HRCH. PROF. FRITZ SCHUMHCHER (B.D.H.), DRESDEN, ÜBER DAS MAGDEBURGER ORTSSTHTUT »Der Entwurf des Magdeburger Ortsftatuts gegen Verunftaltung der Straßen und Plä^e ift ein fcbönes Zeichen dafür, wie eine deutfche Stadt lieh der Verantwortung bewußt wird, welche die fteigende Macht ftädtifcher Organifation auch für die Pflege und Wahrung künftlerifcher Kultur ihr auferlegt. Nur eine plan mäßige und doch großherzige Leitung unterer öffentlichen Bau betätigung von diefer Stelle aus kann uns dem Verderben einer immer größeren Verwüftung unterer alten Kulturftädte fowobl in ihren hiftorifchen, wie in ihren neuen Teilen allmählig ent reißen. Die Art, wie das im Magdeburger Statut vertucht wird, macht in der Gefinnung, die aus dem ganzen Entwürfe fpricht, einen höchft tympathifchen Eindrude. n Die Grundzüge der Ziele, um die es ficb handelt, werden klar entwickelt und doch die Grenzen der Beeinfluftung weit gefleckt, in der fehr richtigen Erkenntnis, daß heutzutage Kunft- interetfen als Gegenfa^ zu praktitchen Interetfen niemals ein wirkliches Leben haben können und deshalb eine Verbindung der beiden das Ziel fein muß. n Dafür, daß diefes Ziel zu erreichen ift, fcheint mir untere jüngfte bauliche Entwicklung volle Hoffnung zu geben. Alles, was als »modern« Berechtigung hat, liegt nach diefer Seite. Untere wirklich künftletifchen Warenhäufer, untere wirklich künftlerifchen ftädtifchen Nut^bauten find nicht etwa unpraktifcher, weil fie künftlerifch geworden find. Gerade die zum Teil mufter- haften Leiftungen unterer ftädtifchen Bauämter haben das fcblagend bewiefen. Und deshalb fcheint mir in dem Entwurf zur Erreichung des gefuchten Zieles nicht ganz der richtige Weg angedeutet zu fein, wenn man den Bauenden auf beftimmte hiftorifche Formen verweift. D Diefe hiftorifchen Formen werden nur zu leicht ein wirklich unbezwingbares Hemmnis in der Verbindung künftlerifcher und praktifcher Anforderungen und vor allem wird dadurch wieder einmal der gewiß nicht beabfichtigte Eindrude erweckt, als ob die Formen den Charakter eines Bauwerkes beftimmten. □ Das Beifpiel mancher deutfehen Städte, die auf diefem hifto- rifchen Wege ihren Charakter zu wahren fuchten, hat hierfür ein warnendes Beifpiel gegeben. Ich fchreibe diefe Zeilen in Bremen. Hier bat man eine Zeitlang mit befonderer Energie verfucht, die alten bremifchen Bauformen in beftimmten Straßen der inneren Stadt wieder aufzugreifen. Man bat jeljt längft gemerkt, daß das Refultat davon war, die wirklich alten Bauten der betreffenden Formenfprache in ihrer Wirkung matt zu fetten. Schlechte Imitation, ja felbft gute Imitation entwertet nun einmal das fdbuldlofe Original, nicht nur in der Baukunft, fondern überall wohin wir blicken. Wir werden des Eindrucks überdrüffig, und felbft wenn ein flüchtiges Bild des Zufammenklangs von neu und alt erreicht wird, zerftört die Abfichtlichkeit das intimere Gefühl. Weit bedenklicher aber als dies, ift, daß das Zurüdegreifen auf alte Formen meift gar nicht die Garantie eines folcben äußer- liehen Zufammenklangs gibt. Man hätte dem Markt in Bremen kein fcblimmeres Leid zufügen können, als man es dadurch tat, daß man den Riefenbau der Baumwollbörfe, der in feine Ecke bereinblickt, in den Formen der altbremifchen Renaiffance hielt. Das mögen wohl die Formen fein, aber die Maffen des Bau werkes find ganz andere, und die Wirkung, die das auf die be» febeidenen alten Bauten, an denen man die gleichen Formen fiebt, ausübt, ift eine verheerende. Wohl könnte man bei den alten Bauten ein eigenes gefondertes Maßftabsgefübl dem Riefen bau gegenüber wahren, wenn nicht beide die gleichen Formen zeigten. Jetjt ift es unmöglich geworden. a Und daraus ergibt fkb: was man fordern und anftreben muß, um die Harmonie eines alten Eindrucks zu wahren, das find die zufammenftimmenden Maffeneindrücke eines baulichen Bildes. Das Verhältnis der Maffen, das Verhältnis der Formen, das Verhältnis von Fläche zu Öffnung, das find die Punkte, auf die es ankommt. Erreicht man in ihnen Harmonie, dann können die Formen frei und individuell fein, erreicht man in ihnen keine Harmonie, fo nü^en die hiftorifchen Formen auch nichts, ja fie können febaden. □ Viele Fälle gibt es, wo bei febwierigen neuzeitlichen Bauauf gaben diefe Harmonie im engen Bezirk biftorifcher Formen überhaupt nicht zu erreidien wäre. Ich glaube nicht, daß der Berliner Wertbeim-Bau feinen glücklichen, guter alter Maffen- Wirkung ebenbürtigen Eindrude hätte erreichen können, wenn er nicht in feiner formalen Stilfprache ganz frei wäre. Kurz, der Hinweis auf hiftorifche Formen kann die Aufmerkfamkeit von der Hauptfache der Frage ablenken. Er verführt leicht dazu, daß man das Ziel febon erreicht wähnt durch eine Äußer lichkeit. D Wirklich entfeheidend find die rbytbmifcben Werte im Bau werke; auf fie muß die höhere Macht einer Kunftregierung ihren Einfluß ausüben. Dafür aber, daß diefe rbytbmifcben Werte dann ausgefültt werden mit anftändigen Formen, hilft kein Stilgebot und keine Formenbewegung, fondern lediglich das Trachten, daß die Bauten in die Hände künftlerifch gewiffen- hafter, feinfühliger und von vornehmer Baugefinnung durch drungener Schaffender kommt. a Ich weiß wohl, daß das Magdeburger Statut das alles will, daß es auch künftlerifche Betätigung nicht zu knechten beab- fiebtigt und daß es nur dem unfähigen Neuigkeits-Dilettantismus, der ja die fchrecklichfte Erfcheinung ift, der unfer öffentliches Leben je ausgefeljt war, einen Riegel vorfchieben will. Aber die Mittel, mit denen dies gefebiebt, können irre führen, und ich glaube, daß man das Ziel, das erftrebt wird, richtiger damit bezeichnet, daß man tagt: Wir wollen an den wertvollen Stellen untere alten Stadtteile nur folcbe Bauten zulaffen, die in ihrer Maffengeftaltung, ihrer Umrißlinie und im Verhältnis ihrer Formen und Flächen mit den alten Eindrücken in Harmonie flehen und die im Detail der Formen einen reifen ungefuchten Charakter tragen. □ Zu beftimmen, wenn das erreicht ift, und die Wege zu zeigen, um das zu erreichen, ift allerdings febwerer, als wenn es ficb um Stilkriterium bandelt. Aber dem ehrlichen Ehrgeiz ift ein höheres Ziel gefleckt, und man bewahrt ficb davor, daß die vor trefflichen Wünfche, aus denen das Gefetj bervorgebt, febon er reicht zu fein febeinen, wenn man in den alten 1 eilen unterer Städte ein anftändiges baukünftlerifdtes Koftümfeft mit klug be- febränktem Programm veranftaltet. Wir wollen mehr. □ FRITZ SCHUMACHER ANMERKUNG. Weitere Äußerungen von autoritativer Seite über das Magdeburger Ortsftatut werden im näcbften Heft der »Hoben Warte« erfebeinen. D Eine prinzipielle Bearbeitung der Angelegenheit erfebeint geboten, weil die Tragweite über den lokalen Rahmen binausreiebt; zahlreiche andere Städte und Orte werden, wie leicht vorauszufeben, über kurz oder lang mit derfelben Frage zu tun haben; ihnen den Weg zur künftlerifchen Löfung der Angelegenheit zu bahnen, ift der Zweck diefer Erörterungen. D Im Intereffe einer Exemplifikation erwarten wir eine ftarke Beteiligung an der Diskuffion und laden wiederholt dazu ein. DIE REDAKTION 18