CHHRHKTERISTIK, CHRONIK, KRITIK BREMEN* olinier nennt die florentinifcben und venezianifcben Drudewerke, die Bronze^ und Edelfcbmiedearbeiten des ausgebenden 15. jabr= bunderts das »Kleingeld der italienifcben Kunft«. Diefes Kleingeld der Renaiffance kurfierte längft in deutfeben Landen, als die große Münze noch fo gut wie unbekannt war, d. b. die Formenfpracbe der Renaiffance deutfeben Gepräges war in der Kleinkunft und im Handwerk längft ausgebildet, ebe die Baukünftler anfingen, nordifebe Bauweife mit italienifcbem Schmuck zu verbinden. □ fluch in Bremen, der freien Hanfe» und ehemaligen Bifcbofsftadt, war’s fo; in Arbeiten der Kleinkunft und des Kunftgewerbes lebte febon der Geift der Renaiffance, als die Architektur noch immer vom Strebebogen und Maßwerkmotiv beberrfebt war. Dabei war gerade in Bremen weder die Kunft der romanifeben, noch die der gotifeben Bauweife zu befonderer Eigenart entwickelt worden; denn wenn auch feit den Tagen des heiligen flnsgar Mittelpunkt cbriftlicber Glaubenslehre, war Bremen doch nicht zugleich ein Mittelpunkt kirchlicher Kunftpflege geworden, trot) der Nähe Hildesbeims und Kölns und der weftfälifeben Lande mit ihrem Reichtum an mittelalterlichen Baudenkmälern. Erft das Ende der Kircbenberr» febaft, der fluffebwung des Bürgertums der freien Stadt bedeutet für diefe den Gewinn einer eigenen, ftolzen, weithin ins Land ragenden Kunft. Sie bat ihre Blüte in der zweiten Hälfte des 16. und im erften Viertel des 17. Jahrhunderts gefunden, und der Name Lüder von Bent» beim, der Umbau des Ratbaufes ift die Kulmination in der künftlerifcben Entwicklung Bremens. Immerhin gebt der Kunftbiftoriker auch an den bremifeben Baudenkmälern und Kunftwerken des Mittelalters niebt achtlos vorüber; in dem ftolzen Dom befit)t die Hanfeftadt noch beute ein glänzendes Erinnerungszeichen an die Kunft der Gotik, und die Rolandsfäule (vgl. die flbb. 1), diefe herrliche, mehr ein Architektur» denkmal als ein Standbild darftellende Monumentalfkulptur erweift ficb als eine der wenigen Bildbaueratbeiten des Mittelalters, die der heutigen Bildbauerkunft wahrhaft ftarke Anregungen zu geben vermögen. Das Hamburger Bismarckdenkmal Lederer»Scbaudts, der »Otto von Wittels» bacb« Georg Wrbas, was find fie anderes als kongeniale Nacbfcböpfungen des Bremer Rolands; auch fie find wie diefer mindeftens in gleichem Verhältnis flrebitekturwerk und Standbild, waebfen, wie das Roland» bildwerk in arebitektonifeb gefcbloffenem, feierlich großem Umriffe empor. In den diefem fluffatje beigegebenen Abbildungen von Anficbten aus dem Bremer Stadtbilde befindet ficb u. a. auch eine folcbe des Marktes mit Roland und Schütting vor Erbauung der Börfe (flbb. 2) und eine folcbe des Scbellbaasfcben Haufes in der Wacbtftraße (flbb. 3). In den Giebelfronten, die diefe Anficbten zeigen, fleht man charaktervoll den Wandel der kunftgefcbicbtlicben Entwicklung dargeftellt. Ein einziger fpätgotifeber Giebel erinnert an die einft in Bremen in großer Zahl vorhanden gewefenen Backfteingiebel der Gotik; in der Umgebung diefes Giebels feben wir den Typus der Giebelform, die den Übergang zur Renaiffance darftellt. Das Scbellbaasfche Haus in der Wacbtftraße ift folcb ein Übergangstypus: zu der aus der Senkrechten entwickelten Gliederung der Maffen, die der Gotik eigentümlich ift, treten die wage» recht verkröpften Gefimfe der Renaiffance, die den Giebel in drei Stock* werke teilen. Die dadurch entftebende eckige Staffelform der Faffaden» kontur wird durch halbkreisförmige fluffätje gemildert, wie fie die Renaiffance liebte. Aus diefen erften Anfängen des Renaiffancecharakters, die in Bremen etwa um die Mitte des 16. Jahrhunderts ficb zeigten, entwickelte ficb dann im Zeitraum von etwa 50 Jahren die Blüte des Stils. Gegen 1580 waren die Formen gefunden, die für Bremen den Typus der Hochrenaiffance bedeuten, in der großartigen Schöpfung Lüder von Bentheims, dem Umbau des Ratbaufes, erhalten fie ihren reiebften und fcbönheitsvollften Ausdruck. Unfer viertes Bild gibt die Oftfeite des Ratbaufes mit dem Blick auf die Obernftraße und den Ansgari* türm wieder. □ *Von KHRL SCHHEFER. Band 3 der »Stätten der Kultur«, Verlag von Klinkbardt & Biermann in Leipzig. In Leinen gebunden 3 Mark, in Liebbaberband 5 Mark. □ Ehe Lüder von Bentheim dem Rathaus feine heutige glänzende künft* lerifebe Geftalt gab, ftand es, wie KARL SCHAEFER in feiner aus» gezeichneten Monographie über Bremen, die die Grundlage diefer Aus» fübrungen bildet, fagt »zwei Jahrhunderte lang als einfacher Nutzbau, würdig und ftattlicb, aber in ganz anderer Geftalt da (das auf der Abbildung zu febende Maßwerkfenfter erinnert noch an fie), als es beute vor uns ftebt: ein gotifcher Backfteinbau von einfaebfter, rechteckiger Geftalt, die Mauern fchichtweife abwecbfelnd aus dunkelbraun glafierten und unglafierten Ziegeln aufgefübrt, im unteren Stockwerk niedrige, im oberen hohe Maßwerkfenfter von einfacher Steinmetjarbeit, am Ge* fims ein Zinnenkranz, an den Ecken kleine turmartige Vorlagen, in denen enge Wendeltreppen nach der Dacbböbe binauffübrten, an der Marktfeite eine Säulenarkade, über deren Mitte ficb ein niedriger bogen» artiger Vorbau erhob, drei Fenfterachfen an den Scbmalfeiten, elf an der langausgedebnten Marktfront«. Nur ein Baukünftler von ficherftem Stilgefühl konnte es unternehmen, fo grundverfchiedenes wie das Wefen der Gotik und Renaiffance zu einer Einheit zu verfdbmelzen. Meifter Lüder muß wohl ein genauer Kenner des gotifeben Baues gewefen fein, er muß deffen Schönheit voll zu würdigen verftanden haben, um mit fo feinem Taktgefühl neben fie die Schönheit der Renaiffance zu fetjen. Es fehlt bekanntlich nicht an Stimmen innerhalb der Kunftwiffenfcbaft, die in Lüder von Bentheim nur den ausführenden Werkmeifter, nicht den Architekten des Bremer Ratbausumbaues erkennen wollen. Ver* gleicht man mit diefem Werke andere Bremer Bauten der Hochrenaiffance, die aus Stilgründen dem Meifter Lüder zuzufchreiben wären, fo mag ja in der Tat manch ein Moment gegen die Urheberfcbaft Lüders als Ratbausbaumeifter ficb ergeben; ein »mächtiger Quatitätsunterfcbied«, wie Schaefer urteilt, »trennt das Rathaus von alle dem, was wir fonft als die künftlerifcbe Hbficht des Meäfters kennen«. Aber wir ftimmen trot) folcber Wahrnehmungen mit Schaefer darin überein, daß »fo das Alte ehren und aus ihm die eigene Aufgabe entwickeln, ficberlicb auch der größte Baumeifter kaum gekonnt hätte, den etwa der Rat zum entwerfenden Ratgeber auf einige Wochen nach Bremen berufen haben könnte; das konnte auch keiner der bolländifcben Freunde dem Bremer Steinmetpneifter (Lüder) fo zu Papier bringen, wenn er ihn etwa bei einer feiner Handelsreifen darum gebeten hätte. Ein Werk von folcber Art will von Innen heraus in langfamem Werden erlebt fein, um zu folcber Harmonie zu reifen. Meifter Lüder von Bentheim die Ehre zu nehmen, die ihm feit mehr als zwei Jahrhunderten die Chronik feiner Vaterftadt in alter Überlieferung zugeteilt bat, finden wir alfo keinen Anlaß«. □ Es ift ein böcbft feffelnder und dankbarer kunftbiftorifeber Stoff, der Bremer Architektur von ihren frübeften (romanifeben) Äußerungen bis hinauf zu den Merkmalen nachzugehen, in denen febon die Formen des Barocks (vgl. Abb. 5) zur Geltung kommen, und es kann mit Ge* nugtuung feftgeftellt werden, daß Schaefer in feinem Buche (dem dritten Bande der reizvollen Monographien, die von D R ' GEORG BIERMANN unter dem Gefamttitel »Stätten der Kultur* herausgegeben werden) ficb als ficherer, kenntnisreicher, tief in die Gefchichte der Bremer Baukunft eingedrungener Führer erweift, der daneben auch noch die Gabe beflißt, feffelnd und intereffant vorzutragen. In der knappen Form, die für diefe monograpbifeben Darftellungen Bedingung ift, kann kaum ein gefcbloffenerer Eindruck von dem Gange der Entwicklung der Baukunft einer Stadt gegeben werden, als ihn Schaefer darbietet. Bleibt etwas an feiner Arbeit zu wünfehen übrig, fo ift es dies, daß er fie allzu ausfchließlicb auf die Betrachtung Bremens von baukünftlcrifcben Ge* fichtspunkten aus zugefebnitten hat; der Lefer mit nicht fpeziell bau* künftlerifcben Intereffen würde gewiß dankbar gewefen fein, wenn er etwas mehr aus dem Buche über die Entwicklung Bremens auch nach anderen Seiten künftlerifcber und allgemeiner Kultur bin erfahren hätte. WILLY DOENGES, DRESDEN R. Voigtländer 5 Verlag, Leipzig □ Druck von Otto Regel, Leipzig Für die Redaktion: Jofepb flug. Lux, Dresden=Blafewit) □ Gefcbäftsftelle für Öfterreich: □ Buchhandlung Carl von Hölzl, Wien 1/1, Opemgaffe 2 268