JUBILÄUMSAUSSTELLUNG DER HANDWERKER STEIERMARKS • GRAZ, HERBST 1908 chon lange war es meine flbficht, an diefer Stelle einige Erwägungen über den Grazer Kunftbetrieb aufzuzeicbnen; faft jeden Tag tritt an den kleinen Kreis derer, die ohne weitere äußere Verbindung unter» einander die Entwicklung der Dinge verfolgen und fie an dem, was jenfeits der Grenzen gefcbiebt, meffen, die bedrüdcende Frage heran, ob es denn ganz unmöglich fei, den Errungenfchaften künftlerifcher Städtekultur und modernen kunftgewerblichen Betriebes auch hier Ein» gang zu verfchaffen. Das tatfächlich Erreichte aber ftebt in keinem Verbältniffe zur aufgewendeten Mühe, und wir können zufrieden fein, wenn es uns gelungen ift, die für unferen eigenen Bedarf fcbaffenden Kunfthandwerker von dem Nutzen eines mutigen Fortfcbreitens auf der ihnen gewiefenen Bahn überzeugt zu haben. Theater und Mufik blühen, gedeihen und erfreuen fich allgemeiner Wertfcbät)ung, denn ihnen ward feit Jahrzehnten durch die Preffe der Boden bereitet, auf dem wohl auch Ernft und Leichtfinn durcheinander wachfen, aber die Grundlage ift da, und bei zielbewußter Führung bleiben die Erfolge ernften Strebens nicht aus. Wir anderen aber, die der bildenden Kunft zu einer halbwegs vergleichbaren Teilnahme verhelfen möchten, und jene, die ihr felbft angehören oder durch formgeftaltende Handwerkstätigkeit naheftehen, find nicht fo glüddich. Ich begehe nicht das Wagnis, den Kern des eigentlichen Kunftlebens zu prüfen oder auszufprechen, daß es eine gewaltige Hnfpannung aller künftlerifchen Kräfte wird koften müffen, wenn den von Staat, Land und Stadt, fowie von opferfreudigen Kunftfreunden geftifteten Preifen eine folche Preife verdienende Hus= wähl ihrer Arbeiten entfprecben foll, wie es doch eigentlich felbftver» ftändlich wäre. Heute wende ich mich nur an das Handwerk und wäre glücklich, könnte ich in der Hoffnung auf einen dauernden Erfolg meiner Ratfehläge fchreiben. □ Mein Lob für alle Arbeiten auf jener Ausheilung ohne Vorbehalt be= zieht fich auf ihre technifchen Qualitäten; diefe find durchwegs einwand» frei, und fo ftehen jene Produkte, die ohne Anfprüche auf irgendwelche Formqualitäten auftreten und nur ihrem Zwecke genügen wollen, allen anderen voran; den Ehrentitel der Gediegenheit kann man faft keiner Arbeit abfpreeben. Aber es wird mit einem Schlage viel düfterer, wenn wir nach den Formen fragen, in denen der überwiegende Teil aller Tifcbler,Schlöffet ufw.fürWohnungsausftattung arbeitet; wenn irgendwo, fo fehlt es hier: fteltenweife ftanden wir unter dem Eindrücke, als fei die ganze Befreiung des Handwerkes vom Zwange abgelebter Formen ein fchöner Traum gewefen; denn es gab Zimmer im blübendften Palaft» ftile, gleichgültig ob Renaiffance oder Barock, vor denen das Publikum in erfterbender Bewunderung ihrer Schönheit fich ftaute — ein Jammer über die Arbeitskraft, die an dem forgfältigen Schnitjwerke für gar nichts verbraucht und abgenützt wurde, um eine Einrichtung zu liefern, die ihrer Gefchmacklofigkeit wegen in die Wohnung des Priv. chryfoft. Nudelmeyer gehört. Ich ftaune über die Gefchicklichkeit jener Hand» werksmeifter, die Prunkfehränke aus dem Mufeum mit dem ganzen überreichen Schmucke farbiger Intarfien ausgezeichnet zu wiederholen verftehen, aber ich weiß nicht, wohin das führen foll; denn gekauft oder verlangt werden fie ja doch nicht, fie bleiben Ausftellungsftücke ohne Verzinfung, denen man nach Jahren bei ähnlichem Anlaffe wieder begegnen wird. Ein Meifter aus der Provinz bat mir ernftlicb leid getan: erfteilte ein Jagdzimmer aus, und um es intereffant zu machen, ftattete er die Möbelftücke mit farbigen Intarfien aus; doch entnahm er die Vorbilder nicht den Mufealftücken, er verzierte den Schrank mit einem rotbärtigen wilden Jäger in halber Lebensgröße, das Bett mit einer Gemfe und einem laufenden Jagdhunde; dafür hat fich der Mann durch Monate geplagt und feine Kraft, die weit zweckmäßiger und er» folgreicber verwendet werden könnte, auf eine Arbeit verfchwendet, die felbft der wafcbechtefte Steirer nicht ernft nehmen kann. Das find typifche Beifpiele, die ich anfübre, ohne weiter auf die Gartenkunft, die kirchliche Kunft, auf die mißverftandene »Sezeffion« oder auf den Bauernftubenftil einzugehen. □ Dem ftehen nur wenige Zeugniffe frifcher Formkraft gegenüber, die zu ungewohnt waren, als daß fie das Publikum in ihrer tieferen Be» deutung hätte verftehen können: zwei einheitlich komponierte Räume von M. Herberger und zwei Zimmereinrichtungen von Grazer Meiftern, die den Vergleich mit anerkannten Arbeiten nicht zu febeuen brauchten. Die Folge aller diefer Eindrücke war die Frage, wie fich Abhilfe febaffen ließe, um die nur falfcb gebundenen Kräfte einer gedeihlichen Betätigung zuzufübren. Mehrere Faktoren kommen in Betracht, die über gemeinfames Vorgeben feblüffig werden müßten: □ 1. Das KUNSTGEWERBEMUSEUM erweitert kraft feiner erhöhten Staatsbeibilfen die fogenannte Mufterfammlung durch hervorragende Beifpiele moderner kunftgewerblicber Einzelarbeiten und Handwerks» erzeugniffe, die vermöge ihrer Formqualitäten dazu geeignet find, den Gefchmack der Gewerbetreibenden zu heben, zu läutern und fie zu lehren, welcher Art Gegenftände des Gebrauches ufw. fein müffen, um äftbetifche Werte auszulöfen und wie fie arbeiten Tollen, um einer Konkurrenz von außen her wirkfam Stand zu halten. Es bleibt nicht bei der Ausftellung allein, fondern das erklärende Wort tritt dazu, ge* richtet an Produzenten und Konfumenten, ftets beftrebt, das Prinzipielle der als Mufter bingeftellten und demgemäß auch ausgewäblten Stücke zu erörtern. Fortwährende Ergänzung der Beftände ift felbftverftändlicb, ebenfo der Kontakt mit den Zentralftätten kunftgewerblichen Schaffens. 2. Der KUNSTGEWERBEVEREIN vermittelt fatjungsgemäß zwifchen feinen Mitgliedern und dem Mufeum einerfeits, mit den Intereffenten aus dem Publikum andrerfeits; er macht die einen auf die Vorträge im Mufeum aufmerkfam, die anderen befriedigt er durch reicheren Wecbfel feiner ftändigen Ausftellung, die ohne den Kontakt mit dem Mufeum zu verlieren, bei den bevorftebenden Neubauten in günftiger gelegenen Räumen untergebracht werden foll; er regelt Angebot und Nachfrage und dient daher nicht zuletjt den materiellen Bedürfniffen feiner Mitglieder. □ 3. An der STAATSGEWERBESCHULE, deren Wichtigkeit immer mehr eingefehen wird, dürfte die große Scbülerzabl von felbft zu einer Trennung der tecbnologifcben von den kunftgewerblichen Facbfcbulen führen; fie erhöbt ihre Einflußnahme auf die Produktion durch die Ver» mebrung der kunftgewerblichen Lebrwerkftätten und wird gut tun, zur Gewinnung tüchtiger Werkmeifter mit dem Mufeum, das ihm Lehrmaterial liefert, und mit dem Kunftgewerbeverein ftete Fühlung zu behalten. 4. Das GEWERBEFÖRDERUNGSINSTITUT ftellt neben der Schule jene Organifation dar, welche die gewaltige Förderung aller technifchen Qualitäten zu danken ift. Liegt ihm auch eine gefcbmacksbildende Miffion ferner, da es fein Ziel in der richtigen Verbreitung der Arbeits» mafebinen im Kleingewerbe, in der technifchen Förderung des ganzen Standes feft vorgezeichnet bat, fo kommt ihm doch gerade bei der Trennung, die jet)t zwifchen dem felbftändigen kunftgewerblichen Einzel» erzeugniffe und der Schaffung gewiffer, dem gegenwärtigen Leben ent» fpreebender gefcbmackvoller Typen Plat) greift, eine erhöhte Bedeutung zu. Es könnte durch Angliederung einer fpeziell gefcbulten Kraft vor allem auf die Provinz fegensreicb wirken, indem diefe überall an die Tradition anknüpft und Fühlung mit den Meiftern fucht. Eine weitere Aufgabe wäre die Unterftütpmg einer erft zu gründenden Werksge» noffenfebaft zur Erzeugung von Möbeln durch die erleichterte Beiftellung von Arbeitsmafcbinen, damit die Nachfrage nach guten, aber nicht zu koftfpieligen Einricbtungsftücken durch Erzeugniffe des eigenen Platjes gedeckt werde; ein in weite Ferne gerücktes Ziel die Errichtung großer kunftgewerblicber Werkftätten. □ So ftehen die Dinge auf dem Boden des frei geftaltenden Handwerks; fo find die Wege, auf denen einzig eine Gefundung feiner Form» qualitäten möglich febeint. Wir haben nicht den Optimismus, mit dem die Tagesblätter die ganze Vorführung bingenommen haben; eine be= neidenswerte Ruhe in der Überzeugung, daß alles fo, wie es ift, auch das Schönfte und Befte fei. Schon der Vergleich der biftorifeben Ab» teilung mit dem Durcbfcbnitte des Neuen hätte fie eines Befferen be* lehren follen: daß die geftaltenden Kräfte falfcbe Verbindungen ein» gegangen find und daher ftagnieren, wo fie in Anbetracht des nicht ungünftigen, aber erft zu erfcbließcnden Bodens reiche Blüten treiben könnten. w. v. semetkowski R. Voigtländer 5 Verlag, Leipzig □ Druck von Otto Regel, Leipzig Für die Redaktion: Jofepb Aug. Lux, Dresden=Blafewit> □ Gefcbäftsftelle für Öfterreicb: □ Buchhandlung Carl von Hölzl, Wien 1/1, Operngaffe 2 320