Dieter Vergleich hinkt natürlich auf mehr als auf einem Bein. Er beweift nur den fundamentalen Irrtum, der immer wieder entfteht, wenn die Eifenarchitektur durch die Brille der Baukunft angefehen wird, einer verwirrten flfthetik zufolge, die für die modernen Konftruktionen Entfchuldigungen und Rechtfertigungen fucht und froh ift, das eine oder andere Kompromiß entdeckt zu haben. □ Die Baukunft, und folglich auch die Gotik der mittelalterlichen Dome, ift vor allem Raumkunft, die fich in rhythmifchen Raum größen und Flächen ausfpricht und Proportionen ausdrückt, die fowohl von der Natur des Materials, als von dem harmonifchen Empfinden des Schönen beftimmt find. Das ift der wicbtigfte äftbetifcbe Unterfchied, der die Baukunft von der Eifenkonftruk- tion trennt, deren Wefen fich in der konftruktiven Linie, in der Kraftlinie ausdrückt, die andern ftatifcben Gefeßen gehorcht und andern Beftimmungen untertan ift, als denen der räumlichen architektonifchen Proportion, fflfo auch die Gotik war Raum kunft, und ihr Prinzip war die Raumumfchließung, trot) der ent- materialifierten Steinkonftruktion, die ein fleifchlofes Gerippe oder Gerüft zu werden fchien.' Rber das bunte und bemalte Glas, die riefigen Glasfenfter zwifchen diefen fcblanken Säulen und Rippen füllten nicht, wie in dem heutigen Glaseinbau, die Helligkeit hereinführen und den Hnfcbein erwecken, als ob man zwar gefdbütjt aber doch zugleich im Freien fich befinde, fondern diefe bunten Glasfenfter hatten die raumabfchließende Hufgabe, das Innere von der Außenwelt abzufondern und das Licht farbig modifiziert und in gebändigten Fluten nur foweit herein- zulaffen, als es der beabfichtigten künftlerifchen Wirkung ent- fprechen follte. Die kunftvoll gemalten Glasfenfter mit ihren Heiligen, ihren biblifchen Legenden und ihren Landfchaften nahmen gewiffermaßen die Stelle der alten Gobelins ein, mit denen in der vorherigen Bauperiode die maffiven Wände des Innern belebt waren. Der Baukünftler mochte fehen, daß nicht nur der Schatten, fondern auch das Licht, und nicht nur das Licht, fondern auch die Farbe mit zu feinen künftlerifchen Elementen gehörten, und jede Hrchitektur hat ihr Augenmerk nicht nur auf die Proportionalität der Raumgrößen, fondern auch auf die künftlerifche Wirkung des Lichteinfalles gerichtet. Den Gotteshäufern nach innen eine höhere myftifche Steigerung und Weihe durch neue Modifikationen von Licht und Farben zu geben, nach außen bin aber durch das Spiel von Licht und Schatten dem Stein ein geiftiges Leben einzuflößen, ftrebten die gotifchen Baumeifter jene vielfach durchbrochenen und fkulp- tierten Formen an, die fo lange zur Schlankheit und Zierlichkeit führten, bis die Grenze der ftatifcben Möglichkeiten für die Steinkonftruktion erreicht war. Von innen gefeben glich der Raum einem aus Edelftein gefügten Gebäufe, darin die bunten, legendenreicben Fenfter als die farbigen Schmuckfteine und das Steinwerk als die Faffung diefer feurigen, dicbterifcb befeelten Juwelen glichen. Die ftörende Tagesbeile, das Licht abzubalten und nur ein Leuchten zu erzeugen, ein Farbenfprüben im andachterregenden Dämmer, folglich den Raum gegen die Alltags welt abzufchließen und in diefer feierlichen Umfcbloffenheit das Gefühl der Entrücktheit, die religiöfe Ekftafe zu gewähren, das war die Abficht der gotifchen Kirchenbaukunft, die wie jede Bau kunft Raumkunft war und fich von den andern Stilproben nur durch die Eigenart in der Verwendung der Mittel unterfchied. Von allen diefen Beftimmungen kann in der Eifenarchitektur nicht die Rede fein. Es ift zwar möglich, aus Eifen eine Kathe drale zu bauen, wie die fünffcbiffige Halle im New-Mufeum in Oxford, aber das ift ein Fall, in dem das Eifen als Surrogat zur Nachahmung einer biftorifcben Bauform auftritt und als unange nehmes Kompromiß erfcbeint. Die Eifenfprache und der Geift der rationellen Konftruktion weift diefem Material eine ganz andere Beftimmung an. Um den Unterfchied fcharf genug zu empfinden, tun wir gut, uns an die erwähnten klaffifchen Bei- fpiele der modernen Konftruktion, an den Kriftallpalaft, an die Parifer Mafcbinenballe und an den Eiffelturm zu halten. Nichts berechtigt uns, in diefen Fällen an die Gotik oder überhaupt an Raumkunft zu denken. Es ift Linien- und Konftruktionskunft. Kein ornamentales Element, das die Baukunft in Hülle und Fülle darreicht, darf hier binzutreten, ohne als Störung empfunden zu werden. Das einfache Profileifen und die Nietenköpfe drücken alle furcbtlofen Gedanken aus, die in diefem Material verwirk licht worden find oder der Verwirklichung harren. Es ift fchon getagt worden, diefe konftruktiven Gebilde haben nicht die Auf gabe oder das Vermögen, lediglich Räume durch Linien zu um- fcbreiben und durch Bogen zu überfpannen. Das vermögen fie aber in einem unerhörten Umfange. Die Halle des Kriftall- palaftes oder der Parifer Mafcbinenausftellung umfaffen demgemäß Weiten, die es früher nicht gegeben bat und die wir auch mit den herkömmlichen gefühlsmäßigen Beftimmungen der menfch- licb angemeffenen Raumverbältniffe nicht bewältigen können. Wir empfinden fie auch gar nicht wie die Architektur als ein erweitertes Kleid, zu Wohnlichkeit geftimmt, fondern wir emp finden diefe Hallen als ein Stück freien Raumes mit neuen Grenz linien, an dem der eigentümliche Reiz in der Kraft und Schönheit diefer Linien befteht, die wir nicht nur wegen ihrer Leichtigkeit und Kühnheit bewundern, fondern auch deshalb, weil wir in der Kühnheit und Kraft das Menfchenwerk verehren. Aber in diefem von einem Linienne^ eingefangenen Raum berrfcht die allfeitige unbeftimmte Tagesbeile. Die raumabfcbließenden Füllungen in diefem Netzwerk, das durchfichtige belle Blankglas empfinden wir gar nicht als ein raumabfcbließendes Element. Die optifche Wir kung des durchfichtig hellen Glafes ift die von Luft und Leere. Es gibt zwar den materiellen Scbut) wie Haus und Dach und rechtfertigt in diefer Beziehung die Bezeichnung Halle, die zum Unterfchiede von dem Hof, einer Umgrenzung im Freien; tro^dem aber bedeuten diefe Glasbüllen für unter Raumempfinden foviel wie nichts, weil wir durch das Auge ringsum mit der Außenwelt, mit dem freien Himmel, mit dem allfeitig ungehemmt einflutenden Licht im Kontakt fteben. Für unfer Raumempfinden kommen in diefen Hallen nur die konftruktiven Linien der Eifenarchitektur, das Netzwerk, die Gitterträger oder die eifernen Rahmen der regelmäßigen Glasfcbeiben in Betracht. Kein Verfuch fcbeint ge macht, das Licht irgendwie künftlerifch zu modifizieren, eine Raumftimmung hervorzubringen, fei es durch Regelung und Be grenzung des Licbteinfalles, durch farbige Brechung oder durch künftlerifch beftimmte Unterbrechungen mit Schattenwirkungen. Nichts ift getan, um nur im entfernteften an die Raumkunft zu ftreifen, die unter anderem auch in der Gotik einen ihrer künft lerifchen Höhepunkte erreicht bat. Und wenn felbft die moderne Eifenarchitektur diefen Verfuch wagen würde, fo täte fie etwas, das ihrem Wefen und ihrer Beftimmung völlig zuwiderläuft. Es wäre ein Exzeß von Gefcbmacklofigkeit, Wirkungen anzuftreben, die nur der Baukunft zukommen, und von diefer der Sakralkunft. Während anderfeits niemand leugnen kann, daß den technifch konftruktiven Werken, in denen die Eifenarchitektur ihre eigenfte Sprache redet, trot} der Koloffalität und der abfoluten Größe das Prädikat gefchmackvoll durchaus zukommt. Vor allem aber ift es die abfolute Zweckmäßigkeit und Nütjlicbkeit, der Ausdruck der äußerften materiellen Ökonomie, der fttaffen geiftigen Difzi- plin, der diefen Gebilden das Recht auf die äftbetifcbe Aner kennung fiebert. Wenn auch mit dem Begriff der Nützlichkeit und Zweckmäßigkeit das Geheimnis der Schönheit nicht begrün det ift, fo kann es doch keine Schönheit geben, die ohne diefe 329