Organische Säuren. 437 Salicylsäure. Wenn in der Phenylgruppe der Benzoesäure ein Wasserstoffatom durch die Hydroxylgruppe (0 H) substituirt wird, so entsteht Oxybenzoe- säure, C 6 H 4 (OH).CO.OH. Den heutigen Ansehauungen über die Constitution der aromatischen Körper gemäss sind von dieser Ver bindung, da sie ein zweifach substituirtes Benzol darstellt, drei isomere Modificationen möglich. Dieselben sind in der That alle drei be kannt. Eine von ihnen, die Orthooxyben zoesäure, d. h. eine Oxyben- zoesäure, in welcher die Hydroxyl- und die Cai'boxylgruppe zwei be nachbarte Wasserstoffplätze des Benzolmolecüls einnehmen, ist die Salicylsäure. Die engen Beziehungen, in welchen diese Säure einerseits zum Indigo, andererseits zum Phenol steht, haben viele Chemiker veranlasst, sich eingehend mit ihrem Studium zu beschäftigen. Die letztere Be ziehung hat ihr in jüngster Zeit durch die werthvollen Untersuchun gen des Hrn. H. Kolbe eine bedeutende technische Wichtigkeit ver liehen. Die Salicylsäure ist im Jahre 1838 vonPiria 1 ) und von Ettling' 2 ) entdeckt worden. Diese Chemiker erhielten sie durch Oxydation des Salicylaldehyds, der, unter dem Namen „salicylige Säure“ bekannt, in den Spiräaarten vorkommt und aus einigen Glueosiden zu erhalten ist. Die H.Hrn. Löwig und Weidmann 3 ) wiesen 1840 das Vor kommen auch der Salicylsäure selbst in den Blüthen von Spiraea ul- maria nach, und Hr. Cahours 4 ) zeigte 1844, dass das Wintergreenöl, das ätherische Oel der Gaultheria proctmbens, grösstentheils aus dem Methyläther der Salicylsäure bestehe. Später, 1852, bereitete Hr. Gerland 5 ) die Säure, indem er salpetrige Säure in eine wässerige Lösung von Anthranilsäure leitete: 2 C 7 H 5 (NH 2 )0 2 + N 3 0 3 = 2C 7 H-,(0H)0 3 + N 4 + H 2 0. Diese Reaction verknüpft die Salicylsäure mit dem Indigo, denn die Anthranilsäure ist ein Oxydationsproduct des letzteren: C s H,NO + 2 0 + H 2 0 = C 7 H 7 N0 2 + C0 2 . Sie ist ferner insofern von Interesse, als Hr. Kolbe durch sie veran lasst wurde, in Hinblick auf die leichte Zersetzbarkeit der Salicylsäure ») Piria, Ann. chim. phys. LXIX, 298; Liebig’s Ann. Chem. XXX, 165; XCIII, 262. 2 ) Ettling, Ann. Cüem. Pharm. LIII, 77. 8 ) Löwig und Weidmann, J. pr. Chem. XIX, 236. 4 ) Cahours, Ann. chim. phys. [3], X, 327; XIII, 90 und 113; XXVII, 5; Ann. Chem. Pharm. XLVIII, 61. «) Gerland, Chem. Soc. Quart. Journ. V, 133; Ann. Chem. Pharm. LXXXVI, U3.