Hof eines alten Hauses. Die Hofseite heutiger Miethäuser. emeine Stimmung geneigt, eine Art Bilanz zu führen und edächtig abzuwägen, ob die Früchte, die der harte Boden der Wirklichkeit getragen, auch annähernd den Verheißungen entsprechen, die am Anfang jener behördlich bevormundeten Bauperiode standen, die man in der Theorie als gegenwärtig abgeschlossen betrachten kann. Unsere neu ausgebauten Städte sind so ziemlich in allen Punkten das schnurgerade Gegenteil von dem geworden, was die Städte von einst waren. Alle neuen oder erneuten Straßen sind breit angelegt, als ob sie auf den stärksten Verkehr warten würden, auch in den äußersten Vorstädten, wo das großstädtische Getriebe fast zu ländlicher Stille abflaut. Schnurgerade verlaufen die Straßenzüge, von Luft und Licht überflutet, die hohen Häuserzeilen sind stucküberladen und ornamentiert wie einstens nur die Paläste, und es scheint, als ob es ein herr liches Dasein wäre in einer solchen Stadt. Beim näheren Zu sehen aber entpuppt sich die ganze Großzügigkeit als Lüge und Maskerade. Ein einziger Blick in die Hofräume genügt, um das Elend der großstädtischen Wohnungsverhältnisse, das sich hinter dieser Scheinarchitektur verbirgt, zu offenbaren. Wo irgend ein neuer, unvollendeter Baublock mit einem beschei deneren undsoliderenNachbar aus früherer Zeitzusammenstößt, wird das Elend der unzähligen Hofwohnungen, das mit dem System der Mietskasernen unsere Städte betroffen hat, um so augenfälliger. Die Mietskaserne sowie das gesamte Wohnungs elend ist ein Ergebnis unserer baubehördlich vorbestimmten Großstadtanlagen und eines jener Rübezahlgeschenke, die als Gold in Kauf genommen und über Nacht als armseliger Trug erkannt wurden. Die alte Architektur setzte ihr bestes Können in die Ausbildung der Höfe, die großen Sälen glichen, heute noch, wo man sie findet, ein Gegenstand unseres Entzückens und für die Bewohner ein ebenso schöner wie gesunder Ausblick und Aufenthalt. Architektonisch vornehm ausgebildet, oftmals durch irgend ein Grünes belebt, verliehen sie dem ganzen Hause den Zauber der Wohnlich keit, der jeden erfaßte, der den Hausflur betrat. Unsere gips überladenen Miethäuser haben nichts von jener anheimelnden Wohnlichkeit aufzuweisen, den protzenden Fassaden ent sprechen gefangenhausmäßige, meist luft- und lichtleere Hintertrakte, die den ironischen Namen „Lichthöfe“ führen. Die Bauordnung schreibt ihnen allerdings ein gewisses Aus maß vor, und zwar i5°/ 0 der Baufläche, aber der findige Bauspekulant führt zwei Lichthöfe auf, die ZUSAMMEN jenes Ausmaß ergeben, und hat dadurch um so mehr Fensteröffnungen für eine um so größere Anzahl kleiner, minderwertiger Wohnungen gewonnen, die man mit der selben unfreiwilligen Ironie, die ein Merkmal unserer Zeit ist, „billige Wohnungen“ nennt. Auch das ist eine Er füllung, die die großstädtische Bauweise versprochen hat. Es stimmt mit ihren Erfüllungsmöglichkeiten überein, daß diese billigen Wohnungen gerade die teuersten sind. Die Woh nungen von ein bis zwei Zimmern sind im Preise höher als solche von drei bis vier und mehr Zimmern. Der Durch schnittspreis einer Hofwohnung, bestehend aus Zimmer und Küche, beträgt in Wien 400 Kronen und in Berlin 275 Mark und verschlingt ungefähr den vierten Teil des Einkommens des durchschnittlichen Arbeiters oder des kleinen Beamten und somit jener Bevölkerungsschicht, die das Hauptkontingent der Großstadteinwohnerschaft ausmacht. Es sind Preise, die einstmals in der Stadt und heute nur noch fern von ihr das Bewohnen eines eigenen, kleinen Häuschens mit Garten ermöglichen. Es darf dabei nicht vergessen werden, daß jene fälschlich billig genannten, in Wahrheit überteuerten Woh nungen die für das Kulturleben unentbehrlichen Einrich tungen, wie Bad und eigenes Klosett, entbehren. Die Woh nungsenquete sämtlicher Großstädte führt zur Tatsache, daß der arme Mann die höchsten Preise zahlt. Naturgemäß sind die Miethäuser mit den sogenannten billigen Wohnungen die besten Spekulationsobjekte. Der Aufbau vieler Stock werke übereinander, die Ausnützung des Baugrundes zur Schaffung vieler Wohnungen sollte im Sinne der groß städtischen Bauordnungen, zur Verbilligung der Mietpreise führen. Es liegt in der verhängnisvollen Logik unserer Wirt schaftspolitik, daß gerade diese Maßregel zum Gegenteil aus schlug und durch die raffinierte und unlautere Ausnützung des Baugrundes die Bodenpreise ins Fabelhafte steigerte, was wieder verteuernd auf die Mietpreise zurückwirkte. Man nennt das mit einem sehr loyal klingenden Namen: „Größt mögliche Verzinsung des Baukapitals.“ Dem verderblichsten Bodenwucher sind Tür und Tor geöffnet, und seine korrum pierende Wirkung ist in wirtschaftlicher, künstlerischer und ethischer Beziehung in gleicher Weise fühlbar. An dem ehernen Gesetz der „größtmöglichen Verzinsung des Bau kapitals“ scheitern alle Bemühungen des Künstlers, dem Dasein der Familie organisch angemessene Wohnungs zustände zu erschwinglichen Preisen zu schaffen. Zur künst- 50