BIEDERMEIERS BLUMENSTÜCK. D er Sinn für die Ästhetik der Pflanze liegt im Grunde der alten Blumenmalerei. Auf die Blumenliebe reicher holländischer Handelsherren gegründet, entwickelte sich zu Anfang des XVIII. Jahrhunderts das Blumem stück als selbständige hochgeschätzte Gattung, von namhaften Künstlern gepflegt, wie Morel, Maria Sibylla Merian, Bronk^ hörst, Henstenburgh, Huysum, Wyne, van Loo, Robb, Roedig, van Os, van Leen u. a., deren Blumenfreude sich dem XIX. Jahrhundert vererbte und bis in die Sechziger) ahre anhielt. Wir wollen uns einmal flüchtig daran erinnern, daß unsere Großeltern noch eine solche feine Blumenkultur besaßen, zu der wir jetzt erst wieder den Anfang machen. Treten wir in die Tür der Großväter, dann finden wir ein helles Gemach mit weißen Gardinen, einfärbigen, weißen oder ge^ streiften Wänden mit Buketten, hellgelben Kirschholzmöbeln, und als Herrscherin und Hüterin dieser einladenden, traulichen Stimmung die Blumen, unsere heimatlichen Bauernblumen in weißen Töpfen, lieblich anzuschauen. In der Blumenliebe liegt etwas sehr Edles. Der Anfang von Kunst liegt in ihr. Was die Blumenpflege für die Kultur bedeutete, konnte man in den alten Landhäusern, den alten heiteren Stuben voll Licht und Luft, in den Vor' und Hausgärten und den Bauerngärten ersehen. Ihr künstlerischer Niederschlag war das Blumenstück, von Künstlern und Dilettanten gepflegt, und hochbeliebt in der Zeit vor dem Makart'Bukett. Aber seit den Sechzigerjahren schwanden die lebenden und ge-- malten Blumen aus den stilvoll verdunkelten Wohnungen. Erst seit einigen Jahren ist die lebende Blume wieder zu Ehren gebracht und sie hat bereits eine Revolution in den Wohnungen hervorgebracht. Der Fall ist typisch: ist in irgend einem Hause die Blumenfreude intensiv geworden, dann spürt man die Wohltat der Blumenherrschaft in allen Räumen. Die schweren Stoffgardinen, welche die vordem so beliebte Rembrandtsche Clair^obscur-Stimmung erzeugen sollten, werden entfernt. Luft und Licht strömen wieder in vollen Fluten herein. Nun zeigt es sich auf einmal, welch ein lichtscheues Gesindel von Nippes und lächerlichem Aufputz die Wohnung ver' unstaltete, vom Makart'Bukett angefangen bis zu den japanischen Schirmen und Photographieständern, wieviel unkontrollierbare Staubwinkel allen Wänden und Möbeln entlang vorhanden sind. Die Umwälzungen, die von der stillen selbstgenügsamen Blume ausgehen, füllen ein lustiges Kapitel. Die Blumen der Heimat kommen solcherart natürlich wieder zu verdienten Ehren, zunächst wegen ihrer Anspruchs-- losigkeit, und dann, weil die wiedererwachte Blumenästhetik ihre schlichte Schönheit neu entdeckt. Von da zum Blumen-- stück ist nur ein kleiner Schritt. Die Blume in der Kunst, das ist eine Herzensstärkung für beide, den Blumenfreund und den Kunstfreund, und eine doppelte Freude, wenn beide eine Person sind. Die Blume in der Kunst, die sehr früh als Vorbild vom Künstler ergriffen, aber immer nur als Nebensache und schmückendes Beiwerk behandelt wurde, ist nicht gemeint; also nicht jene Kunst, die dem Architekten Blätter, Knospen, Blumen, Früchte zur Belebung seiner starren Flächen und Stäbe liefert, oder die einem Pausias von Sikyon zum Schmucke seines geliebten Sträußermädchens willkommen war, noch auch Lucca della Robbias und seiner Anhänger bunt verglasten hocherhabenen Blumen' und Frucht' kränze zum Schmucke anbetungswürdiger Heiligenbilder, noch die Fruchtfülle köstlich gedrängter Obstgehänge und ungeheuer lastenden Festons des Vatikans, noch die be' wundernswert nachgebildeten Blumen und Früchte als Rand' Verzierungen von alten Pergamentblättern heiligen und frommen Inhalts, noch auch was späterhin die Künstler als Blumen oder Landschaft einem anderen Hauptinteresse des Bildes unterordneten, sondern die Kunst ist gemeint, die aus der Blume das Hauptinteresse machte und sie um ihretwegen allein darstellte. Also das eigentliche Blumenstück. Das niederländische Blumenstück als solches genießt seinen ewigen Ruf, dem nichts zu nehmen und nichts hinzuzufügen ist. Anders ist es mit dem Alt-Wiener und dem Biedermeier Blumenstück. Es verkörpert ein Stück lokale Kunst, die an örtliche Verhältnisse gebunden, ungekannt geblüht hat und lange Zeit verkannt oder geringgeachtet war wie die heimat' liehen Blumen, von deren Schönheit diese Kunst erzählt. Beide verdienen daher, wieder aufgesucht und geliebt zu werden. Die Sammlungen und Museen weisen keinen Bestand an dem köstlichen Gut auf, das dieser Zweig der lokalen Kunst einst hervor gebracht. Selbst die Namen der Künstler, die seit Goethes Tagen ihre künstlerische Sorgfalt den Blumen zugewendet haben, sind mit wenigen Ausnahmen so gut wie unbekannt und die Bilder selbst sind nur in den seltensten Fällen ge' zeichnet. Was auch der Künstler von seiner Liebe zu dem Gegenstände in den anmutigen Blumenstücken ausdrücken mochte, indem er sie zu einem zierlichen Strauße steckte und das Spiel von Licht und Schatten, die freudige Buntheit der Farben sorg' fältig beachtete, er tat es nicht, ohne in seiner Darstellung die Wissenschaft zu bedenken, neben der sinnlichen Freude an der Form, an Licht und Farbe, die Wißbegierde zu befriedigen, und neben ihrem Drang, das Schöne zu verkünden, auch ein klein wenig den Schulmeister zu spielen. Der große Linné, dessen System Übersicht in die verwirrende Fülle botanischer Erscheinungsformen gebracht hatte, guckte jedem Blumenmaler der damaligen Zeit über die Palette; war das Schöne befriedigt, so sollte das Wahre dabei nicht vergessen sein, und das Werk mußte nicht nur vom Kunstfreund, sondern von einer unübersehbaren Reihe von Kennern, Wissenden, Unterscheidenden über die Natürlichkeit eine Prüfung bestehen und schließlich wollten auch die Kreise der Gartenfreunde sich darin behaglich ergehen und mit ihren Lieblingspflanzen ein rührendes Wiedersehen und Wiedererkennen feiern. Darum finden sich in den Blumen' stücken alle Freunde aus dem Hausgarten wieder, die Cynien, Levkojen, Winden, Dahlien, Hyazinthen, Fingerhut, Phlox, Stiefmütterchen, Rittersporn u. v. a. Die einfachen heimatlichen Blumen, bezeichnenderweise ßauernblumen genannt, lauter liebe alte Bekannte, heute gering geachtet und unmodern, damals aber der Stolz der Bürgergärten, die man gern im Bilde verewigt sehen mochte. Einen Segen über sie! Ein bißchen Hausgeschichte ist mit den Blumenstücken verwoben und blaue Lavendelstimmung umhüllt sie mit gefühlseliger Sorgfalt, die auf den Schmetterling, der unfehlbar zu den Blumen gehört, auf den Tautropfen am Rosenblatt, auffliegende Ameise und auf den Reflexstrahl am Wasserglas wohlbedacht ist. Wie aber erfüllt der Künstler die Ansprüche der vielen, die an seinem Werke Interesse nehmen? „Nun verlangt die Kunst, daß er seine Blumen nach Form und Farbe glücklich zusammenstelle, seine Gruppen gegen das Licht zu erhöhe, gegen die Seiten schattend und halbschattig abrunde, die Blüten erst in voller Ansicht, sodann von der Seite, auch nach dem Hintergrund zufliehend sehen lasse und sich dabei dergestalt bewähre, daß Blatt und Blättchen, Kelch und Anthere eine Spezialkritik aushalte und er zugleich im ganzen, Künstler und Kunstkenner zu be' friedigen, den unerläßlichen Effekt dargeben und leisten soll“ 409