STAATLICHE KUNSTPFLEGE. KUNSTGEWERBLICHE LEHRWERKSTÄTTEN. DER ERLASS DES PREUSSISCHEN MINISTERS FÜR HANDEL UND GEWERBE. \ Vielseitig geäußertem Wunsche und namentlich dem ausgesprochenen V Interesse einer großen Stadtverwaltung entgegenkommend, bringen wir in Ergänzung des auszugsweisen Berichtes in unserem 7. Hefte im folgenden die wortgetreue Wiedergabe jenes Erlasses, der als ein er* treuliches Zeichen aufgeklärter und moderner Kunstanschauung in allen kunstverständigen Kreisen wohlverdiente Beachtung gefunden hat. Dieser Erlaß, vom 15. Dezember 1904 datiert, lautet: „Die neuere Entwicklung des kunstgewerblichen Unterrichts hat dazu geführt, den Lehrwerkstätten eine vermehrte Bedeutung zuzuerkennen. Eine Anzahl kunstgewerblicher Lehranstalten ist bereits dazu über' gegangen, die praktische Fertigkeit in kunstgewerblichen Arbeitsweisen in besonders dafür eingerichteten Lehrwerkstätten zu vermitteln. Im Hinblick auf den günstigen Einfluß, der hievon auf das Kunst' gewerbe zu erwarten ist, empfiehlt es sich, diesen Bestrebungen auch fernerhin besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Der Unterricht in Lehrwerkstätten wird das Mittel an die Hand geben, dem Schüler die notwendigen Beziehungen zwischen Werkstoff und Form nachdrücklich zum Bewußtsein zu bringen, und ihn dazu erziehen, seinen Entwurf sachlicher, wirtschaftlicher und zweck' mäßiger zu entwickeln. Durch die Beschäftigung mit dem Material wird ferner im Schüler die auf Abwege führende Vorstellung beseitigt werden, als ob die Herstellung äußerlich gefälliger Zeichnungen ein erstrebenswertes Ziel wäre, ohne Rücksicht darauf, ob sie dem Material und seiner Eigenart gehörig Rechnung tragen. Auch rein künstlerisch wird die Werkstätte neue wertvolle Anregungen vermitteln können, die sich statt auf äußerlich übermittelte Formen auf die durch eigene Tätigkeit gewonnene Einsicht in die Gestaltungsmöglichkeiten des Materials gründen. Die Angliederung von Werkstattunterricht wird endlich dazu bei' tragen, die bisher öfter gerügte einseitige Ausbildung von Kunst' gewerbezeichnern, welche das Material nicht kennen und der hand' werksmäßigen Tätigkeit entfremdet sind, einzuschränken, und auf diesem Wege auch auf Förderung des Handwerks hinwirken. Bei der Einrichtung von Lehrwerkstätten empfiehlt es sich, in erster Linie die örtlichen Industrien zu berücksichtigen und zunächst solche Arbeitsweisen ins Auge zu fassen, bei denen der künstlerische Wert vornehmlich auf der eigenen Arbeit des Künstlers beruht. Von der Einrichtung solcher Werkstätten dagegen, die kunstgewerbliche Gegen' stände in größerer Zahl oder von größerem Umfang ausführen sollen, ist der Regel nach abzusehen. Auch ist daran festzuhalten, daß der Werkstattunterricht, soweit er für Handwerkslehrlinge und Gehilfen bestimmt ist, regelmäßig eine Ergänzung und nicht einen Ersatz der Meisterlehre bilden soll und daß bis auf weiteres nur in Ausnahme' fällen und unter Berücksichtigung besonderer örtlicher Verhältnisse von dieser Regel abzuweichen sein wird. Neben den schon in weiterem Umfange bestehenden Werkstätten für Treiben, Ziselieren und Holzschnitzen werden sich an Kunstgewerbe' schulen zunächst etwa das Kunstschmieden, die Lithographie, der Schriftsatz, das Buchbinden, die feinere Holz' und Metallbearbeitung jeder Art und die weiblichen Kunsthandarbeiten für den Werkstätten' betrieb eignen. Das Wesen der Kunstgewerbeschule bedingt es, daß in der Werkstatte die künstlerische Unterweisung mit der technischen Hand in Hand geht. Die Schüler haben daher in der Regel ihre eigenen Entwürfe auszuführen. Die zeichnerische Behandlung des Entwurfs hat sich dann auf das Notwendigste zu beschränken und innerhalb der Grenzen der Werkstattzeichnung zu halten, bei der auf die Darstellung kein wesentliches Gewicht gelegt wird. Als der geeignetste Lehrer für den Werkstättenunterricht in den kunst' gewerblichen Abteilungen ist der ausübende Kunsthandwerker solange zu betrachten, als es gelingt, Persönlichkeiten zu finden, die das Künstlerische wie das Technische in gleicher Weise beherrschen. Nur da, wo ausübende Handwerker mit genügenden künstlerischen Fähig' keiten nicht zu erlangen sind, ist der Unterricht zwischen einem Künstler und einem Techniker zu teilen, wobei der Techniker unter der Leitung des Künstlers arbeitet. Für Anstalten oder Abteilungen von Schulen, die nicht in erster Linie das Ziel der Kunsterziehung, sondern das der Heranbildung tüchtiger Handwerker verfolgen (Handwerkerschulen), kommt in der Werk' statte vorzugsweise die technische Ausführung in Betracht. Obgleich auch hier der Schüler auf das Künstlerische hinzuweisen und nament' lieh sein Sinn für die logische Entwicklung der Form aus der Kon- struktion zu wecken ist, so wird es sich bei Schulen dieser Art im allgemeinen doch um die Ausführung vorhandener Entwürfe handeln. Es ist dann jedoch peinlich darauf zu achten, daß nur Entwürfe von künstlerisch guter und technisch einwandfreier Form hiefür gewählt werden. In allen Fällen empfiehlt es sich, den Werkstättenbetrieb zunächst in kleinem Rahmen zu beginnen und Erweiterungen erst auf dem Boden der gewonnenen Erfahrungen vorzunehmen. Beim Planen von Neu' bauten ist jedoch auf die Anlegung von Werkstätten von vornherein Rücksicht zu nehmen. Dabei werden, wo die Verhältnisse dies zulassen, solche Werkstätten in denen geräuschvolle Arbeiten ausgeführt werden, zweckmäßigerweise in ein Untergeschoß, oder wenn möglich in ein Nebengebäude zu verlegen sein. Die in Schulwerkstätten erzeugten Gegenstände dürfen nicht in einer Weise veräußert werden, daß daraus dem Handwerk oder der Industrie ein Wettbewerb erwächst. Sie können den Anfertigern gegen ent' sprechendes Entgelt, das zum mindesten die Materialkosten zu decken hat, überlassen, der Schulsammlung einverleibt, oder anderen Am stalten für deren Sammlungen oder als Unterrichtsmaterial gegen Ersatz der Selbstkosten abgetreten werden. Soll eine Veräußerung zu anderen als den vorerwähnten Zwecken stattfinden, so ist diese nicht unter dem Marktwert zulässig und bedarf der Genehmigung der Schul' verstände (Kuratorien). Die für die kunstgewerblichen Fachschulen mit Werkstattunterricht bisher gültigen besonderen Bestimmungen, betreffend den Absatz der Erzeugnisse, werden aufgehoben. Unberührt hievon bleiben selbst' verständlich die unter dem 28. Februar 1902 erlassenen Bestimmungen über die Buchführung bei der Herstellung und demVerkauf von Waren an den Fachschulen für Textilindustrie. Die staatlichen und staatlich unterstützten Fach' und FortbildungS' schulen sind zu ermächtigen, sich wegen der Beschaffung von Lehr' mittein nach Maßgabe vorstehender Vorschriften mit den Schulen mit Werkstättenbetrieb unmittelbar in Verbindung zu setzen. Ich ersuche Sie, vorstehende Grundsätze den Direktoren der im dortigen Bezirk bestehenden Kunstgewerbe', Handwerker', sowie kunst' gewerblichen Fachschulen, sowie wegen der Lehrmittelbeschaffung, sonstigen geeigneten Fach' und Fortbildungsschulen bei den nicht staatlichen Anstalten durch Vermittlung der zunächst Vorgesetzten Behörden — mitzuteilen und sie zu beauftragen, bei der Gestaltung der Lehrpläne und dem Ausbau der Schulen den vorgezeichneten Gesichtspunkten Rechnung zu tragen. Meiner besonderen Genehmigung bedarf es im Einzelfalle nicht für die Einrichtung von Lehrwerkstätten an Kunstgewerbe' und Hand' werkerschulen, für welche die Mittel vorhanden sind, und bei denen nur Ergänzungsunterricht und nicht die Herstellung von Fabrikaten in größerem Umfange in Frage kommt. Voraussetzung ist hiebei, daß es sich um Einführung von Werkstattunterricht für solche Ge- werbetreibende handelt, zu deren Ausbildung die betreffende Schule auch bisher schon bestimmt ist. Insoweit ein Bedürfnis besteht, für Einrichtung oder Umwandlung der Werkstätten erhöhte Mittel zu er' halten, so wird dies Bedürfnis bei Vorlegung der Etatsentwürfe eim gehend zu begründen sein. Soweit es sich um staatlich unterstützte Anstalten handelt, setze ich voraus, daß bei Beantragung etwaiger außerordentlichen Mittel zur Neuerrichtung von Werkstätten die Städte sich an deren Aufbringung zur Hälfte beteiligen werden. Im übrigen lege ich Wert darauf, daß die Direktionen bei Einrichtung und Ausgestaltung des Werkstattunterrichts sich des Einverständ- nisses der Schulvorstände und der beteiligten gewerblichen Kreise versichern.“ Das Beispiel des preußischen Ministers verdient, recht beherzigt zu werden. Namentlich in jenem Punkt, der die Autonomie der Schule ausspricht. Der Minister denkt nicht daran, ein Polizeiregiment in den Schulen zu führen, oder einen Akt bureaukratischen Mäzenatem tums auszuüben. Hier liegt einfach die Erkenntnis werdender Kräfte vor und die gute Absicht, ihre Entwicklung zu fördern. 175