das wäre Kunft des Ausdruckes, das wäre belebte Maffe, Plaftik. Drängt es dann Künftler und Volk, durch figürliche Darftellung, oder Allegorie diefes cbarakteriftifcb ragende Mal noch weiter zu beleben, fo ift auch den weiteften Möglichkeiten in der dar- ftellend-plaftifchen Kunft keine Grenze gefetjt. Am Ende alfo, nicht am Anfänge einer folchen Entwicklung der Plaftik (wie die literarifch arbeitenden Bildhauer oft vermeinen), follte die figür« liehe Ideen» und poetifche Pbantafieplaftik zu fteben kommen. Das alles, verehrte Anwefende, könnte fein. Doch es wird noch nicht fein, noch fo bald nicht fein. Und wir wiffen wohl warum. Geben wir uns keinen vorzeitigen Optimismus hin. Jedes Ding will feine Zeit haben, und auch hier kann fich nur durch langfame Entwicklung das vollendete Neue heranbilden. Ein Volk, das, wie das deutfehe (trotjdem 90 Prozent feiner Gebildeten nicht mehr, konfeffionell gefprochen, glauben) fich in unvergleich licher Ängftlichkeit nicht entfchließen kann, die Konfequenzen hier aus zu ziehen, ift nicht ein folches, das feine konfeffionelle Formen« fprache refolut und frifch ändert. Nicht nur würde ein derartiges Denkmal jetjt auf keiner Konkurrenz die geringfte Ausficht haben, fondern auch die Künftler felber, die folches erhoffen und ver künden, werden nicht gleich etwas fchaflfen können, das abge klärt und einwandfrei genug wirken würde, um unbedingte Zuftimmung zu finden. Auch wir müffen uns erft entwickeln. Niemand weiß das beffer wie wir. Nur ein krittliger, ungedul diger Geift wird verlangen, daß wir felber nun auch auf der Stelle alles das, was wir hier vorahnend befchrieben, leibhaftig hinfetjen. So wollen denn auch wir felber den Weg der Ent wicklung gehen, der hier gefchildert wurde: beim einfach-not wendigen in der Plaftik anfangend zum künftlerifch belebten fortfehreiten, damit wir in konzentrierter Arbeit unteren Über- fchuß an Kraft, die Phantafie, auch richtig fpäter zu verwerten lernen. Langfam genug wird fich das Publikum und der Auf traggeber an die neue Formenfprache gewöhnen und langfam erft werden wir liegen. Und erft wenn die Leibeskultur des neuen Gefcblecbts eine freie und ehrliche, eine naive geworden fein wird, erft wenn die Bekleidungs- und Koftümfrage für Weib und Mann gelöft fein wird, erft dann wird es eine wahre, ehr liche, zeitentfpreebende figürliche und Ideenplaftik geben können. Vorher nicht. Vorher wird alles immer nur eine Atelier», Mu» feums- und Solonkunft bleiben. Arbeiten jedoch heißt es hier, nicht abwarten, bis es ein anderer tut, in diefem Fall das Aus land, um es dann zu kopieren, ein Erbübel unteres Volkes. Eine einzige Arbeit, mit ehrlichem Bemühen in diefem neuzeitlichen Geifte gefchaffen, ift kulturell und pfychifch mehr wert, als die fchönfte der felbftredend einwandfreien Arbeiten nach »edlen Vor bildern«. Und mag fie unvollkommen fein. Es ift eine pfycbifcbe Wertfrage, die hier ausgefochten wird. Es handelt fich um nichts Geringeres, als um die fubjektive Gefundheit und die Spannkraft des Künftlers, nicht um die objektive Zufriedenheit des Bürgers mit einer fogenannten reifen Leiftung. Diefe Spannkraft des Künft lers kann nur durch die felbfttätige originale, fchöpferifche Arbeits- leiftung, nicht aber durch verftändnisvolles Nachempfinden edler Vorbilder frifch erhalten werden. Vor Gott und der Natur gilt ein einziger aus eigener Kraft fprießender Blütenkeim mehr als hundert Millionen Papierblumen. Und im Keimen und Kämpfen foll unteres Volkes Kraft und Glück liegen, nicht im poetifchen Ausruhen auf dem bequemen Kiffen einer Biedermeierftube. □ Fanget an, fo ruft der Lenz in den Wald. Der ruft nicht: redet, klagt, konftatiert, diskutiert, haltet euch an den Herbft, an die Tradition, und wartet ab. □ So helfet auch Ihr uns, verehrte Anwefende, indem Ihr zu verftehen und zu hoffen fucht und, ftatt bloß zerlegender Kritik, uns Arbeit gebt. □ DIE LEBENSBEDINGUNGEN DER KUNSTWERKE VON WILHELM OSTWALD (GROSS-BOTHEN) * ie Erfahrung vieler Jahrhunderte hat uns eine gewiffe Summe von Nachweifen darüber vermittelt, welche Stoffe als die dauerhafteften angefehen werden dürfen, und man beftrebt fich, insbefondere bei monumentalen Kunftwerken, diefe aus folcbem bewährten Material herzuftellen. Aber hierbei wird gewöhnlich ein fundamentaler Umftand überfehen. Die Erfahrungen der älteren Zeiten find unter Bedingungen ge wonnen worden, wie fie damals beftanden, aber nicht unter folchen, wie fie gegenwärtig beftehen. Daher kommt es, daß jene Weisheit des Altertums dem heutigen Tage gegenüber vielfach Torheit geworden ift, und daß die fchwerften Enttäufchungen bezüglich der »bewährten« Haltbarkeit gewiffer Materialien und Techniken nicht vermieden worden find. □ Der wefentlichfte Umftand, durch den die gegenwärtigen Exiftenzbedingungen des Kunftwerkes gegenüber den früheren fich von Grund aus verändert haben, ift die allgemeine Be« nutjung der Steinkohle als Brennmaterial. Wenn wir von der einen Seite die Heranziehung der foffilen Kohlen für die un ermeßlichen Bedürfniffe der Induftrie und des täglichen Lebens als eine Maßregel gegen die »Verwüftung« der Wälder preifen, fo ziehen wir bei diefer Freude nicht in Betracht, daß eben diefe Kohlen uns untere Kunftwerke verwüften. Ich meine nicht nur den Rauch und Ruß, obwohl diefe Feinde fchlimm genug find, denn fie belegen das Kunftwerk nur von außen, und es ift oft möglich, einen hinreichenden Schutj gegen die immerhin ziemlich groben Waffen diefes Gegners zu befchaffen. Der eigent liche Feind ift vielmehr der Schwefelgehalt der Steinkohle, der in gasförmige fchweflige Säure übergeht und in diefer Geftalt überall eindringt, wo die Luft Zutritt findet. An den Gegen- ftänden fet)t fie fich ab, indem fie, wie die Wiffenfchaft es nennt, »abforbiert« wird, und verwandelt fich dort in zerftörende Scbwefelfäure. Hat fich ein wenig davon gebildet, fo ift dies ein Grund, daß fich noch mehr fammelt. Denn die Schwefel» fäure zieht die Feuchtigkeit an, und diefe wieder die fchweflige Säure. Es ift wie eine Bakterieninfektion, denn ein jeder örtlich zuftande gekommene Angriff macht eben diefe Stelle noch wehr» lofer, als fie vorher fchon war. □ In diefer Beziehung ift eine moderne Stadt gründlich ver- fchieden von einer, wie fie bei uns noch bis vor hundert Jahren beftand, wo die Holzheizung der Häufer allgemein war, und keine Mafchineninduftrie die Luft mit ihrem gasförmigen Abfall erfüllte. Alle unfere traditionellen Vorftellungen über geeignetes und haltbares Material für Kunftwerke beruhen auf den Er fahrungen aus den fteinkohlefreien und daher auch fchwefel- freien Zeiten und haben gar keine Bedeutung mehr gegenüber den gegenwärtigen Verbältniffen. Diefe zwingen uns vielmehr, unfere Anfichten von Grund aus zu reformieren. □ So galt und gilt Ultramarin als eine der allerbeftändigften Farben, die es gibt. Als ich vor einigen Jahren eine Anzahl Täfelchen mit verfchiedenen Farbftoffproben (beiläufig zu ganz anderen Zwecken) im Garten des pbyfikalifcb-chemifcben Inftituts zu Leipzig dem Wind und Wetter ausfetjte, war ich überrafcht, die Ultramarinproben bereits nach wenigen Monaten verändert zu finden: der Überzug war an vielen Stellen weißlich »grau * Die folgenden flusfübrungen des berühmten Chemikers erhalten erhöhte Bedeutung im Hinblick auf die alarmierenden Nachrichten über den bedenklichen Zuftand, in dem fich, wie die Prüfung durch eine Kommiffion ergab, das Geftein, vor allem der ornamentale Schmuck des Kölner Doms befindet. a * 263