MÜNCHNER HUSSTELLUNG 1908 ic Künftler mögen alles unterlaffen, was irgendeine Sen» fation bedeuten könnte! So ungefähr lautet die Marfchroute für die Künftler, die zur Beteiligung an der Husftellung eingeladen wurden. Die Künftler mögen unterlaffen! Sie mögen gerade das unterlaffen, was ihre eigentliche Lebensaufgabe ift. Senfation fchaffen. Kunft unterfcheidet fich vom Handwerk durch die Senfation. Kunft will nicht wiederholen, fie will offenbaren. Jede Offenbarung ift fenfationell, weil fie die Schranken des Her» gebrachten, Gewohnheitsmäßigen, Konventionellen durchbricht. Das hat die Kunft mit dem Ingenieurwefen, der Technik, der Wiffenfchaft, der Forfchung und der Erfindung gemeinfam, wenn fie fich auch fonft in vielen Stücken gar fehr von diefen Betäti» gungen unterfcheidet. Die Technik erfinnt unaufhörlich neue Flugapparate, und jede neue Erfindung wirkt als Senfation und wird als folche bejubelt. Die Malerei hat diefes künftlerifche Prinzip behauptet, wenn fie auf den Fortfehritt bedacht war. Das Publikum felbft, in feinem intelligenten Teil, bat ein feines Organ dafür. Eine Husftellung, die mehrere Jahre hindurch diefelben Form» und Farbenanfchauungen bringt, diefelben Bilder gleich» fam, verliert alles Intereffe. Sie ift keine Senfation mehr. Das Kunftgewerbe hat zehn Jahre lang Senfationen bervorgebraebt, und es bat damit einen beifpiellofen Erfolg erzielt. Es war damals, als fich der Künftler wieder mit dem Gewerbe befebäf» tigte, und das Typifche durch perfönlicbe Züge intereffant, frucht bar, fenfationell geftaltete. Neue Werte wurden gefchaffen. Wie immer, wenn fich eine perfönlicbe Huffaffung enthüllt, der Indi» vidualismus, der das Unerwartete darftellt. Weil er das Uner wartete enthüllt, ift er auch das Senfationelle, das, was uns von der Welt ein neues Geficht gibt. Was uns entzückt oder erfcbreckt. In der Kunft ift es ganz unerläßlich. Es follte erkannt werden, daß in der Welt nicht die Prinzipien feböpferifeh find, fondern die Perfönlichkeiten. Namentlich die Kunft ift eine durchaus per fönlicbe Hngelegenbeit. Das von Mutbefius geprägte Wort »Sach« kunft« ift ein Unfinn. Der Künftler bat nicht die Verpflichtung fachlich zu fein. Sachlichkeit, Zweckmäßigkeit, Ordnung find Scbuldogmen, Rezepte, die gut fürs Handwerk find. Aber auch da reichen fie lange nicht bin. Hm wenigften läßt fich Kunft damit machen. Gewiß läßt fich auch damit Kunft nicht erklären. Nur knebeln läßt fich die Kunft damit. Und das bat die Münchner Husftellung 1908 getan. Die Künftler mögen unterlaffen fo lautet die neue Pragmatik. □ RICHARD RIEMERSCHMID bat ein neues Kennwort für die Husftellung ausgegeben, das lautet: Ehrlichkeit. Ehrlichkeit und Sachlichkeit, das follen die neuen Stütjen der Kunft im Gewerbe Münchens 1908 fein. Es ift mir immer verdächtig, wenn der Kunft gegenüber die Grundfätje von Ehrlichkeit und Sachlichkeit aus» gefpielt werden. Oder wenn etbifche Rückfichten erbeifcht werden. Die Kunft ift viel zu überlegen, um Grundfä^e zu haben. Ihr einziger Grundfat) ift, daß fie keinen Dogmen huldigt, auch keinen etbifeben. Die Künftler haben es nur mit fich zu tun und mit feinen Geflehten, die entweder wunderbar find oder fie find es nicht. In dem einen Fall enftebt Kunft, in dem anderen eine Stümperei. Man kann nun allerdings auf dem Standpunkt flehen, daß das Gewerbe auf die Dauer nicht mit Kunft verfcbmolzen werden kann, daß Handwerk und Induftrie auf die Ausbildung guter Typen drängen müffen, und daß in diefem Streben der ewig unruhige, gebärende, neue Senfationen febaffende Geift des Künftlers den Störenfried bilde, deffen fich der Gewerbemann gern entledigt. Ich bin felbft für die Trennung der Scheinehe: Kunftgewerbe. Ich habe es fdbon früher einmal ausführlich an diefer Stelle erklärt: Das Gewerbe und die Induftrie gehorchen den zeitlich bedingten Gefchmackskonventionen und haben eigent» lidi mit Kunft fo wenig zu tun, wie ein gut gearbeiteter Stiefel, ein Fahrzeug oder ein paffender Sportanzug. Alle diefe indu» ftrietlen und gewerblichen Typen, die unfere Zeit charakterifieren, find ohne das geringfte Hinzutun der Künftler entftanden. Nur in der Wohnungseinrichtung, der eigentlichen Domäne des Kunft» gewerbes, find künftlerifche Prätentionen erhalten worden, meiftens von ganz ungeeigneten Kräften, und diefem llmftand ift es zuzu- fchreiben, daß gerade hier der meifte Widerfinn begangen wurde, und daß faft durchwegs das Heim, der Salon nicht auf der exakten Höhe unteres Salonrockes fleht. Hätten unfere Schneider jemals den künftlerifcben Größenwahn gehabt, wie unfere Möbelzeichner, die fich Künftler und Architekten nennen, dann wäre das Unglück gefchehen. Wir würden uns der Verfuche, in unferer Alltags» tracht biftorifebe Koftümgedanken zu erneuern, kaum erwehren können. Wir brauchen tatfächlich für unteren Alltag anfpruchs- lofe, praktifebe, komfortable Einrichtungen, die einer intenfiven Empirie, die fich im Anmeffen, Probieren, Erforfchen nicht genug tun kann, entfpringen. Es waren zwar auch im Kunftgewerbe Künftler, die diefen Weg gezeigt haben, obzwar er nur teebnifeh praktifche, aber keine künftlerifcben Ziele aufweift. Es betrifft Aufgaben, die auf den meiften anderen Gebieten, außer der Haus- und Wohnungseinrichtung, längft gelöft find, wie an einer Unmenge von Beifpielen fcblagend nachgewiefen werden kann. Das ift der eine Standpunkt. □ Aber der Künftler bat das Recht, in jedem Material und für jede Beftimmung etwas zu fchaffen, das den Anfpruch erbeben darf, als Kunftwerk unbeftritten zu gelten. Es können auf diefe Weife Unika entftehen, kunftgewerbliche Unika, die einen hoben ideellen Wert repräfentieren. Sie können uns von der typifeben Uniformiertbeit erlöfen, und fie bezeichnen einen Weg, den nur der Einzelne betreten darf. Sie haben perfönlicbe Züge und können unter Umftänden fo hoch bewertet werden wie Bilder, Plaftiken und Werke einer erlefenen Kleinkunft. Sie find nicht dazu da, von unberufenen Händen nachgeäfft und vervielfältigt zu werden, es fei denn, daß fie für die Vervielfältigung ge fchaffen worden find. Sie ftellen Urfprungswerte dar und find fenfationell wie jede Kunft. Wir können wünfehen, eines oder das andere der erlefenen Werke zu unferer Freude zu befitjen, wenn wir febon nicht im Alltag die ftarke Stimmung ganzer Räume folcber Art vertragen, wir, die Räume bewohnen müifen und nicht den Aufwand der Fürften treiben können, die in ihren Scblöffern einftens goldene, chinefifcbe, japanifche und fonftige Wunderzimmer befaßen, in denen fie nicht gelebt, fondern die fie zeitweilig auffuchten, auf Augenblicke, die der Mufe ge hörten. Diefe Wenigen wußten ihr Leben zu genießen und waren die geborenen Freunde der Künftler. Im kleinen können wir diefe unerhörten Dinge der künftlerifcben Schöpfung auch in der fogenannten kunftgewerblicben Form wieder haben, und es gibt einige Künftler, fehr wenige zwar, die das Zeug dafür befitjen. Olbrich war einer von ihnen. Die muß man gewähren laffen. Man muß fie lieben und weil man fie liebt, verbätfcbeln. Ihnen zu fagen, der Künftler möge die Senfation unterlaffen, wäre unerhörte Torheit oder Anmaßung. Was fie fchaffen können, wäre vielleicht nicht für das Verftändnis der großen Menge berechnet, obwohl gerade durch fie die großen Aus» ftellungen von Dresden 1906 und Mannheim 1907 eine befondere Bedeutung gewonnen haben. Keinesfalls dürfen fie dort fehlen, wo eine Kunftgewerbeausftellung größeren Stils verfucht wird, eine Ausftellung wie die Münchner, die vorgibt, alles zu zeigen, was künftlerifcbem Einfluß zugänglich war. Und wenn felbft die kleinliche Furcht vor der Senfation, die niemals im Publi kum, fondern lediglich bei den Veranftaltern und Leitern der 285