G V. Heft. Gruppe IX. „Böhmische Steine!"‘ Es gab ehedem im ganzen reichen Böhmerlande keinen Artikel von der Berühmtheit auf dem weiten Continente und darüber hinaus als diese Steine — echt und unecht. Wir meinen hier in erster Linie die Produete jener Stein-Industrie, die sieh, von Anbeginn beinahe aus schliesslich in dem Turnauer Bezirke, mit dem Schleifen und Fassen echter Edelsteine, zu Zeiten in einer heute kaum mehr geahnten schwunghaften und luerativen Weise be schäftigte. Die erste Blüthe dieses Kunstgewerbes in dem dortigen Bezirke fallt schon in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts zurück. Koch vor Ausgang eben dieses Jahrhunderts aber kam die Bearbeitung echter Edelsteine durch die Erfindung des sogenannten venetianisehen Glas- oder Goldflusses, der ..Compositionssteine", sehr in s Stocken. Die ausserordentliche \\ ohlfeilheit und täuschende Aehnliehkeit der unechten „wäl- schen Edelsteine" mit den echten ..harten Steinen" verschaffte Er- steren in Kürze eine ungeheure \ erbreitung und verdrängte Letz tere auf lange Zeit beinahe ganz vom Markte. Die böhmische, das heisst die Turnauer Edelstein - Schleiferei lag zwei Decennien vollständig darnieder. Nach vielen Bemühungen gelang es hierauf zwei Turnauer Bürgern, den Gebrüdern Fischer, im Jahre 1711.*) gleichfalls „Compositionssteine“ zu brennen, von welchem Zeitpunkte dieser Industrie- und Handels-Artikel einen neuen Aufschwung der genannten Stadt und ihrer Um gebung begründete. Die „böhmischen Brillanten“, wie man die Turnauer Imitationen echter Edelsteine allgemein nannte, waren bald gesuchter als der venetianische Goldfluss, und thatsächlich kamen alljährlich zahlreiche Handelsleute aus Lon- *) Nach Josef Leop. ät anders von Grünwald sehr schäz- zenswerther „Physikal. Beschreibung des Bunzlauer Kreises“ in den Abhandlungen der böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften (1786), S. 109 %.