aber des Unterfcbiedes zwifcben Natur und künftlerifcber Form bewußt bleiben. Den Beftrebungen des modernen Städtebaues ift die Gartenkunft anderthalb Jahrhunderte vorausgeeilt, fchon Langier* verlangte für den Garten größere Freiheit der Ent» Wicklung an Stelle der ftrengen Einordnung, und im englifchen Garten fuchte lieh fdbließlich die Kunft der Anlage hinter der Natur zu verftecken. Die zweite leitende Idee für den modernen Städtebau ift, daß man von der Vergangenheit lernen könne. Hier kommt alles auf die richtige Frageftellung an, um der Gefchichte der Stadt» baukunft ihre künftlerifcben Probleme abzuhören und aus der Art ihrer Bewältigung zu lernen. Der Gewinn der Hiftorie be» fteht in der Erkenntnis der Prinzipien künftlerifcber Tätigkeit, die ein bedingungslofes »Neues in entwickelterer Form febaflfen!« der Gegenwart zuruft. Gefteht fchließlich auch Sitte ein: »So wohl das moderne Leben, als auch die moderne Technik des Bauens laffen eine getreue Nachahmung alter Stadtanlagen nicht mehr zu, eine Erkenntnis, der wir uns nicht verfcbließen können, ohne in unfruchtbare Phantafterei zu verfallen.« Um fo be denklicher ift es, wenn er gleich darauf für die »künftlerifche Formvollendung des Städtebaus« verlangt, »hiftorifche Mufter« leiftungen auf moderne Verhältniffe zu überfeinen«. Wo bleibt bei folcbem verfteckt eklektifchem Kopieren der neue Gedanke im neuen Material? O Nach feinem Vorgang ift es infonderheit die mittelalterliche Stadt, welche die gefuchten Anregungen gibt. Hiermit ift von vornherein das fymmetrifebe Prinzip der Gruppierung, das man fo gern und fo unrichtig das malerifche nennt, anerkannt. Neben unregelmäßig angelegten Plätjen fucht man die gerade Straße nach dem Vorbild der mittelalterlichen gewundenen, ungleich breiten und oft verfemten Straßenfübrungen umzubilden, nicht bedenkend, daß die Plätje und die Straßen der gewachfenen mittelalterlichen Stadt (vergl. Abfchnitt 1) ein Produkt des gotifchen Hausbaues find, kurze Fronten der Giebelbäufer ver langen, daß ihre Unregelmäßigkeiten natürlich im Material ent- ftanden und nicht vom Stadtarchitekten auf dem Planbild er» fonnen find. Die unregelmäßige Straße hat den Vorteil, fich dem wedbfelnden Gelände anzufchmiegen, fie bietet größeren Wecbfel in der Verfchiebung ihrer Anfichten, fie wird bei großer Breite und leichter Abbiegung der architektonifch vielleicht be« fonders markierten Endigungen fogar eine gute Raumwirkung befitjen - der Breite Weg in Magdeburg, die Altftadt in Lands- hut — und diefe Vorzüge geben ihr im Städtebau Berechtigung. Sie hat aber auch Nachteile. Wie oft hat man bei der gewaltigen Ausdehnung unterer Großftädte das Gefühl, als ftoße fich das Auge bei den kurzen Abftänden in der Stadt und fchmerze, wie erlöfend empfindet man im Freien die wohltuende Wirkung der Diftanz. Das Verlangen nach Befreiung des Blickes ließ die gerade reinliche Straße entfteben. Hat die gewundene, un regelmäßige Straße felbft bei der unvermeidlichen Benach teiligung der konvexen Seiten auf hügeligem Gelände, in Villen vierteln, bei offener Bauweife, als Kontraft zur geraden freien Straße durchaus ihre äfthetifche Berechtigung, eine vollendet monumentale Situation kann fie nicht fchaffen. Die lebten Jahre haben Stadtpläne gezeitigt, die felbft auf ebenem Terrain nur gekrümmte Straßen zeigen: das ift ein irriges Extrem, ein neuer Schematismus. »Die krumme Straße zur ausfchließlichen Regel erbeben zu wollen, wäre Torheit«, fagt J. Stübben. Selbft Sitte hätte dies nie gebilligt. □ * Hnm. 46 a. 0. pag. 279 kritiflert der geiftvolle flbbé Verfailles: Le grand air de fymmétrie ne convient point â la belle nature. II faut â la vérité du cboix, de l’ordte, de l’batmonie, mais il ne faut rien de trop gëné et de trop composé. □ Eine Straße wird nicht dadurch fchön, daß man Mietbaus- faffaden wie ein Kartenblatt biegt. »Die krumme Linie ift die Linie des Lebens«, hat man erklärt; wir wünfehen den nötigen Humor, um an die krumme Straße auch Käufer zu ftellen, die fich vor Lebendigkeit krümmen. □ Für die Bewertung unregelmäßiger Plätje brauchen diefe Bemerkungen nicht wiederholt zu werden. □ Hat man aber in unterer Zeit, in der fich die Architektur erft langfam wieder befinnt eine Kunft zu fein, die Kraft, im Großen eine einheitliche Platjanlage zu fchaffen, ftatt alles zu verzetteln? Die Gefchichte des Berliner Königs- und Alfenplatjes, die noch nicht abgefchloffen, kennzeichnet recht die heutige Ungefcbicklicb» keit und kleinliche Gefinnung. □ Die gerade Linie und der rechte Winkel bleiben die vor- nebmften Elemente der Architektur und auch die gerade breite Straße wie der regelmäßige Arcbitekturplatj werden ihren Wert im Städtebau behalten. Sie bilden Kern und Rückgrat der Stadt, die monumentalfte Geftaltung des Raumes. Der Gegenfat} zwifcben folchen Straßen und den unregelmäßigen Quartieren gibt einer Stadt Gliederung, Steigerung, Rhythmus. □ * * * Das ftädtifebe Leben bat feit den letzten fünfzig Jahren eine ungeheure Entwicklung durchgemacht, es ift grundverfchieden von dem biftorifchen. Ganz und gar nicht läßt fich die neue Stadt durch Nachbildung hiftorifcher Grundriffe erbauen. Auch die uns zeitlich am nächften flehende Stadtbaukunft des Barock und des XVIII. Jahrhunderts, vorzüglich Frankreichs, kann nur Anregungen geben, der Geftaltungskraft helfen, fie lehren. □ Bei dem Studium der Leiftungen vergangener Jahrhunderte aber follten wir uns angelegen fein laffen, vom Objekt das Gefet) zu empfangen, follten nicht in liebenswürdiger Begeifterung zu flüchtig mit modernen Augen fehen und dem biftorifchen Städte bau Schönheiten unterfchieben, um die er fich nie und nimmer bemühte. Zu diefen redme ich z. B. das angebliche, vielbelobte »Prinzip des Malerifchen der gotifchen Stadt«, das nicht die ge» ringfte Parallele in der gleichzeitigen Malerei hätte. Streben wir nach folchen fich unbeabfichtigt einftellenden Wirkungen, fo wird der Städtebau unterer Zeit niemals künftlerifcbes Werk, fondern Darftellung eines Effekts — und zwar in dem Sinne, den Goethe verfpottet. □ Für die Einzelarchitektur wie für ihre Zufammenfaffung im Stadtbau ift vor aller Theorie eines notwendig, ein eigenes Raumgefühl, denn jegliche architektonifcbe Form ift fichtbarer Ausdruck desfelben. Es ftellt fich zunäcbft in den einzelnen Wobnräumen dar, dann in der Gruppierung diefer, im Hausbau. STÄDTE BAUEN HEISST: MIT DEM HAUSMATERIAL RAUM GESTALTEN,! Die neugierige Frage nach der neuen Form vermag den Hifto- riker nicht zu beantworten. Der Städtebau ift wie jede Kunft nicht Konftruktion abftrakten Denkens, mit dem fein Niedergang begann, fondern finnliches Denken, Denken im Material. Nur die künftlerifche Kraft vermag diefen geiftig-körperlichen Prozeß im geftaltenden Schaffen durchzumachen, Aufgabe des Hiftorikers ift der Verfuch, diefen Prozeß zu verfteben, feine Refultate zu fammeln. □ Ift man zufrieden mit einer bellen Ausficht, fo kann wohl gefagt werden, daß das Streben nach einer neuen Raumkunft Hoffnung macht, der Architekt werde von einem neuen, redlichen und reinen Gefühl für Körperlichkeit durchdrungen und auch für die Stadtbaukunft eine neue und befreiende Schönheit geftalten. 338