42 deutschen Reiche machen sich verschiedene Kunstströmungen geltend, die ganz berechtigt sind. In Berlin wird sich die gothische und die deutsche Renaissance schwerlich einbürgern, da in Berlin die besten Kunsttraditionen auf die Antike und die französische Renaissance hinweisen. Am Rhein, bei den Schwaben, in Baiern, in Hildesheim sind die mittelalterlichen Traditionen, die auch bei der deutschen Renaissance nie ganz verloren gegangen sind, nicht wegzuwischen. Schon diese im Bauwesen beruhenden Differenzen und andere bemerkte unvertilgbare Eigenthümlichkeiten der deutschen Volksstämme lassen es nicht zu, von einem nationalen Style, wenige Monate nach der Wiederherstellung des deutschen Reiches, zu sprechen, und es ist Großsprecherei, wenn jetzt von einem nationalen Styl im Kunstgewerbe gesprochen wird, und die Kunsthandwerker und Künstler aufgefordert werden, auf einen nationalen Styl hinzuarbeiten. Der Werdeprocess eines Styles hängt von ganz anderen Dingen ab, als von jenen, welche in Gewerbevereinen und ähnlichen Körperschaften bei solchen Anlässen gewöhnlich behandelt werden, in denen die kunstwissenschaftlichen Dilettanten das große Wort führen. Wie mächtig hat ein Künstler wie Schinkel in das kunstgewerbliche Leben Berlinseingegriffen und wie glücklich wäre das heutige Berlin, wenn sich jetzt ein Architekt von dem Range und der umfassenden Bildung Schinkel’s fände, um die kunstgewerbliche Bewegung Berlins zu leiten! Ich sprach diese Worte aus, um gegen die nationale Tendenzmacherei, die in Oesterreich jetzt mehr als je zu Hause ist, und auch Oesterreich die Einsicht in das, was zur Hebung des Geschmackes und zur Einführung der Kunst in’s Ge werbeleben nöthig ist, ohne große Hoffnungen zu haben, dass diese weitere Beachtung finden werden. Werden doch die nationalen Aspirationen in ganz Europa selbst von jenen gehätschelt, die am meisten Grund hätten, sich über diese geistig und politisch zu stellen. Noch heute zeigt die architektonische Physiognomie Berlins den Ein fluss Schinkel’s und seiner Schule. Das was dieser Architekt für Berlin geschaffen hat, ist geistiges Eigenthum Deutschlands. Es ruht gewiss auf viel solideren Grundlagen, als Manches was sich heute in Kunst und Kunstgewerbe nationaldeutsch nennt. Wo alte Kunstwerke und Kunst traditionen vorhanden sind, werden diese immer die Stylrichtung der kunst gewerblichen Production beeinflussen. Berlin ist eine moderne Stadt; sie hat keine romanischen oder gothischen Denkmäler aufzuweisen, wie Nürnberg, Hildesheim, Köln und Schwaben; Berlin muss sich auf sich stützen und die geistigen Grundlagen seines Kunstgewerbefleißes in seiner besten Einsicht suchen. Mit Recht betont der Bericht der Kaufmannschaft, dass Berlin sich vor Ausschreitungen in der Richtung der Renaissance durch den Durchgang durch die strenge Zucht der Schinkel’schen Schule be wahrt hat. Wenn in München einige Schriftsteller die deutsche Renaissance als die nationale Grundlage für die Münchner Kunstgewerbeschule procla- miren, so mag das für Nürnberg und München bis zu einem gewissen Maße zulässig sein; für Berlin passt dieser Styl gewiss nicht. Was aber zu