Unter allen fozialen Änderungen, die die franzöfifebe Revolution mit ficb brachte, fällt eine wohl am meiften in die Äugen; das Geld ift in andere Hände übergegangen und wird folglich au* zu anderen Zwecken als vorher gebraucht. Damit verfchwanden alle Handwerke, die ungeeignet fchienen, das neue Ziel, d. h. »Reichtum«, zu erlangen; und andere, die den Handwerkern, die fie ausübten, nur einen fehr befcheidenen Wobtftand ver= fchafft batten, wurden mittels neuer Formeln und einer neuen kommerziellen und induftriellen Organifation ausgebeutet, einer Organifation, die diefe Handwerke den neuen fozialen Bedin« gungen anpaßte. Gegen eine folcbe Entwicklung hätte niemand fiegreich kämpfen können, und übrigens waren die in Bewegung gefegten Kräfte mächtig genug, allem zu widerfteben. □ Die Überzeugung, daß wir uns alle bereichern müffen, liegt in dem Wefen der heutigen Zeit; diefer Gedanke bat die Menfcb« heit zu den wunderbarften Entdeckungen geführt, und uns ward das ungeheure Glück, fie als die erften genoffen zu haben. Es febeint wirklich, als ob unfere Generation darin befonders be* vorzugt fei und ich hege die Überzeugung, daß fie zu großen Dingen auserfeben ift; unter ihnen wird die definitive Feft« legung des Stils unferer Epoche wohl eins der glorreicbften fein. Selbft der Gedanke, daß wir uns alle bereichern müffen, ift mir heilig. □ Wenn man ein wenig naebdenkt, erfebeint es natürlich, daß, fobald ein folcber Gedanke die Menfcbbeit überfiel, die ficb bis dabin unter dem Druck eines Klaffenideals entwickelt hatte, das böcbftens einigen unter ihnen erlaubte, ficb zu bereichern und über alte materiellen Güter zu verfügen. Wenn man darüber ein wenig naebdenkt, findet man es natürlich, daß nach der franzöfifeben Revolution von 1793 die verirrte Menfcbbeit zu den wirkfamften Mitteln griff, um fo fcbnell wie möglich diefe Sucht nach Bereicherung zu befriedigen. Hus der Gleicbberecb* tigung Aller folgte, daß alle Mittet zur Hnwendung gut fchienen, und daß vorzugsweife die gebraucht wurden, die am fcbnellften zum neuen Ziele führten. □ Diefer Augenblick bezeichnet den Umfchwung, der zur Herr« fchaft des Häßlichen führte, etwas derart Häßlichem, daß noch kein Jahrhundert etwas Ähnliches gefehen hatte. Inftinktiv fühlten Handwerker und Arbeiter, daß die Schönheit an diefem Jabrbundertende tot war und daß, um das neue Ziel ihrer Exiftenz erreichen und die neue gebieterifche Pflicht erfüllen zu können, fie nicht mehr daran denken durften, die Wünfcbe zu befriedigen, die die Menfcben nicht mehr batten. Die Schön» heit lag als treuer Diener auf den Leichen derer begraben, denen fie gedient batte - auf den Leichen derer, die ihrem Kultus wirklich gehuldigt batten. Dennoch glaubte ich, daß die Menfcben zur Zeit der franzöfifchen Revolution die Schönheit ebenfowenig haßten, als fie nach meiner Meinung die Adligen, Priefter und Könige wirklich gehaßt haben. Die franzöfifche Revolution war vielmehr ein Ausbruch unbezwingbarer Urkraft, die in die Welt gefcbleudert wurde, wie wenn ein Wildbach, der durch irgendein Naturereignis auf einem Gipfel plötjlicb entftanden ift, feine wilden tobenden Waffer herabftürzt und Blöcke und Felsftücke mit ficb reißt. □ Die Kultur der antiken Welt verfchwand fo durch einen Aus bruch von unabwendbaren Kräften. Die Kultur des Mittelalters und der Renaiffance ftürzte auf diefelbe Weife unter einem neuen Ausbruch von brutalen Kräften zufammen. Nur die Schwachen klagen über diefe unabänderlichen Dinge, die Starken ftaunen im Gegenteil über diefes fruchtbare und machtvolle Wechfelfpiel. Ganz allein nach der Schönheit febreien, während die ganze Menfcbbeit nach Gewinn febrie, und ficb einbilden, daß man die Stimme eines einzelnen hören würde, das hieß fich unver nünftigerweife Illufionen bingeben. Und die Unvernunft wäre noch um fo größer, wenn man dem, was einen fo herrlichen Auffchwung nimmt und fo glänzende pekuniäre Erfolge erzielt, nur das gegenüber zu ftellen fände, was früher vor diefer Revolution exiftiert hat. □ Der englifche Äftbetiker Ruskin wagte es trotzdem, den unver nünftigen Vorfchlag zu machen, die mittelalterliche Tradition wieder aufzunehmen und die aufgehobenen Innungen, ihre Regeln und Gebräuche wieder einzuführen; Ruskin fchlug vor, auf den induftriellen Betriebsmodus zu verzichten und die Fabriken zu unterdrücken, weil diefe die Landfchaften, die er liebte, in Rauch hüllten; Ruskin verwünfehte die Eifenbahnzüge, weil fie in dem Augenblick pfiffen, wo er dem Raufeben eines kleinen Baches laufchte. □ Es ift zu bewundern, wie zähe und eigenfinnig Ruskin an feinen nu^lofen Klagen feftbielt, die wirklich keinen andern praktifchen Zweck hatten, als daß fie die Geduld der Künftler und der Fanatiker der Schönheit ftärkten und die Zeit, da diefe auf die Schönheit warten mußten, verkürzen halfen. □ Die Künftler nahmen inzwifchen heftig Stellung gegen die Induftriellen, und dadurch wurde die Schönheit noch mehr aus Gebieten verbannt, über die die Induftriellen um fo aufmerk» famer wachten, als fie überzeugt waren, ihr Ziel, d. h. »Geld zu verdienen«, nur dadurch zu erreichen, daß fie die Schönheit ganz fyftematifch aus dem Bereich ihrer Fabrikation ausfchloffen. Das Kapital und die Art und Weife feiner nutzbringenden Anwendung änderten den Grundgedanken der induftriellen Wirt» fchaft derart, daß ihre Bafis eine ganz andere wurde. □ Vor der Abfchaffung der Zünfte, welche die Bedingungen feftfetzte, die ein Gefelle erfüllt haben mußte, ehe er Meifter werden konnte, und die ihm die moralifchen Pflichten diefer Würde auferlegten, vor der Abfchaffung der Zünfte, in denen die franzöfifche Revolution nur die Befeftigung eines Privilegiums erkennen konnte, das übrigens zu einem wahren Mißgebrauch ausgeartet war, konnte den Handwerkern nur der eine Gedanke in den Sinn kommen: den Konkurrenten durch beffere Arbeit zu überbieten. □ Diefe Überzeugung übertrug fich vom Meifter auf den Gefellen, vom Gefellen auf den Lehrling; fie gab der Handarbeit den moralifchen Wert. Diefe Moralität und der Wert der Hand arbeit wurden von den führenden Klaffen anerkannt, die genau wußten, was fie wollten und in diefem Wunfcbe felbft eine Tradition faben. □ Nach der Abfchaffung des Zunftgefeljes änderten fleh die Be dingungen der Konkurrenz derart, daß es nicht mehr darauf ankam, es am beften zu machen und gewiffenbaft die von einer Kundfcbaft beftimmt ausgedrückten Wünfcbe zu befriedigen; im Gegenteil, die Handwerker wetteiferten nun in der fcblechten Maffenausfübrung der Gegenftände, welche die Abnehmer nur deshalb befriedigen konnten, weil fie nicht mehr wußten, was fie wollten. □ Die abfolute Freiheit in der Ausübung der verfchiedenen Handwerke zog bald Leute herbei, die das ausnu^ten und fleh keine Gedanken darüber machten, die Handwerke fchlecht zu betreiben, und was früher unmöglich gewefen wäre, wurde jetzt nicht nur möglich, fondern fogar notwendig. Die Gegenftände, die der Handwerker bis jetzt nur auf Beftellung langfam und ehrfurchtsvoll angefertigt, für die er das Material lange vorher vorbereitet und unter vielem andern mit Liebe ausgewäblt batte, die er dem geduldigen Kunden dann endlich ablieferte, der die Langfamkeit, die Sorgfalt und auch den Lohn des Hand werkers ehrte, diefe Gegenftände, die den Stempel der Indivi dualität des Handwerkers, fowie auch den des Beftellers trugen, 274