DER VIII. INTERNHTIONHLE ARCHITEKTEN* KONGRESS IN WIEN 1908 ERÖFFNUNGSREDE DES PRÄSIDENTEN OBERBÄURÄT OTTO WÄGNER E s ift mir die ehrende Äufgabe zuteil geworden, die hoch geehrten Kollegen des Äuslandes namens meiner öfter- reichifchen Kollegen zu begrüßen. □ Ich rufe Ihnen deshalb ein herzliches Willkommen zu und wünfche, daß Ihr künftlerifches Schaffen auch bei uns Änregung finde und Sie fich bei uns recht wohl fühlen. □ Zum achten Male verfammeln fich die Ärchitekten aller Kultur- ftaaten zu einem Kongreffe. Zweck und Ziel auch diefes Kon greffes ift, kunftfördernd zu wirken. □ Wie Sie ja alle wiffen, ift die Kunft der Wertmeffer der Kultur und einer der wichtigften wirtfchaftlichen Faktoren des Volkswohles. Die Kunft wurzelt, wie Sie gleichfalls wiffen, im Geifte der Zeit. Die jetjige Generation liegt fo fehr im Banne des Wiffens, der Politik und des Erwerbes, daß darunter das allgemeine Kunft- empfinden und dadurch die Kunftförderung leiden muß. Es darf deshalb nicht Wunder nehmen, daß die Künftler, die Re- präfentanten der Kunft, diefe Gefahr erkennend, kunftfördernd eingreifen. □ Da die Baukunft die ftete Führerin der Kunft war und ift, find die Baukünftler alfo in erfter Linie dazu berufen. □ Schon die früheren Kongreffe haben den Weg zur Kunftförde rung vorgezeichnet und unter anderen zwei wichtige künftlerifcbe Fragen beantwortet. □ So hat der VI. internationale Kongreß fich mit großer Stimmen mehrheit dahin ausgefprochen, daß der Entwicklung der Kunft die Freiheit gewahrt werden müffe, und der VII. Kongreß eine Refolution in dem Sinne gefaßt, daß die Führung öffentlicher Bauten im Intereffe der Kunft der freien Künftlerfchaft zu zuweifen fei, die Kontrolle in bezug auf Zweck, Ökonomie und Konftruktion aber immer den Staatsverwaltungen gewahrt bleiben müffe. □ Die Kunftförderung hat aber nicht allein Kunftförderndes zu fchaffen, fondern auch all das zu befeitigen, was fich der Kunft förderung hemmend in den Weg ftellt. □ Äls nicht kunftfördernd, fondern die Kunft auf das fchwerfte fchädigend, find vor allem die Eingriffe der Bauunternehmer in das Kunftgebiet zu bezeichnen und es klingt geradezu unglaub lich, unter welchen Prätexten von Unternehmern der Verfuch gemacht wird, die Baukünftler beifeite zu fcbieben. □ Nicht kunftfördernd in einem gewiffen Sinne find auch die heutigen Kunftfchulen. Es würde aber zu weit führen, diefes Thema hier mehr als andeutungsweife anklingen zu laffen. □ Nicht einwandfrei kunftfördernd ift auch der Weg, der heut zutage eingefchlagen wird, um für das auszuführende Werk den richtigen Künftler zu finden, nämlich der Weg der allgemeinen Konkurrenz. Es muß aber gleich hinzugefügt werden, daß diefer Vorgang der Übel kleinftes ift und daß die gedeihliche Löfung diefer Frage fich erft dann erhoffen läßt, wenn ein richtiges Kunft- empfinden wieder Gemeingut geworden. □ Äls nicht kunftfördernd ift auch der künftlerifche Zufammen- fchluß der Künftler untereinander zu bezeichnen. Hierin liegt kein Vorwurf. □ Der Künftler ift vor allem eine gebärende, individuell geprägte Natur. Das Schöpferifche in ihm ift wohl feine Haupttugend. Hieraus folgt naturgemäß, daß Künftler nie völlig gleicher Mei nung fein können. □ Laffen Sie die beiden größten Künftler über ein bedeutendes Kunftwerk ein Urteil abgeben, fo werden fich fofort bei allem Lobe, daß fie demfelben fpenden, Differenzen im Urteile ergeben. Einen weiteren Beweis hierfür geben die Künftlervereinigungen. In diefem wird es, folange es fich um wiffenfcbaftlicbe, Standes oder wirtfcbaftlicbe Fragen bandelt, lieber nur eine Meinung geben. Handelt es fich aber um künftlerifche Fragen oder gar um die Beurteilung von Künftlerqualitäten, werden die größten Differenzen fofort zutage treten. □ Die Folge folcber differierender künftlerifcher Änfcbauungen find Künftlergruppierungen. Daß folcbe Gruppierungen dazu bei tragen, das künftlerifche Urteil der Menge, welche fonft harmlos dem Urteile der Künftler folgte, zu verwirren, ift felbftverftändlicb. Der demokratifche, pbilantbropifcbe Zug, der untere heutige, verftandftrot)ende Welt durchzieht, auch diefer wirkt in einem gewiffen Sinne hemmend auf die Kunftentwicklung. So ift es beifpielsweife ficber, daß es in künftlerifcher Beziehung eine Phi- lantropie nicht geben kann, da jede Unterftütjung des Schwachen das Kunftniveau berabdrücken muß. In der Kunft ift eben der Starke zu fördern, denn nur deffen Werke wirken vorbildlich, alfo kunftfördernd. Schon ein anderer hat es gefagt: »Keine Gnade für die Mittelmäßigkeit in der Kunft«. □ Äls die Kunftförderung erfchwerend ift zu bezeichnen, daß die Sprache, welche die Künftler zu fpredben pflegen, febwer verftändlicb ift, ja oft ganz unverftändlicb bleibt. □ Da die Ällgemeinbeit in der Regel ein Kunftwerk nach dem erlernten Wiffen, ftatt nach dem angeborenen Empfinden be urteilt, muß die Kunft nur zu oft auf das literarifche Gebiet binübergreifen, um wenigftens einigermaßen auf Verftändlicb- keit zu ftoßen. □ Die Unverftändlichkeit in der Kunftfpracbe wird jedoch dadurch hervorgerufen, daß die Künftler die Fortfehritte der Menfcben zu wenig berückfichtigen und nicht genügend beachten, daß der Künftler von beute nebft dem Äftbetifcben das Kulturelle, das Sachliche, das Konftruktive, ja felbft das Handwerksmäßige in fich vereinen muß. □ Gerade diefe feine Univerfalität foll ihn befähigen, in allgemein verftändlicher Spradie zu fpreeben, um dadurch kunftfördernd zu wirken. □ 12. Heft • IV. Jahrg. 177