Antwortenden willen wird es intereffieren zu hören, was A. Rodin, C. Meunier, M. Bartholome und J. Debois auf die Frage er» widert haben: □ fl. RODIN »Die Kritik Baudelaires ift nicht richtig. Ich konftatiere vor» erft einen groben Fehler. Es ift nicht exakt, zu lagen, daß ein Zufall der Beleuchtung, ein effet de lampe, eine Schönheit ent» hüllen können, welche nicht die ift, an welche der Künftler ge dacht hat. Wenn ein Werk gut .gemacht“ ift, enthält es alle Formen, welche notwendig find, um den Ausdruck und die Be wegung des Lebens zu geben, welche den Gegenftand beleben. Folglich ift es unmöglich, bei welcher Beleuchtung immer, eine Form zu finden, die nicht gewollt ift. □ Es handelt fich, wohlverftanden, um die Plaftik, wie ich fie verftehe. Unglücklicherweife fuchen feit einigen Jahren die Bild hauer nicht mehr ,â copier la nature“; all ihr Beftreben fcheint auf die kleinliche Anwendung von mehr oder weniger will kürlich aufgeftellten Regeln gerichtet zu fein. Anftatt für fein eigenes Empfinden einen Ausdruck zu fuchen, begnügt fich der Künftler damit, die Eindrücke, welche andere gehabt und wieder gegeben haben, noch einmal darzuftellen. Man kopiert irgend einen Meifter, man legt die Natur nach der oder jener vor» herrfchenden Regel aus. Darin liegt das Konventionelle. □ Ich bewege mich mit der Überlieferung; die Akademie bat feit 80 Jahren mit ihr gebrochen. Ich arbeite in der Über lieferung der Primitiven, der Ägypter, Griechen und Römer. Ich habe mich einfach befliffen, ,â copier la nature“. Ich lege fie fo aus, wie ich fie febe, entfprechend meinem Temperament, meiner Empfindfamkeit, nach den Empfindungen, welche fie in mir erweckt. Ich habe nie verfucht, fie aufzuputjen, ich habe keine Kompofitionsgefetje an ihr angewendet, ich habe mich nicht gezwungen, ihre Bewegungen barmonifch zu machen. Ich habe fie beobachtet und erfaßt, ,dans son plein abandon“, in ihrem ganzen Leben und ihrer ganzen Harmonie. □ Die Natur komponiert fich felbft. Mir fcheint diefe Korn» pofition weitaus fcböner als jene, welche man durch Anwendung willkürlicher Gefetje erreicht. Meine Regel ift’s, dem Modell feine natürlichen, eigentümlichen Bewegungen zu laffen. Darin liegt Leben, Schönheit. Die konventionellen Stellungen, welche man den Modellen in den Schulen gibt, erklären die kalte Steif heit der Akademiker. Sie zerftören das Gleichgewicht, die Harmonie und die Kompofition der Natur. □ Ein Modell ift nichts mehr wert, wenn es eine Bewegung zu pofieren gelernt hat, wenn es fich darin trainiert bat, in der vom Künftler angegebenen Stellung zu verharren. Einzig in» tereffant, lebendig und nützlich ift diejenige Bewegung, welche das Modell dann vollbringt, wenn die Natur allein fie befiehlt. Die Alten, von den Primitiven bis zu den Römern, ,ont copié la nature“. Doch find nicht alle ihre Werke vollkommen. Es gibt gute und fcblecbte Plaftik, weil es mehr oder weniger begabte Künftler gibt. Nicht alle haben das Genie eines Michel Angelo gehabt. □ Weil meine Werke nicht .ausgefeindelt“ find, macht man mir den Vorwurf“ daß ich fie nicht vollende und dem Publikum nur Skizzen zeige. Die wicbtigften Modellierungen find da; ich febe keine Notwendigkeit, die Zehen oder die Locken zu polieren; diefe find mir unintereffante Details. Sie würden der Gefamt- wirkung, der großen Linie meines Werkes nur fcbaden. Zum Überfluß könnte ich als Antwort auf diefen Vorwurf daran er innern, daß diefelbe Kritik an Rembrandt geübt wurde, als er feine Hauptwerke gefchaffen batte. □ Von den Figuren wollen wir nun zur ornamentalen Plaftik übergeben. Ich muß konftatieren, daß man fich auch hierbei bemüht, die Blumen nachzubilden, welche die Alten der Natur nacbgebildet haben. Bei den Ägyptern findet man einige be wunderungswürdige Typen von Blumen in ihrer Kunft ver wendet. Gegenwärtig werden diefelben wiederholt, deformiert, modifiziert, verdorben. Aber man will nicht heraus aus dem eng gefcbloffenen Kreife der von den Alten nachgebildeten Blumen. Indeffen fehlt es in der Natur nicht an Blumen, Blättern und Früchten, welche jedes ein kleines Stück Leben darftellen. □ Alle diefe kleinen verbogenen oder geraden Äfte, diefe trockenen und verfcbrumpften Blätter, diefe blühenden oder verwelkten Blumen drücken durch ihre verfcbiedenen eigentümlichen Be wegungen Leben aus. Man muß diefe Bewegungen und diefe vielfach fcbönen Ausdrucksweifen der Natur beobachten und nachmachen, um eine Dekoration zu erhalten, welche nichts von der Kälte einer falfcben Wiederholung von Antiken und die Steife der Architektur an fich hat. □ Wenn ich mich in einem Garten, im Walde oder querfeldein ergebe, bin ich jeden Augenblick erfaßt von dem Schaufpiel, das fich meinen Augen bietet, und wenn ich die Natur febe, fie betrachte in ihren vielfachen Offenbarungen von Leben, Be wegung und Farbe, fo fühle ich, wie alles falfcb und willkürlich ift in den Werken jener, welche unter dem Vorwände, deko rative Kunft zu machen, einen Verrat an den Antiken begeben, indem fie diefelben nachempfinden, anftatt zur Natur zurückzu- kebren und fich ausfcbließlich an ihr anzuregen. □ Welche unbegrenzte Verfcbiedenbeit von graziöfen, eleganten und lebendigen Formen! Welch mächtiger ,sens de vie“! □ Befuchen Sie die Amateure, dringen Sie in den Salon eines reichen ,bourgeois“ ein, feben Sie fich dort um; Sie werden nid-fts feben als traurige, tote und häßliche Dinge; keine in- tereffante Form, weder an einem Möbelftück, noch einem Kunft» Objekt, an keinem Bibelot, keiner Vafe, es müßte denn ein Werk der alten Zeit fein. Überall eine Verunftaltung der Antike. Die präraffaelitifcbe Kunft, welche diefe Tendenz zeigt, hat uns überfallen, nad>dem fie in England ausgetobt hat. □ Erinnern Sie fich an die Ausftellung von Sèvres und der Gobelins auf der Weltausftellung! □ Man muß zur Wirklichkeit, zum Leben, zur Natur zurück- kebren. Dies gilt ebenfo für die Maler, wie für die Bildhauer. Im Grunde genommen gibt es nur eine Kunft. Die Malerei und die Plaftik find durch eine einzige Kunft vereint, die Kunft des Zeichnens. □ Die Natur bietet ein Beobachtungsfeld, genug groß, genug abwecbflungsreicb, daß alle wirklich ftarken Temperamente Sie interpretieren können mit den Mitteln, die ihnen gegeben find: dem Ton auf der Palette. □ Und zum Schluß: .Nieder mit den Schulen, auf zur Natur“! Dies ift die Formel für den Fortfehritt in der Kunft.« □ C. MEUNIER Sie feijen mich in ziemliche Verlegenheit, wenn ich auf die Fragen antworten foll, mit welchen Sie mich beehren, da ich mich nie mit diefem Thema befebäftigt habe. Die Plaftik ift ihrem Wefen nach vor allem eine monumentale Kunft, nach meiner Meinung weit entfernt von dem Endzweck des Bildes. Indeffen glaube ich nicht, daß es in diefen Fragen unerfebütter» liebe Regeln gibt. In der Kunft ift es die Hauptfache, zu einer Intenfität des Ausdruckes zu gelangen, welche imponiert, und zwar mit jedem beliebigen Mittel.« (Fortfetjung folgt) 136