DfiS MAGDEBURGER ORTSSTATUT GEGEN VERUNSTALTUNG VON STRASSEN UND PLATZEN ie im letjten Heft der »Hoben Watte« erwähnt, gibt das Gefe^ vom 15. Juli 1907 gegen Verunftaltung von Ort- fcbaften ufw. den Gemeinden die Möglichkeit, durch Schaffung eines Ortsftatuts der baulichen und fonftigen Verun ftaltung nach Maßgabe der äftbetifcben Einficht entgegenzutreten. Der Zweck ift gut. Alles kommt auf den Geift des Statuts und der Handhabung an. □ Huch vor diefem Gefetj war eine legislatorifcbe Handhabe vor- gefehen, aber fie war nur in folcben Fällen für anwendbar er klärt, »in denen es ficb um die Verhütung eines pofitiv häßlichen Zuftandes bandelt, der jedes für äftbetifcbe Geftaltung offene Huge verletjt, ihm zum Ärgernis oder doch zum Hnftoß gereicht.« In den lebten fünfzig Jahren haben die Städte, faft alle, ein Gefleht bekommen, das jeden Begriffen der Schönheit Hohn fpriebt. Trot} des Gefe^es. Es febeint nicht, daß die offiziellen Lebens mächte die eingeriffene Verbäßlicbung als einen Abbruch der Schönheit oder als eine Verlegung des äftbetifcben Empfindens angefeben haben, fonft hätten fie die Gefahr abwenden müffen. Wird es der neue Paragraph können? □ Läßt fich überhaupt ein äftbetifebes Reglement verordnen? □ Ein Blick auf den Magdeburger Entwurf für ein Ortsftatut befagt das nähere. Dort wird in der Hauptfache für die Magde burger Haupt- und Pracbtftraßen gefordert, Neu- und Umbauten »müffen in einer Bauform ausgefübrt werden, die fich dem romanifeben, gotifchen, Renaiffance-, Barock-, Ro koko-, Empire- oder Biedermeierftil anfchließt.« □ Faft alle Stadterweiterungen und Änderungen der letjten fünfzig Jahre liefern den Beweis, daß gerade diefe Forderung das Übel nicht aufgehalten, fondern nur gefördert hat. Nicht die Bau form, fondern der Baugedanke ift künftlerifch entfeheidend. Das Ortsftatut febreibt an einer anderen Stelle mit befonderem Nachdruck den Barodeftil vor und verlangt ihn auch für die Warenbäufer (!), weil Magdeburg dem 18. Jahrhundert viele Barockbauten verdankt, die als ein Merkmal der Stadtphyfiog- nomie angefeben werden. □ Ausdrücklich wird erklärt, daß diefe Beftimmung »den an« ti ki fierenden Schinkel ftil (!)fowie die modern enStillofig» keiten ausfchließen foll.« □ Aus diefen Hauptfätjen des Ortsftatuts gebt fraglos hervor, daß kein Architekt, vor allem kein Künftler vor der Abfaffung des Entwurfs zu Rate gezogen wurde. Da es fich um rein äftbetifcbe Fragen handelt, wäre die künftlerifche Beratung nicht weniger felbftverftändlicb gewefen, als daß man fich in medizi- nifchen Fragen des ärztlichen Rates bedient. Daß man an die künftlerifche Autorität nicht gedacht, gebt aus folgender Beftim mung des Entwurfes hervor: »Vor der Erteilung oder Verfagung der Genehmigung von Neu- oder Umbauten fei der technifche Bei rat der Baupolizeibebörde zu hören. Bei Neubauten und erheb licheren Änderungen ift außerdem der Magiftrat zu hören.« □ Die Gefahr verhängnisvoller Mißverftändniffe liegt offen zutage. Diejm Entwurf aufgeforderten Meinungsäußerungen werden hoffentlich die Sache künftlerifch zureebtfetjen. Einige gewichtige Stimmen haben fich dagegen erhoben, die gehört werden müffen. Wir laffen die künftlerifcben Urteile zur Frage des Ortsftatuts folgen und halten die Spalten der »Hoben Warte« für alle zweck dienlichen Kundgebungen zu diefer Sache gerne offen. □ Denn die gleiche Angelegenheit wird eine Reihe von Städten in näcbfter Zeit befchäftigen. Deshalb find einige prinzipielle Erörterungen am Platte. Nach allen bisherigen Erfahrungen find äftbetifcbe Polizeiregeln, Verordnungen über künftlerifche Grundfätje ein zweifelhafter Segen. Sie bindern den kunftfeind- lichen Utilitarismus nicht, wie das Ortsftatut unzweideutig durch oie Beftimmung erkennen läßt, daß »äftbetifcbe Rückfichten hinter den wirtfcbaftlicben zurücktreten müffen« (warum will man hier durchaus einen Gegenfat) konftruieren?), trotzdem folcbe Ver ordnungen gerade erft im Gegenüber folcber Auswücbfe einen rechten Sinn bekommen; dagegen find fie fehr leicht geeignet, die künftlerifche Freiheit einzuengen und falfcbe Anfchauungen wie obige, zu verbreiten. □ Deshalb fei gleich in diefem Zufammenhang ein Vorfcblag aus- gefprochen, der die Regelung der künftlerifcben Fragen bezweckt. An Stelle des Ortsftatuts fei ein vorwiegend aus anerkannten Baukünftlern und Kunftverftändigen gebildete Kommiffion ein- gefetjt, die in Baufragen die oberfte äftbetifcbe Inftanz bildet. Der Magiftrat und die fonftige über Baugenehmigung entfehei- denden Behörde haben fich unbedingt diefes künftlerifcben Rates zu bedienen und feinen Urteilen die größtmögliche Tragweite zu geben. Da nur von der lebendigen Baukunft niemals aber vom Bureaukratismus die Begriffe desbaukünftlerifcbScbönen beftimmt werden können, fo ift kein Zweifel über die in Frage kommenden Perfönlicbkeiten. Der Bund deutfeher Architekten als Vereinigung von Baukünftlern bat durch feine Ortsgruppen bereits eine Einrichtung gefebaffen, deren fich die Kommunal verwaltungen mit Vorteil bedienen können. □ Um dem künftlerifcben Zeitgeift Rechnung zu tragen und die Gefahr der Verknöcherung zu vermeiden, feien die Kommiffions- mitglieder nur auf beftimmte Zeit zu wählen, auf zwei oder drei Jahre, und dann durch andere Mitglieder zu erfe^en, von denen nicht unbedingt verlangt werden muß, daß fie am Orte wohnen. Was auf dem Gebiete der Rechtspflege in den Gefchworenen- oder Schöffengerichten annähernd gegeben ift, wäre hier durch« zufübren mit dem ausdrücklichen Vorzug, daß es fich binfichtlicb der künftlerifcben Stadtpflege nicht um Laienbeifi^er, fondern um Künftler bandelt, deren Autorität feftftebt. □ Auf die Autorität der Künftler kommt es in der künftlerifcben Stadtpflege an, nicht auf den Bucbftaben einer Verordnung, die den Stempel der Unzulänglichkeit von ihrer Geburtsftunde an trägt. Und wenn es durchaus eines Statuts bedarf, dann fei erft recht eine fotche Kommiffion zu berufen, um ihr die Ausarbeitung eines folcben zu übertragen. □ Und dann fei das Statut ftreng gegen jede Art von Vandalis mus, auch gegen den induftriellen und wirtfcbaftlicben, und liberal, fehr liberal für alle künftlerifcben Regungen, die naturgemäß im Hinblick auf das raumkünftlerifche Ganze wirken. LUX 17