als der Erziehung bedürftige Leute zu geben. Sobald irgend einer, gleichviel ob er fein Brot erfchmiedet oder erfchreibt, erhandelt oder erfpielt, von der Modernitis befallen ward, wird er toll, gebt er bin und will erziehen. Tut er dies im engften Bekanntenkeis, wennfcbon auch das arg genug ift, fo ift’s noch zu ertragen. Aber leider gibt er ficb damit nur febr feiten zufrieden, meiftens verlangt es ihn nach großer Räfonnanz. Er beginnt Vorträge zu reden und Artikel zu fcbreiben. Früher verbrach er Gedichte, die gottlob meiftens in den Stammbüchern verborgen blieben, beute fucbt er ein Publikum. Und oft genug gefchieht es, daß einer, der lange wacker wirkend im Bureau faß, unvermutet aufftebt und uns fein Buch entgegenbält, in dem er uns Exterikultur predigt. Weil fein Hbteilungsvorftand, der Herr Sektionsrat, zufällig einem alten raffigen Hdelsgefcblecbt entftammt, dem es natürliche Eigenfcbaft ift, ficb vornehm zu gebaben und zu gewanden, und weil er auf ein Kunftblatt abonniert ift, fühlt er fleh als der vollkommene Dandy, als die böcbfte Blüte raffinierter Leibespflege und als ein Meifter äußerer Lebensführung. Aber damit nicht genug, febwatjt er uns dann fo felbftverftändlicbe Lehren vor, wie die, daß man Hemden mit angewaebfenen Manfcbetten tragen muß, wenn man als Kultur» menfeh gelten will, oder daß man Kartoffel und Brot nicht fchneidet, fondern bricht, und ähnliches mehr. Der Brave vergißt eben völlig, daß nicht nur der vollkommene Dandy, daß febon der fimple Kulturmenfch darüber gar nicht fpricht, weil ihm all das als das felbftverftändlichfte gilt, worüber nur der Snob, der gigerlhafte Kommis fcbwätjt, den diefe Fragen aufregend be» febäftigen, wie es den Nigger aufregend befchäftigt, gefteifte Manfcbetten um die Fußknöcheln zu tragen. □ DER BLONDE: Sie übertreiben, Sie übertreiben ganz gewiß. Obwohl das Diner gut war, das Roaftbeef faftig und das Poulet zart, das Konfekt nicht ranzig, der Wein weich und voll, fcheint es Ihnen doch nicht recht bekommen zu fein, denn fonft könnten Sie, gerade Sie nicht fo loszetern, fo anarchiftifcb wettern gegen Kunft und Kultur. □ DER BRÜNETTE: Sie dürfen mich nicht mißverfteben. Ich ftreite nicht gegen Kunft und Kultur, ich bekämpfe nur deren Auswüchfe. Wenn es richtig ift, was Stifter tagte, nämlich: daß die Kunft eine der größten und wichtigften Mächte des menfeh» liehen Lebens ift, die allen jenen Dingen des Dafeins, die nur Mittel find, als menfchlicber Selbftzweck vorangeht, und daß die Völker einzig durch diefen Durchgangspunkt zu ihrer Kultur gelangen, dann, mein lieber Freund und Zeitgenoffe, dann haben wir eben keine Kultur. □ DER BLONDE: Damit wollen fie lagen, daß wir auch keine Kunft haben ? □ DER BRÜNETTE: Dasfelbe. O DER BLONDE: Ich beftreite das. Wir haben echte Kunft. Sie felbft find ja ein echter Künftler, der den Menfcben Wohnungen baut, der .... n DER BRÜNETTE (lachend einfallend): - den Menfchen auch Bilder malt, Figuren meißelt und Lieder dichtet, gewiß, all das mach’ ich, aber trotjdem fag’ und behaupt’ ich: Wenn man die Kunft in ihrer Bedeutung als Wertmeffer der Kulturgrädigkeit eines Volkes nimmt, erkennt man, daß wir faft nur über Künftelei verfügen. In den Ausftellungen und auf den Märkten über wiegen ganz koloffal jene Dinge, deren Urheber ficb unbewußt dem Verlangen fozialen Zweckdienftes willig unterwarfen. Die wenigften Stücke find rund und reif gewachfene Früchte fchöpfe- rifcher Kräfte. Meiftens haben wir es mit mehr oder minder gefchmacklos — oder wenn Sie lieber wollen: gefcbmackvollen, gefcbickt gemachten technifchen Fineffentricks zu tun, die rational nützlich, in der verfchönten Form, künftlerifche oder beffer getagt kunftbandwerklicbe Durchbildung bieten wollen. Schier alle Kunft wird »angewandt«, und der durchgehende Zug der Zeit, die Demokratifierung, gibt ficb, wie mir fcheint, in der Kunft noch deutlicher kund als in den verfchiedenen fozialen Organi» fationen der Arbeiterfchaft. □ DER BLONDE: Aber es ift doch gut, daß auch das Volk Kunft genießen foll, daß man die Kunft ins Volk trägt, es kann doch nicht zuviel Kunft geben. □ DER BRÜNETTE: Sie haben an meinen Worten vorbeigebört und m cb nicht ganz verftanden. Gewiß kann es nie zuviel Kunft geben, aber allzubald gibt es allzuviel Künftelei und Kunft« gewerbe. Die ganze Gewalt eines fich vorbereitenden ökono» mifchen Syftems richtet ficb gegen das Wachfen freier Kunft. Mit Wichtigtuerei bemächtigt ficb beute der hurtige Kunft» anwender der fchlichteften Geräte des täglichen Lebens, um fie, die vom Handwerker im Verlaufe einer jahrhundertelangen, erfahrungsreichen Entwicklung in der vom Zwecke beftimmten fachgemäßen Form geftaltet wurden, durchaus finnwidrig zu »ftilifieren«. Er febont dabei weder die überlieferte Form, die ficb aus dem Gebrauchszweck ergab, noch auch berüdefiebtigt er das Material, das eine ganz beftimmte Behandlungsart fordert. Etwas, das funktionieren Tollte, zwingt er zu repräfentieren, und über den dinglichen Zweck ftellt er feinen Selbftzweck - meiftens den aparter Wirkung. Um feinem dilettantifchen Ge» lüfte fröbnen zu können, ift folchem Verfallzeitler kein Topf zu gering - er formt ihn um. Diefe eigentliche Dekadenz der Kunft bängt febr wabrfcheinlicb, wi febon behauptet wurde, mit ihrer Umwandlung zu tragbarer Form von Privateigentum oder zu materieller oder kommerzieller Spekulation zufammen. Nur noch feiten gelangen in Kunftwerken die Ideen eines Volkes, einer Raffe zum Ausdruck, meiftens find es bloß die Achtbar gewordenen Einfälle einer Klaffe, einer Schule. Wirklich große echte Kunftwerke waren feit jeher faft durchwegs als Mani» feftationen des in einzelnen Künftlern zum Extrakt verdichteten Volksgeiftes entftanden, wenn fie der Künftler ohne kommerzielle Hintergedanken fchuf, am beften im Aufträge des Staates für den Staat als öffentliches Werk. □ Doch das nur nebenbei, was ich eigentlich meine ift, daß man vom Künftler beute nicht das Kunftwerk begehrt, fondern man begehrt von ihm, daß er feiner Zeit diene, daß er feine Arbei fozialen Z ecken unterordne. Man gebt hierbei von einer durchaus falfchen Vorausfetjung aus in völligem Verkennen des urfprüng» lieh und eigentlich Wefentlichen alles Kunftfcbaffens. Ma i darf an die Kunft und an wahrhafte Künftler nicht mit vorgefaßten Meinung n b rantreten, darf nicht beifchen - denn: »Die Kunft ift vorhanden. Sie ift ein felbftändiges Gebiet der menfeh» lieben Tätigkeit und kann in ihrem tiefften Wefen nur ver ftanden werden, wenn man fie vollftändig von allen ähnlichen oder verwandten Elementen getrennt bat.« - Die »Aufgabe«, den Alltag und die zum Leben notwendigen Geräte »gefchmack» voll« zu geftalten, gibt es fomit für den Künftler nicht. Er ift kein Tapezierer. Der Künftler empfindet vielmehr Ehrfurcht vor dem Leben, feinen abervielen Erfcheinungen und der dem Leben und feinen Dingen eigentümlichen Stimmung, und er febeut ficb, diefe befondere Stimmung daraus zu verfebeueben durch Feldfcbrecken, die er aufftellen foll, wie man’s von ihm verlangt. Es ift ein verhängnisvoller Irrtum zu glauben, der Künftler könne auf die breite Maffe des Volkes als Erzieher wirken. Die breite Maffe des Volkes giert übrigens nicht nach Kunft, die breite Maffe des Volkes febreit nach Brot, oder weniger rbetorifch getagt, nach Fleifch, und das berühmte Huhn auf jeder Sonntagsfchüffel ift wirklich kein leerer Wahn, und wahr ift’s, daß das Volk am Sonntag lieber feinen Braten auf dem 333