DAS ÄSTHETISCHE PROBLEM IN DER PHOTOGRAPHIE i. wig intercffant und unetfcböpflicb an Überrafcbungen ift das Experiment. Huch in der Photographie hält fich der Handwerker an das Typifche, Hergebrachte und Gewohn= heitsmäßige; während der Forfcher, der Erneuerer, der Künftler den unerfcböpflicben Schatj der künftlerifchen Möglichkeiten ver* fucht. Jeder Schritt in diefes, nie vollends entdeckte Land bringt Unvorherg ’febenes, beglückende Erfcheinungen, enttäufchte und t erfüllte Hoffnungen, Mißerfolge und Siege. Ein gegen eine von der Sonne grell beleuchtete Wand photographierter Körper in leichten, weichen Gewändern, umfponnen von den auf der Mauer liegenden Schatten einiger hochftieliger Pflanzen, Difteln etwa, kann eine wundervolle ftiliftifche Erfcheinung geben, in der die Geftalt felbft unkörperhaft, flächig und lichtdurchfloffen wird. Für die künftlerifche Wirkung der Photographie, nament* lieh wenn fie die Beftimmung hat, als Wandfchmuck zu dienen, foll die Betonung der Fläche ja nicht vergeffen werden. Hier ift das Problem, die zurückweichenden Verkleinerungen, die Perfpektiven, die gleichfam Löcher in die Wand legen, ganz zu vermeiden. In der Skala von Schwarz und Weiß, von Hell und Dunkel foll alles in einer Ebene auf der Bildfläcbe liegen. Die klare und fcharfe Huszeichnung der Konturen ift dabei nicht fo wichtig als die dekorative Nebeneinanderfefjung von Hell und Dunkel, von Nuance gegen Nuance, die die Konturen eher auf- löfen als verfchärfen. Wenn es einer Unterftütjung durch Hna- logien bedarf, fo könnte man fagen, daß die Kunft des Hmateurs in folcben Fällen eine fcbmuckbafte, um nicht gleich zu fagen eine fcbmuckfteinäbnliche Wirkung mit Glück anftreben kann oder etwas, das in der Tendenz der ebenfalls auf flächige Wirkungen hinarbeitenden alten gotifchen Gobelins oder des modernen Ornaments liegt, das ebenfalls Flächencharakter an» ftrebt. Wo eine künftlerifche Wirkung erwünfeht ift, wird fie am ebeften erreicht werden durch das Streben nach ornamentaler Erfcheinung. Was fich im modernen Plakat durch die Vorgänger» febaft der modernen Stiliften in der Malerei längft vollzogen hat, die flächig dekorative Durchführung, das bat die Photographie mit ihren Mitteln von Licht und Schatten, die die abwefende Farbe unter Umftänden auf das berrlicbfte fuggerieren können, noch zu tun. Dann erft wird fie fich die urfprünglicbe Heimat alles Bildmäßigen erobern, die Wand. Vielleicht nicht die Plakat» wand, fondern die Wand des Interieurs, des Wobnraumes. Die flächig dekorative Behandlung der künftlerifchen Photographie, die auf diefe Rxt ins Ornamentale gefteigert wird, erfordert eine forgfältige Beobachtung der Licht» und Schattenverteilung, der rbytbmifcben Hbwechflung und Anordnung von Hell und Dunkel, Schwarz und Weiß. Es wird im allgemeinen viel zu wenig beachtet, daß im Ornament überhaupt und felbftver» ftändlicb auch in der modernen Malerei, in der Raumausftattung und in der Architektur die dunklen Teile der Farbengebung eine ebenfo wichtige Rolle fpielen, wie die hellen Teile, und daß beide in der Wiederkehr und Variation von dem künftlerifchen * Intellekt voraus empfunden find. Die Proportionalität fpielt alfo auch in der Farbengebung, in der Licht» und Schattenver» teilung eine außerordentliche Rolle und je ftrenger, gebundener, ftiliftifeber der künftlerifche Ausdruck erfcheint, defto bewußt» voller wird das Geheimnis der fchönen Proportion auch in der Hinficht behandelt. Der Photograph, der auf diefem Wege experimentell vordringt, kann Ungewöhnliches leiften, wenn feine Erfahrung in der Wabrfcbeinlicbkeitsberecbnung der Licht» und Schattenwirkung auf der Platte hinlänglich gediehen ift. Glücklicherweife gibt es für diefe künftlerifchen Möglichkeiten kein Rezept, das fich zu einer handwerksmäßigen Konvention verknöchern läßt. Das Glücken des Experiments bängt hier von dem künftlerifchen Inftinkt des Photographen ab, der die Überrafchung liebt und fich felbft übertreflren will. Jedes Gelingen in der Richtung diefes künftlerifchen Zieles wird ein Fund fein, der fich nicht leicht wiederholt. Und das ift gut, denn der Wert des künftlerifchen Experiments in der Photographie wird dadurch wefentlich erhöbt, daß Unika entfteben. Jedes Bild eines Malers erfcheint als Unikum und rechtfertigt als einzigartige künftle» rifche Offenbarung, die in derfelben Art nur einmal möglich ift, den hoben ideellen und darnach auch bezifferten Wert. Ein ganz Ähnliches in gemeffenen Grenzen gilt auch für die Photographie, die nach hoben Zielen ftrebt. Der Handwerker, der in der be» rufsmäßigen Frone febafft, mag fich in den billigen Konventionen halten, die ihm der niedere Gefchmack feines Publikums vor» zeichnet. Wer in der meebanifeben Alltagsübung aufhört geiftig zu arbeiten, wird die künftlerifche Sache auch in der Photo» graphie nicht um einen Schritt weiter bringen, im Gegenteil. Die einzigen Konventionen, die der fortfehreitende und erobernde Photograph anerkennt, find die bindenden Wegweifer, die er von den letzten Errungenfchaften der modernen Kunft empfängt. Es kann dem Photographen nur zum Vorteil gereichen, wenn er fich mit der exklufivften Kunft der modernen Malerei in ein Verhältnis fe^t, als genießender und eindringender Kunftlieb» baber. Nicht etwa deshalb, weil er hoffen kann, die zauber» haften Wirkungen der modernen und modernften Malerei licht» bildnerifcb zu reproduzieren; aber er kann hoffen, eine Auf» zeigung der äftbetifchen Probleme zu finden, die auch feiner Entwicklung den Weg weifen müffen. □ (Fortfet)ung folgt) PHOTOGRAPHISCHE HANDBÜCHER enn ich zur Ergänzung meiner obigen Ausführungen über die äftbetifchen Probleme in der Photographie Handbücher, fowobl nach der künftlerifchen, als nach der teebnifeben Seite bin, empfehlen foll, die illuftrativ und textlich zum Teil wenigftens in der angedeuteten Richtung fördern, fo kann ich fürs näcbfte nichts praktifeberes nennen, als die im Verlag von GUSTAV SCHMIDT, Berlin, erfebeinenden, von Loefcher ausgezeichnet redigierten Camera»Almanacbe aller Jahrgänge, Loefcbers Bildnispbotograpbie und Landfcbaftspbotograpbie, auch Hin» tons Landfcbaftspbotograpbie, Schmidts pbotograpbifcbes Hilfsbucb, Vogels Tafcbenbucb der Photographie, 18. Auflage. Alle find gut und förderlich. Einen künftlerifchen Höhepunkt bilden allerdings die im Verlag von Knapp in Halle a. S. erfebeinenden und von Mattbies»Mafuren berausgegebenen Jahrbücher, die den höcbften Anforderungen ent» fpreeben. Die in München von Dr. Emmrich berausgegebene Photo» grapbifebe Kunft ift eine fchlecht ausgeftattete, allzufebr gefcbäftlicb betonte Zeitfcbrift, aber das Jahrbuch aus diefem Münchner Verlag ift beffer. LUX 287