oder der Grundsteinlegung ihres Hauses, das von Geschlecht zu Geschlecht so umgebaut, erweitert und vergrößert war, daß man sich gar nicht mehr vorstellen konnte, aus wie kleinen Anfängen es hervorgegangen. Und wenn einer der Väter der Stadt mit dem Tode abging, wurde eine unvergleichliche Trauerfeierlichkeit abgehalten. Die ganze Stadt flaggte auf Halbmast, wie auch die Lust jachten und Segelboote im Hafen, und alle Läden wurden geschlossen. Teure schwarze Decken wurden verschrieben, die Gassen zu belegen, die Gesangs- und anderen Vereine zogen in einem, wie man sagt, endlosen Zuge unter dumpfer Hornmusik durch die Straßen, und auf dem Sarge, den man vor Blumen nicht sah, lagen Palmen und Eichenkränze. Am Grabe wurde im Chor gesungen und der Pfarrer rief alle Anwesenden zu Zeugen an, welch edler Gastgeber und gast freier Mann der Hingeschiedene gewesen wäre. Aber einige Sonderlinge — von jener Sorte, die immer für sich allein gehen und niemals wie andere denken, und von denen keine Stadt ganz frei ist — wunderten sich darüber, wovon denn die Stadt eigentlich lebe. Da lagen keine anderen Schiffe im Hafen, als Segelschiffe und Lustjachten, Fischfang gab es keinen, nach der Land seite waren weder Wälder, die Bauholz lieferten, noch Berg werke, die Einkünfte verschaffen konnten. Auch keine Fabriken oder Handwerker, die Gegenstände solcher Art anfertigten, daß sie von Fremden gekauft werden konnten. Aber die Leute ärgerten sich darüber, daß Zweifel über eine Sache herrschten, die so wesentlich die Existenz der Stadt betraf. Das war ein Mißklang für sie. Und endlich wurde die Sache der hohen Universität unterbreitet. Alle drei Gelehrten der Fakultät strichen sich das Kinn und begannen zu grübeln, um die Sache zu ergründen. In einem Punkte erklärten sich alle drei Herren Professoren vollständig einig nämlich, daß keine Stadt ohne Nahrungs quellen existieren könnte. Aber dann kam der eigentliche Knoten der Frage. Für die fragliche Stadt konnte, trotz der genauesten und eingehendsten Forschungen keine einzige solche Nahrungs quelle nachgewiesen werden. Und dennoch existierte sie nachweislich. Da stand ihr Verstand still und sie mußten sich auf das Gebiet loser Vermutungen begeben. Der älteste und berühmteste der Professoren, der eine Schrift über Staatsschuld herausgegeben und darin nachgewiesen hatte, daß, je größer die Schuld, desto glücklicher das Volk sei, vermutete, daß etwas Ähnliches auch hier der Fall sein könnte, behielt sich aber alles vor und wollte sich zurzeit nicht definitiv aussprechen. Der zweite Professor wies nach, daß große Meere, wie z. B. das Kaspische, anerkanntermaßen existierten, ohne daß man einen sichtbaren Abfluß entdeckt hätte, und daß ein solches Naturspiel auch hier vorliegen könnte. Aber der dritte Professor wies in einer scharfen und bitteren Schrift nach, daß es sich hier nicht um Ablauf, sondern um Zu fluß handle — also um das diametral entgegengesetzte Prinzip. Der Streit zwischen den beiden wurde äußerst heftig in ver schiedenen Zeitschriften fortgeführt. Er würde noch fortgesetzt werden, wenn es nicht jenem ersten und größten Professor geglückt wäre, unwiderleglich und zur Evidenz die Wahrheit an den Tag zu bringen, daß die Bürger der fraglichen Stadt einzig und allein gegenseitig voneinander lebten. Und er wies in einem Werke von sechs Bänden nach, daß dasselbe bei vielen anderen Städten der Welt auch der Fall wäre. DAS KLEINE HAUS. (Mit englischen Bildern nach den Architekten Charles Mackintosh, Baillie Scott und Lutyens.) n England geht das Streben der jetzigen Architektenschule dahin, den von den Spekulanten geschäftsmäßig-schema tisch betriebenen Bau von kleinen Wohnhäusern, die im allgemeinen auf eine schablonenhafte Verkleinerung des großen Hauses hinauslaufen, durch bessere Lösungen, die sich organisch an die gegebenen kleinen Verhältnisse an schließen, zu verdrängen. Hermann Muthesius beleuchtet diese Verhältnisse in seinem großen Werke „Das englische Haus“, dessen II. Band soeben erschienen, und dessen aus führliche Besprechung wir uns Vorbehalten. Eine bezeich nende Stelle dieses Bandes besagt: „Wer sich aber klar macht, daß selbst in England von hundert Häusern, die gebaut werden, kaum fünf in die Hände von Architekten fallen, der weiß, wie schwer dieses Beginnen ist, ganz ab gesehen davon, daß der kleine Spießbürger diesen Jammer palast, den ihm der Bauunternehmer liefert, gerade will und liebt.“ Also ganz wie bei uns. Wo aber die Sache bei rechtem Ende angefaßt wird, kommt ausschließlich Gutes zu stände, wie diese Beispiele zeigen und die Fülle von Belegmaterial im genannten „Das englische Haus“. Dort wird von der klein sten Form des Landhauses berichtet, daß es einschließlich der bewohnbaren Halle nur zwei Räume habe. „Diese Art Haus wird dann mit vollem Recht als ,cottage' (Hütte) be zeichnet, während man heute diesen Namen selbst auf Häuser mit reichlichen Bequemlichkeiten auszudehnen be liebt, allerdings aus Gründen, die sich mehr auf das Gepräge als auf die Anlage beziehen. Das erste Stockwerk ist beim kleinen Landhause stets von den Hauptschlafzimmern, den Kinderzimmern und den Fremdenzimmern eingenommen. Das ausgebaute Dachgeschoß enthält Dienstbotenzimmer, falls nicht etwa noch weitere Fremdenzimmer und ein Spiel zimmer für die Kinder dort angelegt werden.“ Lösungen dieser Art sind unsere Illustrationsbeispiele, darunter eines, als vielleicht das kleinste der Landhäuser, von Charles Mackintosh erbaut, nur mehr als £ 200.— gekostet haben soll. Charakte ristisch ist der Gasthofbau von Lutyens mit der sorgfältigen Abgrenzung des stattlichen Baumes, der dadurch wie ein Architekturbestandteil am Hause mitwirkt; ferner die Schönheit der geschlossenen Hoffnauern, und endlich überhaupt die strenge Sachlichkeit und Einfachheit dieser Wohnhäuser, die eben darin schön sind. Von der herrschenden Strömung nach dem Landleben besagt „Das englische Haus“, daß die jetzt überall wie Pilze aus der Erde schießenden kleineren Landhäuser sprechende Zeugen dafür sind. 178