IX
Motiven und Mustern, so findet auch die Ethnographie ein
ergiebiges Gebiet wissenschaftlicher Ausbeute. Und heute
sammelt ja diese Wissenschaft nicht blos Alles, was den
Völkerschaften an Kleidung, Geräth, Nahrungsbedingungen und
sonstigen Dingen eigenthümlich ist; sie sammelt sie nicht
blos aus einfacher Wissbegierde, um diese Gegenstände kennen
zu lernen, sondern sie studirt in ihnen die Geschichte der
menschlichen Arbeit, verfolgt ihren Entwicklungsgang, geht
den Verzweigungen, den Wanderungen der Ornamente nach,
sucht nach ihren Verbindungen, nach ihrem gegenseitigen
Einflüsse und baut in dieser Weise eine neue Wissenschaft
vom Menschen, eine neuartige Anthropologie auf. Und wenn
wir einen einzelnen Zweig herausgreifen, welcher könnte
wichtiger sein für eine derartige Geschichte des Menschen als
die Geschichte der Tracht, der Kleidung!
Und zum Letzten, um auch diese Seite des Interesses
zu berühren, wollen wir nicht übersehen, dass auch die Mode,
und ganz vor Allem die heutige Mode aus dieser Quelle
schöpfen kann. Ist es ja doch heute so der Brauch, vielleicht
die Notliwendigkeit aus mangelnder eigener Erfindungskraft,
dass die europäische Mode ihre Motive der Vergangenheit
entnimmt, und zwar fast ohne Wahl, ohne Vorliebe für eine
bestimmte Epoche. Wenigstens gilt das durchaus von der
weiblichen Kleidung, während in der männlichen alle Versuche,
umwälzende Motive nach alten Mustern wieder einzuführen,
nicht verfangen wollten, obwohl es daran nicht gefehlt hat
und auch im gegenwärtigen Augenblicke, wo man zu Knie
hosen, Schuhen und Strümpfen nach der Weise des XVIII.
Jahrhunderts zurückkehren will, durchaus nicht fehlt. Aber
die weibliche Kleidung ist ja das eigentliche Reich der Mode,
neben welchem die männliche eben nur mitspielt, und in der
weiblichen Mode können wir die Motive der Rococo-Zeit, der