m ggfRI KUNSTDEBATTE IM ÖSTERREICHISCHEN ABGEORDNETENHAUS. D er Abgeordnete PERNERSTORFER besprach zuerst die bekannte Interpellationsbeantwortung des Unterrichtsministers über die sogenannte Marschall-Affäre. Er bezweifelt, daß der Kunstreferen i. wirklich so bescheidene Kompetenzen habe, wie der Herr Minister behauptet. Gewöhnlich sind sie Bureaukraten. die, auf dem Gebiete der Kunst völlige Laien, sich doch großen Einfluß auf rein künst' lerischem Gebiete erlauben. Redner legt überhaupt Wert darauf, darauf hinzuweisen, daß jede Einflußnahme von Bureaukraten auf Kunstfragen von Übel ist und daß alle Aufmerksamkeit darauf ge- richtet sein müßte, in diesem Ressort die bureaukratische Macht so weit als möglich einzuschränken. Ohne ein abschließendes Urteil über Professor MARSCHALL abzugeben, sei vorerst bemerkt, daß sehr nam hafte Künster die Entfernung Professor TAUTENHAYNS nicht billigen, indem sie dessen künstlerische Befähigung auch heute noch sehr hoch stellen. Aber wie dem auch sei, ob die künstlerischen Qualitäten MAR SCHALLS zu seiner Ernennung berechtigt haben oder nicht, das will ich nicht beurteilen, weil ich es nicht kann. In der öffentlichen Diskussion über Professor MARSCHALL ist viel Schmutz aufgerührt worden und trotz aller Untersuchungen und Versicherungen ist die Öffentlichkeit noch in keiner Weise über die ganze Affäre vollständig aufgeklärt. Das erhellt insbesondere aus einer Broschüre, die sich für MAR SCHALL einsetzt und deren Verfasser wiederholt die Veröffent lichung des Protokolls der Untersuchungskommission fordert. In der Tat eine berechtigte Forderung, der jedermann beitreten wird, der in der Sache volle Klarheit zu erhalten wünscht. Je weniger sympathisch die Gestalt MARSCHALLS in dem Streit sich darstellt, desto mehr hat er das Recht, zu fordern, daß alles bekannt werde, was zu seiner Recht fertigung beitragen kann. Nun behauptet sowohl der Herr Minister als auch die zitierte Bro schüre, daß die Ergebnisse der Untersuchung völlig für MARSCHALL sprechen. Da sein Verhalten, besonders in der letzten Zeit, wo er in seinem Privatatelier Unterricht erteilt, während er doch entweder auf seinem vollen Recht bestehen oder freiwillig die Akademie ver lassen müßte, so sehr gegen ihn spricht, so muß alles heraus, was angeblich für ihn spricht. Der Redner stellt daher den Antrag: „Die Regierung wird aufgefordert, die Protokolle der Untersuchungskommission in der Affäre MAR SCHALL dem Abgeordnetenhause in ihrem ganzen Umfange mitzu teilen." Ein bedenklicher Umstand bei der ganzen Sache scheint es mir zu sein, daß der Herr Minister die ganze Verantwortlichkeit für seinen Beamten übernommen hat, um ihn gleich darauf fallen zu lassen, eine Sache, die doch vermuten läßt, daß bureaukratische Über griffe vorgekommen sind. Und dagegen muß sich das Parlament aufs entschiedenste wenden. Auch in der Affäre MYRBACH ist zu zweifeln, ob nicht auch solche sich breit gemacht haben. War denn wirklich das Demissionsgesuch dieses höchst verdienstvollen Direktors der Kunstgewerbeschule ganz freiwillig? Es gibt so manche Kunstverständige in Wien, die der Meinung sind, daß gerade die hervorragenden fachlichen Qualitäten Baron MYRBACHS ihm den Haß gewisser Bureaukraten zugezogen haben. Der Kunstreferent soll von Anarchie in der Kunstgewerbeschule gesprochen haben, aber immer noch besser künstlerische Anarchisten, die etwas können, als bureaukratische Banausen, denen Aktenstücke, die zu erledigen sind, mehr bedeuten als künstlerischer Sinn und künstlerisches Können. In Sachen der Kunst sollen Künstler entscheiden und nicht Bureaukraten. Ein ausgezeichneter, sehr lesens werter Artikel in der Zeitschrift „HOHE WARTE“, erster Jahrgang, fünftes Heft: „DIE VOLKSKUNST UND DIE ÖSTERREICHISCHE UNTERRICHTSVERWALTUNG“, gibt prägnante Beispiele dafür, wie verwüstend die Bureaukratie wirken kann, wenn sie in die Kunst dreinredet, umsomehr, als es ja beim Reden leider nicht bleibt. Zum Schluß regt der Redner an, daß die Galerien auch Sonntag nachmittags geöffnet werden, weil gerade zu dieser Zeit die breiten Massen der Bevölkerung am leichtesten Gelegenheit hätten, sie zu besuchen. DIE ENGLISCHE GARTENSTADT-BEWEGUNG. D ie Fortschritte in der BEGRÜNDUNG DER ERSTEN ENGLISCHEN GARTENSTADT sind aus dem BERICHT DER DIREKTOREN für die bevorstehende Generalversammlung ersichtlich. — DAS KAPITAL DER GESELLSCHAFT vermehrt sich den Bedürfnissen entsprechend durch Zeichnung von Anteilen aus den direkten Interessenkreisen und ohne Appell an die Öffentlichkeit und beträgt jetzt 2,116.000 Mark. Nachdem bereits im Frühjahr vorigen Jahres der Stadtplan durch Wettbewerb gewonnen war, sind inzwischen die Aufschließungs arbeiten rüstig in Angriff genommen worden. — Das WASSERWERK ist gebaut und bereits im Betrieb. Über 9 KILOMETER HAUPT LEITUNG sind gelegt und angeschlossen. Gleichen Schritt mit der Verlegung der Wasserleitung hält diejenige der KANALISATION. — Die Errichtung eines GASWERKES, mit 6 Millionen Kubikfuß Leistung pro Jahr, ist in Angriff genommen. Es soll im Juni dieses Jahres fertig werden. Ein Gaswerk erweist sich für die erste Zeit als notwendig und wird auch keineswegs überflüssig sein. Es soll indes auf keinen Fall ein Hindernis für die später zu errichtenden ELEKTRIZITÄTS WERKE sein. — Neben den bestehenden sehr guten Chausseen sind 5 KILOMETER NEUE STRASSEN gebaut worden, wodurch zusammen mit der Verlegung der Wasserleitung und Kanalisation bis jetzt eine Fläche von nahezu 500 Morgen der Bebauung erschlossen wurden. — Die VERKEHRSVERHÄLTNISSE des Grundstücks mittels der Eisen bahn, die das Grundstück durchquert, haben folgende Verbesserungen erfahren: Bei der provisorischen Eisenbahnstation sind im Interesse des bereits bestehenden und kommenden GÜTERVERKEHRS für einen Betrag von 36.000 Mark ANSCHLUSSGELEISE gebaut worden. Wurde die Station bisher nur gelegentlich für Personenverkehr benutzt, so tritt im April dieses Jahres REGELMÄSSIGER PERSONENVERKEHR ein. Auch werden innerhalb weniger Monate die bisherigen provisorischen Stationsgebäude durch größere reguläre massive Bauten ersetzt sein. — POST-, TELEGRAPH- und TELEPHONVERKEHR ist eingerichtet, auch ist eine BANKFILIALE eröffnet worden. — Zur Befriedigung der geselligen, geistigen und ästhetischen Bedürfnisse der ersten und künftigen Bewohner soll ein „Volksheim“ geschaffen werden. Die Bau kosten werden auf 24.000 Mark geschätzt. Die Deckung dieser Summe hat die Frauengruppe der Propagandagesellschaft übernommen. An INDUSTRIELLEN UNTERNEHMUNGEN haben bereits sechs an Zahl Terrainabschlüsse gemacht, und zwar über 24 Morgen Land. Es sind dies eine Mineralwasserfabrik, eine Asphaltfabrik, eine Maschinen fabrik, eine große Firma für Buchbinder- und Papierwaren, eine Buch druckerei (Produktivgenossenschaft), sowie eine Fabrik für Wasser- hitzungsapparate, Badeöfen etc. Ein Betrieb fabriziert schon, zwei andere eröffnen den Betrieb noch im Verlaufe dieses Frühjahrs, respektive Sommers. Die Nachfrage nach Terrain seitens industrieller Firmen wird als eine sehr günstige betrachtet, doch werden Abschlüsse in großem Maß stabe erst erfolgen (dann aber nach Ansicht der Direktoren auch mit Sicherheit erfolgen), wenn die Aufschließungsarbeiten weiter fort geschritten sind. Denn neben einer Reihe sonstiger Vorteile in Bezug auf Transporterleichterung durch Anschlußgeleise etc. und billiger Kraft versorgung bietet die gemeinnützige Gartenstadtgesellschaft ihr Terrain zu einem Zehntel des Pachtpreises an, zu dem es sonst günstigen Falls in englischen Städten zu bekommen ist. Ein Industrieller, der sich in der Gartenstadt ein Acre Land pachtet, spart im Verhältnis zu London etwa 10.000 Mark, im Verhältnis zu kleinen Provinzialstädten immer noch 1000 Mark an derjbloßen Bodenpacht. Die Ersparnisse an Abgaben und Steuern sind noch unvergleichlich höher. Dieselben richten sich in England nach dem Bauwert des Fabrikgebäudes und betragen in den Städten (auch in den kleineren) 30—50 Prozent, in der Garten stadt nur 15 Prozent desselben. Bei dem Wert eines Fabrikgebäudes von 200.000 Mark heißt dies eine weitere jährliche Ersparnis von 30.000 Mark. Die Nachfrage nach GRUNDSTÜCKEN FÜR WOHNZWECKE ent spricht der nach Industrieterrain. Sie ist eher reger, da bei den günstigen Verkehrsverhältnissen auch Londoner Geschäftsleute in der Gartenstadt schön und billig wohnen werden. Für 300 Bauparzellen sind bereits Abschlüsse erfolgt, respektive in der Schwebe. Dem LANDWIRTSCHAFTLICHEN PROBLEM wird seitens der Gesell schaft volle Beachtung geschenkt. Dies ist um so natürlicher, da ja die Außenzone der Stadt künftighin (nämlich 2 / 3 des Gesamtareals, also über 4000 Morgen) stets unter landwirtschaftlicher Kultur bleiben soll. Nach 207