machtlos. Je mehr er sich auf alle Einzelheiten, die die Größe des Ganzen ausmachen, einlassen wollte, desto kläglicher und aussichtsloser wäre sein Beginnen. Wäre er statt Maler Gold' schmied und wollte nur einen Zweig aus Steinen und Edeh metallen formen, so würde er an der unerreichbaren Volk kommenheit des natürlichen Zweiges um so sicherer scheitern, je mehr er sich auf die Imitation der Wirklichkeit einließe, die obendrein meistens verbunden ist mit einer furchtbaren und nutzlosen Vergewaltigung des Materials. Die Natur selbst zwingt den Künstler zur Abstraktion, zur Darstellung des Unwirklichen. Er beschränkt sich auf seine Ausdrucks' möglichkeiten und gibt weniger und mehr als die Natur. Jedenfalls etwas, das ihr entgegengesetzt ist, weil es anderen Absichten entspringt. Er verwendet die natürlichen Formen in einem anderen Geiste und in der Sprache eines anderen Materials. Was ihn in dem Labyrinth der unwirklichen Welt, die er der wirklichen entgegensetzt, leitet und vor dem Kopf' stürz ins Wahnwitzige und Vernunftwidrige schützt, ist die organische Idee. Sie drückt aus, wie die Natur gearbeitet haben würde, hätte sie des Künstlers Phantasie und Mittel. Der kühnste Stilist ist der sorgfältigste Naturbeobachter. DER RHYTHMUS VON FORM UND FARBE. Aber auch der bewußte Naturalist ist ein latenter Stilist. Nur als solcher erreicht er das Äußerste an Ausdruck. Die Natur selbst, indem sie sich gegen Nachahmungen wehrt, stößt ihn auf diesen Weg. Man stelle sich eine große Masse Menschen oder eine Masse Häuser gegen Sonnenuntergang vor, eine Vielheit der unterschiedlichsten Erscheinungen, der interessantesten Bau' formen. Kein Künstler wird sich nur einen Augenblick lang bei der Absicht aufhalten wollen, die Physiognomien dieser unter' schiedlichen Menschen, die Details dieser Bauformen in der Massenhaftigkeit dieser Abenderscheinung darstellen zu wollen. Der goldene Abend am Himmel und die dunkle Masse auf der Erde: zwei wunderbare farbige Kontraste, zwei gegen' einander gerichtete Ströme von Licht und Farbe, einander bekämpfend und zugleich in wunderbarer Harmonie zusammen' fließend, das ist es, was der Maler zu ergreifen trachtet. WHISTLER bildete daraus seinen Stil: Nokturno in Blau und Silber, Nokturno in Blau und Gold. Wasser, Häuser, Lichter, Feuerwerk in eine Harmonie von Blau mit Gold oder Silber aufgelöst, in einem Rhythmus, den wir als Musik empfinden würden, wäre es nicht Farbe. Aber das Werk lebt für sich allein in dem Material, aus dem es geschaffen, unübersetzbar. Ein Bild ist gemalt, weil Farbe empfunden wurde, eine Plastik wird geschaffen, weil Form empfunden wurde. Eine Zeichnung entsteht, weil das Bedürfnis nach Mitteilung in künstlerischer Form vorhanden ist. Aber die Natur selbst zeigt in ihren Beispielen, daß die Farbe der Form entgegengesetzt ist. Sie gehorchen einem anderen Gesetz. Die Natur lehrt den Stil. Die Maler lieben die Nebel von Holland, aber nicht um die Formen klarer zu sehen, sondern um die Farbe klarer zu sehen, den Stil. BILD UND STUDIE. Das Bild im Bewußtsein der Fläche strebt zur Architektur. Die Wand ist die Heimat des Bildes. Selbst die Werke der niederländischen Maler waren Archi' tekturteile, ein Stück Malerei in den Lichtkreis eingesetzt, der durch die kleinen aufzuschließenden Öffnungen der großen geschlossenen Fensterladen auf die Wand fiel. Bilder, die nicht nach der Verbindung mit der Architektur verlangen, sind Studien. Die meisten Werke des Naturalismus sind Studien. In dieser Form ist der Naturalismus die Vorstufe zur höheren Einheit des Stils. Der Stil ist die beziehungS' reiche Einheit der Künste untereinander. Der Maler abstra' hiert aus der Natur die Farbe, nicht die Farbe der Dinge, sondern die Farbe der Wirkung, als das wiedergefundene Paradies und vereinigt sie in der Fläche zu den Schöpfungen seiner Phantasie. So unwirklich diese Dinge sind, so sind sie doch die einzige künstlerische Wirklichkeit. DIE PLASTIK. Auch die Plastik ist Teil der Architektur. Niemals wird der Bildhauer zum bloßen Naturabschreiber herabsinken; niemals wird er die verwirrende Fülle und Zufälligkeiten der Natur vortäuschen wollen, wenn er auf künstlerische Wirkung hält und das Panoptikum vermeiden will. Jede Plastik ist edel, wenn sie den Schein der Wirklich' keit vermeidet. Die heutige naturalistische Denkmalplastik ist also durchaus unedel. Je mehr sie sich an die banale Wirklichkeit klammert, desto mehr beweist sie, daß der Künstler keine Phantasie hatte. Das Blattwerk an den Kapitälen und Hohlkehlen gotischer Dome ist künstlerisch, weil es jede Täuschung vermeidet, niemals den Ausdruck des Stein' materials vergewaltigt, ungeachtet der organischen Beziehung zur heimatlichen Flora, die als Erinnerungswert in dem Steingebilde lebt. Der Blumenflor, der aus dem Steingebilde hervorblühte, ist architektonisch gegliedert und geordnet. Der Steinmetz konnte nur jene Zahl von Stengeln, Blättern, Blumen und Beeren herausheben, die notwendig waren, um das Werk zu überranken, er durfte sie nur so weit unter' meißeln, als notwendig war, die tote Fläche zu beleben. Das Höchste, was der Bildhauer in seinen Gebilden darstellen kann, ist, daß Stein Stein ist. Die Plastiken alter Gärten sind im Grunde Architekturteile, um die räumliche Einheit des Gartens zu betonen. Ihre Skulptur ist Dekoration. BAUKUNST. Sie ist das vollkommenste Beispiel, wie die unwirkliche menschliche Illusion zur Wirklichkeit wird. Die Abstraktion aes räumlichen Denkens ist in ihr Sichtbarkeit geworden. Alle Künste machen entweder eine malerische oder eine körperliche Abstraktion sichtbar. Aber darin ist die BauKunst Königin, daß sie die räumliche Beziehung aller Künste herstellt. Ihr Wesen ist die beste Anwendung der Künste. Sie wendet die Künste so an, um sie in sichtbaren oder fühlbaren Einklang mit dem Menschen zu bringen. Sie ist absolut Gegensatz der Natur, wie alle Künste, die ihr, beziehungsweise dem Menschen dienen. Die Natur kümmert sich um den Menschen nicht; sie gehorcht anderen Gesetzen 190