WIEN UND DIE KÜNSTLERISCHEN GEMEINDE.AUFGABEN. I. DER KARLSPLATZ. ier ist alles noch Übergang. Der heutige Zustand ist wüstenhaft, verglichen mit dem Bilde, das sich vor der Eindeckung des hier durchziehenden Wiem flusses von der ehemaligen Elisabethbrücke aus dar-- bot: reiche gärtnerische Anlagen längs der Ufer, über die sich das Werk Fischers von Erlach, die Karlskirche mit monumentaler Größe erhob. Der Anblick war groß und lieb' lieh zugleich. Heute erscheint die Kirche klein und versunken. Den unteren Teil des weiten Platzes, gegen den Schwarzem bergplatz, hat die Spekulation an sich gerissen. Dort soll der Platz im rechten Winkel durch das neue Stadtmuseum abgebaut werden. Es läßt sich nicht Vorhersagen, wann es geschehen wird. Um den Bau geht seit Jahren ein Streit, ohne daß es bis heute gelungen wäre, Einmütigkeit zu erzielen. Es ist für unsere Verhältnisse bezeichnend, daß der Kampf um den Museumsbau ein Streit um die Fassade ist. Ein Wort Lichtwarks: „Bei einem Museum ist die Fassade nichts, der Grundriß alles.“ Vom Grundriß war kaum die Rede. Es ist gar nicht ernstlich daran gedacht worden, daß das Wiener städtische Museum nicht als ein Speicher von Sammelgegenständen, sondern als eine volkstümliche Bil dungsstätte im Organismus unserer Stadt eine wichtige Aufgabe erfüllen soll, die mit Repräsentation nichts zu tun hat. Wenn es sich um nichts weiteres handeln sollte, als durch Kaisers Empfangssaal und Bürgermeisters Empfangs saal das monumentale Wahrzeichen einer leeren Feierlich keit zu errichten und für die durchreisenden Fremden zu den während eines zweitägigen Stadtaufenthaltes durch rannten 300 Museums- und Ausstellungssälen noch einige Dutzende von Museumszimmern hinzuzufügen, dann ist schade um jeden Betrag, der aus den Gemeindegeldern für einen solchen Bau verschwendet wird. Die Fehler unserer Hof museen sollten eine ewige Warnung sein. Dagegen ist die Bausumme in jeder Höhe nutzbringend angelegt, wenn das Stadtmuseum als Volksbildungsstätte aufgefaßt wird. Die Auffassung müßte im Bauorganismus zum Ausdruck kommen. Die Repräsentation würde als überflüssig und drückend empfunden werden. Alle Mittel aber wären zu ver wenden, es im Innern weitläufig und bequem, gediegen und angemessen und bei aller Schlichtheit so anheimelnd und einladend als nur möglich zu machen, wobei nicht nur bestehende Forderungen zu erfüllen, sondern auch Bedürf nisse vorauszusehen sind. Was ein solches Museum für die künstlerische und kulturelle Bildung in unserer Stadt auf Grundlage der eigenen Vergangenheit zu leisten hätte, ist vielleicht nicht einmal noch annähernd erkannt. Der Gedanke ist berückend. Was wissen wir von der künstlerischen und kulturellen Vergangenheit auf unserem Boden? Wie viele triebsame künstlerische Kräfte sind erloschen, weil sie die Wurzelhaftigkeit verloren haben? Wien hat in der Zeit von 1750 bis 1850 in der Architektur, in der Malerei, im Kunstgewerbe und namentlich in der Möbeltischlerei eine Blüte besessen, die völlig vergessen ist; wo finden wir im neuen Wien die Weiterentwicklung dieser künstle rischen Gedanken, die damals aufgespeichert wurden? Das ganze Neu-Wien ist ein Monument des Erloschenseins künst lerischer Triebkräfte. Das Schaffen der Alt-Wiener Maler, so weit es mit lokalen Bedingungen zusammenhängt, ist nir gends zu überschauen; die Entwicklung und Pflege des Porträts im alten Wien wird in keiner Galerie veranschau licht. Hier müßte das Stadtmuseum mit der erziehlichen