427 Section I. Schafwollwaaren. Dieser ausserordentliche Einfluss, den die ausländischen Wollen auf die europäische Wollwaarenmanufactur gewonnen haben, hat die europäische Schafzucht und Wollcultur in ansehnlicherWeise geschädigt. Der Concurrenz mit diesen Ländern sind unsere europäischen Land- wirthe in den meisten Qualitäten nicht gewachsen; sie haben Jahre lang unter den ungünstigsten Verhältnissen gearbeitet, bis inder letzten Zeit der ausserordentliche Aufschwung der Industrie sie wenigstens zu einiger Geltung gebracht hat. Ob diese günstigen V erhältnisse von Dauer sein werden, ist zu bezweifeln. So sehr der Rückgang unserer schönen, edlen, europäischen Wollzucht zu beklagen ist, so tritt an die Producenten die Frage: ob Fleisch- oder Wollzucht, doch in immer drin genderer Weise heran und sie werden sich mehr und mehr für erstere entscheiden müssen. Die Schafzucht bildet einen wichtigen Theil der deutschen 'Vieh zucht. Im Ganzen können nach den Viehzählungen jetzt über 29 Mil lionen Schafe im deutschen Reiche angenommen werden, von denen nach ungefährer Schätzung und statistischen Erhebungen circa 14 000 000 der Merinoraee und deren Unterabtheilungen, 8 000 000 den englischen Racen und deren Kreuzungen, 8 000 000 den sogenannten Landschafen angehören. Die Merinoraee, welche gegen Ende des vorigen und in den er sten Decennien dieses Jahrhunderts in die rationell betriebenen und gros seren Wirthschaften eingeführt wurde, hat hauptsächlich den Ruf der deutschen Tuchwollen begründet. Es bildeten sich innerhalb der Racen verschiedene Typen heraus, die Electoral- (Sachsen), Negretti- (Oester reich, Mecklenburg) und die Electoral-Negretti-Richtung (Schlesien), welche sich weiterhin über einen grossen Theil Deutschlands ausbreite ten und theils rein in sich fortgezüchtet (Norddeutschland), theils aber auch vielfach zur Verbesserung der Landschafe (Süddeutschland) be nutzt wurden. Nur wenige Herden existirten, welche die Merino- kammwollrichtung verfolgten. Die Beschaffenheit der producirten Tuchwolle war je nach dem Geschmack des Publicums und den Conjuncturen eine sehr wechselnde. Während man am Anfänge dieses Jahrhunderts hauptsächlich auf die Production einer möglichst feinen Wolle sein Hauptaugenmerk richtete, wurde weiterhin bei der Züchtung des Electoral-Negretti-Typus auf die Erzeugung einer kräftigeren, feinen Wolle Bedacht genommen und in neuerer Zeit wurde die mittellange und mittelfeme, sogenannte , a deux mains Wolle“, als das Ideal einer guten Tuchwolle hingestellt. Im All gemeinen blieb unter wechselnden Verhältnissen die Production einer edlen Tuchwolle das Hauptziel der Schafhaltung. Die Concurrenz der überseeischen Wollen veranlasste einen Um schwung in der Zuchtrichtung. In bevölkerten und in hoher Cultur stehen-