40 Armand Freiherr von Dumreicher. focialiftifche Färbung angenommen hat, ifl ihr bisher in Deutfchland der Charak ter rein wirthfchaftlicher Beftrebung erhalten geblieben. Der auf dem Arbeiter tage in Gera 1867 ausgefprochene Satz: „Die Frau ift wirthfchaftlich zu allen Arbeiten berechtigt, zu denen fie befähigt ifl“, gibt dem Standpunkte, welchen die Deutfchen dem Probleme gegenüber einnehmen, treffenden Ausdruck. Wie fall alle fchöpferifchen Ideen und geiftigen Bewegungen find auch die mit der Frauenfrage zufammenhängenden Strebungen aus D eutfchland nach Oefter- reich verpflanzt worden. Die etwa feit den erften fünfziger Jahren genau conflatirbaren Bemühungen edelgefinnter, in Wien anfäfsiger norddeutfcher Frauen um die Ausbildung der ärmeren weiblichen Claffe in Arbeiten, welche der Ordnung im Haufe und dem Erwerbe für das Haus gleichmäfsig zu Gute kommen, bereiteten den Wiener Boden fo weit vor, dafs um die Mitte der fechziger Jahre bereits an die Gründung eines grofsartigen Vereines gedacht werden konnte, welchem die Theilnahme der gelammten wohlhabenden und gebildeten Gefellfchaft eine fruchtfpendende Zukunft in Ausficht Hellte. Dafs in Folge folcher Entwicklung die Frauenfrage in Oefler- reich in deutfcher Formel geheilt wurde, gab von Anfang an der Agitation eine praktifche naturgemäfse Richtung. Es hat fleh diefelbe bis jetzt glücklicher Weife den auf reelle Erfolge gerichteten, von aller widernatürlichen Phantaflerei freien Charakter der deutfchen Beflrebungen bewahrt und dadurch auch die werkthäti- gen Sympathien der leitenden politifchen Kreife erworben. Die öfterreichifche Regierung konnte zu folchen modernen Tendenzen um fo freundlicher Stellung nehmen, als fie in diefer Sache an ältere Staatstraditionen anzuknüpfen in der rühmlichen Lage war. Schon Kaiferin Maria Therefia hatte die Wichtigkeit der Heranbildung des weiblichen Gefchlechtes richtig gefchätzt und die Errichtung zahlreicher Spinnftuben in Böhmen eifrig betrieben, und feit dem Beginne des neunzehnten Jahrhundertes trachtete die Regierung befonders im Erzgebirge die Hausinduflrie des Spitzenklöppelns durch Gründung von Lelir- werkflätten zu heben. Diefe Inhitute vermochten fleh leider auf die Dauer nicht zu halten und einem gleichen Schickfale erlagen die im Jahre 1867 in 16 Orten errichteten Lehr-Werkhätten für Spitzenklöppelei. Die Veranftaltungen zur Förderung der weiblichen Erwerbsfähigkeit durch ein wohlorganifirtes Vereinswefen nach bewährter deutfcher Art haben dagegen in neuefter Zeit glänzende Erfolge gehabt, und es fleht zu hoffen, dafs in einer Reihe von öherreichifchen Städten die in Wien, Prag, Graz und Klagenfurt erziel ten Refultate zu opferwilligem Nachflreben aneifern werden. Der Wiener Frauen- Erwerbverein, im November 1866 ins Leben gerufen, hatte fleh während eines flebenjährigen Beftandes fo weit entwickelt, dafs er 1872 bereits acht Schulen verwaltete und mit materieller Unterflützung der Regierung und anderer Körperfchaften den Bau eines neuen Schulhaufes unternehmen konnte. Die erwähnten Schulen find folgende: Eine Vorbereitungsfchuie, eine höhere BildungsfchuJe in zwei Jahrgängen, eine Handelsfchule, eine Sprachfchule für franzöfifche und englifche Sprache, eine Zeichenfchule, eine höhere Arbeitsfchule mit zwei Jahrgängen. eine Nähfchule, eine Telegraphenfchule. Die genannten Schulen des Vereines wurden bis zum Schluffe des Schuljahres 1S72 von 4331 Schülerinen befucht. An der Ausheilung hatte fleh der Verein mit weiblichen Handarbeiten, Zeichnungen und fchriftlichen Arbeiten betheiligt. Sämmtliche genannte Arten von Schülerarbeiten waren fehr reich vertre ten und legten glänzendes Zeugnifs ab für die Wirkfamkeit des Vereines. Die