Applied Arts I Contemporary Art
AUSFLUG NACH BERLIN
EIN
M
FRÜHJAHR 1882.
VON
IR. tt. IE IT IE IQ. IBIS IR Gfc IE IR
WIEN
VERLAG DES K. K. ÖSTERR. MUSEUMS. - DRUCK VON CARL GEROLD’S SOHN
1882.
!
i
v-\
n
?/. Z5A
.
fojtof-1 A^f
HK
R-
EIN
AUSFLUG NACH BERLIN
IM
FRÜHJAHR 1882.
VON
IR- V. EITELBEEGEE.
WIEN
VERLAG DES K. K. ÖSTERR. MUSEUMS. - DRUCK VON CARL GEROLD’S SOHN.
1882.
ÖSTERR. MUSEUM
^„ANGEWANDTE KUNST
WIEN
UM 1 I I I ll'll
i
Der Wunsch, das neuerbaute Kunstgewerbemuseum und die jüngsten
Erwerbungen der k. Museen in Berlin genauer kennen zu lernen, führte
mich im Mai 1. J. nach Berlin. Obwohl ich nur zehn Tage dem Besuche
widmen konnte, so versäumte ich keine Zeit, so weit es Gesundheit und
Witterung gestattete, mich über die gegenwärtige Kunst Berlins zu orientiren.
Jetzt, wo ich daran gehe, meine Reise-Eindrücke zu ordnen, fühle ich
sehr, wie lückenhaft dieselben sind, und für wie Vieles ich dem freundlichen
Entgegenkommen meiner Berliner Fachcollegen zu Danke verpflichtet bin.
Diesen meinen Freunden habe ich daher nichts Neues zu sagen, doch glaube
ich, dass meinen österreichischen Lesern das nicht ganz unwillkommen
sein wird, was ich über Berlin, seine Kunstgewerbemuseen, über das k.
Museum und den kunstgewerblichen Aufschwung in Berlin erzähle.
Was gegenwärtig in Berlin sich vollzieht, ist nicht localer Natur.
Die kunstgewerbliche und volkswirthschaftliche Bewegung im deutschen
Reiche ist derzeit nicht auf einen einzelnen Ort beschränkt, sondern hat
unter dem Einflüsse der erhebenden Stimmung, welche die Siege im deutsch -
französischen Kriege hervorgebracht haben, das ganze deutsche Volk er -
griffen, und es gibt keine Stadt von irgend einer industriellen und ge -
werblichen Bedeutung, die nicht an dieser Bewegung einen lebendigen
Antheil nehmen würde. Von diesen Erscheinungen sind wir im Oesterr.
Museum nicht im Geringsten überrascht; ich erinnere diesbezüglich nur an
den Vortrag, welchen ich am 27. October 1870 ȟber den deutsch -
französischen Krieg und seinen Einfluss auf die Kunst -
industrie« im Oesterr. Museum gehalten habe.*)
Im deutschen Reiche ist man von der Ueberzeugung durchdrungen,
dass es nunmehr Aufgabe des Reiches sei, auch auf dem Gebiete der
Kunst und Kunstgewerbe jene Weltstellung wieder zu erringen, welche das
deutsche Reich auf dem Flöhenpunkte seiner Entwickelung in früheren Jahr -
hunderten auf dem Gebiete des Weltverkehres eingenommen hatte, und jenen
Platz auszufüllen, den es vermöge der künstlerischen und gewerblichen Be -
fähigung seiner Bewohner einzunehmen berufen ist. Daher werden überall
neue Kunstschulen, Kunstgewerbeschulen und Museen gegründet, die alten
Anstalten reorganisirt; überall wird der Versuch gemacht, die verloren
') Abgedruckt in meinen »Gesammelten kunsthistorischen Schriften«. Bd. II. S. 3i5 ff.
4
gegangenen Traditionen deutscher Kunstthätigkeit im Gewerbe neu zu
beleben und die Lücken im kunstgewerblichen Leben auszufüllen.
Oesterreich war der erste Staat in Mitteleuropa, der von der Noth-
wendigkeit einer Reform der Kunstgewerbe durchdrungen vor fast schon
zwei Jahrzehnten ein Kunstgewerbemuseum und eine Kunstgewerbeschule
nach modernen Gesichtspunkten organisirt hat. Ihm folgte Baiern durch
die Gründung der k. Kunstgewerbeschule in München im J. 1868; die
Nürnberger Kunstgewerbeschule, früher halb Akademie, halb Kunstgewerbe -
schule, erhielt im Jahre 1868 eine neue Organisation. Die meisten anderen
der gegenwärtig im deutschen Reiche wirkenden kunstgewerblichen Bildungs -
anstalten sind jedoch erst nach dem Jahre 1870 entstanden. So wurde
die Kunstgewerbeschule in Leipzig im Jahre 1870, die Kunstgewerbeschule
in Dresden im Jahre 1876, die Kunstgewerbeschule in Carlsruhe im Jahre
1878, die Kunstgewerbeschule in Frankfurt a/M. im Jahre 187g, die Kunst -
schule in Carlsruhe im Jahre 1878, die technische Anstalt für Gewerbe -
treibende in Bremen im Jahre 1873 eröffnet. Die schon im Jahre 1772
gegründete k. Zeichenakademie in Hanau wurde im Jahre 1873 reorganisirt;
das Kunstgewerbemuseum in Leipzig von der gemeinnützigen Gesellschaft im
Jahre 1874 eröffnet, nachdem schon 1868 D. A. v. Zahn eine Vorbilder -
sammlung für Kunstgewerbe gegründet, und im Jahre 1871 die k. Aka -
demie und Kunstgewerbeschule reorganisirt, im Jahre 1878 in Magdeburg
eine gewerbliche Zeichen-, Kunst- und Kunstgewerbeschule, im Jahre 1879
eine Kunstgewerbeschule in Breslau gegründet; die k. Kunstgewerbeschule
in München hat im Jahre 1872 eine selbständige k. Kunstgewerbeschule für
Mädchen erhalten; auch in Stuttgart wurde der Kunstunterricht auf die
Kunstgewerbe ausgedehnt, und in Schwäbisch Gmünd und in Reutlingen
kunstgewerbliche Lehranstalten gegründet.
Diese wenigen Daten sind ein Zeichen der mächtigen Bewegung,
welche das deutsche Volk nach Beendigung des deutsch-französischen
Krieges auch auf dem Gebiete der Kunst und Kunstindustrie ergriffen hat.
Wie in Frankreich, Italien und in Belgien, so muss man auch in Oesterreich
sich darauf vorbereiten mit dem Factor zu rechnen, das deutsche Kunst -
gewerbe schon in der nächsten Zeit auf dem Weltmärkte auftreten zu
sehen. Derjenige, welcher sich der Bedeutung dieser Thatsache verschliesst,
ist wohl kaum berechtigt, über kunstgewerbliche Fragen ein entscheidendes
Wort mitzusprechen. Wir halten es aber für eine patriotische Pflicht an -
gesichts der Bestrebungen im Nachbarreiche, ohne alle Nebenrücksichten,
die Zielpunkte der modernen deutschen Kunstbewegung und die äußeren
Verhältnisse, unter welchen sich diese vollzieht, etwas näher zu beleuchten.
Nicht absichtslos wurde ursprünglich der 18. October 1881 als Er -
öffnungstag des neuen Kunstgewerbemuseums in Berlin gewählt, nicht
absichtslos hat einige Tage später der deutsche Kaiser, umgeben vom Kron -
prinzen, dem Hofe und den Würdenträgern des deutschen Reiches in
feierlicher Weise dasselbe eröffnet.
I
Wenn ich in den nachfolgenden Blättern von Oesterreich rede, so
verstehe ich Oesterreich im historischen Sinn als das Machtgebiet des
Hauses Oesterreich, mit welchem die österreichischen Kronländer, durch die
pragmatische Sanction vom Jahre 1713 zu einem untheilbaren und unzer -
trennlichen Ganzen verbunden sind, welches jetzt offiziell die österreichisch -
ungarische Monarchie genannt wird.
Wie im deutschen Reiche die kunstgewerbliche Bewegung alle deutschen
Länder und Stämme ergriffen hat, so gibt es jetzt unter den österreichischen
Völkern keines mehr, welches nicht bestrebt wäre, diese seine künstlerischen
Anlagen zu heben, und volkswirtschaftliche Interessen zu fördern, welche
auf einer gesteigerten Geschmacksbildung beruhen. Dass bei der hoch -
gradigen nationalen Strömung der Gegenwart in Oesterreich Reibungen
mancher Art Vorkommen, darf uns im Oesterr. Museum nicht irre machen
an der Aufgabe, welche dem Museum zugewiesen ist.
Dass der deutsche Volksstamm in Oesterreich eine hervorragende
Stellung im österreichischen Cultur- und Gewerbeleben einnimmt, liegt in
der ganzen historischen Entwicklung des österreichischen Staates, die zu
verwischen in keines Menschen Macht liegt. Ein Volksstamm, wie der
deutsch-österreichische, aus dem Walther von der Vogelweide, Ulrich von
Lichtenstein und der Dichter der Nibelungen hervorgegangen ist und der
auf dem Gebiete aller Künste, der redenden wie der bildenden, die größten
Männer aufzuweisen hat, welche die deutsche Nation besessen hat, hat ein
volles Anrecht auch innerhalb des heutigen Machtgebietes der Monarchie auf
Anerkennung und Würdigung. Er braucht zur Anerkennung seiner Natio -
nalität weder von der Spree noch von der Moldau eine besondere
Legitimation. Je gesicherter und unanfechtbarer die Stellung des Kunst -
lebens des deutschen Volksstammes in Oesterreich ist, desto freudiger
müssen wir anerkennen, dass auch die romanischen, magyarischen und sla-
vischen Volksstämme jetzt beginnen, sich an dem modernen Kunstleben des
Reiches selbstthätig zu betheiligen.
Das Oesterr. Museum würde speciell sich und den österreichischen
Völkern einen schlechten Dienst erweisen, wenn es nicht mit aufmerk -
samem Auge das verfolgen würde, was in dem durch enge politische Bande
verknüpften deutschen Reiche vorgeht. Aus diesem Grunde habe ich meine
Berliner Studien zu diesem Zwecke so eingeleitet, dass wir zum Nutzen
unseres Vaterlandes das verstehen und würdigen lernen, was im deutschen
Reiche vorgeht.
Es sind folgende Angelegenheiten, die mich beschäftigt haben:
Das Kunstgewerbemuseum und die Kunstgewerbeschule in Berlin.
Die Organisation der k. Museen.
Die volkswirthschaftliche Bewegung Berlins mit Rücksicht auf das
Kunstgewerbe.
Die Stadterweiterung Berlins mit Hinblick auf die Stadterweiterung
Wiens.
6
I.
Das Kunstgewerbemuseum und dessen Kunstgewerbe -
schule.
Das neue Gebäude des Kunstgewerbemuseums in Berlin ist in den
Jahren 1877—1881 von den Architekten G r o p i u s und Schmieden
erbaut, von denen ersterer während des Baues gestorben ist. Es liegt fast
in Mitte des belebtesten Theiles von Berlin, in der Königgrätzerstraße,
nicht weit vom Brandenburgerthor und dem Potsdamplatze. Der Grundriss
des Gebäudes ist quadratisch, an der Nordseite befindet sich das Portal.
Die vornehme Architektur des Gebäudes wird dadurch erhöht, dass an
den Außenseiten ein reicher künstlerischer Schmuck angewendet wurde
und zwar vorwiegend mittelst Glasmosaik und durch Plastik, welcher
durch eine Reihe von hervorragenden Künstlern hergestellt wurde. In
erster Linie waren es die Maler Ernst Ewald und Friedrich Geselschap
und die Bildhauer S ussmann-Hellb o r n, Siemering, Otto Lessing,
Geyer und Hundrieser, nach deren Entwürfen der plastische und
malerische Schmuck an dem Gebäude ausgeführt wurde. Durch eine Vor -
halle tritt man in das Vestibüle, in welchem sich rechts die Treppe für
die im ersten Stock befindlichen Schulräume, links der Aufgang zu den
Verwaltungsräumen befindet. Vom Vestibüle gelangt man zunächst in einen
geräumigen Lichthof, und damit in die eigentlichen Ausstellungsräume. Der
Lichthof wird von Süden, Westen und Osten im Parterre und 1. Stock von
34 zumeist kleineren Abtheilungen begrenzt, welche zur Aufnahme der
Sammlungen bestimmt sind, während die Nordfront im Erdgeschoss von
den Verwaltungsbureaux und der Bibliothek mit dem Lesezimmer einge -
nommen ist und darüber im ersten Stock die Unterrichtsräume für die
Kunstgewerbeschule sich befinden. Sämmtliche Localitäten, sowohl jene,
welche Oberlicht als auch diejenigen, welche Seitenlicht haben, sind vor -
trefflich beleuchtet, so dass man die dort ausgestellten Gegenstände mit
voller Deutlichkeit sehen kann. Die Schultreppe ist so angelegt, dass sie
mit der Bibliothek correspondirt und dass man von ihr aus leicht in die
Ausstellungsräume gelangt. Die Aufstellung der Sammlungen, welche von
dem Director Julius Lessing geleitet wurde, ist eine ganz vortreffliche
und ist die innere Einrichtung der Räume eine höchst luxuriöse. Sowohl
bei den Ausstellungskästen als bei den Bücherschränken sind alle Erfah-
7
rungen, welche man für die Aufbewahrung von Kunstwerken und Büchern
bisher gemacht hat, in reichem Maße benützt worden. Es ist nach dieser Rich -
tung hin von Seite der preußischen Staatsregierung nichts gespart worden,
um das Kunstgewerbemuseum mit Glanz und Comfort zu versehen. Was das
System der Sammlungen betrifft, so ist dies wohl durch die Natur
der Kunstgewerbe gegeben und daher im Berliner Museum nur in geringem
Maße von jenem des Oesterreich. Museums abweichend. Das System
der Sammlungen im Berliner Kunstgewerbemuseum besteht in Haupt -
gruppen mit Unterabtheilungen, und zwar: Möbel- und Holzarbeiten
(Mittelalter, Renaissance); Elfenbeinarbeiten; Lackarbeiten, Stroh,
Papier, Leder, Mosaik; Decorative Plastik und Malerei: Kunst -
töpferei (persische Fayence, Majolika, Bauerntöpferei, Fayence, Steinzeug
und Steingut; Porzellan; deutsche Oefen); Glasarbeiten, Metall -
arbeiten (Zinn, Kupfer, Messing, Bronze, Email, Edelmetalle, Email
aus Limoges und Venetianer Email, orientalische Metallarbeiten, Schmiede -
eisen); Stoffe, Weberei und Stickerei.
Dass in den Sammlungen des Berliner Gewerbemuseums die große
figurale Sculptur beinahe gänzlich ausgeschlossen ist, mag wohl vorzugs -
weise dem Umstande zuzuschreiben sein, dass Berlin ohnedies in dem
großen königlichen Museum außer seinen großen statuarischen Schätzen
eine Sammlung von Gypsabgüssen besitzt, welche heute die erste der Wfflt
ist. Der Schwerpunkt der Sammlungen des Berliner Kunstgewerbemuseums
liegt in den Abtheilungen für Keramik und des Mobiliares. Der große
Lichthof kann zu wechselnden Ausstellungen benützt werden. Jener Raum,
welcher zur Aufnahme von Gegenständen der modernen Kunstindustrie
bestimmt ist, ist ein relativ sehr kleiner. Ueberall bemerkt man, dass bei
der Aufstellung mit ganz besonderer Sorgfalt der wissenschaftliche Charakter
der Sammlungen gewahrt wurde.
Um die Sammlungen benützbar zu machen, sind dieselben zu be -
stimmten Tageszeiten, entsprechend den Berliner Gewohnheiten, geöffnet,
und zwar etwas abweichend von den liberalen Bestimmungen, welche
nach dieser Richtung hin im Oesterr. Museum maßgebend sind. Das
Berliner Kunstgewerbemuseum ist an Sonntagen nur von 12—3 Uhr,
dann Mittwoch und Samstag von 10—3 Uhr zum unentgeltlichen
Besuche geöffnet. An den sogenannten Studientagen, d. i. Dienstag,
Donnerstag und Freitag, ist dem Publicum der Zutritt nur gegen ein
Eintrittsgeld von 5o Pf. gestattet. Für Specialstudien werden von der
Direction Karten ausgegeben, welche auch an den letztgenannten Tagen
zum freien Eintritt berechtigen. Vereinsmitglieder, sowie Lehrer und
Schüler des Museums haben selbstverständlich auch an Zahltagen unent -
geltlichen Zutritt. An jedem Montag bleiben die Sammlungen geschlossen;
außerdem am Charfreitag, am Himmelfahrtstag, am Bußtag und am
ersten Feiertag der hohen Feste. Das Lesezimmer der Bibliothek ist zu
derselben Zeit wie die Sammlungen des Museums geöffnet, doch gegen
8
freien Eintritt. Ueberdies ist die Benützung der Bibliothek auch Montag,
Dienstag, Freitag und Samstag von 7'/ 2 bis 9% Uhr Abends unentgeltlich
gestattet. Im Juli und August ist die Bibliothek Abends geschlossen, vom
16. —31. August auch während des Tages. — Das Zeichnen nach den
ausgestellten älteren Stücken der Sammlungen ist ohne weitere Anfrage
gestattet. Für das Zeichnen zeitweilig ausgestellter moderner Gegenstände
bedarf es der speciellen Erlaubniss des Eigenthiimers.
Zum vollen Verständniss der Organisation des Berliner Kunstgewerbe -
museums ist es nothwendig einen Rückblick auf die Entstehung dieses
Instituts zu werfen. Die Sammlung des Kunstgewerbemuseums in Berlin
ist gegründet worden im Jahre 1867 als ein Theil des Institutes, welches
bis 1879 den Namen »Deutsches Gewerbemuseum« führte und sich bis
1873 in dem ehemaligen Diorama in der Stallstraße befand. Den Haupt -
stock jener ersten Sammlung bildeten die von der königl. Staatsregierung
auf der Pariser AVeltausstellung 1867 erworbenen neueren Arbeiten, sowie
die aus dem Besitze des kaiserl. Hofes leihweise überlassenen kunstgewerb -
lichen Objecte.
Im Jahre 1869 wurde von dem preußischen Handelsministerium die
kunstgewerbliche Sammlung des Freiherrn vonMinutoli in Liegnitz für
15o.ooo Mark erworben und einstweilen abgesondert verwaltet; mit der -
selben wurde später die Sammlung des Kammermusikus Hanemann in
Berlin vereinigt und durch reiche Ankäufe auf der Wiener Weltausstellung
vermehrt, zumeist aus Steinzeug und- Krügen verwandter Art bestehend.
Noch im Jahre 1873 wurden sämmtliche Bestände im alten Fabriksgebäude
der königl. Porzellanmanufactur in der Königgrätzerstraße vereinigt. Im
Jahre 1874 wurde das Rathhaussilberzeug der Stadt Lüneburg, 36 Stücke,
um den Preis von 660.000 Mark angekauft. Ferner wurden durch allerh.
Cabinetsordre vom 29. November 1875 jene Besitzstücke, welche kunst -
gewerblichen Ursprungs sind, aus der königl. Kunstkammer ausgeschieden
und ihre Vereinigung mit der Sammlung des Gewerbemuseums verfügt.
Von den fast 7000 überwiesenen Gegenständen geht ein Theil auf den
ältesten Besitz der Markgrafen und Kurfürsten von Brandenburg zurück;
hierunter der pommersche Kunstschrank und andere Arbeiten von höchstem
Werth und größter künstlerischer Bedeutung. Die Kunstkammer war i83o
eine Abtheilung der königl. Museen geworden, hier erhielt sie nach Ab -
gabe der rein künstlerischen und antiquarischen Stücke ihre wesentliche
Ausdehnung nach der Seite der Kleinkünste hin. Die Sammlung des
Generalconsuls Bartholdi in Rom brachte 1828 den größten Theil der
Majolikasammlung; 1835 wurde die Sammlung des Oberpostmeisters
Nagler erworben, welche die Majoliken auf das Reichste ergänzte und
die Abtheilung des Emails, des Glases, des Steinzeugs und anderer Thon-
waaren begründete; durch einen Theil der Minutoli - Sammlung wurden
i858 die Gruppen: Kunsttöpferei und Glas sehr erweitert. Einzelnankäufe,
SRÜSSRBB
besonders durch Waagen 1842, fanden statt; der letzte größere Ankauf
war die Glassammlung Guastalla im Jahre 1872.
Nach Ueberftihrung der Abtheilungen der k. Kunstkammer war 1876
aller Hof- und Staatsbesitz an kunstgewerblichen Gegenständen im Gewerbe -
museum vereinigt, kleinere Gruppen waren bereits früher aus der k.
Gewerbeakademie und der königl. Bauakademie überwiesen worden. Von
größeren Ankäufen in den folgenden Jahren sind noch zu nennen: 1876
die Sammlung, welche Dr. Rein in Japan im Aufträge der kgl. Staats-
rcgicrung angelegt hatte; 1878 die Sammlung Möst in Köln, mittelalter -
liche Möbel; 1878 die Sammlung S chn titg en in Köln, frühmittelalterliche
Stoffe; 1879 die große chinesisch-japanische Sammlung des Herrn von
Brandt.
Ueberdies sind dem Museum seit seinem Bestehen vom deutschen
Kaiser, dem Kronprinzen, der Kronprinzessin eine grosse Anzahl werth -
voller Geschenke zugekommen. Unter den Privaten, welche sich in dieser
Beziehung besonders hervorgethan haben, sind die im Jahre 1868 vom
Herrn Dr. J agor dem Museum gewidmete Sammlung slavischer, ägyptischer,
türkischer und indischer Arbeiten und die bereits erwähnte Sammlung
des Herrn von Brandt in erster Linie zu nennen.
Wie bereits früher angedeutet wurde, ist das Kunstgewerbemuseum
in Berlin aus den im November 1867 von einem Verein als »deutsches
Gewerbemuseum« gegründeten Institute hervorgegangen. Das Kunstgewerbe -
museum ist ein von der königl. Staatsregierung subventionirtes
und unter unmittelbarer Aufsicht derselben stehendes
Privat-Institut. Seinen jetzigen Titel erhielt es im Jahre 1879. Das
Museumsgebäude selbst ist gänzlich Eigenthum der Staatsregierung.
Aus dem bisher Gesagten geht hervor, dass das Museum theilweise
von einer Gesellschaft abhängig ist, deren Mitglieder entweder durch
Ankauf eines Antheilscheines in der Höhe von 3oo Mark oder durch einen
Jahresbeitrag von mindestens 18 Mark das Recht der Mitgliedschaft
erworben haben. Daher erklärt es sich auch, dass an der Spitze des
Museums ein Vorstand steht, der aus 19 Mitgliedern gebildet ist, von
denen acht die königl. Staatsregierung nominirt, acht in der Generalver -
sammlung gewählt und drei von den Behörden der Stadt Berlin deputirt
sind. Als Generalbevollmächtigter und als Leiter des Museums fungirt der
erste Director, Herr Architekt Grunow, der sich auch um die Begründung
des Museums die größten Verdienste erworben hat.
Ich zweifle keinen Augenblick, dass diese etwas unklare Stellung der
Leitung des Instituts, welche die Wirksamkeit des Museums auch nach
aussen vielfach hemmt, in kurzer Zeit verändert werden wird und dass
die ganze Leitung der Anstalt in die Hände der Staatsregierung übergehen
wird. Es ist dies der natürliche Gang der Dinge und zugleich dasjenige,
was im Interesse des Kunstgewerbemuseums gelegen ist.
IO
Es gereicht der preußischen Staatsregierung zur Ehre, dass sie, trotz -
dem das Kunstgewerbemuseum in Berlin noch ein Privat-Institut ist, zu
Zwecken von Ankäufen kunstgewerblicher Objecte so bedeutende Geld -
mittel bewilligt. Dieses Vorgehen der deutsch-preußischen Staatsregierung
ist nicht als eine specielle Liebhaberei der leitenden Persönlichkeiten,
welche vielleicht das Kunstgewerbemuseum fördern möchten, zu betrachten,
sondern es muß als ein Staatsprincip angesehen werden, und zwar als ein
solches, welches allen Museen zu Gute kommt. Die Förderung des deutschen
Kunstgewerbemuseums betrachtet die preußische Regierung als eine Ver -
mehrung des Nationalcapitals, das sowohl im Interesse der Wissenschaft
als im Interesse der Kunst und des Kunstgewerbes reiche Zinsen tragen
wird. Es wird sich uns später wohl Veranlassung bieten, auch über die
königlichen Museen zu sprechen, aber soviel kann man schon jetzt sagen,
dass das Kunstgewerbemuseum in Berlin durch die glänzende Dotirung
und die großen Ankäufe, welche von Staatswegen für diese Anstalt gemacht
wurden, an künstlerischem Besitzthum das reichste Kunstgewerbemuseum
in Mitteleuropa ist.
Mit dem Berliner Kunstgewerbemuseum ist auch eine Unterrichts -
anstalt verbunden, und zwar eine Kunstgewerbeschule, welche
denselben Zweck verfolgt wie die Kunstgewerbeschule des Oesterr. Museums.
Sie besteht aus zwei gesonderten Th eilen, nämlich aus einer Vor -
schule, analog den Vorschulen an den preußischen Gymnasien, einem
Abend- und Sonntagscurse und der eigentlich enKunstgewerbe-
schule, welche wieder inVorbereitungsclassen und Compositions-
und Fachclassen geschieden ist. Die Vorschule hat den Zweck, jene
Schüler heranzubilden, welche sich eine künstlerische Bildung neben ihrer
anderweitigen Thätigkeit erwerben wollen. Die Vorschule besteht aus
mehreren Classen und findet der Unterricht an denselben an Wochentagen
theils von 5'/„—7V0 Uhr Abends, theils von j'f„ — gV 2 Uhr Abends statt.
Der Sonntagsunterricht findet von 8—12 Uhr Vormittags statt. In der V o r-
schule wird elementares Ornamentzeichnen, Ornamentzeichnen und Formen -
lehre, geometrisches Zeichnen und Projectionslehre, architektonisches Zeich -
nen, Gypszeichnen, untere Stufe, Gypszeichnen, mittlere Stufe, Gypszeichnen,
obere Stufe, ornamentales Modelliren und figürliches Modelliren gelehrt.
Das Unterrichtsgeld ist sehr bedeutend, denn es variirt zwischen 4 und
8 Mark für jeden einzelnen Gegenstand und Quartal. Das System der
Vorschulen scheint mir ein sehr zweckmäßiges; es wäre sehr gut, ähnliche
Vorschulen beim Oesterr. Museum einzuführen, damit dieses nicht isolirt
den kunstgewerblichen Fortbildungsschulen gegenüber steht. In den Vor-
bereitungsclassen der Kunstgewerbeschule wird gelehrt: das
Ornamentzeichnen und Formenlehre, geometrisches Zeichnen und Projections -
lehre, architektonisches Zeichnen, Gypszeichnen, untere Stufe, Gypszeichnen,
obere Stufe, Naturstudien, Actzeichnen, Anatomie und Proportionslehre und
Stylgeschichte a) der Architektur b) des Kunstgewerbes. Der Unterricht findet
11
für die erstgenannten sechs Fächer von 8—12 Uhr Vormittags und von 1—4 Uhr
Nachmittags täglich statt; für die letztgenannten drei Fächer nur Dienstag,
Freitag und Samstag theils von 5Y 2 — 7V0 Uhr, theils von 7 1 /,, — 9‘/c: Uhr
Abends. Die Vorb er eit u ngsschu le besteht aus sechs Classen und be -
trägt das Unterrichtsgeld für je drei Classen pro Quartal 36 Mark. Hos -
pitanten zahlen für jeden Gegenstand und Quartal zwischen 7 und 21 Mark.
Die Compositions- und Fach classen sind eingetheilt in solche für
Möbel, Geräthe, Gefäße u. s. w; für Flachornament, Weberei u. s. w; für
figürliche Decoration; für Modelliren; für decorative Malerei und für Cise-
liren, Graviren u. s. w. Die Unterrichtszeit an den Fachdassen ist täglich
von 8 — 12 Uhr Vormittags und von 1 — 4 Uhr Nachmittags. Das Schul-
v geld beträgt für je eine Fachclasse pro Schüler und Quartal 36 Mark. Jeder
in die Anstalt neu eintretende Schüler hat überdies eine Eintrittsgebühr von
3 Mark zu entrichten. Als Director der Kunstgewerbeschule fungirt Professor
E. Ewald.
Die Räume, welche die Schule gegenwärtig inne hat, erweisen sich
schon jetzt als unzureichend, so dass sich das Bedürfniss fühlbar macht,
für die Schule selbst ein eigenes Gebäude neben dem Kunstgewerbemuseum
aufzuführen. Glücklicherweise bietet das Terrain, welches sich um das
Museum herum befindet, hinlänglich Raum, um einen Neubau aufzuführen.
Gegenwärtig ist hart neben dem Kunstgewerbemuseum das ethnogra -
phische Museum im Bau begriffen und wird beabsichtigt, in demselben
einige Räume für die Kunstgewerbeschule zu adaptiren. Jedoch ist dieser
Zustand ein sehr unnatürlicher und erschwert in außerordentlicher Weise
die unmittelbare Benützung der alten Gegenstände des Museums zu
Zwecken des eigentlichen Unterrichtes. Ob und wann aber der Neubau
der Kunstgewerbeschule durchgeführt werden wird, ist ungewiss; gewiss
ist aber, dass die räumlichen Verhältnisse der Schule schon
jetzt vollständig unzureichend sind.
Zur vollen Würdigung der Wirksamkeit des k. Kunstgewerbemuseums
in Berlin ist es nöthig, darauf hinzuweisen, dass außer der Kunstgewerbe -
schule des Kunstgewerbemuseums noch eine zweite Unterrichts -
anstalt existirt, welche parallel läuft mit der genannten Kunst -
gewerbeschule. Es ist dies die königliche Kunstschule in
Berlin, die traditionell die Gropius-Schule genannt wird, nach dem vor
einigen Jahren verstorbenen Architekten Gropius, welcher diese Schule
geleitet hat. Die königliche Kunstschule, gegenwärtig in der Kloster -
gasse 75, ist in wenig entsprechenden Räumen untergebracht. Wie es
scheint, pflegt die k. Kunstschule eine mehr gewerbliche Richtung, doch
steht derselben jetzt ebenfalls der Maler Ernst Ewald als Director vor, so
dass zu gleicher Zeit Professor Ewald sowohl die Kunstgewerbeschule des
Museums, als auch die k. Kunstschule leitet.
Die königliche Kunstschule in Berlin besteht ebenfalls wie die Kunst -
schule des Kunstgewerbemuseums aus einer V orschule und einer Kunst-
12
ge werbeschule, mit welch’ letzterer ein Seminar für Zeichenleh rer
verbunden ist. An der Vorschule wird gelehrt elementares Freihand -
zeichnen, Ornamentzeichnen und Formenlehre, geometrisches und tech -
nisches Zeichnen, Projectionslehre, Gypszeichnen untere Stufe, Gyps-
zeichnen mittlere Stufe, Gypszeichnen obere Stufe, Modelliren, Ana -
tomie und Proportionslehre. Die Unterrichtszeit dauert zumeist von
7—ii Uhr Vormittags und von 7— 9’/„ Uhr Abends. An Sonn -
tagen werden von 8— 12 Uhr Vormittags Zierschriften und heraldisches
Zeichnen gelehrt. Das Unterrichtsgeld ist für jeden Gegenstand besonders
bemessen und beträgt für je ein Fach zwischen 9 — i5 Mark halbjährig.
In der Kunstgewerbeschule und dem damit verbundenen Zeichenlehrer -
seminar werden solche Zöglinge herangebildet, welche ihre ganze Zeit
dem Studium widmen wollen. An der Kunstgewerbeschule der
k. Kunstschule wird gelehrt Ornamentzeichnen und Formenlehre, Projections -
lehre untere Stufe (Licht- und Schattenlehre), Projectionslehre obere Stufe
(technisches Zeichnen und Methodik), architektonisches Zeichnen, Gyps -
zeichnen untere Stufe, Gypszeichnen obere Stufe, ornamentale Farben -
studien, farbige Naturstudien, Modelliren, Anatomie, Proportionslehre und
Kunstgeschichte. An Sonntagen wird in einer Compositionsclasse archi -
tektonisches Zeichnen und farbige Decoration gelehrt. Die Unterrichts -
dauer an Wochentagen ist von 8— 12 Uhr Vormittags, theils von 1—6
Uhr oder von 2 — 5 Uhr Nachmittags. Das Schulgeld ist ebenfalls für
jeden Gegenstand separat berechnet und variirt zwischen 8 und 16 Mark
für jedes Fach und jedes Halbjahr. Das Seminar für Zeichenlehrer
besteht aus zwei Jahrescursen mit zusammen 11 Classen. Das Unter -
richtsgeld beträgt für jeden Curs und für jeden Semester 72 Mark. Nur
derjenige, welcher die beiden Jahrescurse ordnungsmäßig absolvirt hat,
kann zur Ablegung der Zeichenlehrerprüfung zugelassen werden.
Es ist für Professor Ewald keine geringe Last das Directorat über
zwei gleichartige, zahlreich besuchte Anstalten zu führen, die räumlich
weit von einander entfernt sind. Dabei müssen wir erwähnen, dass die Profes -
soren der beiden kunstgewerblichen Unterrichtsanstalten in Berlin nicht sowie
an der Kunstgewerbeschule des Oesterr. Museums Ateliers im Schulgebäude
inne haben und daher den ganzen Tag mit ihren Schülern in Fühlung bleiben,
sondern sich je nach Umständen nur wenige Stunden im Hause aufhalten.
Bemerkenswerth ist es, dass in dem Sonntagscurs der Vorschule an der
k. Kunstschule ein Unterricht in Zierschriften und im heraldischen
Zeichnen gegeben wird. Man kann nach dem Gesagten leicht erkennen,
dass die k. Kunstschule in Berlin, an der ja auch das Actzeichnen und
Anatomie gelehrt wird, eine Art von Zwitteranstalt zwischen der Schule
des Kunstgewerbemuseums und der Akademie der bildenden Künste ist.
Der Unterschied besteht wesentlich darin, dass in der k. Kunstschule
nicht die akademische Kunst, sondern mehr die gewerbliche Kunst berück -
sichtigt wird. Die Schule, ursprünglich als Zeichenschule vom König
i3
Friedrich Wilhelm II. gegründet, wurde im Jahre 1869 zu einer
k. Kunstschule umgewandelt. Eine Art von Verbindung der verwandten
kunstgewerblichen Anstalten wird dadurch hergestellt, dass die Schüler
beider Abtheilungen der k. Kunstschule an bestimmten Tagen freien Ein -
tritt in das Kunstgewerbemuseum haben. Auch können sowohl die Schüler
der Kunstschule als der Kunstgewerbeschule die Bibliothek der k. Akademie
der bildenden Künste benützen.
Es ist gewiss für die Entwicklung der Kunstgewerbe in Berlin von
großer Wichtigkeit, dass neben der Kunstgewerbeschule des Museums
noch eine zweite Anstalt existirt, welche sich die künstlerische Förderung
der Gewerbe zur Aufgabe macht. Würde aber die k. Kunstschule den
Bedürfnissen nach künstlerischer Bildung genügt haben, so würde gewiss
nicht an der Kunstschule des Kunstgewerbemuseums ein gleichartiges
Unterrichtsprogramm wie an der k. Kunstschule durchgeführt und ihr der -
selbe Director vorgesetzt worden sein. Es ist ferner in Berlin die Ein -
richtung getroffen, dass der akademische Senat der k. Akademie der bilden -
den Künste Prämien im Gesammtbetrage von i5oo Mark jährlich für die
besten Schülerarbeiten der gewerblichen Unterrichtsanstalten aussetzt, die
von den Directoren der betreffenden Anstalten vertheilt werden. An diesen
Prämien participiren die k. Kunstschule und die Kunstgewerbeschule in
Berlin, die Kunstgewerbeschulen in Breslau, Königsberg und Danzig, die
Provinzial-Baugewerbeschule in Erfurt und die Baugewerbeschule in Magde -
burg. Es kommt daher auf jede einzelne Anstalt nur ein sehr geringer Betrag.
So viele in den localen Verhältnissen begründete Vortheile das
preußische Unterrichtssystem in den beiden genannten Kunstgewerbeschulen
haben mag, so haben wir im Oesterreich. Museum und an der Kunst -
gewerbeschule desselben wohl keinen Anlass, Veränderungen in dem Studien -
gange vorzunehmen. Im Oesterr. Museum betrachtet man es als einen großen
Vorzug, der sich auch durch sechzehnjährige Praxis bewährt hat, dass die
Professoren und der Director der Schule ihre eigenen Ateliers im Instituts -
gebäude haben und daher sowohl mit den Schülern als auch mit den Indu -
striellen den ganzen Tag im Contact stehen können. Der Unterricht in der
Kunstgewerbeschule des Oesterr. Museums ist wesentlich ein Atelierunter -
richt; der schulmännische Unterricht beschränkt sich auf die Vorbereitunas-
schule und selbst da haben die betreffenden Professoren ihre eigenen Ateliers,
um, wenn es nöthig sein sollte, mit den Schülern in Contact zu bleiben.
Auf die Aufrechthaltung eines innigen Contactes zwischen Professoren,
Schülern und Industriellen legt das Oesterr. Museum einFlauptgewicht. Wie
es scheint, wird in Berlin eine solche Verbindung etwas nebensächlich be -
handelt und die schulmännisch-didaktische Abgrenzung der einzelnen
Fächer im Auge behalten. Auch in der Auffassung dessen, was Kunst und
Kunstgewerbe ist, herrscht ein wesentlicher, ich möchte sagen principieller
Unterschied in der Behandlung kunstgewerblicher Fragen zwischen Wien
i4
und Berlin, der wohl auch begründet ist in den verschiedenen örtlichen
Verhältnissen und in der ganz verschiedenen Entwicklung Preußens und
Oesterreichs. Bei der ganzen politischen Entwicklung Berlins ist es aber
nicht passend, die Berliner Zustände gesondert von den allgemeinen
deutschen Kunst- und Kunstgewerbeverhältnissen ohne Rücksichtnahme
auf die Bestrebungen des ganzen Reiches zu behandeln. Wohl strebt in
Berlin alles dahin, die engeren preußischen Institutionen so auszudehnen
und zu entwickeln, dass dieselben für das ganze deutsche Reich und alle
deutschen Volksstämme gelten können; aber es scheint trotzdem nicht
recht möglich, in dem deutschen Reiche eine so straffe Organisation auf
künstlerischem Gebiete einzuführen, wie sich dieselbe in Frankreich, die
natürliche Consequenz der politischen und socialen Entwicklung der
französischen Nation, herausgebildet hat. Es mag sein, dass der stramme
altpreußische Bureaukratismus einer ähnlichen Centralisation zustrebt; aber
gedeihlich würde dies gewiss nicht für die künstlerische Entwicklung des
deutschen Volkes sein. Das Bedeutendste, was das deutsche Volk im Laufe
der Jahrhunderte in Kunst und Kunstgewerben geleistet hat, erwächst aus der
besonderen Befähigung und verschiedenartigen Begabung einzelner deutscher
Stämme. Es lassen sich die Bewohner des Rheinthaies, die Süddeutschen
in Bayern und der Rauhen Alb nicht über denselben Kamm scheeren,
wie die Brandenburger und die Schlesier, ohne ihre geistige Lebenskraft
zu schädigen.
Es gibt zwar jetzt nicht wenige deutsche Chauvinisten, welche glauben,
dass diese Stammesverschiedenheiten nicht mehr existiren und nicht mehr
in Betracht kommen. Das ist aber ein großer Irrthum und wer ein offenes
Auge für die Zustände in Eisass hat, der wird es aussprechen müssen,
dass der sogenannte stramme preußische Bureaukratismus, der ohne Rück -
sichtnahme auf die künstlerische Begabung der deutschen Elsässer —
darüber gibt das Werk von Rene Menard: L’Art en Alsace-Lorrain,
Paris 1876, in dem Capitel über die heutigen Künstler von Lothringen ein -
gehende Mittheilungen —vorgegangen ist, sich nach wenigen Jahren als unhalt -
bar herausgestellt hat. Würde man gleich vom Anfang auf diese Stammes-
eigenthümlichkeit eingegangen sein, so wäre es zweckmäßig gewesen,
neben den Forts und der Universität eine Kunst - Schule zu gründen,
welche den artistischen Bedürfnissen des Eisass entspricht. Mehr als je
wenden sich die kunstsinnigen Bewohner von Eisass nach Paris; nach Berlin
sich zu wenden, ist kein Anlass vorhanden. Das Kunstleben in Berlin
ist nicht genug entwickelt und nicht bedeutend genug, um als artistischer
Mittelpunkt der deutschen Nation vollständig zu genügen. Die Chauvinisten
scheinen nicht übel Lust zu haben, jeden als Particularisten anzusehen, der
sich offenen Sinn für die Feinheiten künstlerischen Fühlens und Denkens der
einzelnen deutschen Stämme bewahrt hat. Bei der reichen allgemeinen
Volksbildung und dem erhöhten politischen Bewusstsein des ganzen deutschen
Volkes ist es wahrlich nicht nöthig zu ignoriren, was in der eigenthümlichen
Natur der einzelnen Volksstämme liegt und jeder deutsche Volksstamm
sein künstlerisches Eigen nennen kann.
Gerade wenn es sich darum handelt, das künstlerische Nationalver -
mögen der ganzen deutschen Nation zu verwerthen, ist es nöthig, die
reiche Begabung einzelner Stämme in kunstgewerblicher Richtung voll -
ständig auszunützen und in das gemeinsame volkswirtschaftliche Bewusst -
sein aufzunehmen. Das deutsche Reich und Oesterreich bilden auf diesem
Gebiet einen vollständigen Gegensatz. Während in Oesterreich die einzelnen
Volkstämme und Kronländer einen volkswirthschaftlichen Krieg unter -
einander führen, jedes Kronland zuerst an sich denkt, ohne die gemein -
samen volkswirthschaftlichen Interessen zu berücksichtigen, ist die ganze
volkswirtschaftliche Politik des deutschen Reiches darauf gerichtet,
die Interessen einzelner deutscher Stämme zu amalgamiren und diese, ge -
fördert durch volkswirtschaftliche, im großen Style entworfene Ver -
fügungen, dem Weltverkehre zuzuführen. Es wird aber lange Zeit brauchen,
bis dieses Ziel erreicht wird; denn es zeigt sich überall im deutschen Reiche
eine Unsicherheit in der Behandlung der Frage, wie die Geschmacksbildung
der Gewerbetreibenden am besten gefördert werden soll. Wir berühren hier
nur einige Erscheinungen, die uns in Berlin besonders aufgefallen sind. In
mehreren Städten des deutschen Reiches, wo Kunstgewerbeschulen sich be -
finden oder gegründet worden sind, hat sich ein Gegensatz zwischen der ge -
werblichen und der akademischen Kunst herausgebildet, der für die weitere
Entwicklung der Kunstgewerbe nichts weniger als nützlich ist; dazu kommt
noch, dass einflussreiche Kreise von der irrigen Voraussetzung ausgehen,
als wenn die Kunst, welche den Kunstgewerben dient, eine mindere Kunst
sei, als jene welche in den großen Kunstschulen gelehrt wird. Damit
hängt es wohl auch zusammen, dass die deutschen Gewerbetreibenden an
das künstlerische Vermögen jener Künstler, welche sich dem Kunstgewerbe
zuwenden, einen viel zu geringen Maßstab anlegen.
Es hat sich in vielen deutschen Städten, speciell in Berlin, im Kunst -
gewerbeleben ein künstlerischer und ästhetischer Dilettantismus herausge -
bildet, der für die Entwicklung der Kunstgewerbe hemmend ist, weil
manchen Gewerbetreibenden und ihren Vertretern in der Oeffentlichkeit
öfter das richtige Verständniss von dem fehlt, wozu die Kunst im Gewerbe
berufen ist.
So wird Vieles jetzt als ein Fortschritt bezeichnet, was in Wahrheit
nichts weniger als ein Fortschritt, sondern ein Rückschritt in unserer
Kunstbildung und Kunstanschauung ist. Jede Nachahmung des Alten, ins-
besonders der deutschen und niederländischen Manieristen des 16. und 17.
Jahrhunderts, jede sogenannte Neuerung, wenn sie sich nur auf dem Markte
recht breit macht, wird als ein Fortschritt der deutschen Nation pro-
clamirt. Es mag sein, dass sich diese künstlerisch ganz unqualificirbare
Marktwaare vorübergehend auf dem Weltmarkt verbreitet, und es kann
immerhin Vorkommen, dass einige kaufmännisch geschickte Industrielle
i6
mit dieser schlechten Waare ein gutes Geschäft machen. Ich habe mir
in Berlin im »rothen Schlosse« die permanente deutsche Kunstgewerbe -
halle angesehen, ein sehr auffälliges Gebäude, dessen Inhalt der glänzenden
Außenseite gar nicht entspricht.
Die Aufstellung der Objecte ist confus, und macht einen peinlichen
Eindruck; wahrscheinlich glauben die Arrangeure des Unternehmens die
Art der Ausstellung sei malerisch und geschmackvoll. Leidlich gute Ob -
jecte werden durch die ordinärste kunstgewerbliche Marktwaare unterdrückt.
Es scheint, dass der Aufnahme in diesem Falle keine kunstverständige Jury
vorangeht. Und bei diesem Sammelsurium von mittelmäßiger Waare hält man
es doch für angezeigt, Extrazüge nach der deutschen Residenz zu arrangiren,
um den auswärtigen Gewerbevereinen und sonstigen Corporationen den
Besuch der Ausstellung zu erleichtern, um dem gesammten deutschen
Publicum zu zeigen, welche hohe Stufe der Vollendung die Kunstgewerbe
in Deutschland erreicht haben. Dazu noch die aufdringlichen Reclamen in
den Zeitschriften und durch Placate; das Alles ist ganz geeignet, das auf -
strebende Kunstgewerbe Berlin’s zu discreditiren. Und das Alles soll noch
nach amerikanischem Vorbilde geschehen?! Dieses geringe Verständniss
für die Bedürfnisse und die ernsten Aufgaben des Kunstgewerbes, dieser
deutsche Chauvinismus, der an solcher Stelle den Fortschritt der deutschen
Nation immer im Munde führt, ist ein großes Hinderniss für die Ent -
wicklung des deutschen Kunstgewerbes, weil diese Tendenz durch die
Gewerbevereine propagirt wird und es auch natürlicher Weise überall Leute
gibt, die diese modernen Producte als Kunstwerke bezeichnen und diese
Art kunstgewerblicher Thätigkeit als künstlerischen Fortschritt proclamiren.
Auch scheint es mir, dass an das künstlerische Wissen und Können
jenei Männer, welche einmal als Zeichenlehrer fungiren sollen, viel zu
gelinge Anfoiderungen gestellt werden; denn es handelt sich bei den
Kunstgewerbeschulen ja nicht darum, hlos künstlerische Handfertigkeiten
zu lehren, welche man später im praktischen Leben braucht, sondern
es handelt sich in erster Linie darum, das künstlerische Bewusstsein und
den künstlerischen Ehrgeiz bei jenen jungen Leuten zu wecken, welche
sich der gewerblichen Kunst zuwenden, damit sie von dem Bewusstsein
erfüllt werden, dass es die Kunst ist, welche das Gewerbe zu fördern berufen
ist und. nicht die bloßen Handfertigkeiten, wie dies bei Handwerksschulen
üblich ist.. So lange aber in den Kunstgewerbeschulen das künstlerische
Bewusstsein und der künstlerische Ehrgeiz nicht geweckt werden, so lange
fühlt sich der akademisch geschulte Künstler für wohlberechtigt, jene
Männer, welche sich dem Kunstgewerbe zuwenden, wie Künstler zweiter
rdnung zu betrachten und nicht als vollgiltige Künstler anzusehen. Auch
das scheint mir eine ganz verderbliche Richtung zu sein, dass immer
arauf hingewiesen wird, für die Kunstgewerbe sei eigentlich nur die
ornamentale Kunst maßgebend - ein Grundsatz, der ganz falsch ist und
durch die historische Entwickelung der Kunstgewerbe in keiner Weise
i 7
gerechtfertigt erscheint. Professoren und Schüler an den Kunstgewerbe -
schulen müssen mit dem Bewusstsein erfüllt sein, dass es die eigentliche
und echte Kunst sei, die gelehrt wird und nicht etwa eine andere Kunst
niederer Art.
Wir müssen uns erinnern, dass die Kunsthandwerker des i3.—16.
ja selbst bis in’s 17. Jahrhundert hinein Producte hervorgebracht haben, die
ihres hohen künstlerischen Werthes wegen in unseren Kunstgewerbemuseen,
ja selbst in unseren großen Kunstsammlungen aufgestellt werden. Wenn
ihre Producte Kunstwerke sind, so müssen wir die Kunsthandwerker jener
Zeit als echte Künstler ansehen. Dr. Lübke und Springer haben in
ihren Kunstgeschichten sehr recht gethan diese Kunsthandwerker: die
Formschneider, Gelbgießer, Plattner, Emailleure u. s. f. als vollgiltige
Künstler anzuführen. Sie alle haben das Ornamentale ebenso verstanden,
wie das Figurale und haben nebenbei auch poetische Erfindungsgabe genug
besessen, die Formenwelt der Gefässe und Geräthe durch neue Erfindungen
zu bereichern.
Ein weiterer Uebelstand, der sich nicht blos im deutschen Reiche,
sondern auch in der österreichischen Monarchie fühlbar macht, ist das
Ueberwuchern der Architekten im Kunstgewerbe. Die Franzosen sind
von dieser kunstgewerblichen Ueberwucherung befreit; denn sie haben
selbständig arbeitende Kunsthandwerker, welche das echte künstlerische
Bewusstsein haben und keinen Architekten gebrauchen, um eine gute kunst -
gewerbliche Leistung zu Stande zu bringen. Die Zahl der Architekten ver -
mehrt sich bei uns von Jahr zu Jahr; sie werden großgezogen in den vielen
technischen Hochschulen, welche in Deutschland und Oesterreich existiren,
wo ihnen die Gelegenheit geboten wird, sich eine Zeichenfertigkeit anzu -
eignen, wie eine solche zur Anfertigung von Plänen für Gebäude, Brücken
und ähnliche architektonische Unternehmungen nöthig ist. Aber diese in
einer technischen Hochschule erworbene Zeichenfertigkeit ist noch keine
Kunst zu nennen. Sie ist zu vergleichen mit der ganz modernen Redet
gewandtheit, welche heutigen Tags durch die Parlamente und andere
verschiedene Vertretungskörper großgezogen wird, wo oft an Stelle des
gediegenen Fachwissens die bloße formale Redegewandtheit eintritt. Für
das deutsche Kunstgewerbe sind die mit einer gewissen Zeichenfertigkei-
ausgerüsteten, zungengewandten Architekten nicht die Männer, welche
das Kunstgewerbe zu heben im Stande sind, sondern es sind die Kunst -
handwerker selbst, die ihr Atelier selbst leiten und die auch selbst Hand
anlegen können. Wir brauchen keine Leiter von kunstgewerblichen Unter -
nehmungen, wir brauchen vielmehr richtige kunstgewerbliche Ateliers und
kunstgewerbliche Werkstätten. Je mehr solche Werkstätten entstehen,
desto besser ist es für das Kunstgewerbe, je mehr hingegen solche unter -
nehmungslustige, architektonische Zeichner dem Kunstgewerbe sich zu -
wenden, desto mehr verflacht sich die reelle Kunstbildung und der echte
Fortschritt in den Kunstgewerben selbst. Aus diesem Grunde scheint
2
i8
mir auch jede Organisation einer Kunstgewerbeschule verfehlt, in welcher
die Kunstgewerbeschule nur einen Annex einer technischen Hochschule bildet,
wie es z. B. in Stuttgart der Fall ist. Hingegen halte ich den Atelierunterricht
in den Kunstgewerbeschulen für das beste Mittel, den Uebergang von der
Schule in das praktische kunstgewerbliche Leben einzuleiten und den
jungen Leuten, welche sich dem Kunstgewerbe widmen, Lust und Liebe,
zu selbständigem, künstlerischem Schaffen beizubringen. Es dürfte lange
dauern, bis speciell im Berliner Publicum die Ueberzeugung Platz greift,
dass die Entwickelung eines künstlerisch bedeutenden Kunstgewerbes nur
langsam um sich greifen kann, und dass eine gesunde künstlerische
Entwickelung nicht so schnell geht, wie bei den rein technischen oder
mechanischen Industrien, wo die Mathematik, Mechanik und Chemie die
erste Rolle spielen und wo es dann nur nöthig ist, das erforderliche Capital
zur Errichtung von Fabriken und Anschaffung von Maschinen herbeizu -
schaffen. Die künstlerische Anlage der Berliner ist von Hause aus nicht
so ausgesprochen, wie es bei den Bewohnern Wiens der Fall ist. Der
Wiener ist ein halber Südländer, hat Freude und Lust am Schauen und
am Genie(3en, er ist daher auch leichter empfänglich für jeden künstle -
rischen Eindruck und auch geneigt an dem Besitze schöner Sachen Freude
zu empfinden. In Berlin ist das ganz anders; der Berliner ist ein vor -
wiegend ausgeprägter Verstandesmensch, zur Kritik und zum Negiren
geneigt und wenig geneigt für einen künstlerischen Genuss Geld auszu -
geben. Er ist erzogen in den Traditionen der altpreußischen Sparsamkeit;
und dieser Sparsinn und häusliche Oekonomie, die in Preußen zu Hause
ist, sind die größten Tugenden des Berliners ujtd ich wünschte nicht, dass der
künstlerische Fortschritt in Berlin bezahlt würde mit dem Aufgeben der
altpreußischen Sparsamkeit. Es würde damit ein schlechter Tausch gemacht
werden, der sich insbesondere dann rächen würde, wenn einmal eine poli -
tische Katastrophe über Berlin käme. Der künstlerische Hausschatz würde
sich als unzureichend erweisen und der strenge Haushalt, vielleicht auch
die strenge Pflichttreue würde verloren sein. In einer Stadt, wo seit Jahr -
zehnten die großen Gelehrten der Mathematik, Chemie und aller Zweige
der Naturforschung gelebt haben, ist es wohl sehr begreiflich, dass die
wissenschaftlichen und technischen Unternehmungen in den Vordergrund
treten. Denn ein Theil des volkswirthschaftlichen Aufschwunges, dessen
sich heutigen Tags Berlin erfreut, wurzelt in der engen Berührung der
technischen und mathematischen Wissenschaften mit den Gewerben. Man
braucht nur einmal in Köln, in Nürnberg, in Schwaben oder gar in
München längere Zeit gelebt zu haben um sich davon zu überzeugen,
wie verschieden die künstlerischen Anlagen der Bevölkerung der
genannten Orte sind, gar nicht zu vergleichen mit der Bevölkerung von
Berlin. Was ich in Berlin von neueren Bauten gesehen habe, hat mich nur
theilweise befriedigt; man sieht zwar überall dass jetzt mehr Geldmittel
vorhanden sind, die Bauten zu schmücken, aber die künstlerische Physio-
i9
fi
y
i
gnomie ist keine erhebende. Würde es möglich sein, die Baukunst von de
Fesseln des Baubureaukratismus zu befreien, künstlerisch-gebildeten Archi -
tekten eine freie Bahn zu öffnen, so würden sich diese Schäden bald
mindern. Nicht blos in Preußen, auch in Oesterreich und Baiern tritt der
Baubureaukratismus hemmend auf. Den Versuch, den man in Berlin mit
der mit k. Erlass vom Mai 1880 erfolgten Gründung der Akademie des
Bauwesens gemacht hat, ist in’s Stocken gerathen. Möglicher Weise
giebt die Concurrenz für den deutschen Parlamentspalast den Anlass die
Reform des staatlichen Bauwesens einigermassen wieder in Fluss zu
bringen*).
Ein wesentlicher Fortschritt im Bauwesen Berlins ist darin zu er -
blicken, dass man bei den öffentlichen Bauten in Berlin auf den Material -
bau zurückgeht und das ist nach meiner Ueberzeugung ein großer Fort -
schritt auf einer soliden Basis, wenn bei öffentlichen Bauten der Material -
bau zur Geltung kommt. Denn dadurch ist auch eine Constructions- und
Decorationsweise möglich, welche den höheren künstlerischen Anforderungen
entspricht. Unter den neueren öffentlichen Bauten in Berlin, die am
wenigsten geglückt sind, sind wohl in erster Linie die Nationalgalerie,
die technische Hochschule und das Stadthaus zu nennen. Zu den Bauten,
die einen wohlthuenden Eindruck hinterlassen, gehören das Gebäude der
deutschen Reichsbank und einige dem Unterricht und der Kirche gewidmete
Backsteinbauten. Ueber die neuen Eisenbahnhöfe bin ich nicht berufen eine
*) Da auch in Oesterreich die Organisation der Baubehörden in der Luft liegt, so
theilen wir den Erlass vom 7. Mai 1880 betreffend die A u fh-e b u n g der technischen
B a u d e p u ta t i o 11 und die Errichtung einer Akademie des Bauwesens voll -
ständig mit; derselbe lautet:
Auf den Antrag des Staatsministeriums bestimme Ich was folgt:
1. Die technische Baudeputation wird mit dem x. October d. J. aufgelöst. An Stelle
derselben tritt die Akademie des Bauwesens.
2. Die Akademie des Bauwesens ist eine berathende Behörde und dem Ministerium der
öffentlichen Arbeiten untergeordnet. Dieselbe ist in Fragen des öffentlichen Bau -
wesens, welche von hervorragender Bedeutung sind, zu hören, und namentlich berufen,
das gesammte Baufach in künstlerischer und wissenschaftlicher Beziehung zu ver -
treten, wichtige öffentliche Bauunternehmungen zu beurtheilen, die Anwendung all -
gemeiner Grundsätze im öffentlichen Bauwesen zu berathen, neue Erfahrungen und
Vorschläge in künstlerischer, wissenschaftlicher und bautechnischer Beziehung zu be -
gutachten und sich mit der weiteren Ausbildung des Baufaches zu beschäftigen.
3. Die Akademie des Bauwesens besteht aus einem Präsidenten, zwei Abtheilungsdiri -
genten und der erforderlichen Anzahl von Mitgliedern. Dieselbe zerfällt in die Ab -
theilung für den Hochbau und die Abtheilung für das Ingenieur- und Maschinenwesen.
Der Präsident kann zugleich Vorsitzender einer Abtheilung sein.
4. Die Mitglieder der Akademie des Bauwesens werden von Mir auf den Vorschlag des
Ministers der öffentlichen Arbeiten ernannt. Alle drei Jahre scheidet in runder Zahl
ein Drittel der Mitglieder aus. An Stelle der Ausgeschiedenen, welche das erste und
zweite Mal durch das Los bestimmt werden , ist nach Anhörung der Akademie des
Bauwesens eine dem Bedürfnisse entsprechende Anzahl neuer Mitglieder in Vor -
schlag zu bringen. Die Ausgeschiedenen können wieder vorgeschlagen werden. Den
2
20
Meinung auszusprechen; sie werden dem Fachmann vielleicht weniger im-
poniren, auf mich haben dieselben einen sehr guten Eindruck gemacht, sie
verbinden Eleganz mit großer Bequemlichkeit für die Reisenden. Dem hoch -
gesteigerten Thatendrang des deutschen Volkes und dem Wunsche ent -
sprechend, alle Institute, welche reformbedürftig sind, auf den Höhepunkt
ihrer Entwickelung zu bringen, verdankt man in Berlin die Idee einer durch -
greifenden Reorganisation der Staatsdruckerei; zur Durchführung dieser
Maßregel wurden aus Wien Prof. Jacoby und Röse aus dem milit.-geogr.
Institut berufen und mit Herrn Klic eine Verbindung angeknüpft. Es scheint,
dass auch der Landkartendruck und die reproducirenden Künste in diesem
Institut ihren Mittelpunkt finden sollen. Die Umgestaltung der königl.
Porzellanmanufactur ist bereits vollzogen; an ihrer Spitze steht der fein -
sinnige Künstler Sussmann-Hellborn, der sich in verständiger Weise
an die Traditionen der alten Berliner Porzellanmanufactur des verflossenen
Jahrhunderts anlehnt und bestrebt ist, den technischen und künstlerischen
Anforderungen der gegenwärtigen Zeit gerecht zu werden. Einige von
den jüngsten Producten der königl. Porzellan-Manufactur lernten wir im
Oesterreich. Museum kennen. Die königl. Porzellanmanufactur in Berlin ist
ebenfalls als eine Kunstschule anzusehen, in welcher alles das ateliermäßig
geübt wird, was zur Hebung des Geschmackes in der Porzellanmanufactur
dienen kann.
Von Kunstwerken der neueren Zeit, die ich in der kurzen Zeit
meines Aufenthaltes in Berlin kennen zu lernen Gelegenheit hatte, sind
0.
nicht zu Mitgliedern der Akademie des Bauwesens ernannten technischen Räthen der
Centralbehörden ist auf Verlangen dieser Behörden die Theilnahme an den Verhand -
lungen ohne Stimmrecht in solchen Angelegenheiten gestattet, welche zu dem speciellen
Geschäftskreise des ihnen übertragenen Referats gehören. Der Präsident und die
Abtheilungsdirigenten werden von den Mitgliedern auf drei Jahre gewählt und von
Mir bestätigt.
Zur Mitgliedschaft befähigt sind alle dem deutschen Reiche angehörigen Bau- und
Maschinentechniker, welche sich durch hervorragende wissenschaftliche und praktische
Leistungen auszeichnen. Zu Mitgliedern der Abtheilung für den Hochbau können
ausnahmsweise auch Künstler verwandter Fächer vorgeschlagen werden.
Die Mitglieder sind entweder ordentliche oder außerordentliche. Erstere haben an den
Sitzungen regelmäßig Theil zu nehmen, letztere werden zu denselben nur in beson -
deren Fällen eingeladen. Die Mitgliedschaft ist als Ehrenamt mit einer Remuneration
nicht verbunden.
7. Die für die Akademie des Bauwesens bestimmten Vorlagen werden derselben durch
den Minister der öffentlichen Arbeiten zugefertigt.
8. Die näheren Bestimmungen zur Ausführung dieses Erlasses werden durch eine von
dem Minister der öffentlichen Arbeiten zu erlassende Instruction getroffen.
Dieser Erlass ist durch die Gesetzsammlung zur öffentlichen Kenntniss zu bringen.
Wilhelm
Fürst v. Bismarck. Graf zu Stollberg,
v. Kameke. Hofmann. Graf zu Eulenburg.
Maybach. Bitter, v. Puttkamer. Lucius.
F ri ed b er g.
Wiesbaden, den 7. Mai t88o.
An das Staatsministerium.
2 I
in erster Linie zu nennen die plastischen Werke von Bildhauer Sie-
mering, Reinhold Begas und Schaper. Auf dem Gebiete der Malerei
hat mich in hohem Grade befriedigt die Freskenmalerei von Geselschap.
Aus einer Künstlerfamilie entsprossen, die aus Wesel stammt, steht
Geselschap jun. gegenwärtig in der Vollblüthe des männlichen Alters
und vertritt die der großen Kunst zugewendete Freskomalerei mit un -
gewöhnlichem Schönheitssinn und großem Stylverständniss. Ich bin über -
zeugt, dass diese Fresken im Zeughaus seinerzeit als ein Höhepunkt der
gegenwärtigen monumentalen Kunst in Berlin bezeichnet werden.
22
II.
Die königlichen Museen.
Auf keinem Gebiete hat Berlin so große Fortschritte zu verzeichnen,
als auf dem der königlichen Museen; sie sind die reifste Frucht der
humanistischen Studien, welche seit einer Reihe von Jahrzehnten in Berlin
sorgfältig gepflegt wurden. Der Fortschritt liegt ebenso sehr in der ganzen
Organisation der Museen, als in der großen Bereicherung, welche die
Sammlungen in den letzten Jahren erfahren haben. Die Organisation
und die Erwerbungen der Museen stehen in enger Verbindung. Jeder
Fortschritt auf dem Gebiete des Musealwesens beruht auf der Erkenntniss
der Zielpunkte, welche den Museen gestellt werden; von diesen hängt
die Organisation derselben ab. Die Erwerbungen sind oft von dem Zu -
sammentreffen verschiedener äußerer Umstände abhängig. Die Zielpunkte
hingegen, welche den Museen gestellt werden, hängen aber einzig und
allein von der Einsicht und der Willenskraft Jener ab, welche die Museen
zu leiten berufen sind. Die gegenwärtige Organisation ist der Hauptsache
nach ein Werk des Geheimrathes Richard Schöne, eines in der ge -
lehrten Welt hochgeachteten Archäologen, der sich in jüngeren Jahren
außer mit archäologischen Studien auch mit Kunstübungen praktisch be-
thätigt hat. Nicht immer waren der Entwickelung der Museen Berlins die
äußeren Umstände so günstig, als die gegenwärtigen. Durch eine Reihe
von Jahren war in den maßgebenden Kreisen die Idee vorwaltend, es
müsse die Leitung der Museen einer mit diplomatischen Geschäften ver -
trauten Persönlichkeit übergeben werden. Man dachte in den Zeiten von
Olfers und Usedom auf diese Weise am besten die Verbindung mit dem
Auslande und dem Hofe gewahrt, — auch meinte man, dass die in der
Natur der Sache gelegenen Reibungen zwischen den verschiedenen Ab -
theilungsvorständen der Museen am besten vermieden werden, wenn ein
Diplomat an die Spitze der königlichen Museen gestellt wird. So wichtig und
förderlich es für die Museen war, dass dem König Friedrich Wilhelm III.
Diplomaten von dem Range der Humbold, Bunsen zur Seite standen, und
die Gründung des k. Kunstmuseums beeinflussten, so hat in späterer Zeit der
Einfluss der Diplomaten sich wenig bewährt. —• Denn so geschickt auch
das Diplomatisiren in und um die Museen mitunter gehandhabt wurde, sind
dabei die inneren Wirren nur verkleistert worden. Und hat dabei weder
23
die Alterthumswissenschaft, noch das Publicum von Künstlern, Kunst -
freunden, Gelehrten und das Volk etwas gewonnen, welches doch die
Förderung seiner idealen Interessen durch die Museen erwartete. Zur
rechten Zeit hat man an die Spitze der k. Museen als Generaldirector einen
Fachmann par excellence berufen und demselben die Organisation über -
tragen. Ueber die Geschichte der Museen gibt das Werk »Zur Geschichte
der k. Museen, Berlin 1880« vollständigen Aufschluss. Ueber'die Erwer -
bungen geben die Jahrbücher der Museen Aufschluss. Die größten Er -
werbungen wurden auf dem Gebiete der Numismatik, des Kupferstiches
und der Malerei gemacht. Durch diese Werke kann Jedermann genügend
orientirt werden. Die Situation der Museen ist jetzt eine klare, gegenüber
dem Volk, den Gelehrten und Künstlern. Wie die k. Museen jetzt nicht
mehr eine Zwitterstellung zwischen Hof- und Staatsanstalten einnehmen,
so hat auch die Zwitterstellung derselben zwischen den der Gelehrsamkeit
gewidmeten Anstalten, der Akademie der Wissenschaften und der Universität,
aufgehört. Sie haben eine selbständige Stellung gewonnen und sind ein
selbständiger Factor für die Kunstbildung des Volkes ge -
worden, dessen ideale Bedürfnisse zu befriedigen sie berufen sind. Dies
scheint mir als das bei weitem wichtigste Resultat der ganzen Organisation
der k. Museen zu sein. Die Alterthumskunde und die Kunstwissenschaft
haben die Führerrolle übernommen. In Anlehnung an englische Vorbilder
steht an der Spitze jeder selbständigen Abtheilung der k. Museen ein Fach -
gelehrter als Director mit selbständigem Wirkungskreise, auch mit Rücksicht
auf die Verwendung der Dotation. Das Statut vom 25. Mai 1878 regelt die
Stellung der Abtheilungsdirectoren in bestimmter Weise. Nichts ist bezeich -
nender für die hohe Stellung, welche den k. Museen übertragen wurde, als
dass der Kronprinz des Reiches das Protectorat derselben übernommen hat,
und dass in allen preußischen Provinzen, besonders in den neu erworbenen
von Hannover und Cassel, die Gesichtspunkte maßgebend geworden sind,
welche in Berlin bei den k. Museen platzgegriffen haben. Es ist begreiflich,
dass gegenwärtig, wo eine Reihe von selbständigen Directoren als P ach-
vorstände fungiren, jeder einzelne Director den Ehrgeiz hat, seine Dotation
so gut als möglich zu verwenden, und sein specielles Fach, für welches er
auch dem Publicum gegenüber moralisch verantwortlich geworden ist, so
glänzend als möglich zu vertreten. In allen Abtheilungen herrscht eine große
Rührigkeit und die zeitraubenden Bureauschreibereien von ehemals haben
aufgehört. Die Vorstände der einzelnen Museen stehen jetzt mit den Museen
und Fachmännern aller Culturnationen in Verbindung; reisen ununter -
brochen, um öffentliche und Privatmuseen und Auctionen besuchen zu
können, und um rechtzeitig zu erfahren, welche Kunstwerke eventuell zu
erwerben sind. Ich erinnere mich noch sehr deutlich der alten Zustände
der Museen in jener Zeit, wo diplomatische und dynastische Einflüsse maß -
gebend gewesen sind, und König Friedrich Wilhelm IV. seiner architek -
tonischen Liebhaberei folgte.
4
Für das Zustandekommen des Baues und des großen Museums für
Gypsabgüsse allerdings war diese königliche Liebhaberei von großem
Nutzen. Nie würden bei dem damals herrschenden Sparsinne so glänzende
Mittel für die großartigen Sammlungen der Gypsabgüsse zur Verfügung
gestanden haben, wenn nicht der König selbst sich für den Bau und
seine künstlerische Ausstattung durch F'resken interessirt hätte. Es ist
nicht zu verkennen, dass durch diesen königlichen Unternehmungsgeist
unter Friedrich Wilhelm IV. gewissermaßen die Grundlage für die
heutige Gestaltung der Museen gegeben wurde. Die neue Organisation
der königl. Museen setzt aber voraus, dass Originalwerke erworben
und zugleich die Mittel gegeben werden, Kunstwerke für die verschiedenen
Abtheilungen der Museen zu erwerben. Die jetzigen Fachdirectoren würden
bald auf’s Trockene gesetzt werden, wenn die Mittel verweigert würden, in
jedem einzelnen Fache hervorragende Kunstwerke zu erwerben. Die Ge -
schichte der königl. Museen weist aber nach, dass denselben seit ihrem
fünfzigjährigen Bestehen die Mittel zu Erwerbungen nicht gefehlt haben.
Schöne weist auf den Ausspruch König Friedrich Wilhelm’s III.
hin, der in den schwersten Zeiten, die Preußen je durchgemacht hat, im
Jahre 1807 aus Anlass der Gründung der Berliner Universität in Memel
sagte: »der Staat muss durch geistige Kräfte ersetzen, was er an phy -
sischen verloren hat.« Der einzelne Director hat bei seinen Erwerbungen
und Publicationen sich nach allen Seiten hin zu orientiren und etwaigen
Wünschen von Gelehrten und Künstlern entgegenzukommen. Jedem Director
ist eine »Sachverständigen-Commission« mit berathender Stimme beige -
geben worden, in welcher gleichmäßig Künstler und Kunstgelehrte ver -
treten sind, und in welcher der betreffende Director über alles referirt,
was sein specielles Budget betrifft.*) Wöchentlich einmal treten die Direc-
toren zu einer gemeinsamen Conferenz mit dem Generaldirector zu -
sammen, um die gemeinsamen Interessen der k. Museen zu berathen
und die Administration in geordnetem Gange zu erhalten. Die königl.
Museen haben gegenwärtig folgende acht Abtheilungen mit acht Fach-
directoren, u. zw.:
1. Für die Gemäldegalerie: Director Dr. Julius Meyer und Directorial-
Assistent Dr. Bode und Scheibler.
’) In der Reihe der Mitglieder der »Sachverständigen-Commission« finden wir die
Kunstgelehrten :Dobbert, Jordan, Grimm, Droysen, Mommsen, Sach au, Robert,
Lessing, E. Hübner, Trendelenburg, Dr. Schräder, Virchow, Olshausen,
Jäger; die Künstler: R. Begas, Sußmann-Hellborn, G. Richter, L. Knaus,
A. Wolf, O. Begas, G. Spangenberg u. a. m. Auch der Kupferstecher Jacobi
dürfte zu den Arbeiten dieser Commission herangezogen werden. Die Musealbibliothek
leitet: Dr. Fränkel. Als Restaurateur fungirt in der Gemäldegalerie Herr Wlfg. Böhm,
in dem Kupferstichcabinette die beiden Hauberreisser. An der Publication und dem
Kataloge der königl. Museen haben sich seit jeher die ganz hervorragenden Gelehrten be -
theiligt.
25
2. Für die Sammlungen antiker Sculpturen und Gypsabgüsse: Director
Prof. Dr. Gonze und Directorial-Assistent Dr. N. Furtwängler.
Für die Sammlung der Sculpturen und Gypsabgüsse des Mittelalters
und der Renaissance: Director Dr. W. Bode.
4. Für das Antiquarium: Director Prof. Dr. Curtius und Directorial-
Assistent Dr. Treu.
5. Für das Münzcabinet: Director Dr. J. Friedländer, Directorial-
Assistenten Dr. von Sa 11 et und Prof. Dr. Er man.
6. Für das Kupferstichcabinet: Director Friedrich Lippmann, Direc-
torial-Assistenten Dr. v. Seidlitz und Dr. Janitsch.
7. Für die Ethnographische Abtheilung: Director Prof. Dr. A. Bastian
und Directorial-Assistent Dr. M. A. Voss.
8. Für die Aegyptische Abtheilung: Director Prof. Dr. Lepsius und
Directorial-Assistent L. Stern.
Derjenige, welcher sich für Details der Organisation interessirt, wird
in erster Linie in den »Preußischen Jahrbüchern« die, wie die Organisation
der Gypsgießerei einer' Reorganisation entgegensehen, ausführliche Nach -
richten linden, desgleichen in verkürzterer Form in dem »Springer’schen
statistischen Handbuch für Kunst und Kunstgewerbe, Jahrg. 1881« (Berlin,
bei Weidmann).
Mit der gegenwärtigen Organisation hat die Reform der Museen
einen Abschluss genommen, da es sich in den letzten Jahren gezeigt hat,
dass der im Jahre 1878 organisirte Musealapparat vollständig und zufrieden -
stellend functionirt. Um aber die gegenwärtige Organisation, welche den
Schwerpunkt der Leitung der Museen in die Hände der Vertreter der
Alterthumskunde legt, zu beurtheilen, muss man sich erinnern, dass neben
der Generaldirection der Museen eine Centraldirection existirt, in welcher so
zu sagen alle Museen und Institute des deutschen Reiches, welche sich mit
der Kunst beschäftigen, wie in einem gemeinsamen Becken sich vereinigen.
Diese Centralstelle, welche nicht blos für Preußen eingesetzt ist, sondern
sich auf das ganze deutsche Reich ausdehnt, und in der sich daher auch
Vertreter von Sachsen, Baiern, Hamburg, Elsass-Lothringen befinden, hat
ihren Sitz in Berlin, und untersteht dem Auswä rtigen Amte. Dieser
Centralstelle unterstehen auch die archäologischen Institute in Rom und
Athen. Als Mitglieder fungiren jetzt die Herren Lepsius, Conze,
Mommsen, Curtius, Kirchhof, Schöne in Berlin, Krüger in
Hamburg, Brunn in München, Kekule in Bonn, Michaelis in
Straßburg, Overbeck in Leipzig. Das Secretariat in Rom vertreten die
Herren W. Henzen und W. Hel big, und das Secretariat in Athen
Dr. W. Köhler. Außer den genannten k. Museen für Berlin kommen noch
das »Hobenzollern-Museum« in Berlin, welches Eigenthum des k. Hauses
ist und das »Märkische Provincial-Museum« in Betracht, welches der Stadt -
gemeinde Berlin gehört und durch diese Organisation sich den Einfluss
des Auswärtigen Amtes und die Mitwirkung des jedesmaligen Reichs-
2Ö
kanzlers gesichert hat.*) Da Fürst Bismarck seine besondere Aufmerk -
samkeit der Weltstellung der Deutschen schenkt, so erwächst den k.
Museen ein bedeutsamer Vortheil. Das Hohenzollern-Museum wurde im
Jahre 1872, das Märkische Museum im Jahre 1874 gegründet.
Das Waffenmuseum, das frühere Zeughaus, ist in einer voll -
ständigen Reorganisation begriffen, da das k. preußische Heer jetzt ein
Theil des deutschen Heeres geworden ist, so schließt das Waffenmuseum
mit der ruhmreichsten Epoche des preußischen Heeres ab.
Eine ganz selbständige Stellung nimmt die k. Nationalgalerie
in Berlin ein; sie ist ausschließlich für plastische und malerische
deutsche Kunst unseres Jahrhunderts gewidmet. Diese Galerie hat also
eine analoge Stellung wie die Galerie Luxembourg gegenüber der Gemälde -
galerie im Louvre ; wie die neue Pinakothek in München gegenüber der
alten Pinakothek. Es sprechen viele Gründe dafür, Galerien für moderne
Gemälde auch räumlich von den Galerien alter Gemälde zu trennen. Die
Vermehrung dieser Galerie erfolgt aus Mitteln des im preußischen Budget
mit 3oo.ooo Mark jährlich ausgeworfenen Kunstfondes, sowie aus den
Zinsen von Stiftungen. In diesem Museum finden auch hervorragende
deutsch-österreichische Künstler Aufnahme. Der vortreffliche Katalog fühlt
eine Reihe von Bildern von deutschen Oesterreichern, wahrlich nicht zur
Unehre der deutschen Kunst, auf, welche in der Nationalgalerie aufge -
nommen wurden, u. zw. H. v. Angeli, Gauermann, Defregger,
Koch, H. Makart, C. Rahl, M. v. Schwind. Ohes sich rechtfertigen
wird, dass bei Erwerbungen Künstler nicht deutscher Nationen von
der Nationalgalerie ausgeschlossen sind, möchte ich bezweifeln.
Als Director fungirt Dr. Jordan und als Directionsassistent Dr.
R. D o h m e. Das gegenwärtige Gebäude ist ebenso unzweckmäßig als
unzureichend. M^enn der Bau der neuen Museen auf der Musealinsel in Fluß
kommen wird, dürfte die Nationalgalerie einem größeren und zweckmäßig
geplanten Gebäude Platz machen, denn ein Neubau für die Nationalgalerie
ist unausweichlich; da alle Abtheilungen der königl. Museen so viele und
umfassende alte Werke erworben haben, so haben sich die jetzigen Räum -
lichkeiten als vollständig unzureichend erwiesen. Sind ja doch die Abgüsse
nach den Ausgrabungen aus Olympia und die bedeutenden Ausgrabungen
aus Pergamon, so ganz provisorisch und so ganz ungenügend ausgestellt,
dass ein neues Museum, sei es für die pergamenischen Alterthümer, sei es
für die Doubletten der Ausgrabungen in Olympia, unausweichlich geworden
ist. Ist man darüber klar, wie man die pergamenischen Bildwerke auf -
stellen soll, dann wird man sich entschließen müssen, für diese Sculpturen
ein vollständig ausreichendes Gebäude zu bauen. Denn die pergamenischen
“) Ueber die Organisation des märkischen Museums gibt das 3. Heft des »Berichtes
über die Gemeindeverwaltung der Stadt Berlin«, S. 188, ausführliche Nachricht. Es umfasst
dieses Museum die Naturgeschichte der Mark und auch die Culturgeschichte derselben.
27
Marmorwerke bilden jetzt schon ein so bedeutendes Besitzthum Berlins,
dass jeder ernste Kunstfreund dieselbe gesehen haben muß. Wie man
nach München gehen muß der Aegineten halber, nach London wegen der
Elgin-Marbles und der Rafael’schen Cartons, so geht schon jetzt jeder
Künstler und Kunstfreund nach Berlin, der pergamenischen Alterthümer
halber. Der größte Kunstgenuss, der mir auf meinem jüngsten Ausfluge
nach Berlin zu Theil wurde, war die Besichtigung dieser pergamenischen
Reliefs und Statuen, und, wenn Kleines neben Großes zu stellen
eilaubt ist, die Betrachtung der Marmorfigur des Giovannino von Michel-
Angelo*). Welch’ jugendlicher, echt florentinischer Reiz liegt in der
Marmoifigui des Giovannino! welche dramatische, siegfreudige Gewalt in
den Reliefs von Pergamon! Man sieht in den Meisseischlägen der griechi -
schen Bildhauer, welche am Hofe der Attaler arbeiteten, eine Kunstschule,
welche von künstlerischen Idealen eines griechischen Rubens inspirirt
wurden. Alles ist groß und breit angelegt, voll Lebenswahrheit und un-
gemein klar und verständlich entworfen und daher auch demjenigen geistig
zugänglich, der eine geringere wissenschaftliche Vorbildung hat. Zudem
liegen sie ihrer Stylrichtung nach dem herrschenden realistischen Zeit -
geschmäcke viel näher, als die Bildwerke von Olympia, die doch zu ihrem
Verständnisse eine gewisse antiquarische Vorbildung verlangen. Es sind
daher die pergamenischen Bildwerke viel populärer, als es in jener Zeit
dei Fall war, in welcher zum ersten Male die aeginetischen Sculpturen
bekannt wurden, und wo noch Canova für den Werth der Elginmarbles
eintieten musste. Um sich aber die volle Bedeutung dieser Erwerbungen auf
plastischem Gebiete klar zu machen, muß man sich hüten, die Erwer -
bungen des Giovannino’s und der pergamenischen Werke als nur ein
glückliches Ohngefähr zu betrachten, welche Preußen gewissermaßen
unverdient in den Schoß gefallen sind. Ich betone dieses mit Rücksicht
auf Ansichten und Vorurtheile, welche in Oesterreich herrschen; die
antiquaiischen Schätze, welche jetzt im k. Kunstmuseum aufgespeichert
sind, sind die Frucht der ernsten geistigen Arbeit auf philologischem Gebiete,
welche tief in dem humanistischen Bildungsgang des ganzen deutschen
Volkes wurzelt.
Die Erkenntniss von der künstlerischen Bedeutung der Florentiner
Bildwerke ist erst jüngeren Datums und ein Ergebniss der jüngsten Kunst -
forschung, an dem die Engländer (insbesondere Perkins und die Prä-
rafaeliten) einen fast ebenso großen Antheil haben, wie die Deutschen.
Jene haben die deutschen Romantiker der ersten Jahrzehente schon ein -
dringend und mit überzeugender Kraft auf die Florentiner des XV. und
XVI. Jahrhunderts hingewiesen, aber sie haben wenig Anklang gefunden,
da damals die meisten Künstler sich nach akademischen und französischen
*) Ueber den Giovannino M. A n g e I o’s berichtet eingehend das "Jahrbuch der k.
preuß. Kunstsammlungen« Jahrg. 11, S. 72—78.
28
Vorbildern gerichtet haben. Im Berliner Kunstmuseum den Florentiner
Bildhauern die gebührende Stellung errungen zu haben, ist ein spccielles
Verdienst W. Bode’s, eines Kunstforschers, dessen Kennerblick die ver -
schiedensten Gebiete der Sculptur und Malerei umfasst.
Die Alterthumskunde ist ein Gebiet, in welchem die Berliner Gelehrten -
welt seit langer Zeit eine dominirende Stellung einnimmt. Es ist daher be -
greiflich, dass man in den Directoren und Directorial-Assistenten des Berliner
Museums die glänzendsten Namen der älteren und der jüngeren Generation
der Alterthumsforschung vertreten findet. Von großer Bedeutung ist die
Umgestaltung des römischen Institutes für archäologische Correspondenz.
Seit dem Jahre 1874 ist das deutsche Institut für archäologische Corre -
spondenz mit seinen Zweiganstalten in Rom und Athen eine Reichs -
anstalt geworden, mit dem Sitze in Berlin. Es breitet sich durch
diese Organisation das archäologische Forschergebiet nicht blos auf das
ganze deutsche Reich, sondern auch auf alle Städte aus, welche im classi-
schen und orientalischen Alterthum der Mittelpunkt der Cultur gewesen sind.
Ich wiederhole, dass die Erwerbungen aus Pergamon und Olympia, aus
Mykenä und Troas, nicht als eine vorübergehende Zeiterscheinung zu
betrachten sind.
Was in Oesterreich nachzuholen und zu erreichen ist, hängt in erster
Linie von der Erkenntniss der Bedeutung des Studiums der classischen
Philologie und Alterthumskunde ab und von der Einsicht in die Nothwendig-
keit eines innigen Zusammengehens mit der ganzen Alterthumsforschung
im deutschen Reiche. Als entscheidendes Ereigniss sind die Expeditionen
nach Samothrake und Lykien, von denen die eine Conze, die andere Benn -
dorf zu führen anvertraut wurde, anzusehen. Bekannt ist es, dass auch die
kaiserl. Akademie der Wissenschaften und das österreichische Unterrichts -
ministerium einige archäologische Publicationen subventionirt haben, bei
denen die Berliner Gelehrtenwelt mit der österreichischen Hand in Hand
gingen.
Aber in Oesterreich sind die Bestrebungen dieser Art im Vergleich
mit Berlin alle jungen Datums. Erst in der Zeit der Universitätsreform durch
Leo Thun ist der classischen Philologie die gebührende Stellung im Gym -
nasial- und Universitätswesen eingeräumt worden — in Berlin gehen sie
aber auf mehr als ein Jahrhundert zurück. Was Lessing, Winckelmann,
was die gelehrten Philologen seit F. A. Wolf bis auf Welcker, Böckh
für unsere Zeitgenossen gewirkt haben, ist bereits geistiges Eigenthum aller
deutschen Volksstämme geworden. Wir würden auf dem Felde der orien -
talischen Alterthumskunde eine noch hervorragendere Stellung einnehmen,
als es der Fall ist, wenn man sich vom Hause aus entschlossen hätte, in
der orientalischen Akademie der orientalischen Alterthums- und Sprach -
wissenschaft die gebührende Anerkennung zu zollen, statt vorerst auf Aus -
bildung von Consularbeamten Bedacht zu nehmen. Vielleicht geschieht dies
in einer Zeit, wo der Orient unsere politischen Interessen dominirt und
Zöglinge der orientalischen Akademie an der Spitze der auswärtigen Politik
stehen.
Ein ganz neues Feld der Forschung ist der Alterthumskunde in jenem
Gebiete erschlossen, welches sich mit den prähistorischen Denkmälern
beschäftigt. Auf diesem Gebiete, welches jetzt Sprach- und Alterthums -
forscher gleichmäßig beschäftigt, ist alles noch im Werdeprocess begriffen.
In Oesterreich ist diese Angelegenheit auf dem Musealgebiete in Hoch-
stettei s und daher in den besten Händen. Das ethnographische
Museum in Berlin, dem die prähistorischen Alterthümer zugewiesen sind,
und welches unter der Direction des Dr. Bastian steht, ist bereits im Baue
und zwai in unmittelbarer Nähe des deutschen Kunstgewerbemuseums. Be -
zeichnend ist es für die Richtung, welche eingeschlagen wird, dass die
S ch 1 ieman n sehen Ausgrabungen in Troas und Mykenä diesem Museum
zugewiesen werden sollen. Mir scheint es aber, dass das k. Antiquarium
eine geeignetere Stätte für diese Schliemann’schen Erwerbungen sein
würde, als das ethnographische Museum, das, wenn es seiner Mission
einigermaßen gerecht werden will, ohnedies großer Räume bedarf. Um nun
auf die pergamenischen Alterthümer zurückzukommen, die nach den Bild-
weiken der Akropolis von Athen in erster Linie zu berücksichtigen sind,
wenn es sich darum handelt, in die griechische Plastik eingeführt zu werden,
so müssten wir für Oesterreich nur den Wunsch aussprechen, dass es er -
möglicht würde, wenigstens Gypsabgüsse aller Hauptstücke der perga -
menischen und olympischen Erwerbungen in einem der größeren Wiener
Museen zu besitzen. Die Erwerbungen der lvkischen Expedition werden
gewiss den Anstoss geben, plastische Originalwerke der antiken Kunst, wenn
sich der Anlass bietet, für die Hofmuseen zu erwerben. Was wir an Nach -
bildungen besitzen, gehört dem Museum der Gypsabgüsse der Wiener
Akademie an; das Oesterr. Museum hat von Gypsabgtissen und Sculpturen
nur so viel, um den Künstlern, Kunsthandwerkern und Zöglingen der
Kunstgewerbeschule die Anschauung antiker Vorbilder zu erleichtern. Die
Universität und die Hofmuseen besitzen von Gypsabgüssen gar nichts. Doch
muss die Frage eines Museums für Gypsabgüsse bei einer anderen Gelegen -
heit erörtert werden.
Für die Verbreitung der Einsicht in die Bedeutung der Ausgrabungen
in Pergamon und Olympia ist von Seite der Berliner Museen außerordent -
lich viel geschehen. Wissenschaftliche Publicationen gehören zum Amts -
geschäfte der Abtheilungsdirectoren des Museums. Die Directoren sind nicht
die Hüter und Bewahrer der Sammlungen; dazu sind die Diener und
Restaurateure angestellt —- ihre Aufgabe liegt in der Erweiterung der
Sammlungen, zu deren Leitung sie berufen sind. Die pergamenischen
Alterthümer sind durch Photographien und Kataloge und gelehrte Publi -
cationen und durch Gypsabgüße bekannt. Unter den jüngsten Gypsabgüssen
nach den pergamenischen Hochreliefs ist für Kunstschulen ein Apollo be -
sonders hervorzuheben; er sollte in keiner höheren Kunstschule fehlen. Er
3o
scheint mir für den Kunstunterricht eben so wichtig als die stylverwandte
Figur des borghesischen Fechters oder die Laokoon-Gruppe und ist unver -
gleichlich besser und lehrreicher als der Apollo vom Belvedere.
Die Erwerbungen auf dem Gebiete der Sculpturen kommen in erster
Linie den Bildhauern Berlins zu statten, welche in unserem Jahrhunderte
in Chr. Rauch eine schulbildende Kraft gefunden haben. A. Schlüter
scheint mir zweifellos, mit Rauch verglichen, der größere Künstler gewesen
zu sein, Rauch als Bildhauer an Phantasie und Erfindungskraft überlegen,
als Architekt allen seinen preußischen Zeitgenossen und Nachfolgern
vorauszustellen. In seinem bewegten Leben hatte Schlüter nicht recht
Muße, eine Schule zu bilden. Anders war es bei Rauch. Ausgerüstet mit
unvergleichlicher körperlicher Kraft, durchaus klarer und geistig gesunder
Natur, nicht angekränkelt von dem Berliner Geistreichthun, erschien er
mir, so oft ich ihm begegnet bin, als der echteste Vertreter der modernen
deutschen Plastik. Ihm hat Dr. Egger ein schönes, liebevoll geschriebenes
biographisches Denkmal gewidmet. Er hat es mehr als ein anderer Bild -
hauer verdient, dass zu seinem Andenken ein Museum gegründet wurde.
Das Rauch-Museum steht in Berlin unter der Leitung des Directors
Bildhauer Siemering. Rauch war es gegönnt, mehr als vierzig Jahre als
Lehrer und schaffender Künstler zu wirken. Er fußte geistig auf der An -
tike, und seinem Einflüsse ist es vorzüglich zuzuschreiben, dass noch heute
die Bildhauer Berlins mit Vorliebe sich mit dem Studium der Antike be -
schäftigen. Die Plastik ist jene Kunst, für welche Berlin ein relativ größeres
Verständniss und eine specifische Vorliebe hat. Ein viel geringeres Ver -
ständnis hat man in Berlin für Architektur und Malerei. Die Modemaler
spielen daselbst oft eine dominirende Stellung, während die echten Künstler -
naturenwenig beachtet blieben. Hat aber hingegen ein Bildhauer etwas Tüch -
tiges geleistet, wie es gegenwärtig bei Siemering, Begas und Schaper der Fall
ist, so kann man sicher sein, dass er ein richtiges Verständniss finden wird.
Ganz anders ist es in Wien. Das Wiener Publicum ist so zu sagen malerisch-
musikalisch angelegt; seine ganze Einsichts- und Denkungsweise ist mehr
romantisch als classisch empfindend, und es gibt daher auch wenig Lieb -
haberei und Verständniss im vornehmen Publicum für Plastik. Während
wir alte und neue Gemälde auch in unseren bürgerlichen Salons zahlreich
finden, begegnen wir selbst in der vornehmsten Welt fast nicht Ein hervor -
ragendes Werk von Thorwaldsen, Rauch oder einem anderen bedeutenden
Bildhauer. Auch finden unsere Bildhauer nur sehr wenige antike Sculpturen
in den öffentlichen Museen, die vorbildlich anregend wirken können. Um so
nothwendiger ist es im Interesse unserer jetzt so mächtig aufstrebenden
Bildhauerkunst, in welcher der künstlerische Ehrgeiz lebendig geworden ist,
dass der Schatz von antiken Bildwerken in den Hofmuseen vermehrt würde.
Berlin ist unablässig bemüht, und scheut nicht die größten Geldopfer, das
geistige Anlagecapital für Bildhauer durch Erwerbungen hervorragender
Bildwerke zu vermehren. Das Capital hat sich gut verwerthet. Ganz
31
Deutschland ist jetzt Berlin tributär, der größte Rivale der Deutschen in
Mitteleuropa, in Angelegenheit der Kunstmuseen und Alterthumskunde —
Frankreich, ist beseitigt. Frankreich muss, das geht aus den Berichten des
Herrn Vachot in der France und der »Revue des deux Mondes« über die
Berliner Museen (Jahrgang 1882, Heft Januar und Februar) deutlich hervor,
große Anstrengungen machen und neue Wege suchen, um Berlin zu er -
reichen oder es zu überflügeln. Jetzt wendet Frankreich seinen Museen
größere Aufmerksamkeit zu. Am Trocadero wird ein Museum von Gyps-
abgtissen mit dem Titel: »Musee de la sculpture comparee« eröffnet, welches
vorzugsweise dem Mittelalter und der Renaissance gewidmet werden soll.
Auch die neu aufgebauten Tuilerien werden zur Aufstellung eines Museums
benützt werden. Wie das ganze französische Unterrichtssystem, insbesondere
in den humanistischen Fächern an veralteten Uebeln leidet, so erweist sich
auch die Organisation der Pariser Museen vielfach als ungenügend.
In allen deutschen Staaten hat man sich daran gewöhnt, dem preußischen
Unten ichtssysteme zu folgen. Auch in der Organisation der Landesmuseen
wird man sich nach Berliner Vorbildern richten müssen. Das meiste Ver -
ständnis für Museenwesen findet man in den deutschen Staaten in Dresden.
So \iel Verständniss für Plastik und Museen in Dresden zu finden ist, so
wenig Verständniss ist in München zu finden; dort ist alles, was Museum
und Plastik betrifft, seit dem Tode des größten deutschen Mäcenas unseres
Jahrhunderts, König Ludwig, im Rückgänge. Seit Schwanthaler
gab es keinen bedeutenden Bildhauer in München, der sich mit den
Bildhauern in Dresden Hähnel, Rietschel, Schilling und mit
den Berliner Bildhauern messen könnte. Was man in München deutsche
Renaissance nennt, ist moderner Zopf, der die Künstler, welche sich der
Plastik widmen wollen, verwirrt. Die Kunst, Gegebenes fortzubilden,
haben seit Ludwig I. weder die Könige noch die Staatsmänner Baierns
verstanden. Auch die baierischen Landtage haben sehr wenig Verständniss
für alle Fragen, welche sich auf Museen und Kunst beziehen, ln München
knüpft sich in jüngster Zeit die wissenschaftliche Reform der Museen an
die Namen H. Brunn, Re be r und S ch au ss. In Baiern ist jetzt der wesent -
lichste künstlerische Fortschritt auf dem Gebiete der Kunstgewerbe zu
verzeichnen, das an den großen Vortheilen des erweiterten deutschen
Marktes participirt und unterstützt wird durch die Kunstgewerbeschule
und den rührigen Kunsthandel. In Berlin hält man seit dem großen
Kurfürsten daran unerschütterlich fest, das Errungene selbst in schwerer
Zeit zu erhalten und das geistig und volkswirthschaftlich Errungene zum
Ausgangspunkte für neue geistige und politische Erwerbungen zu machen.
32
III.
Die volkswirtschaftliche Bewegung Berlins mit Rück -
sicht auf Kunstgewerbe.
Bei meinem Berliner Aufenthalt sind mir zahlreiche Erscheinungen
volkswirthschaftlicher Natur vor Augen getreten, deren Zusammenhang
mit der Entwicklung der Kunst und Kunstgewerbe ganz zweifellos ist.
Ein Gang durch die Hauptstraßen Berlins zeigt ein großstädtisches Leben im
Geschäftsleben; überall trifft man neue Bauten, dem Geschäftsleben ge -
widmet, luxuriös ausgestattet; das Auftreten von Firmen aus dem deutschen
Reiche, die sich jetzt in Berlin etablirt, zahlreiche Kunsthändler und
Ausstellungsräume für Kunst und Kunstindustrie — alles das sind Zeichen
der volkswirthschaftlichen Bewegung Berlins, das heute nicht mehr Hauptstadt
des Königreiches Preußen, sondern eines Großstaates ist. Der glänzende
Erfolg der jüngsten Berliner Gewerbeausstellung ist ein weiteres Symptom
des kunstgewerblichen Aufschwunges von Berlin. Nicht immer aber war
ich in der Lage, den Ursachen dieser Erscheinungen nachzugehen, oft sah
ich nur die Wirkungen vor mir, ohne mir überall die Gründe hiefür klar
machen zu können. Um diese Ursachen eingehender darlegen zu können,
fehlt mir die Einsicht in die volkswirthschaftlichen Fragen. Ich werde
mich daher nur wesentlich darauf einlassen, einige Thatsachen, welche
sich auf die volkswirthschaftliche Bewegung in Berlin beziehen, mitzutheilem
wobei ich auf jene Daten besonderes Gewicht legen muss, Welche von
Autoritäten auf volkswirthschaftlichen! Gebiete ausgehen. Die Schlüsse aus
diesen Thatsachen werden sich von selbst ergeben, und wird es nur nöthig
sein, hie und da eine Erläuterung beizufügen. Für alle diejenigen, welche
sich für volkswirthschaftliche Fragen interessiren, sind die statistischen
Publicationen von großem Werthe, welche jetzt in Berlin erscheinen. Mir
liegen drei Werke vor, die Zeugniss davon ablegen, welch’ großes Ge -
wicht man in Berlin gegenwärtig auf die Statistik legt*). Es sind dies:
das Jahrbuch der Stadt Berlin von Dr. Rieh. Bockh (Berlin 1881),
der Bericht über die Gemeindeverwaltung von Berlin (Berlin
1879 bei J. Sittenfeld, 3 Bände in kl. Folio mit Plänen und Illustrationen
) Das statistische Bureau der Commune liegt in den Händen eines Fachmannes.
Ueber seine Organisation gibt der Bericht der Communalverwaltung im lü. Bd , S. 201,
Aufschluss.
33
versehen, Bd. I, S. i55, Bd. II, S. 445, Bd. III, S. 33o mit Sachregister)
und drei Berichte über den Handel und die Industrie in Berlin,
erstattet von den Aeltesten der Kaufmannschaft in Berlin (Berlin
1881, S. 143 Folio). Die Berichte, welche die Aeltesten der Kaufmann -
schaft von Berlin erstatten, gewinnen von Jahr zu Jahr an Bedeutung,
da nicht blos der Berliner Verkehr und die industrielle Bewegung eine
fachgemässe Darstellung findet, sondern die Berichte auch genöthigt sind,
auf die ganze deutsche Bewegung Rücksicht zu nehmen. Seitdem Berlin
die Hauptstadt des deutschen Reiches ist, gewinnt auch der Berliner
Bericht an Ansehen. Auch wird der Welthandel einer eingehenden Würdi -
gung unterzogen. In den letzten Jahrgängen wird auch dem deutschen
Kunstgewerbe eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Bisher wurden
diese Berichte in Oesterreich wenig beachtet. Vielleicht tragen diese Zeilen
etwas dazu bei, die Aufmerksamkeit des Fachpublicums auf diese Berichte
zu ziehen. Bei der in Oesterreich herrschenden dualistischen Volkswirt -
schaft wäre es kaum möglich ähnliche Berichte zu publiciren. Zahlreiche
Daten über die volkswirtschaftliche Bewegung Preußens bringen die vor -
trefflichen »Uebersichten der Weltwirtschaft« von Prof. F. X. Neumann-
Spallart. Jahrgang 1880.
Der Aufschwung Berlins ist gegenwärtig ein ganz gewaltiger. Im
Jahre 1829 hatte Berlin eine Bevölkerung von 242.000 Seelen, die bis zum
Jahre 1876 auf 979.860 angewachsen ist, also in diesen 47 Jahren eine
Steigerung der Bevölkerungszahl um mehr als 3oo% erfahren hat. Gegen -
wärtig wird die Bevölkerung Berlins, ohne Rücksichtnahme auf
jene von Charlottenburg und Potsdam, schon auf i,2 5o.ooo Menschen
geschätzt, beträgt also nahezu das Doppelte der Bevölkerung von Wien.
Charlottenburg mit einer Bevölkerung von 25.000 Einwohnern ist mit
Berlin durch Eisenbahnen und Tramways verbunden und besitzt eine
Reihe von höheren Bildungsanstalten, Gymnasien und eine höhere Töchter -
schule; es wird von den Berlinern mit Recht als eine Art von Vorort
Berlins angesehen. Die Stadterweiterung Berlins rückt Charlottenburg
immer näher. Noch wichtiger ist gerade für die Entwicklung der Kunst
und Kunstgewerbe Berlins die Nähe von Potsdam, der Residenz der
Könige von Preußen seit jener Zeit, wo der große Kurfürst das Residenz -
schloss und Friedrich der Große zwei k. Schlösser bauen ließ. Die Be -
völkerung von Postdam zählt jetzt 45.000 Einwohner. Die Bedürfnisse der
wohlhabenden Bevölkerung von Charlottenburg und Potsdam kommen den
Berliner Gewerben zu Statten. Im Jahre 1829 beliefen sich die Com-
munalauslagen Berlins auf 2,317.656 Mark; bis heute sind dieselben auf
34,740.215 Mark gestiegen, d. i. um 13g8 V. Bedenkt man, welche materi -
elle Opfer Berlin zur Zeit der französischen Occupation unter Napoleon I.
und der darauf folgenden Befreiungskriege auferlegt wurden und ver -
gleicht man damit die gegenwärtigen volkswirtschaftlichen Zustände von
Berlin, so begreift man, welch’ gewaltige Ereignisse eingetreten sein müssen,
3
3 4
um einen So bedeutenden, man möchte sagen abnormen Aufschwung zu
erklären. Die Communalverwaltung Berlins kämpft schon jetzt mit großen
Schwierigkeiten, um bei dem raschen Wachsthum der Stadt der Situation
vollkommen gewachsen zu sein. Sie ist sich ihrer idealen Aufgabe voll -
kommen bewusst, die darin besteht »eine allen ihren Einwohnern
die freie Bethätigung ihrer Kräfte sichernde, in den öffent -
lichen Einrichtungen ihr leibliches und geistiges Wohl nach
Möglichkeit fördernde Culturstätte zu sein«. Wie zahlreich sind
die Bildungsanstalten aller Art. Berlin besitzt 21 Volksbibliotheken, 7 Real -
schulen, unter den 14 Gymnasien sind 10 städtische, und nur 4 königliche,
und 26 Theater, die von jedem intelligenten Staatsmann als Bildungs -
anstalten und nicht als Unterhaltungslocale angesehen werden müssen.
Die k. Theater, Universität, Akademie der bildenden Künste und Hof -
bibliothek bilden bezeichnender Weise den Mittelpunkt der Stadt in nächster
Nähe des kronprinzlichen Palais und dem Friedrichsmonumente.
Unter den Berichten mit volkswirthschaftlichen und statistischen Daten,
welche mir in die Hand gekommen sind, ist für mich keiner lehrreicher als
jener, der von den Aeltesten der Kaufmannschaft in Berlin ausgeht. Die
Bestrebungen der Berliner Kaufmannschaft sind dahin gerichtet, Berlin
zum Mittelpunkt des deutschen Handels zu machen. Diesem Ziele
glaubt die Kaufmannschaft dadurch näher zu rücken, wenn sie einer
deutschen Ausstellung für die nächsten Jahre in Berlin das
Wort redet. Von anderer nicht weniger einflussreichen Partei wird für eine
Weltausstellung in Berlin plaidirt, vorläufig ohne Erfolg. Wie aus dem
Berichte zu ersehen, ist das Ziel der Kaufmannschaft Berlins jedoch nur
auf eine deutsche Ausstellung gerichtet und auf die Concentration
aller Industriezweige, insbesondere jener, welche sich mit dem Ex -
port beschäftigen. Bei den Bestrebungen dem Export der deutschen
Waare einen Weltmarkt zu schaffen, ist eine besondere Aufmerksamkeit
auf die Hebung der märkischen Wasserwege durch Flussschiffahrt und
Canäle gerichtet. Der Bericht beschäftigt sich eingehend mit den Wasser -
straßen der Mark Brandenburg, welche in das Amtsgebiet der Berliner
Kaufmannschaft gehören. Wie groß der Schiffsverkehr auf diesen Wasser -
straßen ist, ergibt sich aus folgenden Daten: Es verkehren allein auf der
Havelstrecke von Liebenwalde bis Spandau jährlich 22.000 Schiffe und
11.000 Flöße. Die Brandenburger Schleuse hat einen jährlichen Verkehr
von circa i5.ooo Schiffen und 0000 Holzflößen. Der Gesammtverkehr auf
dem Landwehrcanal beziffert sich auf 13.257 beladene Schiffe mit 24,426.450
Centner Güter und 59 Flößen. Hiebei ist der locale Verkehr in Berlin
und Charlottenburg noch nicht inbegriffen. Es wird von Seite der preußi -
schen Regierung dem Ausbau der Wasserstraßen zwischen der Oder und
Spree, sowie zwischen der Elbe und Spree die größte Aufmerksamkeit zu -
gewendet. Es ist dies um so begreiflicher, da die Bedeutung dieser Wasser -
straßen eine Verbindung Berlins mit dem Schiffsverkehr auf den Flüssen
35
Norddeutschlands ermöglichen und Berlin mit den Seehäfen gewissermaßen
in eine directe Verbindung gebracht wird. Die Ausführung der gedachten
Flussverbindungen wird dadurch begünstigt, dass sich in Norddeutschland
ein Terrain vorfindet, welches durch Gebirge beinahe gar nicht unter -
brochen ist. In dem Berichte der Berliner Kaufmannschaft werden die
Maßregeln zur Erweiterung und Hebung des Weltverkehrs einer eingehenden
Würdigung unterzogen. In jüngster Zeit ist eine Erweiterung des Ressorts
der Gesandtschaften eingetreten, welche deutlich zeigt, mit welcher Auf -
merksamkeit Fürst Bismarck den volkswirthschaftlichen Bewegungen folgt,
um auch auf diesem Gebiete immer orientirt zu sein, und um zu gleicher
Zeit die volkswirthschaftlichen Interessen des deutschen Volkes im Aus -
lande nach allen Seiten hin zu wahren. Es sollen nämlich bei den größeren
Gesandtschaften, in ähnlicherWeise wie die Militär-Attachees auch tech -
nische Attachees fungiren, welche auch berechtigt sein sollen Experte
einzuberufen. Wie bedeutend schon gegenwärtig die Stellung des deutschen
Reiches imWeltverkehr ist, geht aus folgenden Daten hervor. Neumann-Spallart
bemerkt in seinen »Uebersichten der Weltwirtbschaft«: »lieber den unge -
heueren Aufschwung des Wirthschaftslebens in Deutschland lassen sich wegen
der mehrfachen Veränderungen, welche in die letzte Zeit fallen, keine
so vergleichbaren Zahlen anführen, wie für andere Volkswirthschaften. Die
Zunahme des Außenhandels von 1060 Mill. Mark im Jahre i85o auf 6714
Mill. Mark im Jahre 1879 ist eines der Symptome; als einen anderen
Maßstab für die Ansammlung werbenden Vermögens kann man unbe -
denklich die größtentheils in das letzte halbe Jahrhundert fallende Anlage
von Dampfunternehmungen aller Art ansehen. Engel berechnet das der -
malen in diesen Unternehmungen im deutschen Reiche engagirte Anlage-
Capital auf 11.104 Mill. Mark.«
Der Gesammt-Außenhandel des deutschen Reiches hat sich vom Jahre
1860, wo derselbe den Werth von 2173 Millionen Mark repräsentirte, im
Jahre 1880 auf 5976 Millionen Mark gehoben. Der Gesammt-Außenhandel
Oesterreich-Ungarns hat sich in derselben Periode von 952 Millionen Mark
auf 2951 Millionen Mark gehoben. Der Verkehr Berlins nach den Ver -
einigten Staaten hat sich nach den neuesten Daten (S. 117 des Berichtes
vom Jahre 1881) im letzten Jahre um 1,188.226. i3 Mark vermehrt. Aus
den einzelnen Daten zeigt es sich, dass an der Ausfuhr nach Amerika die
Kunstgewerbe Berlins einen großen Antheil haben. Der Verkehr nach
den Vereinigten Staaten betrug im Jahre 1881 3,io5.o59.52 Mark, im
Jahre 1882 4,304.285.65 Mark.
Der Stand der Handelsmarine ist folgender: Deutschland besitzt an
Dampfern und Segelschiffen 46i6Schiffe mit registrirten Tonnen 1,441.835.—
Oesterreich 489 Schiffe (Dampfer und Segelschiffe) mit registrirten Tonnen
235.483, dazu kommt noch Ungarn mit 172 Schiffen mit registrirten
Tonnen 75.022.
3*
36
Wir verzichten, weitere Daten ähnlicher Art anzuführen — sie sprechen
mit voller Deutlichkeit und lassen es begreiflich scheinen, dass die Berliner
Kaufmannschaft auf alles das größte Gewicht legt, was auf die Wasser -
strassen der Mark und auf alle Maßregeln Bezug hat, welche Bismarck und
Stephan zur Hebung des Weltverkehrs und zur Reform der
Consulate und der Gesandtschaften anordnen. Wird die Reform
des Gesandtschaftswesens in der angedeuteten Weise durchgeführt, so
werden die Berichte der Gesandten des deutschen Reiches eine ähnliche
Bedeutung gewinnen, wie zur Blüthezeit Venedigs die venezianischen
Gesandtschaftsberichte, die sich für das ganze Gebiet der volkswirtschaft -
lichen Verhältnisse bewährten, und jetzt für Geschichtsforscher eine so
grosse Bedeutung gewonnen haben. Das Bestreben der deutschen Reichs -
regierung die Exportfähigkeit Deutschlands zu steigern, ist wohl gerecht -
fertigt, da Deutschland eine große Seeküste und eine starke Handelsmarine
besitzt. Dazu kommt, dass sich gegenwärtig in der ganzen Welt Deutsche
aufhalten, welche die natürlichen Vermittler des Handels sind. Anders
liegen die Verhältnisse hier; Oesterreich hat nur wenige Häfen, welche
für den Export geeignet sind, und diese sind mit dem Hinterlande un -
genügend verbunden und machen erst jetzt grössere Anstrengungen zur
Hebung des Exportes. Die grössere Hälfte der Monarchie: Ungarn, Galizien,
Croatien, Bukowina sind Agriculturländer, während das deutsche Reich
bei seinem durch Hunderte von Jahren stark entwickelten Städteleben der
rechte Ort für ein intensives Gewerbeleben ist. Es giebt viele Oesterreicher,
welche der Meinung sind, dass vor Allem Russland, als der nächste Nach -
bar Oesterreichs, dann die europäische Türkei und Kleinasien diejenigen
Länder sein würden, auf welche der Export gerichtet werden müsste.
Aber das heutige Russland ist gegen Oesterreich hineingehetzt worden;
dazu kommt noch die notorische Feindseligkeit gegen einige Volksstämme
der Türkei und gegen die Griechen, welche doch im ägäischen Meere und
in Kleinasien die Träger der Cultur sind. Diese Umstände bereiten unseren
Bestrebungen, den Export nach diesen Ländern zu leiten, schwer zu be -
seitigende Hindernisse.
Aber so gerechtfertigt das Bestreben ist, die Exportfähigkeit Oester -
reichs und des deutschen Reiches zu steigern, so kann man nicht läugnen,
dass jetzt durch alle europäischen Länder ein Zug nervöser Ueberreizung
der producirenden Kräfte geht, welcher manchen Bestrebungen der Art
anhaftet. So lange wir in Oesterreich nicht Herr im Hause sind, so lange
können unsere Gewerbe nicht zur vollen Entfaltung kommen. Bei allen
Fragen des Exportes kommt das Grundgesetz der Monarchie von 1713
welches ein unzertrennbares und untheilbares Ganzes verlangt, zur Erwägung
— aber selten zur Anwendung.
Ganz bezeichnend ist die Stelle, welche der genannte Bericht den
Versuchen zur Wiederbelebung der Innungen gegenüber einnimmt,
deren Inslebentreten wie bekannt von einflussreichen Persönlichkeiten
37
Deutschlands aus socialpolitischen und ethischen Motiven lebhaft begünstigt
wird; dass die ethischen Motive, welche zur Belebung des Innungswesens
führen, in einem von der Kaufmannschaft ausgehenden Berichte nicht
weiter berücksichtigt werden, finden wir ganz begreiflich; aber dass diese
vorhanden sind, kann Niemand läugnen. Der intellectuelle Egoismus, der
durch die neuen Innungen großgezogen wird, ist kein Heilmittel für den
modernen Socialismus. Den neuen Innungen sollen als wesentliche Auf -
gaben zufallen:
1. Die Pflege des Gemeingeistes, sowie die Aufrechterhaltung und Stär -
kung der Standesehre der Innungsgenossen;
2. die Förderung eines gedeihlichen Verhältnisses zwischen Meistern und
Gesellen und für die Nachweisung von Gesellenarbeit;
3. die nähere Regelung des Lehrlingswesens und der Fürsorge für die
technische, gewerbliche und sittliche Bildung der Lehrlinge;
4. die Entscheidung von Streitigkeiten der in der Gewerbeordnung be -
zeichnten Art zwischen den Innungsgenossen und Lehrlingen.
Der Bericht führt ferner an, dass viele erfreuliche Erscheinungen
der letzten Zeit Kunde geben von dem fortschreitenden und erfolgreichen
Drang nach Bildung und Vervollkommnung in der Handwerkerjugend,
nach tüchtiger und veredelter Gestaltung der Arbeit in zahlreichen Fächern
unter Zöglingen von Innungsmitgliedern, wie von solchen Meistern und
Gewerbetreibenden, die außerhalb der Innungen stehen. Nichtsdestoweniger
stellen sich die Aeltesten der Berliner Kaufmannschaft gegenüber den
Bestrebungen zur Wiederbelebung der Innungen auf den Boden der Ge -
werbefreiheit. Sie sprechen sich dahin aus, »dass nur auf dem Boden
der Gewerbefreiheit die neu zu bildenden Innungen mit er -
weiterten Aufgaben für die Förderung des Handwerks stehen
können, und dass sie nicht mit Zwangsbefugnissen ausgestattet
werden dürfen«.
Es ist ferner ganz bezeichnend für die Frage der Belebung des Kunst -
fleißes der Bevölkerung, dass diese Körperschaft, die sich doch vorwiegend
mit kaufmännischen, volkswirtschaftlichen und rein gewerblichen Fragen
beschäftigt, doch bei keinem Anlasse die Gelegenheit vorübergehen lässt,
den Bewegungen des Kunstgewerbes ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Auch der Errichtung einer keramischen Fachschule redet sie das Wort,
bemerkend, dass am hauptstädtischen Markte die besten Luxusartikel durch
englische, französische und böhmische Fabriken vertreten sind, was haupt -
sächlich dem vielfach beklagten Mangel an schulmäßig ausgebildeten
Malern und Modelleuren zugeschrieben werden muss. Auch wird hervor -
gehoben, dass die Glasindustrie in Berlin nicht so glänzend vertreten ist,
als es wünschenswerth sei, und zur Hebung dieses wichtigen Industriezweiges
die Gründung einer Versuchsanstalt für Glasindustrie in Berlin
empfohlen, damit auch auf diesem Gebiete in dem commerciellen Central -
punkte Deutschlands eine Anstalt geschaffen würde, wie solche für manche
38
andere industrielle Zweige bereits erfolgreich wirken. Es sei dringend
nöthig, der lediglich auf Empirie und Tradition beruhenden deutschen
Glasindustrie frische, auf wissenschaftlicher Basis stehende Kräfte zuzu -
führen.*) Das einzige, der Förderung der Glasindustrie gewidmete Institut,
welches in Deutschland vorhanden ist, ist das von Dr. Max Müller in
Braunschweig auf eigenes Risico begründete und geführte Laboratorium für
Glasindustrie; von dort wurden schon viele werthvolle Arbeiten geliefert,
doch könne bei einem zunächst auf Erwerb angewiesenen Privatunternehmen
das allgemeine Interesse nur in zweiter Linie Berücksichtigung finden.
Es wird daher ein Institut empfohlen, welches auf solider wissenschaft -
licher Basis steht.
Die Metallurgie ist schon längere Zeit ein Gebiet, in welchem Berlin
dominirt. Jetzt können im deutschen Reiche mehrere Privatgießereien
große Bronzegüsse durchführen ohne Staatssubvention; wie es auch in
Frankreich keine Staatserzgießerei gibt. Der Bericht vom Jahre x 88 x be -
schäftigt sich S. 89 eingehend mit der Bronze-Kunstindustrie und
der Gold-und Silberwaaren-Fabrication. Er constatirt den großen
Aufschwung dieser Kunstindustrien, bemerkt aber, dass dem kaufmän -
nischen Betrieb der Mangel an Geschäftshäusern für Export hemmend in
dem Wege steht. Eingehend werde ich den Bericht in den »Mittheilungen
des Museums« behandeln. Bei diesen Abtheilungen nimmt der Bericht
Anlass sich gegen die kunstgewerblichen Lotterien auszu -
sprechen. Man darf hiebei nicht vergessen, dass in Berlin alle Wissen -
schaften, welche sich auf Metallurgie beziehen, Chemie, Technologie, Mathe -
matik etc., ganz vorzugsweise gepflegt werden. Die ganze Organisation der
neuen technischen Flochschule zielt dahin, dieses Institut zu einem Central -
punkt sämmtlicher technischen Wissenschaften zu machen. An dieser Floch -
schule hat auch Professor Reuleaux eine Stätte großer Wirksamkeit
gefunden.
Auch in allen die Modewelt, besonders die Bekleidung betreffenden
Artikeln, nimmt Berlin, wesentlich gefördert durch eine rührige und intelli -
gente Kaufmannschaft, selbst Paris gegenüber eine dominirende Stellung ein.
Die besten deutschen Modejournale, welche in alle Cultursprachen über -
setzt werden, erscheinen in Berlin. Oesterreich nimmt in diesen Fächern
eine secundäre Stellung ein, und wird, solange die Beschränkungen des
inneren Marktverkehres dauern, von Berlin abhängig bleiben. Ganz
besonders hebt der Bericht hervor, dass die deutschen Goldschmiede
in der richtigen Erkenntniss, dass der Maßstab der Werthschätzung
eines Goldschmuckes nicht sowohl in dem edlen Metall als vielmehr in
der classischen Ausführung gefunden werden müsse, darin fortgefahren
sind, sich mehr den stylvollen Arbeiten zuzuwenden. Kunst-
*) Das interessanteste und beste was in jüngster Zeit von der deutschen Glasindustrie
geschaffen wurde, geht aus der Rheinischen Glashütten-Actien-Gesellschaft in Ehrenfeld
bei Köln aus.
3g
voll gearbeitete Schmucksachen im Renaissancestyl erfreuen sich großer
Beliebtheit. Ebenso belöthete Sachen von mattem Golde in römischem
Genre, zu deren weiterer Ausschmückung in neuerer Zeit vielfach der
Lapis lazuli benutzt wird. Auch in der Technik der feinen Emailarbeiten,
die man sonst nur von Paris und Genf bezog, ist die deutsche Industrie
fortgeschritten und stellt diese Sachen, hauptsächlich kleine Platten mit
Gemälden in erhabener und flacher Email-Auftragung in ebenso vorzüg -
licher Ausführung, aber zu bedeutend billigeren Preisen wie das Nachbar -
land her. In Emailarbeiten ist Frankreich noch heutigen Tags das wich -
tigste Land für diesen Zweig der Kunstindustrie. Hie und da finden sich
auch in Deutschland gute Emailarbeiten, namentlich in translucidem Email
wie in Aachen, aber Frankreich ist mit der Emailtechnik bei Goldschmiede -
arbeiten allen andern Ländern weit überlegen. Die Schule in Limoges ist
bei weitem die beste; dazu kommt noch, dass in Paris Hunderte von
künstlerisch gebildeten Frauenhänden die verschiedenen Arten von Email
vorzüglich zu behandeln verstehen.
Bei den verschiedenen fachmännischen Voten, welche sich in dem
Berichte der Berliner Kaufmannschaft vorfinden, sind diejenigen besonders
bemerkenswert!), die sich mit der künstlerischen Einrichtung von
Wohnräumen beschäftigen. Es wird darin constatirt, dass selbst das
kleinste Geschäft sich nicht mehr dem Einflüsse des Ge -
schmackes entziehen könne. Der größte kunstgewerbliche Fortschritt,
nicht nur in Deutschland, sondern auch in Oesterreich, ist in der Möbel-
fabrication zu constatiren und wenn dieser Fortschritt sich weiter so ent -
wickelt, wird kein Jahrzehnt vergehen, dass man in ganz Deutschland gute
und schöne Möbel nach den verschiedenen Stylrichtungen wird erhalten
können. Die Berliner pflegen nicht einseitig die deutsche Renaissance,
sondern auch die französische Renaissance. Für die Möbelbranchen wirken
jetzt mehrere Kunstgewerbeschulen mit Erfolg, indem sie Zeichner bilden,
welche einen günstigen Einfluss nehmen, ln den meisten Orten, wie Wien,
Berlin, München, Mainz, Frankfurt, Köln, Stuttgart gibt es jetzt Tischler,
die in ihren Werkstätten gute Möbel erzeugen. Während früher einzig
und allein das Verlangen auf Einfachheit der Möbel gerichtet war, fordert
gegenwärtig der gesteigerte Luxus künstlerisch höher durchgebildete Foimen.
Der Bericht bezeichnet S. 119 die Fabrication künstlerischer
Blumen als ein Gebiet, in welchem Berlin berufen wäre eine hervor -
ragende Stellung einzunehmen. Wien hat auf diesem Felde erhebliche
Fortschritte gemacht.
Bemerkenswerth ist es, dass die Versuche, statt des im Atelier des
Bildhauers modellirten und daselbst gegossenen Stuckes, an Ort und Stelle,
in alter Weise, die Ornamente frei an die Decke zu arbeiten, in Berlin
von Erfolg und überraschender Wirkung sind. Ornamente ähnlicher Alt
werden vom Architekten H. Ferstel bei dem Innenbau der Wiener
Universität mit großer künstlerischer Wirkung durchgeführt.
40
In allen Fragen, die sich auf agrarische und chemische Producte be -
ziehen, wird die Rivalität Nordamerikas in den Vordergrund gestellt, während
in allen Fragen, die sich auf den künstlerischen Geschmack beziehen, Frank -
reich als der mächtigste Concurrent des deutschen Marktes bezeichnet wird.
Der Bericht sieht in dem Wachsthum Nordamerikas die größte volks -
wirtschaftliche Gefahr für Deutschland, während er andererseits die Nach -
ahmung des französischen Geschmacks bekämpft. Das ist der rothe
Faden, der durch den ganzen Bericht hindurchgeht: die Rivalität
mit Nordamerika auf der einen Seite und die Rivalität mit Frank -
reich auf der andern Seite. Ganz offen ausgesprochen wird ferner,
dass gerade in Sachen des künstlerischen Gewerbsfleißes die Deutschen
noch viel zu lernen und viel zu vergessen haben. Es wird hervorgehoben,
dass der künstlerische Gewerbsfleiß durch das begeisterte Zusammen -
wirken der schönen Künste mit den vollendeten Techniken seit der Berliner
Gewerbe-Ausstellung 1879 und der Düsseldorfer Ausstellung 1880 große
Fortschritte gemacht habe. Obwohl sich unter den schwierigen Ver -
hältnissen nur langsam der Kreis derjenigen erweitert, welche diese
Schöpfungen genialer Erfindung und Ausführung zu würdigen verstehen
und zu erwerben die Mittel haben, so strebt doch die mächtig angeregte
Schaffenskraft unermüdlich weiter, und die Zahl derer, welche sich an
gewöhnlichen Leistungen nicht genügen lassen, sondern zur Höhe der
Kunstvollendung streben, wird größer und größer. Denn endlich müssen
sich doch die Dinge zum Bessern wenden und der Geschmack des Publi-
cums ist sichtlich in einer Läuterung begriffen. Es fängt an die Vorzüge
dessen, was der heimische Gewerbsfleiß ihm bietet, zu schätzen und nicht
das Fremde vorzuziehen, weil es von Frankreich oder England kommt.
Der Bericht hebt hervor, dass Beispiele, wie ein solches, das vom Prinzen
Wilhelm gegeben wurde, nämlich die Ausrüstung einer fürstlichen Tafel
nur bei einheimischen Industriellen anfertigen zu lassen, ganz geeignet sind,
die Schaffenskraft zu heben. Der Bericht vom Jahre 1881 behandelt aus -
führlich die Bedeutung der Ausstellungen für die deutsche
Industrie. Er hebt besonders die Ausstellungen in Melbourne, die
Pariser Ausstellungen für Elektricität und die Ausstellungen in Breslau,
Halle, Stuttgart und Berlin hervor. Ueberall fand eine rege Betheiligung
der gewerblichen Kreise und des sich an den Leistungen erfreuenden
Publicums statt. An der Pariser Ausstellung haben sich 87 deutsche Aus -
steller betheiligt. Oesterreich isolirt sich immer mehr von diesen Aus -
stellungen, da Mittel fehlen, die Ausstellungen zu beschicken und über
dieselben fachmännisch zu berichten. Nicht einmal über die in Ungarn
und in Galizien stattfindenden Ausstellungen wird von officieller Seite ein
Bericht veröffentlicht. Dass bei dieser Sachlage die Gemeinsamkeit der
volkswirthschaftlichen Interessen beeinträchtigt wird, ist klar.
V ir glauben aber mit großem Nachdruck darauf hinweisen zu
sollen, dass die in dem Berichte angedeuteten Bestrebungen, welche in
4i
tendenziöser Weise darauf hinzielen, dass nachdem der Deutsche sich selbst
gefunden hat, er sich auch einen eigenen Styl schaffen möge, einer tief -
gehenden Kritik zu unterziehen wären. Denn einen eigenen Styl zu schaffen,
ist eine Frage der Zeit und es ist kaum anzunehmen, dass die Bewegung
einen solchen schaffen zu wollen, nachthaltig sein wird, und von großen
Wirkungen begleitet sein würde. Von großen Wirkungen können nur jene
Bestrebungen begleitet sein, welche dahin zielen, gute und künstlerisch
vollendete Werke zu schaffen und alle Anlässe zu benützen, welche zu
künstlerisch vollendeten Gegenständen führen. Ich muss mich gegen das in
Deutschland hervortretende forcirte Streben, einen Nationalstyl zu schaffen,
nicht blos mit Rücksicht auf die Berliner Verhältnisse aussprechen, sondern
mit besonderer Berücksichtigung auf Erscheinungen ähnlicher Art, die in
Oesterreich zu Tage treten. Denn die Pester Bestrebungen für Ungarn einen
eigenen Nationalstyl zu schaffen, sind noch viel weniger berechtigt als jene
im deutschen Reiche; denn sie hemmen den künstlerischen Fortschritt und
verengern den Markt. Der Bericht der Aeltesten beschäftigt sich auch mit
der Frage eines eigenen Styles für die Producte des deutschen Kunst -
gewerbefleißes. Der Ruf nach einem eigenen nationalen Style ist überall
an der Tagesordnung, in Rumänien, bei den Magyaren, den Croaten, den
Czechen und Polen. Dass dieser Ruf auch in Berlin erschallt, und das von
einer so nüchternen und verständig denkenden Körperschaft, wie die
»Aeltesten der Kaufmannschaft«, zeigt, wie mächtig jetzt die Nationalitäts -
frage geworden. Sie übertönt oft den überlegenden Verstand und die künst -
lerisch fachmännische Erwägung. Wenn in Rußland auf einen nationalen Styl
in Kunst und Kunstgewerbe hingearbeitet wird, so hat das einigen Sinn, weil
das Marktgebiet für russische Waare im Inlande ein ganz colossales ist.
Aber trotzdem reicht die künstlerische, technische und kaufmännische In -
telligenz auch für Russland nicht aus, um ohne Hilfe des Auslandes einen
nationalen Styl zu schaffen. Aber in Oesterreich - Ungarn, in so kleinen
Ländern wie es Ungarn, Serbien, Rumänien, Bulgarien, Böhmen sind, auf
einen nationalen Styl mit Hintansetzung aller künstlerischen Intelligenz hin -
zuarbeiten, ist ganz widersinnig. Hoffentlich wird die Modekrankheit,
die Kunstförderung nach dem Recepte der nationalen Streber durchzu -
führen, nicht lange dauern. Der nationale Kunstfleiß wird nicht durch
hochtönende Phrasen gefördert, sondern durch die solide Arbeit des
Handwerkers und Industriellen, durch Intelligenz, echte Kunstbildung und
Fleiß. Die gute Arbeit macht sich auf dem Weltmärkte von selbst geltend,
wenn sie von einem intelligenten Kaufmannsstande in den Markt ein -
geführt wird; steht ihr die kaufmännische Solidität und Rührigkeit nicht zur
Seite, fehlt ihr ein ausreichendes Marktgebiet, wie es in der österreichischen
Monarchie der Fall ist, dann wird auch die solide und gute Arbeit erstickt.
Wenn ihr die gesunde und gewerbliche Intelligenz fehlt, nutzt das Pochen
auf den nationalen Styl, in der Art, wie es Reuleaux thut, nichts; im Gegen-
theil; es wird dadurch der Erzeuger und der Kaufmann irregeführt. Im
42
deutschen Reiche machen sich verschiedene Kunstströmungen geltend, die
ganz berechtigt sind. In Berlin wird sich die gothische und die deutsche
Renaissance schwerlich einbürgern, da in Berlin die besten Kunsttraditionen
auf die Antike und die französische Renaissance hinweisen. Am Rhein, bei
den Schwaben, in Baiern, in Hildesheim sind die mittelalterlichen Traditionen,
die auch bei der deutschen Renaissance nie ganz verloren gegangen
sind, nicht wegzuwischen. Schon diese im Bauwesen beruhenden Differenzen
und andere bemerkte unvertilgbare Eigenthümlichkeiten der deutschen
Volksstämme lassen es nicht zu, von einem nationalen Style, wenige Monate
nach der Wiederherstellung des deutschen Reiches, zu sprechen, und es
ist Großsprecherei, wenn jetzt von einem nationalen Styl im Kunstgewerbe
gesprochen wird, und die Kunsthandwerker und Künstler aufgefordert werden,
auf einen nationalen Styl hinzuarbeiten. Der Werdeprocess eines Styles hängt
von ganz anderen Dingen ab, als von jenen, welche in Gewerbevereinen und
ähnlichen Körperschaften bei solchen Anlässen gewöhnlich behandelt werden,
in denen die kunstwissenschaftlichen Dilettanten das große Wort führen.
Wie mächtig hat ein Künstler wie Schinkel in das kunstgewerbliche Leben
Berlinseingegriffen und wie glücklich wäre das heutige Berlin, wenn sich jetzt
ein Architekt von dem Range und der umfassenden Bildung Schinkel’s
fände, um die kunstgewerbliche Bewegung Berlins zu leiten! Ich sprach diese
Worte aus, um gegen die nationale Tendenzmacherei, die in Oesterreich jetzt
mehr als je zu Hause ist, und auch Oesterreich die Einsicht in das, was
zur Hebung des Geschmackes und zur Einführung der Kunst in’s Ge -
werbeleben nöthig ist, ohne große Hoffnungen zu haben, dass diese weitere
Beachtung finden werden. Werden doch die nationalen Aspirationen in
ganz Europa selbst von jenen gehätschelt, die am meisten Grund hätten, sich
über diese geistig und politisch zu stellen.
Noch heute zeigt die architektonische Physiognomie Berlins den Ein -
fluss Schinkel’s und seiner Schule. Das was dieser Architekt für Berlin
geschaffen hat, ist geistiges Eigenthum Deutschlands. Es ruht gewiss auf
viel solideren Grundlagen, als Manches was sich heute in Kunst und
Kunstgewerbe nationaldeutsch nennt. Wo alte Kunstwerke und Kunst -
traditionen vorhanden sind, werden diese immer die Stylrichtung der kunst -
gewerblichen Production beeinflussen. Berlin ist eine moderne Stadt; sie hat
keine romanischen oder gothischen Denkmäler aufzuweisen, wie Nürnberg,
Hildesheim, Köln und Schwaben; Berlin muss sich auf sich stützen
und die geistigen Grundlagen seines Kunstgewerbefleißes in seiner besten
Einsicht suchen. Mit Recht betont der Bericht der Kaufmannschaft, dass
Berlin sich vor Ausschreitungen in der Richtung der Renaissance durch
den Durchgang durch die strenge Zucht der Schinkel’schen Schule be -
wahrt hat. Wenn in München einige Schriftsteller die deutsche Renaissance
als die nationale Grundlage für die Münchner Kunstgewerbeschule procla-
miren, so mag das für Nürnberg und München bis zu einem gewissen Maße
zulässig sein; für Berlin passt dieser Styl gewiss nicht. Was aber zu
4 3
allen Zeiten Zeichen des deutschen Styles ist, das ist eine fleißig, liebevoll
ausgeführte Arbeit, die sich der gesunden Vorbedingung einer guten Hand -
werksarbeit anschließt. Derjenige, welcher diese Sache fördert, fördert am
besten die nationale Arbeit; der aber diese gesunden Vorbedingungen ver -
kennt, der hemmt den kunstgewerblichen Fortschritt Berlins. Da bei der
Concurrenz für das Parlamentshaus der Renaissancestyl und der künstlerische
Genius als Sieger hervorgegangen sind , so dürfte es auch den Trägern
des künstlerischen Gewerbefleißes Berlins klar werden, auf welchem Wege
Kunst und Kunstgewerbe gefördert werden — speriamo!
Der Wechselverkehr zwischen Deutschland und Oester -
reich-Ungarn beschäftigt den Bericht der Aeltesten der Kaufmannschaft.
Selbstverständlich folgt der Bericht dem Standpunkte der preußischen Politik.
»Man kann sich engere und wichtigere Wechselverbindungen nicht denken, so
lautet der Bericht, als wie sie in den Ziffern hervortreten, auch wenn die Durch -
fuhr durch Deutschland nach und aus Oesterreich in großen Summen von den
Ein- und Ausfuhrziffern in Abzug gebracht wird. Leider haben die innigen
Vertragsbeziehungen, die seit 1853 in dieser Richtung bestanden und mit 1878
zur Auflösung kamen, noch nicht wieder angeknüpft werden können. Zuerst
war es der neue Zolltarif Oesterreichs vom 27. Juni 1878, welcher die
Fortsetzung des am 9. März 1868 geschlossenen Handels- und Zollvertrags
unmöglich machte. Es wurde am 16. December 1878 ein neuer Handels -
vertrag geschlossen, der aber nicht entfernt jene innigen wechselseitigen
Handels- und industriellen Beziehungen wieder herstellte, die mit dem
gekündigten Vertrag von 1868 verloren gingen. Die österreichische Stati -
stik selbst bezeugt es, wie sehr sich Oesterreichs Handel und Gewerbe durch
die Handelsverträge entwickelt haben und wie namentlich der gegenseitige
Verkehr zwischen Oesterreich und Deutschland gewachsen ist. Im Jahre
1865 hatte Oesterreich-Ungarn eine Gesammt-Einfuhr von 256,800.000
Gulden ö. W. und eine Gesammt-Ausfuhr von 344,500.000 Gulden; von
dieser Einfuhr kamen 63 ■ 7 % aus Deutschland und von der Ausfuhr
gingen 63'1 % nach Deutschland. Zehn Jahre später war die Gesammt-
Einfuhr Oesterreichs auf 552,5oo.ooo Gulden, die Ausfuhr auf 5o4,5oo.ooo
gestiegen; von der Einfuhr kamen 70^7 % aus Deutschland und von der
Ausfuhr gingen 60^ nach Deutschland. — Leider erfolgte eine ganz erheb -
liche Lockerung dieses engen Verhältnisses durch die schutzzöllnerischen Be -
strebungen in Oesterreich und den neuen autonomen Tarif vom 27. Juni
1878, welcher sich diesen Bestrebungen anpasste; dieser Schritt Oesterreichs
war die Veranlassung, dass auch Deutschland zu einer Tarifrevision schritt,
welche den Tarif vom i5. Juli 1879 zur Folge hatte. »Der soeben aus -
gegebene Jahresbericht pro 1881 behandelt den neuen österreichischen
Zolltarif eingehend (S. i3). Man darf es leider als eine Thatsache be -
trachten, dass das lange Jahre zum Vortheile beider Handelsgebiete bestandene
intime Vertragsverhältniss zwischen Oesterreich und Deutschland sein Ende
erreicht hat. Die wenigen Fäden, durch welche die Verbindung seit 1878
44
noch erhalten wurde, sind inzwischen auch zerrissen worden«. Nun ergeht
sich der Bericht in Betrachtungen über den Zolltarif, um zu folgendem
Schlüsse zu kommen: »Als natürliche Consequenz des neuen Zolltarifes
sieht der Bericht eine Entfremdung der Nationen an. Oesterreich-Ungarn
wird in diesem Tarife eine precäre Aushilfe seiner Finanzen, aber eine
durchgreifende Vertheuerung des ganzen Lebensunterhaltes des Volkes und
in Folge des Mangels an Concurrenz mit der ausländischen Industrie ein
Nachlassen des Fortschritt-Triebes in seinem eigenen Gewerbefleiß wahr -
nehmen.«
Wie mächtig die Interessen sind, welche Deutschland und Oester -
reich aneinander knüpfen, zeigt die Conferenz hervorragender Kaufleute
aus Deutschland und Oesterreich-Ungarn, welche, wie die »A. A. Z.« be -
richtet, vor Kurzem in Berlin stattgefunden hat, um die Vorbedingungen
einer Zollverbindung beider Reiche anzubahnen. Die österreichische Industrie
ist auf die deutschen Handelsstädte: Hamburg, Bremen, Stettin angewiesen;
die Donau, die ebenso ein deutscher als ein österreichischer Strom ist, zieht
durch beide Reiche. Ist Deutschland das Vorland und Nebenland von
Oesterreich, so ist Oesterreich-Ungarn das natürliche Hinterland für das
deutsche Reich. Beide Reiche sind volkwirthschaftlich aufeinander gewiesen.
Deutschland hat zahlreiche Häfen, welche den Wasserweg nach Amerika
bilden. Oesterreich hat leider nur zwei Häfen von Bedeutung, Triest und
Fiume. Spalato und Ragusa würden sich bald zu einem wichtigen Handels -
platzentwickeln, wenn es mit dem Hinterland von Dalmatien, mit Bosnien und
der Herzegowina, verbunden wäre und hinlängliche Eisenbahnstraßen'nach
diesen ehemaligen türkischen Ländern und dem Aegäischen Meere hergestellt
würden. Die Politiker Ungarns, beeinflusst durch die Oesterreich feindlichen
Tendenzen des politischen und religiösen ungarischen Calvinerthums, das
auf eine vollständige wirthschaftliche Trennung Ungarns von Oesterreich
hinarbeitet und auch die Herstellung eines ungarischen Heeres in sein
Programm aufgenommen zu haben scheint, bilden das größte Hinderniss
der maritimen Entwicklung Dalmatiens, so der innigen wirthschaftlichen
Verbindung des deutschen Reiches mit Oesterreich-Ungarn.
4 5
IV.
Die Stadterweiterung Berlins mit Hinblick auf die Stadt -
erweiterung von Wien.
Die Stadterweiterung Berlins ist für Berlin ebenso segens- und erfolg -
reich, als es seinerzeit für uns die Stadterweiterung Wien’s war. Sie voll -
zieht sich aber, ich möchte sagen nach ganz anderen Gesetzen als in Wien,
die theils in der verschiedenen topographischen Lage der beiden Städte be -
gründet sind, theils auch in der verschiedenen historischen und politischen
Entwickelung derselben. Das heutige Berlin ist keine schöne Stadt; unter den
Großstädten des heutigen Europa vielleicht diejenige, welche am wenigsten
mit künstlerischen und malerischen Reizen ausgestattet ist. Da Berlin eine
relativ junge, ganz moderne Stadt ist, so fehlen ihr auch alle die archi -
tektonischen Schönheiten, welche jenen Städten innewohnen, welche eine
große historische Bauentwickelung hinter sich haben. Es gibt wohl einige
Punkte der Stadt Berlin, die architektonisch imponiren, wie die Straße »Unter
den Linden«, welche mit dem prachtvollen Rauch’schen Denkmal Fried -
rich des Großen ihren auch architektonisch schönen Abschluss findet; der
imposante Schl ii t er’sche Schlossbau, dem gegenüber sich die Schi n ke l’sche
Facade der k. Museen erhebt, macht auf alle, die diesen Platz betreten,
einen künstlerischen Eindruck. Dieser Eindruck wird noch viel mächtiger
sein, wenn der projectirte Dom, der Campo Santo, geschmückt mit den
Fresken nach den großartigen Cartons von Cornelius und die Neubauten
der Museen durchgeführt sein werden. Die ganze Musealinsel wird dann
ein durch Kunst und Alterthum geheiligter Raum werden. Aber im Innern
der Stadt ist Berlin eine lebhafte, aber nüchterne Geschäftsstadt. Der
Schinkel’sche Theaterbau ist eine architektonische Oase. Da Berlin eine pro -
testantische Stadt ist, so fehlt ihr auch der Schmuck der Kirchen. Der
einzige historisch bedeutende Kirchenbau, der in Berlin existirt, ist die
Klosterkirche. Die einzige moderne Kirche, welche für Kunstfreunde besonders
interessant ist, ist die W’ erd er’sche Kirche; sie ist doppelt interessant, weil
beim Bau dieser Kirche der größte Hellenist unter den modernen Architekten
den Versuch gemacht hat, den gothischen Styl für eine evangelische Kirche in
Anwendung zu bringen. Die Berliner Kirchen sind nüchtern über alle
Maßen, einige von ihnen machen durch ihre Architektur einen grotesken
Eindruck. Berlin ist eine offene Stadt; die Befestigungen, die Berlin ehe -
mals besessen hat, sind, zum Glück für Berlin, schon längst verschwunden.
Naturgemäß breitet sich Berlin in der Brandenburger Ebene aus und lehnt
46
sich an die Spree mit ihren Canälen und Wasserstraßen, welch letztere
die Spree mit der Havel verbinden. Ungehindert von Terrainschwierigkeiten
breiten sich die Straßenanlagen behaglich nach allen Richtungen aus und
folgen den Eisenbahnen und Wasserverbindungen. Während in unmittel -
barer Nähe Wiens die reizvollsten Waldgebirge, die unmittelbar mit den
steierischen Alpen verbunden sind, liegen, und Wien zu der malerischsten
Großstadt Mitteleuropas machen, ist Berlin auf- die Naturschönheiten der
Umgebungen der Havel und auf Potsdam angewiesen — die einzigen Punkte
in der Nähe der Stadt, welche ein malerisches Interesse wachrufen.
So ungünstig die äußeren geographischen Verhältnisse für die Ent -
faltung architektonischer Schönheit in Berlin sind, so günstig sind sie für
die Entwickelung eines intensiven volkswirthschaftlichen Lebens, für den
Verkehr und für den Handel. Und dieser Verkehr belebt das heutige Berlin
und entschädigt für den Mangel der architektonischen Schönheit. In der
nüchternen landschaftlichen Umgebung hat sich auch der Charakter der
aus der Kreuzung der germanischen mit der wendischen Race hervorge -
gangenen Brandenburger entwickelt; mäßig, tüchtig, seit jeher auf sich
selbst angewiesen, bilden die Brandenburger den Kern des preußischen
Staates, wie auch die Brandenburger Regimenter seit den ältesten Zeiten
bis in die Gegenwart den Kern der preußischen Armee bilden. Bis in das
i3. Jahrhundert hinein war Berlin und dessen Umgebung von wendischen
Völkerschaften bewohnt; noch jetzt verfolgt man mit großer Sicherheit
die Spuren der einstigen wendischen Ansiedler an den Ufern der Havel.
Der älteste Theil von Berlin ist jener Stadttheil, welcher Alt-Köln genannt
wird. An der Spree gelegen, war es einst ein Hafenplatz für die auf dem
Fluss verkehrenden Schiffer, welche den nördlich wohnenden Völker -
stämmen Producte des Südens zuführten. Der Name Köln kommt erst
im Jahre 1238, der Name Berlin im Jahre 1244 urkundlich vor, also zu
einer Zeit, wo Wien in der Geschichte des deutschen Reiches bereits eine
ganz hervorragende Stellung eingenommen hat und der Bau der Michaeler-
kirche vollendet und der Bau der Stephanskirche schon weit fortgeschritten
war, die hervorragenden deutschen Dichter ihre Minnelieder am Hofe der
kunstliebenden Fürsten gesungen haben. Die Namen der Kirchen,
die in dem ältesten Stadttheile von Berlin liegen, die Petri- und Nikolaus -
kirche, weisen darauf hin, dass Schiffer und Kaufleute die ersten Bewohner
von Berlin waren, die von hier aus den Verkehr nach dem Norden und
dem Osten vermittelt haben. Diesem bürgerlichen Charakter der Bewohner
entsprechend, hat Berlin keineswegs ein aristokratisches Aussehen, es ist
auch heute noch eine den bürgerlichen Interessen gewidmete Stadt'). Es
’) Es würde zu weit führen, den Kirchen- und Brückenbau Berlins zu be -
sprechen. Aber bemerkenswerth ist es, dass von Seite der Commune viel geschieht, um
bei dem Bau von Kirchen den Bedürfnissen des guten Geschmackes zu entsprechen und
die Kirchen schön zu situiren. Wir heben aus dem Bericht der Communalverwaltung nur
das hervor, was sich auf die Petri- und Nicolauskirche, als die ältesten Kirchen Berlins, bezieht.
fehlen daher Berlin aristokratische Paläste, wie sie Wien, Prag, Krakau be -
sitzt, in denen sich der Hochadel zunächst der Residenzen der Monarchen wohn -
lich niedergelassen hat. Der deutsche Adel liebt es nicht, seine Stammsitze
zu verlassen. In neuester Zeit, und vorzugsweise in Folge des entwickelten
politischen Gesandtschaftlebens, nehmen einige Straßen einen aristo -
kratischen Charakter an, so die Wilhelmstraße und der Pariserplatz. Die
Hohenzollern haben ihre Residenz in Alt-Köln aufgeschlagen; aber erst in
späterer Zeit hat durch den Bau des k. Schlosses dieser Theil der Stadt den
vornehmen Charakter einer Residenz erhalten. Neben dem specifisch mon -
archischen Charakter dieses Stadttheiles von Berlin treten die militärischen
Erinnerungen am meisten in den Vordergrund, was wohl begreiflich ist,
wenn man erwägt, dass an der Entwickelung der preußischen Monarchie zu -
meist die preußische Armee und ihre hohenzollerschen Heerführer den
größten Antheil haben. In keiner Großstadt nehmen daher die Militär -
bauten und die Denkmäler für die hervorragendsten Generale des Heeres
eine so hervorragende Stelle ein, wie in Berlin. Sie sind Jedem bekannt,
der, wenn auch nur flüchtig, Berlin besucht hat. Der Bericht der Ge -
meindeverwaltung von Berlin hebt mit Recht hervor, dass Berlin mit seiner
Stadterweiterung nicht in gleich günstiger Lage war wie Wien, welch’
letzteres ein dem Centrum der Stadt nahegelegenes ehemaliges Festungs -
terrain für Bauten, Garten- und Parkanlagen zur Verfügung hatte. Es ist
vielleicht die ruhmreichste That Kaiser Franz Joseph’s dieses ehemalige
Festungsterrain aufgegeben, die Stadterweiterung Wiens auf demselben
durchgeführt und durch den großherzigen Akt vom io. December 1857 den
Anstoß zu der großen baulichen Entwickelung Wiens gegeben zu haben.
Durch die Stadterweiterung wurde Wien zu der architektonisch interessan -
testen Stadt in ganz Mitteleuropa umgestaltet, da die Re gelun g und die
Verschönerung der Residenzstadt des Reiches durch den Act vom
Jahre 1857 angestrebt und erreicht wurde. Dasjenige, was Wien heutigen
Tags an architektonischen und plastischen Kunstwerken besitzt, verdankt
man in erster Linie dem Kaiser, der mehr als je ein Habsburger
für Architektur und Kunst Sinn und Verständniss hat. In zweiter Linie der
weitgehenden Autonomie, welcher sich die österreichischen Städte verfassungs -
mäßig erfreuen. Sie sind in mehr als einer Richtung von der Staatsver -
waltung unabhängiger als die preußischen Städte, welche mitunter durch
alte Stadtverordnungen und die nichts weniger als glücklich organisirten
Baubehörden Preußens abhängig sind. Wie in Berlin so erwartet man
auch hier den Staatsmann, der die Reorganisation des Staatsanwesens in
Die ältesten Kirchen sind die Nicolai-, Petri- und Klosterkirche. Die Nicolauskirche ist die
Pfarrkirche des alten Berlin. Die Restauration der Nicolaikirche wurde vom Stadtbaurath
Blankenstein mit einem Kostenaufwand von 200.000 Mark durchgeführt. Die Petrikirche
ist von Prof. Stark neu erbaut worden. Dass aber auch bei neuen Kirchen keine Kosten
gescheut werden, zeigt der Bau der Thomaskirche von Prof. Adler, der mit 641,200 Mark
durchgeführt wurde. Alle neu erbauten Kirchen sind Backsteinbauten.
4 8
die Hand nehmen wird. Lasser hat es nicht an Einsicht sondern an
Thatkraft gefehlt.
Die Communalverwaltung von Berlin, in deren Händen die Stadt -
erweiterung liegt, ist rationell vorgegangen, als sie die Erweiterung der
Stadt an jenen Theilen anstrebte, die in der Nähe des Thiergartens gelegen
sind, und die sich an die Wasserstraßen anlehnen. Der Berliner Thier -
garten, der eine Fläche von 25o Hektaren (490 Joch) einnimmt, unmittel -
bar nächst der inneren Stadt gelegen, ist erst in der jüngsten Zeit bei
der Säcularfeier Friedrich des Großen zu einem öffentlichen Park umge -
wandelt worden. Der volksfreundlichen Gesinnung Maria Theresia s und
Josef II. hat es Wien zu danken, dass der Prater und der Augarten
schon im verflossenen Jahrhundert dem Publicum zugänglich gemacht
wurden. Der Berliner Thiergarten gewinnt jetzt eine erhöhte Bedeutung,
da er sich bis nach Charlottenburg ausdehnt und jetzt auch zui Auf -
stellung von Monumenten und als Platz für bauliche Anlagen benützt
wird. Erst in neuester Zeit betheiligt sich die Berliner Communalver -
waltung an öffentlichen Denkmalen. Sie hat die Verschönerung der
Stadt durch öffentliche Denkmale bis in die jüngste Zeit dem Staate
überlassen. Das Standbild König Friedrich Wilhelm III., welches im
Jahre 184g im Thiergarten errichtet wurde, war das erste Denkmal,
welches seinen Ursprung der Berliner Bürgerschaft zu danken hat. Seit
dieser Zeit aber hat sich die Theilnahme der Communalverwaltung Bei lins
an öffentlichen Denkmalen mächtig gehoben. Die Statuen I haers, Beuth s
und Schinkel’s (errichtet in den Jahren 1860, 1861 und 1869) waren die
ersten Denkmale, welche für bürgerliche Verdienste errichtet wurden. Das
Begas’sche Schiller-Denkmal wurde i85g durch die Berliner Bürgerschaft
errichtet, dem Schiller-Denkmal folgte 1860 das Stein-Denkmal. Im Thier -
garten wurden unter Mitwirkung der Stadtgemeinde Denkmale für die
Königin Louise und für Goethe errichtet.
Für die bauliche Entwickelung Berlins, insbesonders für die Ver -
schönerung der Stadt, ist es von größtem Belange, dass der Thier -
garten auch für die Aufnahme von Bauten benützt wird, und der Königs -
platz regulirt und zur Aufnahme monumentaler Bauten bestimmt ist.
Bereits befindet sich die technische Hochschule und die k. Porzellanmanu-
factur im Thiergarten. Nach dem Brande des hygienischen Ausstellungs -
gebäudes ist der Neubau eines stabilen Ausstellungsgebäudes unerlässlich
geworden, das auch zu Kunstausstellungen benützt werden wird. Auf dem
Königsplatze soll auch das neue Parlamentshaus aufgeführt werden. Von
dem Gelingen dieser Bauten wird es abhängen, ob die Architektonik in
diesem neuen Stadttheile Berlins sich zu einer künstlerischen Bedeutung
erheben wird. Wenn wir das schwerfällige Concurrenzprogramm für das
Parlamentshaus, und die ganz ungenügende Zusammensetzung der Jury
für die Beurtheilung der Concurrenzprojecte in Erwägung ziehen, so können
49
wir uns nicht der Befürchtung entschlagen, dass auch dieser Bau dem
preußischen Bureaukratismus in Bauangelegenheiten zum Opfer fallen wird.
Es wäre dies um so bedauerlicher, da ja Neubauten für die Akademie
der Künste und für die Universität ganz unausweichlich geworden sind.
Die Communalverwaltung von Berlin geht richtig vor, wenn sie ihre
Aufmerksamkeit einer Kunst widmet, die anderswo, namentlich in Wien,
wenig beachtet wird, nämlich der Gartenkunst, und sich auch angelegen
sein lässt, in jenen Theilen von Berlin, welche weniger günstig situirt sind,
neue Baumpflanzungen anzulegen. So sind in jüngster Zeit entstanden der
Friedrichshain, der Humboldtshain, der kleine Thiergarten
in Moabit, der Südostpark in Treptow u. s. w., welche namentlich in
sanitärer Richtung nicht hoch genug angeschlagen werden können, und
die auch wie die Anlagen in der nächsten Nähe des Thiergartens Anlass
gegeben haben zur Pflege der Gartenkunst*). Der große landschaftliche
Reiz der Umgebung Wiens und die schönen Parkanlagen im Prater, Schön -
brunn, Laxenburg mögen wohl beigetragen haben, dass man auf diese
verschönernde Kunst ein geringes Gewicht legt, eine Kunst, die, ich möchte
sagen in dem Grenzgebiete der Architektur liegt. Es zeigt sich auch bei
diesem Anlasse, wie die bildende Kunst sich so recht aus den natürlichen
Bedürfnissen einer Stadt entwickelt, und dass wenn diese Bedürfnisse er -
kannt und gepflegt werden, sich dann zumeist auch die richtigen Männer
finden, um denselben in würdiger Weise zu entsprechen. Wie in Wien aus
Anlass der Stadterweiterung von selbst die hervorragenden Architekten
Wiens einen großen Wirkungskreis gefunden haben, nachdem im Jahre
i852 entgegen den Traditionen des alten Regime die freie Concurrenz
bei öffentlichen Neubauten Eingang gefunden hat, so haben sich auch in
Berlin die Männer gefunden, welche, wie Lenne.und sein Schüler Mey er,
die Pflege der Gartenkunst mit künstlerischem und architektonischem Ver-
ständniss in die Hand genommen haben. Die Berliner Gartenkünstler,
welche in Potsdam Vorbilder und ein großes Versuchsfeld für alle Art
von Gartenkunst gefunden haben, benützten die ihnen durch die Stadt -
erweiterung gebotene Gelegenheit umsichtig und mit kluger Beachtung
der Bedürfnisse der Bewohner Berlins. Mit der Gartenkunst haben sich
in Berlin auch die Baumanlagen entwickelt, die ein harmonisches Zusammen -
wirken der Gartenkunst mit der Architektur voraussetzen. Nirgendwo wohnt
die bessere bürgerliche und aristokratische Gesellschaft entsprechend gesünder
und angenehmer, als in den neuen Stadttheilen, die mit Gartenanlagen,
Vorgärten und Alleen geschmückt sind, und die sich vom Potsdamerplatze
aus bis nach Charlottenburg ausdehnen. Lenne haben wir in Wien durch
seine Betheiligung an der Concurrenz für die Stadterweiterung Wiens
*) Ueber die Denkmale und die öffentlichen Bauanlagen Berlins, soweit diese An -
gelegenheit der Communalverwaltung Berlins sind, gibt der 2. Band des obencitirten Be -
richtes S. 1 — 81 eingehende Daten.
4
5o
kennen gelernt. Er wurde zwar mit einem Preise ausgezeichnet, sein Project kam
aber nicht zur Ausführung, weil in demselben den Bauten ein zu geringer
Raum angewiesen wurde. Es ist abgebildet in dem Werke »Die preisge -
krönten Entwürfe zur Erweiterung der inneren Stadt Wien (von R. v. E.
Wien, Staatsdruckerei 1859 Fol.).« Heute erinnern sich viele Wiener an
dieses Project, welche die Berliner Stadtanlagen zwischen dem Thier -
garten und Schöneberger Ufern besuchen, und fragen sich, warum
es in Wien und seiner Umgebung nicht möglich ist, das System der Vor -
gärten einzuführen, warum es nicht möglich ist, für die Umgebung Wiens
einen Bauplan zu entwerfen, welcher den Anforderungen der Zeit voll -
ständig entspricht. Denn nirgendwo wird, in der nächsten Nähe des Mini -
steriums des Innern, in dessen Resort das Bauwesen gehört, so kopflos
und geschmacklos gebaut, als in den Vororten und entfernteren Vorstädten
von Wien. Es hat an fachmännischen Vorschlägen nicht gefehlt, hat doch
erst in jüngster Zeit der Architektenverein sich mit dieser Frage be -
schäftigt und es ist ein Memorandum von Ferstel ausgearbeitet; aber es
ruht sanft in den Acten; vielleicht wird es aus dem Schlafe erweckt, wenn
die Stadtbahnfrage, mit der wir uns noch beschäftigen werden, zur Erörterung
kommt. Wien hat allerdings eine Bauperiode gehabt, in welcher die Garten -
kunst mit großem Geschmacke gepflegt wurde; es war die Zeit von
Leopold I. bis Kaiser Franz I. In jener Zeit war Wien nicht blos die
Haupt- und Residenzstadt des Kaisers, sondern auch die Residenz des Hoch -
adels. In jener Zeit sind die prachtvollen kaiserlichen Parkanlagen von
Schönbrunn, Laxenburg und am Belvedere, der Prater und Augarten ent -
standen; damals haben die Lichtenstein, Schönborn, Esterhazy, Schwarzen -
berg Parkanlagen geschaffen, nicht blos in Wien, sondern auch auf den
Schlössern, wo der Adel seinen Sitz hatte. Aber der österreichische Adel
zersetzt sich und nationalisirt sich, lebt fern von der Residenz des Kaisers,
und verfolgt heutigen Tages bürgerliche und demokratische Interessen,
geht auf die Börse, betreibt Bierbrauerei, Zuckerfabriken und andere
ähnliche bürgerliche Geschäfte, folgt dem Beispiele der reichen Börseheroen,
die, obwohl sie sehr reich sind, doch noch reicher werden wollen. Das
ist der Zug derZeit! Aber dadurch ist das Interesse für die Gartenkunst
abgeschwächt worden. Es fehlen die Mittel, Voluptuarien, wie es Parke sind, in
der unmittelbaren Nähe oder in der Mitte einer Großstadt zu pflegen. Eine
rühmliche Ausnahme macht der kunstsinnige Baron Nathaniel Rothschild.
Wenn jetzt wieder die Gartenkunst in Wien etwas zu Ehren kommt —
vielleicht tragen diese Zeilen und das Beispiel Berlins etwas dazu bei, dieses
Interesse zu beleben —so geschieht dies aus dem dringendsten sanitären Inter -
esse des Volkswohles. Auch in Berlin ist es die Einsicht in den Zusammen -
hang der Volkswohlfahrt mit der Gartenkunst, welche Lenne und Minzer
einen so großen Wirkungskreis geschaffen haben; auch in dem benach -
barten Potsdam haben die beiden Gartenkünstler sich unvergesslichen Ruhm
ei 1 ungen. In Wien gibt der kaiserliche Hof ein glänzendes Beispiel einer
51
rationellen Pflege der Gartenkunst. Auch die vielköpfige Commune hat
guten Willen und pflegt Gärten, Baumanlagen und Parke, so weit es in
ihrem Wirkungskreise liegt; aber ihr fehlt manchmal eine glückliche Hand
und hinreichende Intelligenz. Die Landeshehörden haben sich zur Lösung
dieser Frage in ganz Oesterreich als ungenügend gezeigt. Ihnen ist die
Hebung der Steuerkraft und Durchführung von Verordnungen die Haupt -
sache, und sie führen einen stillen Krieg mit der Kunst und ihren Vertretern;
dass dabei auch die Gartenkunst und das Publicum leidet, liegt auf der
Hand.*)
Die Nothwendigkeit, die Communicationsmittel zu vermehren, hat in
Berlin zur Durchführung der Stadtbahn geführt. Eine Stadt von so groß -
artigem geschäftlichen Verkehr, wie Berlin ist, die von i,25o.ooo Menschen
bewohnt ist, braucht ausreichende Communicationsmittel, um die ver -
schiedenen Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Aber nicht blos
die Communalverwaltung, auch die Staatsverwaltung hat ein lebhaftes Inter -
esse an dem Zustandekommen der Stadtbahn. Die Berliner Stadtbahn war
zuerst ein Communalunternehmen; jetzt ist die Stadtbahn eine Staats -
bahn geworden. Von zahlreichen Freunden, die in der Nähe der Stadt -
bahn wohnen und dieselbe täglich benützen, erfuhr ich, dass dieselben
ausnahmslos mit diesem Verkehrsmittel höchlichst zufrieden sind; sie be -
nützen dieselbe bis in die Nacht hinein und wenn sie Abends aus dem
Theater kommen, so fahren sie direct und sehr bequem nach Charlotten -
burg. Ich führe dies Beispiel nur auf, weil die Frage der Stadtbahn jetzt
in Wien lebhaft ventilirt wird, und jeder weiß, wie viel Zeit und Geld
es kostet, bei dem gänzlich ungenügenden Communicationssystem Wiens,
um z. B. nach dem Ende einer Theatervorstellung vom Opernring nach
einer Landwohnung in der Umgebung von Wien zu fahren. In Berlin
kostet eine solche Fahrt wenige Pfennige, welch’ immer geartetes Com -
municationsmittel man benützen mag.
Dass in Berlin der Staat aber die Stadtbahn in Staatsregie über -
nommen hat, ist nicht der Vorliebe für Theater etc. zuzuschreiben; er
verfolgt dabei höhere militärische und politische Zwecke, welche mit der Frage
der Einheit des deutschen Reiches Zusammenhängen. Zwischen Frankreich
und Russland gelegen, braucht die Reichsregierung eine starke Militärmacht,
der im Ernstfälle die Eisenbahnen zur Verfügung stehen müssen. Gegen -
wärtig sind schon im deutschen Reiche die meisten Eisenbahnen verstaatlicht,
oder so durch Verträge gebunden, dass sie eventuellen Falles ihre Verkehrs-
mitteldem Staate zur Verfügung stellen müssen. Diesem Umstaride.hat der Rei-
*) Eine rühmlicheThätigkeit entwickeltere Gartenbaugesellschaft in Wien. Die kaiser -
lichen Gärten : Augarten, Belvedere, Hetzendorf, Laxenburg und Schönbrunn werden durch
hervorragende Gartenkünstler geleitet. Fürst l.iechtenstein und Schwarzenberg erhalten
gegenwärtig große Gartenanlagen. Der Schönborn’sche und Esterhäzy’sche Garten ist in
die Verwaltung der Commune übergegangen.
4*
52
sende im deutschen Reiche die Einführung von Expresszügen zu danken, die
von jeder größeren Stadt nach Berlin und zurück fahren. Man fährt jetzt
von Posen, Breslau, Leipzig, Dresden, Düsseldorf, Köln, Metz, Frankfurt,
Strassburg in wenigen Stunden nach Berlin. Wenn Soldaten von der östlichen
Grenze des Reiches nach der westlichen gebracht werden müssen, so mussten
sie bisher sich in Berlin aufhalten; jetzt ist dies überflüssig. Die Stadtbahn
ist so gebaut und organisirt, dass dem Militärverkehr Schienen zur Ver -
fügung stehen, ohne den Privatverkehr im Geringsten >zu stören. Die
meisten Berliner Casernen (siehe den großen Plan von Berlin in dem
«Berichte der Communalverwaltung Berlins«) liegen nicht im Innern der
Stadt, sondern an den äußersten Linien der Stadt und stehen mit der
Stadtbahn in so directer Verbindung, dass die Truppen sofort aus der
Caserne auf die Stadtbahn gebracht werden. Die Militärs behaupten, dass
die militärische Disciplin durch die Verlegung der Casernen außerhalb des
W eichbildes der Stadt gewinne, und die Mobilisirung der Armee außer -
ordentlich erleichtert werde. Das Publicum ist mit dieser Maßregel auch
zufriedengestellt; denn es wird dadurch das Terrain für bürgerliche Unter -
nehmungen vermehrt, und dieses ist wie in Wien so auch in Berlin nicht
groß genug.
Das großartig entwickelte Communicationssystem in Berlin hat auf
mich einen großen Eindruck gemacht, zudem ich von allen Seiten hörte,
dass es Allen und Jedem die größten Vortheile bringt. In Wien aber stösst
es auf Schwierigkeiten aller Art. In Wien sind die Competenzen so complicirt,
durch die Autonomie der Vororte, wo jeder Vorort einen Bürgermeister
und einen selbstverständlich nur parlamentarisch zu regierenden Gemeinde -
rath zur Seite hat; jeder höhere Bezivksbeamte hat über die wichtigsten
Baulinien seines Bezirkes ein entscheidendes Votum, da ein Bauregulierungs -
plan für die Vororte nicht existirt. Jeder Baumeister hält sich für einen Archi -
tekten, jeder Baubeamte in einer Statthalterei ist eine Autorität, auch in
Angelegenheiten, wo nur ganz hervorragenden Baukünstlern ein entscheidendes
Wort zu sprechen zusteht, und schließlich entscheidet im Ministerium ein
Beamter, der seine Jura vielleicht mit Vorzug absolvirt hat, aber im Bau -
fache im besten Falle ein enthusiastischer Dilettant oder wohlwollender Auto -
didakt ist. Sind diese Vorverhandlungen geordnet, so schreitet der Landtag
ein und schließlich muss die Frage an den hohen Reichsrath gelangen, wo
bekanntlich die Einmüthigkeit und künstlerische Einsicht erst recht nicht
zu Hause ist, denn es sitzen in den beiden hohen Körperschaften zahlreiche
habrikanten, hervorragende Landwirthe, Politiker und Börsenmänner, aber
nur wenige Fachmänner von unzweifelhafter Autorität im Bauwesen.
Bei dieser Sache kann man nur wünschen, dass die Angelegenheit
der Stadtbahn in ähnlicher Weise behandelt wird, wie bei der Stadt -
ei Weiterung, die ja auch nicht auf parlamentarischem Wege durch die
Commune, den Landtag und die Reichsvertretung zu Stande gekommen ist.
53
Die Frage der Stadtbahn hängt mit der Stadterweiterung
auf das Innigste zusammen. Gegenwärtig befindet sich die Stadterweiterung
in einem sehr günstigen Stadium. Die eine Seite der Stadterweiterung,
die Regulirung der inneren Stadt Wien, ist nahezu vollendet, und
es ist in rationeller Weise finanziell alles vorbereitet, um die Vollendung
dieser Regulirung durchzuführen. Es handelt sich aber jetzt darum, jenen
Theil der Stadterweiterung in Angriff zu nehmen, der bisher nicht in
Angriff genommen werden konnte. Wien ist bekanntlich eine Stadt, deren
Straßen an der Peripherie gegen das Centrum der Stadt concentrisch
laufen. Das Innere der Stadt ist regulirt, für einen großen Theil der Stadt,
insbesondere jenen des innerhalb der Linienwälle liegenden, liegt bereits
ein Plan vor, nach welchem die Regulirung vorgenommen werden muss.
Was aber fehlt, das ist die Regulirung jener Bauanlagen und Straßenzüge,
welche in den Vororten liegen; dort liegen die Ausgangspunkte der Linien,
welche sich concentrisch nach dem eigentlichen Wien bewegen. Die
Regulirung dieser Vororte und ihrer Straße nzüge ist die Aufgabe
der nächsten Zeit und die rechte Zeit, diese Frage zu erörtern,
fachmännisch und mit Berücksichtigung aller dahin einschlagenden fragen,
ist jetzt, wo die Frage der Stadtbahn durchgeführt werden soll.
Mir kommt es nicht zu, die Frage zu beantworten, wie die mittleren
Schulen der Vororte organisirt werden sollen, wenn man es dem Wiener
Publicum möglich machen will, sich in den Vororten mit Familie wohnlich
einzurichten, ohne die Erziehung zahlreicher Familien zu gefährden. Denn
bei den gegenwärtigen Verhältnissen sind die sanitären und culturellen
Interessen der Bevölkerung von Wien durch die Schul- und Bauverhältnisse
geschädigt. Eine Familie, welche in Mödling oder Purkersdorf den Sommer
lebt, ist selten in der Lage, die Erziehung der Kinder selbst mit großen
Opfern genügend durchzuführen. Und wie viele Beamtenfamilien und
Gewerbetreibende gibt es nicht in Wien und seinen Vorstädten, die gerne
in jenen Orten wohnen würden, wenn es eine Stadtbahn gäbe, wie es die
Berliner Stadtbahn ist?
Mir kommt es nicht zu, die technischen Vorfragen auch nur
andeutungsweise zu besprechen, was aber die künstlerischen Interessen
betrifft, welche sich auf die Ausführung der Stadtbahn beziehen, so hege
ich die volle Ueberzeugung, dass die künstlerischen Interessen
Wiens ihre volle Befriedigung finden können, wenn ein Plan zur
Durchführung kommt, der einsichtsvoll die Interessen der Kunst pflegt.
Auch weiß ich aus dem Munde der hervorragendsten Architekten, dass
eine baukünstlerische Lösung der Stadtbahn möglich ist, wenn man die
rechten Männer in rechter Weise zu Wort kommen lässt. Den Weg der
Verschleppung würde man aber in Wien einschlagen, wenn man viel -
köpfige Körperschaften in’s Mitleid ziehen würde, in welchen diese Frage
in parlamentarischer Form behandelt wird, und wo technische Fachmänner,
54
die am Debattiren und schönen Wortgefechten keine Lust und auch dazu
keine Zeit haben, nicht zugelassen werden. Da man aber jetzt den ent -
schiedenen Willen und am entscheidenden Orte hat, die Stadtbahnfrage
durchzuführen, so wird man sich entschließen müssen, abweichend von
der Art, Bauangelegenheiten zu behandeln, eine Entscheidung zu treffen,
welche der Sache zu Gute kommt, gleichgiltig, ob die Aktenmänner und
Redekünstler damit zufrieden sind oder nicht.
Hütteldorf bei Wien, im Juni 1882.
'3L
i
|
fl
. :
■
■f , '
■
1 fl, y * > '
... '
,{f •>
• .* ' ;.a
' 7.' ;vW ),•
' V'*- ,’'"W //•.■''.■ ■ .•-• J ' ,: *-V # ;v
i
<'■.■• vf f
1 y • \„ v )I ' ' ' * ,'* v \ V '
• ; • V. .. -••'■• ■ ,> K , •
-■"■ * '•■ ^ ^■'•. ': ■ ; i . ^ ■ =. • -• •' -•/-. \\ i:* , .■ ■
; ;•■«: •« v*.|.'- S ' .
■; .
■ ' ' * ' ,
.
■ (■:/.' •.’ 1 .;. J- ’ .. • . - '/ ■ • .* y . y ' t - ■ • . J<;; V ' .'' '' , . - '•• - ^ ... i
‘
'
'
fv; />. .• :'i- -’r :, j - c. , -Mfi;,:-, Vf* *; K, v is..-: .V ■
*■--
UM
Hi
B
/
•li-i
•iS» ft
•v •.'•>■ £•*••• -.* v,.-;*-- • • .....,• *
'i'v •'•‘“'V* v,wvStötÄ' h .H“. ’’• ■
%
m
m
&
e
*
«
tii
%
5»
£k
i
t*
*
£
i
!ft
V
Stell
4t
€
%
*