THEHTER (ZU DEN THEflTERBILDERN DIESES UND DES VORIGEN HEFTES) uch im Theater ift alles auf Raumkunft geftellt. Nachdem der Verismus abgewirtfebaftet hat, der im Streben nach Wirklichkeitstreue lieh immer mehr von Wahrheitstreue im künftlerifchen Sinne entfernt und den Kreis des Darftellbaren anftatt zu erweitern, nur verengert hat, greift die Reform Platj, die ihr Ziel in der ftilvollen Vereinfachung fleht. Was Schinkel vorahnte, als er der Szene die einfache, architektonifdh be« ftimmte Hintergrundwand gab, ward von dem neuen Reformer mit Bewußtfein ergriffen. Ebenfo, wie das Goethefche Wort von der reliefartigen Darftellung, durch die fleh die antike Bühne auszeichnet, und die für uns wieder Bedeutung gewann, namentlich feit die japanifche Bühnenkunft, die auf ähnliche Wir« kungen bedacht ift, in den künftlerifchen Gefichtskreis Europas trat. In Berlin hat zuerft die Reinhardt-Bühne künftlerifche Neuerungen verfucht; in Wien war es die Hofoper, die ein weithin Achtbares Beifpiel gab, wenngleich auch hier gewiffe Bedingniffe einfebränkend wirken mögen. Hn der Wiener Hofoper bat Hlfred Roller das neue Husftattungswerk durebgefübrt, das eine gewiffe vorbildliche Geltung gewonnen hat und febon gefchichtlich beglaubigt ift, nachdem im einzelnen Probleme verfucht worden find, die auf das damals Erreichte und Gewollte fußen und fchon darüber binausgeben. Die KUNSTSCHHU bringt inftruktive Beifpiele von Roller und von einem eifrig nachftrebenden jungen Architekten Wimmer, der feinem Vorbild infofern gerecht wird, als er das hier Erlernte weiter zu entwickeln beftrebt erfcheint. Roller reduziert das Bühnenbild auf eine malerifche Impreffion. Er verwirft nicht ganz die traditionellen Mittel; auch er baut Scheinarchitekturen aus Leinwand und Pappe, aber er macht im Sinne Schinkels der Kuliffenwirtfchaft ein Ende, umgibt die Bühne mit einem einfachen Hintergrund, umfaßt fie nach den Vorfchriften Richard Wagners mit einem Horizont; auch er ordnet die Handlung reliefartig in einem Über- und Neben einander wie im Burghof für Lobengrins Hochzeitsaufzug; aber er tut auch darin ein febr wefentliches, indem er die farbige Impreffion auf die entfeheidenden Elemente reduziert und der maßen die Naturwahrheit zum Unterfchied von der immer auf Abwege führenden Naturwirkticbkeit künftlerifcb erhöht. Was der Impreffionismus der Bühne geben kann, bat ihr Roller ge geben, die Refultate eines eingehenden Naturftudiums und einer ftiliftifeben Kraft, die alle Einzelerfahrungen wieder fummiert und ins Vifionäre entrückt. Auf diefe Art wird auch im Theater die biftorifebe Erfcheinung leicht zu einer künftlerifchen Neu- geftaltung. Vom Standpunkt der heutigen malerifchen Ent wicklung erfebeinen darum auch bei ihm die alten Mittel der Bübnentäufchung einwandfrei, und malerifcb wirkfam behandelt können auch die aus Pappe aufgebauten Quadermauern bis zu einem gewiffen Grad als Illuftrationswert mit in Kauf genommen werden, wennfehon darin nicht das Material, fo doch die Wirkung künftlerifcb echt ift. Als Ausftattungskünftler der Wagnerfchen Opern ftebt Roller auf einer Höbe, die von andern unerreicht ift. Die künftlerifcb gebotene Vereinfachung der Szene drängt fcbließlicb auch ihn, den Maler, auf den Weg des Architekten, der wenigftens innerhalb des überlieferten Bübnenrabmens eine Neuerung febuf, die einer architektonifchen Löfung ähnlich fiebt. In Don Giovanni empfand er die Notwendigkeit einer Einheit des Ortes, die zugleich die Vielheit des Szenenwecbfels er möglichte. Vielleicht gab die Zweckmäßigkeit einer Bühnen verkleinerung den äußeren Anlaß zur Herftellung der beider- feitigen, die große Bübnenöffnung verkleinernden Türme, die je nach Bedarf Balkon, äußere Schloßarchitektur oder die Logen eines Saales darftelten können. Das Quadratmufter des Boden belages konnte gedacht werden als Eftrich des Saales oder als die Steinfließen eines offenen Platzes oder eines Altans, je nach dem der Hintergrund durch Wandteppiche eine faaläbnlicbe Ab grenzung oder durch den Ausblick auf den offenen Horizont die Vorftellung eines freien Planes erweckte. Bedeutfam an diefer Erfindung ift die Raumidee, wenngleich fie nur ein Kom promiß mit dem alten Guckkaften ähnlichen Theater ift. Aber der Gedanke ift zweifellos äußerft entwicklungsfähig und rührt an das moderne Problem der Bübnenreform, die fich vorder hand auf das Programm der reliefartigen Darftellung mit farbig und ftiliftifch ftark fymbolifcb gehobenem Hintergrund gelegt bat. Vorderhand, denn ich behaupte, daß diefes Programm noch keineswegs die endgültige befriedigende künftlerifche Löfung bedeutet. Ich bin vielmehr der Anfcbauung, daß es darüber hinaus eine höhere Aufgabe gibt, die ich bei fpäterer Gelegen heit im Umriß darzuftellen verfuchen werde. Aber vorderhand können wir zufrieden fein. D Den genannten Architekten Wimmer febe ich konfeguent auf die arebitektonifeh und dekorativ gehobene Szene bedacht. Denn die architektonifcbe Geftaltung bedeutet die reine und zur böcbften Wirkfamkeit gefteigerte Anwendung der Farbe. Soweit es die Architekten und die Maler, die vom Impreffionismus und von der Staffeleimalerei zum dekorativen Stil fortfehreiten, in ihrer Macht haben, ift diefe Reform im Prinzip durebgefübrt. Das Münchener Künftlertbeater auf der gegenwärtigen Münchener Ausftellung ift ein bedeutfames Zeichen diefer Art, und außer der Wiener Hofoper unter Alfred Roller bat, wie getagt, die Reinbardtfche Bühne fchon alle Verfuche vorweg genommen. Dort bat insbefondere Orlik innerhalb der gegebenen Grenzen auf feine Art einen außerordentlich wirkungsvollen malerifchen Stil verfucht. Auch in Hamburg bat fich ein neues Leben ge rührt und Czefdbka bat einiges für die Bühnenausftattung ge arbeitet, was mir fehr wertvoll erfcheint. Die Kunftfchau gibt bequeme Ausblicke über diefe Leiftungen ihrer Mitglieder. Czefchka ift ftreng wie ein Heraldiker; feine Mitarbeit in der WIENER WERKSTÄTTE unter dem Einfluß Hoffmanns bat feine ungewöhnlichen Gaben diszipliniert, was jetjt mit folcber Überlegenheit zutage tritt. G Die Zukunft des Künftlertheaters ftebt beim Architekten. Nicht nur der Bau ift eine Aufgabe der Raumkunft. Die Lefer der »Hoben Warte« wiffen, was MaxLittmann in München als hervor ragender technifcher Praktiker des Theaters, der fich temperament voll für die Erneuerung der Bühne in dem angedeuteten Umfange eintest und dem wir den febr inftruktiven Auffa^ über die Tbeaterreform in diefem und dem vorigen Heft (feiner Denkfcbrift über das Münchener Künftlertbeater entnommen) verdanken, für die derzeitige Reform bedeutet. Auch diefe Neuerung, die fich in der Forderung der Reliefwirkung bei verengerter Szenentiefe und ftiliftifch behandeltem Hintergrund erfeböpft und Goethe, Schinkel und Semper zum Zeugen nimmt, ftrebt eine Vereinheit lichung des Bübnenganzen mit dem amphitbeatral projektierten, von den unzweckmäßigen Logen befreiten Zufchauerraum an. □ Davon abgefeben, müffen wir die kleinen Verfuche willkommen heißen, die eine Ahnung von den möglichen Wirkungen geben, die aus einer radikalen künftlerifchen Behandlung der Sache entfpringen können. Ein folcber, alle fonft bisher behandelten Reformpläne überbietender Verfucb ift das Gartentbeater der Kunftfchau, wo Garten, Bühne, Zufchauer, Mufik, dekorative Pracht in einer künftlerifchen Einheit zufammenwirken. Hier batte der Gartenarchitekt Lebifcb eine praktifebe Aufgabe vor fich, die einer braucht, der zu einem pofitiven Können gelangen will. Lebifcb wird dahin gelangen. L. 213