente Höhe künstlich empor -
geschraubt werden. Aber Loehnigs Arbeiten, die man jetzt doch wohl mehr
aus ihrer Umgebung herausheben dürfte, sind es wert, höher eingeschätzt
zu werden als bisher. Wenn seine Selbständigkeit nicht allzu groß ist, so ist
dies einerseits in seiner Tätigkeit als Porzellanmaler begründet, der sich oft
auftragsgemäß an ihm vorgelegte Kupferstiche zu halten hatte, anderseits
liegt dies in den Zeitverhältnissen, in dem immer stärker hervortretenden
Klassizismus, in der Winckelmann-Tendenz von der allein seligmachenden
„Nachahmung“ des Alten, die aus den „Verirrungen“ der Rokoko-Selb -
ständigkeit zu idealen Zielen emporführen sollte.
Es gibt nur wenige deutsche Porzellanmaler des XVIII. Jahrhunderts,
die dem Loehnig ebenbürtig oder gar überlegen sind; wir müssen hier schon
an die besten mythologischen Arbeiten von Osterspey-Frankenthal denken
oder an jene fliegenden Kinder in den Wolken, die unter Clauce in Berlin
gemalt worden sind und sich nicht viel früher in verwandten Bahnen
bewegten. Selbst die Sevres-Putten, etwa von Armand oder Asselin, die ja
den deutschen Malern als Vorbilder hingestellt wurden, sind zum Teil
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Abb. 14. Vergrößerung eines Ausschnittes aus der Anbietplatte des Tete-a-tete im Landes-Gewerbe-
museum zu Stuttgart (Abb. 6)
276
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Abb. 15. Vergrößerung eines Ausschnittes aus einem Teller mit Oil de perdrix-Muster in Gold auf Blau und
Putten und Emblemen in ausgesparten Feldern. Bezeichnet: ,,pint par Lamprecht“ (Österr. Museum)
keineswegs besser,* und was Wien, das um die Wende des XVIII. und
XIX. Jahrhunderts die besten Maler hatte, zur Blütezeit Loehnigs und kurz
vorher in der Puttenmalerei leistete, ist trotz der großen heutigen Wert -
schätzung dieser Arbeiten denen Loehnigs keineswegs überlegen,** zeigt
vielmehr nur eine größere Abhängigkeit von den Sevres-Vorbildern.
Damit soll aber keineswegs die Meißner Louis XVI-Malerei oder gar
die der Empirezeit im allgemeinen auf Kosten der Porzellanmaler der Wiener
Sorgenthal-Periode herausgestrichen werden. Was Wien in der Empirezeit
in dieser Beziehung leistete, verdient mit Recht den Weltruf, den es längst
besitzt und der nicht zum mindesten darin begründet ist, daß es eben nicht
nur einen einzigen famosen Künstler besaß, sondern daß eine ganze Reihe
derselben einen ungewöhnlich hohen Gesamtdurchschnitt herbeiführte, der
tief ins XIX. Jahrhundert bewahrt blieb.
Unter den Fabriksmalern Meißens dagegen steht Loehnig ganz ver -
einzelt da, und diese tüchtige Kraft unter seinen Mitstrebenden hervor -
zuheben, ist die Absicht dieses Aufsatzes. Wie sehr Loehnig, von dem uns
* Man vergleiche zum Beispiel den Auktionskatalog von Emden-Hamburg (Berlin 1908), Nr. 853 oder 85g
(Tafel 71 und 72).
** Vgl. das Maria Theresia-Solitär des Grafen Enzenberg-Schwaz (Folnesics-Braun, „Wiener Porzellan“,
Seite 67), das Service der Auktion Dr. Fritz Clemm (Berlin, 1907) Nr. 192 oder das Solitär der Sammlung Karl
Meyer-Wien (Folnesics, „Porzellansammlung K. Meyer“ Nr. 104a, Farbentafel XXVII).
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kein längerer Aufenthalt in Paris-Sevres berichtet wird, tatsächlich unser
vollstes Lob verdient, wird erst recht einleuchtend, wenn wir etwas von
seinen Arbeiten in starker Vergrößerung betrachten. Es ist dies bisher
meines Wissens noch nie versucht worden, mag auch zunächst etwas
befremden, da wir Abbildungen von Deckengemälden oder mindestens
Supraporten gegenüberzustehen scheinen, und doch kann man nur auf
diese Weise einen Einblick in die charakteristische Malweise erlangen und
die Grenzen des individuellen Könnens erkennen, da der kleine Original -
maßstab verschiedene Verzeichnungen und sonstige Unvollkommenheiten
nur zu leicht verdeckt. Gerade Loehnig aber zählt zu den wenigen, die diese
Prüfung nicht nur vertragen, sondern geradezu glänzend bestehen. Man
betrachte nur die Vergrößerung eines Löffels aus dem oben genannten
Reiseservice des Stuttgarter Landes-Gewerbemuseums (Abb. 13) oder eines
Ausschnittes aus der Anbieteplatte des Boucher-Amorettenservices der -
selben Sammlung (Abb. 14), obwohl die schwarze Wiedergabe den ganz
ungewöhnlichen Reiz der ungemein geschickt ineinander überlaufenden
verschiedenen Farbentupfen in ihrer trefflichen Abstufung gar nicht zur
Geltung bringen kann.
Wenn durch die Gegenüberstellung einer Vergrößerung (Abb. 15) einer
bezeichneten älteren Lamprecht-Arbeit * der Salzverwalter des kleinen
Elbestädtchens sich neben dem anerkannt ersten, weitgereisten, auch von
den Franzosen bestens anerkannten Maler der damals führenden Porzellan -
fabrik in der großen Kaiserresidenz, nämlich seinem etwas jüngeren Zeit -
genossen Georg Lamprecht sen. — nachweisbar in Wien zwischen 1772
und 1825 tätig — behauptet, so braucht zu seinem Rufe nichts weiter
hinzugefügt zu werden. Wir werden aber gut tun, unser bisheriges Urteil
ein wenig zu revidieren und ebenso, wie wir in Lamprecht den ersten
deutschen Empire-Porzellanmaler schätzen, in Loehnig den ersten deutschen
Louis XVI-Porzellanmaler erblicken können.
* Vgl. Braun in „Kunst und Kunsthandwerk“, 1917, Seite 11 g. — Das Österreichische Museum hat kürzlich
einen unzweifelhaft zu dem a. a. O. beschriebenen Service gehörigen Teller erworben, der die Signatur
Lamprechts trägt (vgl. Abb. 15).
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