KETZERISCHES BUNTERLEI EIN ZWIEGESPRÄCH IN EINEM SPEISEWAGEN VON HRTHUR RÖSSLER, WIEN ER BRÜNETTE: Drei Stück Zucker, bitte, nur Schwarzen, nicht übergießen, und Marnier, ja. □ DER BLONDE: Mir bitte einen Kapuziner mit zwei Stück Zucker und grüne Chartreufe. □ DER BRÜNETTE (gemächlich zurückgelehnt und den Zucker in der Schale rührend): Ift es nicht eigentlich kurios? Wir haben den Mut zu einer gefahrvollen Bergbefteigung über bröckelnde Felsfteige, den Mut zu einer faulenden Rodelfabrt einen hals- brecherifchen Talbang hinab, zu einer Wettfahrt mit einem 100 PS Automobil, das mit 80 Kilometerftundenfchnelligkeit dahinftaubt, zu einem Flatterverfucb mit einem Äroplan, zu einer Ballon* fahrt über das fturmbewegte Meer, zu einer Jagd auf Bären und andere Biefter, unter Umftänden auch zu einem Duell, für das juft nicht gerade franzöfifche Bedingungen maßgebend find — kurz, wir haben zu allerlei Fährlichkeiten und Abenteuern den Mut, jedoch nur feiten haben wir den richtigen, den wahr* haften Mut. Kurios! Was? □ DER BLONDE (bat foeben vom Likör genippt und brennt jet)t eine Laurens »Figaro« an): Welchen Mut meinen Sie mit dem richtigen, wahrhaftigen Mut, mein Befter? □ DER BRÜNETTE: Ich meine damit den Mut, der dazu er« forderlich ift, offen die ehrlichen Gedanken und Meinungen aus* zufprechen, die wir zuweilen über manche Dinge hegen. Nur ganz feiten, in Augenblicken, die fich durch den befeligenden Ausgleich leiblicken und geiftigen Wohlbefindens auszeicbnen, beifpielsweife nach einem tüchtigen Marfch in freier Landfcbaft, darauffolgendem Bad und fcbmackbaftem Mahl, wenn wir mit läffig gelöften Gliedern voll Behagen im bequemen Seffel ruhen, oder wenn wir, eine Zigarette rauchend, mit einem Freunde plaudern, oder wenn wir für uns felbft monologifieren, quillt er zuweilen in uns auf und wir fprecben aus, was andere ver* dutjt, ärgert oder unterhält, je nachdem, was uns felbft aber als Wahrheit gilt. □ DER BLONDE: Und verfpüren Sie diefes fpezififcben Mutes Regung momentan etwa? □ DER BRÜNETTE: Ich glaube. Wenigftens umfängt mich, dank des guten Effens und des fcbönen Panoramas, das hier außer« halb der blanken Scheiben an unteren Augen vorbeiziebt, jene Stimmung wieder, aus der mir fcbon manchmal wertvolle Er* kenntnis ward. □ DER BLONDE: Dann laffen Sie mich, bitte, die Worte der Weisheit und Wahrheit vernehmen. □ DER BRÜNETTE: Gern. Sie dürfen fich nur nicht daran ftoßen, wenn fie ungefügig und wenig gefällig find. Immerhin mögen fie doch manche Wahrheit bergen, gleichwie man in ge« meines Geftein fcbimmerndes Kriftall eingefprengt findet. □ DER BLONDE: Hm, wenn Sie in derartig getragenem Tone fortfabren, werde ich nickt zu klagen haben. □ DER BRÜNETTE: Spotten Sie nicht, nickt zu früh, denn ick werde Ihnen Wahrheiten fagen, die nickt mit Späßen und nickt mit Spott zu bekämpfen find. □ DER BLONDE: Alfo, dann nur mutig. Heraus mit der bitteren Wahrheit! □ DER BRÜNETTE: Das ift das rechte Wort: bittere Wahrheit! Ja, es ift eine bittere Wahrheit, daß eine epidemifck über die Lande ratende geiftige Seuche einen Teil des Volkes überfiel und deffen Sinn verwirrte. Diefelbe Wütigkeit, die als religiöfer Myftizismus es vor Jahrhunderten zur Flagellation trieb, drängt es jet)t als Kultur« und Kunftfanatismus in das öffentliche Leben. Der Einfall des Dilettantismus in das Gebiet der Kunft ift ein geradezu ungeheuerlicher. Nock nie war er in gleicher Maffen* baftigkeit und mit gleicher Vehemenz zu beobachten gewefen. DER BLONDE: Und wodurch wurde diefe Dilettanteninvafion bervorgerufen? □ DER BRÜNETTE: Die fattfam bekannten Scklagworte »Kunft im Alltag«, »Kunft im Leben des Kindes«, »Kunft für das Volk«, »Heimatkunft« und wie fie fonft noch alle lauten mögen, haben ihn vermöge der ihnen innewohnenden Tendenz verurfacht, diefen Hunneneinfall, und fie haben ein empörendes Gefcbmäckler« unwefen gezeitigt. Vordringlich, fixfingerig und arbeitsbefliffen, bemächtigten fick dünkelhafte Anwoller und Nicktskönner der Kunft, um fie zur Verfckönerung des Lebens, wie fie von ihnen verftanden wird, zu zerkleinern, zerftückeln, zu vergewöbn« licken. Was wucktender und rauher Quaderftein fein follte, wurde von ihnen zum glänzend polierten, niedlichen Briefbe* fcbwerer zufammengefckliffen. Die dilettantifcke Immenemfigkeit bringt enorme Maffen unnötiger Geräte hervor, unter denen wir zu erfticken drohen. Unfer Leben wird behindert, beengt, belaftet, von einer Menge Gfcbnas, Pofel behängt, verftellt und dekoriert. Es liegen, hängen und fteben in den meiften mo dernen Wohnungen viel zu viel Dinge herum, die wir zum Leben, zu deffen Verfckönerung oder deffen Bequemlichkeit nicht brauchen, nickt brauchen können, die vielmehr geradezu nutzlos find, die weder praktifcken noch fonftigen Wert haben, die aber irgend »jemand« entworfen bat oder die fonftwie für »modern« gehalten werden. Ift letzteres der Fall, können es reckt gut auch alte Geräte fein, denn dies fcbließt nicht aus, daß fie modifch find. □ DER BLONDE: Darüber regen Sie fick auf! Was wollen Sie da fagen? □ DER BRÜNETTE: Sparta, Sparta, ein wenig Sparta! □ DER BLONDE: Aber lieber Freund, Sie vergeffen fick und Ihre Kulturmiffion, der fie dock felbft ein Schaffender find. □ DER BRÜNETTE: Nichts vergeffe ick, im Gegenteil: ick denk an vieles, und das, was Sie, mein Lieber, als untere Kultur preifen, das nenne ick einen großen Trödelbaufen. So viele, die fick ganz außerordentlick kultiviert dünken, die ackfelzuckend und mit einem bämifcben Lächeln um den von englifcber Bart- trackt gezierten Mund verachtungsvoll das in eine Cloifonévafe gefteckte ftaubfangende Makartbukett verwerfen, arrangieren nach japanifcbem Beifpiel blühende Baumzweige oder farbiges Herbftlaub in Kopenbagener Porzellan und fühlen fick mächtig überlegen damit. Sie ließen ihre gotifcken Truhen und re« naiffancenen Stühle, ihr altdeutfcbes Speifezimmer und ihren franzöfifcken Salon zum Tändler führen und kramten dafür ihre Stuben mit anderem, allerdings neuem, aber gleichwohl unnütjem Zeug voll, und kommen fick nun zeitgemäß kultiviert vor, weil ihr jet)iger Quark modern ftilifiert ift. Sie fpeifen zwar nicht mehr von zinnernen Schütteln und Tellern, fondern von Wiener, Münchener oder Darmftädter Porzellan, deffen Form und Dekor irgendwer »entworfen« bat, fchneiden aber die Kartoffel mit einem Hofmannfcben Meffer. Sie bewohnen nicht mehr Stuben oder Zimmer, fondern »Interieurs«, und da fie als im Grunde reckt brave Menfcben und tüchtige Gefchäftsleute, Ärzte, Advokaten, Ingenieure oder Beamte fick in den Interieurs doch nickt ganz fo behaglich fühlen, wie vordem in ihren Stuben, benütjen fie für den gemeinen Tag Interimsräume, und das Interieur wird das Staatsgemach. Der alte und verpönte »Salon« kehrt folcberart in veränderter Geftalt wieder. Das Schlimmfte aber ift, daß fie zu alledem, die dabei dock ihr Gefcbäft gar nicht finden, von einer Erziebungswütigkeit befeffen find, die geradezu erfchreckend ift. Tatfäcblich fcbeint es mehr Erzieher 332