VORWORT DES HERAUSGEBERS* F ür das Erscheinen einer neuen Zeitschrift müssen triftige Gründe vorhanden sein. Gibt es doch übergenug Kunstzeitschriften, wozu eine mehr? Die „HOHE WARTE“ will keineswegs eine Kunst-« Zeitschrift mehr sein, sie will überhaupt keine Kunsts- Zeitschrift im herkömmlichen Sinne sein. Denn deren gibt es, wie gesagt, übergenug, und zum Teil sind sie ganz trefflich. Also. Aber trotz einzelner hoher künstlerischer Leistungen, die in so und so vielen Zeitschriften getreulich gebucht werden, ist im allgemeinen keine Erhöhung des Ge«- schmackes und der künstlerischen Bildung wahrzu-- nehmen. Im Gegenteil. Ungeachtet hochbedeutsamer Schöpfungen auf einzelnen Kunstgebieten wird das Bild unserer Städte, unserer Provinzen und unserer gesamten formalen Kultur täglich häßlicher. Und das, obgleich Unsummen für sogenannte „Verschönerungen“ verschwendet werden. Man ist in vielen Kreisen darüber klar geworden, daß unser ästhetisches Leben sehr niederliegt. V^as der natürliche Kunstsinn des Volkes früher geschaffen — der wertvolle Besitzstand heimatlicher und volkstüm-- lieber Kunstformen ist in Auflösung begriffen. Und was ist an seine Stelle getreten? V?o sind die guten neuen Formen, die einer solchen Überlieferung ent^ sprechen? Man mag die Notwendigkeit eines Wandels zugeben, aber man braucht nicht die Notwendigkeit zugeben, daß gewerbsmäßige Surrogate und Imi' tationen den Lebensformen den Stempel der Nüchtern-- heit oder verlogener Protzerei aufdrücken. In Ge-- schmacksdingen bestehen heute nur sehr verworrene Anschauungen: vom Vorurteil oder von der Mode genarrt, ist die Menge nicht im stände, das Gute und Solide, sei es ALT oder NEU, von der schwindel haften oder stümperhaften Mache zu unterscheiden. Man irrt in dem Glauben, daß dieser Tiefstand allein das ästhetische Gewissen betrifft. Wo sehen wir die Ergebnisse der naturwissenschaft lichen Forschung und der hochentwickelten Technik im Alltagsleben völlig wirksam? Jeder Einsichtige gibt ohneweiters zu, daß das Leben in den Städten durchaus nicht immer die Forderungen der Hygiene erfüllt und daß in sozialer Beziehung viele Erscheinungen sind, die der Ethik schroff widersprechen. Hier liegt auf Jahrzehnte hinaus eine wichtige und für unsere gesamte Kultur fruchtbare Arbeit vor; im einzelnen sind da und dort mit großer Umsicht Besserungsversuche unternommen und an allen Enden ist eine starke Bewegung zur „Pflege des ästhetischen Lebens“ eingetreten. Das Vort ist freilich unzureichend; es handelt sich nicht um oberflächliches /\sthetisieren, sondern um die Nährwerte der formalen Bildung. Parteipolitische und sonstige spekulative Interessen sind grundsätzlich ausgeschlossen; das Bestreben geht vielmehr dahin, die mit allerlei Nebeninteressen ver quickten künstlerischen und kulturellen Fragen aus dieser schädlichen Verquickung zu befreien und eine ebenso sachliche als künstlerische Betrachtungsweise anzubahnen. Die „HOHE WARTE“, die diese Bewegung auf nimmt und sie in weite Kreise trägt, betont nicht den Gegensatz zwischen „modern“ und „unmodern“, sondern zwischen GUT UND SCHLECHT. Die ganze formale Kultur, die keineswegs eine bloß äußere, sondern zugleich eine innere ist, hängt von der Fähig keit ab, diesen Unterschied wahrzunehmen. DAS GUTE KANN NIE HÄSSLICH SEIN, ABER DAS HÄSSLICHE IST IMMER SCHLECHT. Um das auf den ersten Blick sinnfällig zu machen, wird, wo es angeht oder notwendig ist, Beispiel und Gegenbeispiel einander gegenüberstehen, in der erzieh lichen Art, die Prof. Paul Schultze-Naumburg in seinen „Kulturarbeiten“ erprobt hat. Diese vergleichende Darstellung, die alle Gebiete des formalen Lebens, der Kunst und der Technik um fassen und bearbeiten wird, von der Wohnungsaus stattung bis zum Städtebau, erscheint recht geeignet, an Hand eines instruktiven Anschauungsmaterials die Grundlagen für eine auf lokalen und heimatlichen Voraussetzungen beruhende Gestaltungsweise zu schaffen. Die Pflege und Erhaltung einer wertvollen heimat lichen Tradition steht damit im Zusammenhang und die Beachtung vorbildlicher Beispiele anderer hoch- entwickelter Kulturen, vor allem der englischen, skan dinavischen und amerikanischen. Es soll auf diese Art nicht nur für die Städtekultur anregend und förderlich gewirkt werden, sondern auch für die PROVINZ, die allzulange nur das Schlechte von der Stadt emp fangen hat. Es ist zu hoffen, daß diese Bemühungen tatkräftiges Interesse und Mithilfe aller Einsichtigen finden. Die Zahl dieser Einsichtigen wächst von Tag zu Tag. Ein lebhafter Drang nach künstlerischer Kultur ist allerortens zu verspüren; es fehlte nach unserer An sicht nur noch, daß er fortlaufend geleitet und in die richtigen Bahnen gelenkt werde. NUR DER KERN DER DINGE NÄHRT. WALT WHJTMAN. i