ÖSTERREICHISCHE STRAFANSTALTEN. I. GARSTEN. D er Strafvollzug in unseren Zuchthäusern ist noch immer nichts anderes als eine METHODE DER LANGSAMEN ERMORDUNG schreibt Stephan Großmann in seinem soeben im Wiener Verlage erschienenen Buche „österreichische Straf anstalten“. Studiengänge durch die Strafhäuser in Garsten, Pankraz bei Prag, Repy, Stein, Neudorf bei Wien, Göllers dorf, Karthaus liegen diesen Schilderungen zu gründe, die grauenerregende Zustände bloßlegen und eine schwere An klage gegen die staatliche Rechtspflege und ihr System des Strafvollzuges bilden und die nicht verfehlen werden, das öffentliche Gewissen aufzurütteln. Es ist eine bittere Ironie, wenn es heißt, so schlimm wie die reichsdeutschen Gefängnis zustände, deren abscheulichste Ausschreitungen Hans Leuß in seinem Buch schildert, scheinen nicht einmal die öster reichischen. Sie sind aber so, daß das Zuchthaus heute selbst dem elendesten Verbrecher ein gutes Gewissen gibt, daß sich, dank unserem Strafvollzug, der Mörder als Opfer fühlen darf. .... -er Daß nach dem Zugeständnisse eines Fachmannes im Straf vollzug Österreichs das ABSCHRECKUNGSPRINZIP die erste Rolle spielt und der Rachezug einer mittelalterlich grausamen W^iederVergeltung scharf hervortritt, nur mit dem Unterschiede, daß die heutige fürchterliche Justizmaschine mit ihrem stumpf bureaukratischen Beamtenmaterial noch grausamer und unmenschlicher arbeitet, im traurigen Gegen sätze zu den sonstigen Kulturidealen der heutigen Zeit, die über Menschenrechte und Menschenpflichten sehr geläuterte Auf fassungen vertreten, das kann man aus dem unerschrockenen Buche Großmanns, das in allen Stücken nur den Eindruck selbsterschauter Wahrheit macht, herauslesen, weshalb es nicht nur den gesetzgeberischen Faktoren, sondern über haupt der gesamten Bevölkerung als wichtige Lektüre an gelegentlich zu empfehlen ist. Der Bankerott des Strafvoll zuges, der für Deutschland längst konstatiert ist, wird durch dieses Buch vollauf bestätigt. Er besteht darin, daß fast kein Sträfling irgendwie gebessert die Strafanstalt verläßt. „Das Zuchthaus verstockt, und dieser giftige Prozeß geht im einzelnen rasch von statten, weil dem Sträfling von allen Leidensgefährten die gleiche Losung zugeflüstert und zugeschrien wird. Aber der Gesellschaft zurückerobert wird kaum einer! Wer durch eine kurze Haft, durch eine ernste Gerichtsverhandlung, durch eine peinigende Selbstbesinnung wirklich geläuterter, innerlich gereinigter und befreiter sein könnte, sinkt wieder ins Jämmerliche zurück, wenn er zu lange eingesperrt bleibt. Bedenkt man dazu, daß ganz un genügende Ernährung, antisanitäre ^Vohnräume, sinnwidrige Lebensweise den Sträfling körperlich bricht, so wird man den oft beobachteten HOCHMUT DER VERBRECHER gegenüber plattdenkenden, mit Bekehrungsschriftchen aus gestatteten Funktionären staatlicher und religiöser Moral begreifen.“ über die Sterblichkeit in der Anstalt für Jugendliche in Göllersdorf sagt der Verfasser: „Der österreichische Staat macht nicht einmal den Versucht diese Knaben — denn diese jungen Dégénerés sind auch mit 20, geschweige denn mit 15 Jahren noch Knaben wieder auf die Beine zu stellen, sie zu innerlich wider standsfähigen, wirtschaftlich erwerbsfähigen, körperlich ge sunden Männern zu machen. „Die Jugendlichen sterben mir weg wie die Fliegen,“ das sagte mir der Leiter des Prager Gefängnisses, und in Göllersdorf habe ich schaudernd ge wahrt, daß fast keiner der jungen Burschen während der dort verbrachten Jahre ein Gewerbe lernt, mit dem er draußen sein Brot verdienen könnte. Die Jahre der Lehr zeit müssen diese verwahrlosten, auch vom Staate verwahr losten Kinder mit törichten Handlangerdiensten vertun! Von einer Einwirkung aufs Innere der Jungen gar nicht zu reden. Mit Bekehrungsschriften und Moraltraktätlein langweilt man selbst sittlich verständige Geister; gibt es wirklich noch Leute, die meinen, durch das Aufdrängen und Anheften christlicher Sittensprüchlein werde man Kinderseelen, an denen nie lebendiges, tätiges, stummes Christentum sich versucht hat, zu anderen Äußerungen als solchen des Hohnes bringen können? Christentum will getan, nicht gepredigt werden! Unser Strafvollzug hat, konsequent durchgefuhrt, am Bnde nur den EINEN Erfolg: er verhindert fast stets den einmal verbrecherisch gewordenen Menschen sich jemals wieder aufzurichten. Die Wege zu diesem Ziel sind vielfache.“ Da sind zunächst die mangelhafte Ernährung, die Diszi plinarstrafen, die „wilde“ Sträflinge oder auch unbeliebte in den erwünschten Zustand der Gebrochenheit versetzen. „Mürbe machen“ nennen das die amtlichen Bändiger. Ferner die moralische Degeneration, deren wesentliches Mittel der Haß ist, der Widerwille gegen die Arbeit, der „in den Sträf lingen, wenn er nicht schon da ist, heraufgezüchtet wird. In der Bevölkerung weiß man, daß ,Sackeipicken' und ,Hanf drehen' die beliebtesten Beschäftigungsarten in unseren Straf anstalten sind. Der Kreis der erlaubten Sträflingsbeschäftigungen wird von Tag zu Tag ein immer engerer. Also sollen die Sträflinge wirklich nichts tun oder bloß Papiersäcke kleben? Soll ihnen wirklich fast jede ordentliche Beschäftigungsart ver wehrt werden? Soll der junge Verbrecher durch die volle Entfremdung seinem Beruf für immer entzogen und so zum Berufsverbrecher herangebildet werden? Soll man besserungs fähige Jugendliche nicht zu einem Beruf erziehen, der sie wieder freigelassen, ernähren kann? Ist das jahrelange Säcke kleben und Strümpfestricken nicht ein Verbrechen am Sträf ling, der dadurch existenzunfähig für das Leben in der Freiheit gemacht wird?“ .er Im ganzen gilt noch immer, was der Oberdirektor der btrai- anstalt Stein, Franz N AD ASTINY, vor einigen Jahren in den „Blättern für Gefängniskunde“ schrieb: Die Autorität des Strafvollzuges wurde seinerzeit einem ausübenden BEAMTENKÖRPER überantwortet, der keines wegs auf der Höhe der Situation gestanden und unter dem Zeichen des BESCHLIESSERTUMS keine anderen Sorgen hatte, als daß nicht Unruhen, Gewaltakte und Fluchtfäl e das schlechte Gewissen der Öffentlichkeit aufrütteln und die Aufmerksamkeit auf die im lethargischen Zustand befindlichen Stätten unsäglichen Elends locken. Heute noch gibt es Ge fängnisse, in denen das Schlüsselgerassel als Nachklange alter Zuchthauszeiten, die Sorge sicheren Gewahrsams, mit kalmierenden Mitteln aufrecht erhaltene Ruhe die Wahr zeichen eines Strafvollzuges sind, der tief unter den idealen Kulturauffassungen über Menschenrechte und Menschen pflichten steht. Die heimischen Gefängnisbeamten haben sich seit jeher, mit wenig Ausnahmen, lediglich als initiativ- und energielose Werkzeuge der höheren Justizbehörden er wiesen, wodurch es bisher nicht gelungen ist, im Gebiete unseres Strafvollzuges einem fortschrittlicheren, idealen Streben Bahn zu brechen. So ist es gekommen, daß in der Praxis des Strafvollzuges, jedes Kontakts mit der E<ic- wissenschaft entbehrend, in der Hand «ines STUMP - BUREAUKRATISCHEN BEAMTENMATERIALS, für 180