INHHLT DES HEFTES 22 MODERNE BESTREBUNGEN IM STÄDTEBAU. Von H. E. BRINCK= MANN 337 ERZIEHUNG ZUR EISEN = ARCHITEKTUR. Von DR- HEINRICH PUDOR 339 ELIAS HOLL UND ALT-AUGSBURG. Mit 3 Abbildungen. Be- fprocben von JOSEPH AUG. LUX 340 ÜBER CARL SCHUCH NEBST EINIGEN BRIEFEN VON IHM. Von ARTHUR ROESSLER 343 DANZIG UND SEINE BAUTEN. Mit 4 Abbildungen 349 APHORISMEN 350 UTAMARO 350 BÜCHERANZEIGEN: Adreßbuch der Stadt- und Gemeindeverwaltungen Deutfcb- lands • 1908. Begründet von ALBERT RENNÉ 351 Deutfcber Camera-Almanach. Begründet von FRITZ LOESCHER, fortgeführt von OTTO EWEL 351 AUSSTELLUNG DER UNBERÜHMTEN. Für Frau und Kind • Im Stuttgarter Gewerbemufeum 351 VERGLEICHENDE GEMÄLDESTUDIEN. Von KARL VOLL .. .. 352 SCHREIBWESEN 352 MODERNE BESTREBUNGEN IM STHDTEBHU* VON H. E. BRINCKMHNN W ie für die Einzelarchitektur, fo mußte auch für den Stadt bau eine Reaktion einfetjen, die ficb gegen den gefinnungs- lofen Schematismus auflehnte. Das Verdienft, diefer zuerft das Wort geredet zu haben, gebührt dem Wiener Archi tekten C. SITTE mit feinem Buch: »Der Städtebau nach feinen künftlerifchen Grundfätjen.« Wien 1889. □ Die Anregungen, die Sitte gab, werden überfchätjt, fogar die felbftändigen Verdienfte anderer Architekten um die moderne Stadtbaukunft find ihnen unterftellt worden. Sie müffen fich um fo eher eine Kritik, die bis je^t ausblieb, gefallen laffen, als es Sitte nicht vergönnt war, die erfrifchende Einfeitigkeit feiner Anfchauungen zur breiten und klaren Erkenntnis auszubauen. Das Verdienft bleibt ihm ungefcbmälert, in einer arcbitektonifcb heruntergekommenen Zeit zuerft in Schrift und Wort darauf hingewiefen zu haben, daß der Städtebau künftlerifcbe Tätigkeit ift. Den künftlerifchen Formausdruck konnte Sitte auf dem von ihm gewiefenen Wege nicht finden. □ Man könnte Sitte den Romantiker unter den Stadtbauarchi tekten nennen. Er bemüht fich vorzüglich um die mittelalter liche Stadt und urteilt hier mehr aus einem feinen Gefühl heraus, * Aus der bei Emft Wasmut, Berlin, erfcbienenen Studie »Platj und Monument« von A. E. BRINCKMANN, ein Buch, das durch wiffenfcbaft- licben Ernft, durch umfaffendes charakteriftifcbes Material und durch moderne künftlerifcbe Gefinnung, von keiner bloßen Hiftorie und Archäo logie angekränkelt, ausgezeichnet ift. Den Architekten und weiteren Intereffenten ift es dringend zu empfehlen. Wie obige Lefeprobe be- weift, find durchaus neue Gefichtspunkte, die über Sitte hinausgeben, gefunden. D als daß er fich um die Erkenntnis der architektonifchen Logik bemüht. Dies fchadet dem Refultat. Man bekommt einige Rezepte für den Stadtbau, und wird entlaffen, ohne ihn als künftlerifcbe Äußerung tiefer aufgefaßt zu haben. Infolgedeffen entwickelt fidi aus dem Widerfprucb gegen ein Schema ein anderes, das noch gefährlicher wird, da es fich der biftorifchen Entwicklung entgegenftemmt. ö Die Sittefche Theorie von der Gefcbloffenbeit der Plafjwände, vom Freibalten der Pla^mitte ift eine Teilwahrheit, die aus biftorifch nicht einmal einwandfreien Beobachtungen in mittel alterlichen Städten gewonnen ift (vergl. Kapitel 1) und als Schlag wort durchaus irre macht. Ehe der moderne Stadtbauer die Rezepte Sittes als allgemein gültig für fein Schaffen anerkennt, hätte er fich zu fragen, ob unfere Einzelarchitektur der mittel alterlichen entlehnt ift, - Sitte als Architekt ift Eklektizift, das von ihm als Anhang feines Buches mitgeteilte »Beifpiel einer Stadtregulierung nach künftlerifchen Grundfätjen (für Wien)« ein tbeatermäßiges Kompofit aller Bauftile —, oder ob ihre näheren Verwandten Renaiffance, Barock und vor allem die fran- zöfifche und deutfche Architektur des XVIII. Jahrhunderts find. Nachdem unfere Architektur die vom Hiftorizismus zerfdmittene Tradition wieder aufnimmt, und mit Vorliebe die Formen des XVIII. Jahrhunderts weiter entwickelt, dürfte die Beantwortung der Frage nicht fchwer fein. □ Sitte fpricht allzu oft von »malerifcher Bildwirkung«, die nur zu leicht an Tbeatereflfekt erinnert. Der Architekt als Raum- künftler follte nicht ihr zuliebe bauen. Der Begriff des Male- rifchen wandelt fich mit dem Zeitgefchmadc, die malerifcbe Bild wirkung ift eine untergeordnete Begleiterfcbeinung des Archi tektonifchen. □ Beeinflußt von Sitte geht der Städtebau unferer Zeit praktifcb wie tbeoretifcb von zwei Maximen aus. Einmal, daß jede Stadt ihrer Terrainfituation nach eine Individualität ift, daß der Stadt erbauer nicht dem Boden ein unabhängig erdachtes Planbild aufzwingen darf, fondern fich durch die natürlichen Bedingungen bei feiner Planung leiten laffen muß. Dies ift kein neuer, fondern auch von dem biftorifchen Städtebau anerkannter Grundfatj. So fpracb ihn Alberti aus (vergl. Abfchnitt 10) und felbft der in feiner Formungskraft oft gewaltige römifche Barock bat mit dem Kapitol, dem Petersplatj, der Spanifchen Treppe gezeigt, wie vortrefflich er eine gegebene Situation ftilifierte. Die fran- zöfifcbe Stadtbaukunft hütete fich in ihrer Blütezeit, enge Regeln feftzufetjen. Patte bekennt einmal gelegentlich (a. Anm. 49 a. O. pag. 63): »De dire ce qu’il conviendroit de faire positirement en particulier, c’est ce, qu’il n’est gueres possible, attendu que les positions des rilles se modifient d’une infinite de facons, et que ce qui convient â l’une, ne scauroit convenir â une outre.« Einzig die Vorliebe für das befondere Terrain fowie feine Stilifierungsart wecbfelt. Vergewaltigt wurde es nur in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Heute gebt man allerdings mehr wie früher den Anregungen, die der Boden bietet, bei feiner Stilifierung im Stadtbau nach, man ift natura- liftifcber. Diefer Naturalismus im Städtebau bat als Ausdruck eines beftimmten AUgemeingefühls feinen Wert, man muß fich 22. Heft • IV. Jabrg. 337