BRÜSSEL (1869) □ _ _ _ Du baft mich in einigem mißverftanden. Es ver» zeidmet fidb eben vieles in der Ferne. Und dann mein’ ich, wir follten uns auch weniger einer um den andern bekümmern, weniger nach dem fcbielen, was der Nachbar tut, fondern felber tun, was wir überlegt haben und für richtig gefunden. Id), für mich, halte es fo, ich fcbau nicht nach links und nicht nach rechts, ich blick nur vorwärts, und da feb ich ein Ziel, das heißt für mich ein Ziel — und nach dem Sinn des Lebens, danach frag’ ich nicht, mir genügt’s zu leben. □ PARIS, in einem Café am Boulevard (1870) Lieber Julius! Ich quäle Dich, das beißt Du quälft Dich unnü^ mit meinen Qualen. Wir wollen lieber von was anderm plaufcben. Die Stunde ift gut und ruhig, da ift’s ganz finnlos fich zu martern und einen Freund zu betrüben, während auf den weichen Wellen der warmen Luft, die der fchwere und füße Duft blühender Bäume erfüllt, die fchmeichelnden und wehmütigen Klänge ferner Mufik zu mir herüber getragen werden. □ Das ift nun Paris - auch ein Eldorado der Maler. Mir fcheint es mehr das el Dorado der Cocotten zu fein. Doch die Stadt ift fcbön, einzig, - ausgefuchte Schäle der Kunft und eine be zaubernd anmutige Natur vereint. Der Anblick der Verlotte rung der Parifer wird in diefem Rahmen zu einem genußreichen Scbaufpiel. Sie find in einer fo angenehmen Weife verdorben, zuweilen fogar verrucht, und fpielen ihre lafterbaften Tragi komödien fo virtuos, daß man ihnen in einem gewiffen Sinn fogar dankbar dafür fein muß. - Sie haben uns damit ein wenig von der unwabrfcheinlichen Schönheit der Poefie längft vergangener Zeiten bewahrt, wo das Leben farbiger, glänzender gewefen zu fein fcbeint. Aber ihnen verdanken wir auch die Syphilis - und nicht nur die Gründer der modernen Malerei. Lumpen find die Franzofen, aber — liebe Lumpen. □ Ich verkehre hier viel gefellfcbaftlich - und ganz angenehm. Viel gearbeitet wird hier, und manchmal kommt ein Rappel über mich, und ich ftürze mich wie kopflos in einen rafenden Wirbel von Pinfel und Farben. □ Nach Deutfcbland zieht mich aber eine ftarke Sebnfucbt zurück. Über die Schweiz kehr’ ich wabrfcbeinlicb zurück. Du darfft Briefe von mir nicht verlangen — ich fcbreibe, wenn ich kann, fcbon felbft. Du fiebft es ja. n Dein Freund Schuch PARIS Da bab’ ich hier einen Kameraden, einen deutfcben Maler, robuft wie ein Büffel, der kennt nicht Zaudern noch Wanken. Der fcbeint keine anderen als nur Sehnerven zu haben. Breit beinig vor der Staffelei fixend, ftreicht er prima ohne zu zögern die Leinwand voll. Es ift wahrhaftig fehr verblüffend. Bei der einen Ecke fangt er an, bei der andern hört er auf. Und immer ift, was er macht, immer ein Kunftwerk. In ihm ift der Künftler- trieb eine Naturkraft. Der ift nicht der kreifende Berg, wie die meiften andern — und bat nur den einen Fehler, ein ziemlich unangenehmer Menfcb zu fein. □ Heimkehr! wann ich einmal beimkehre, fragft Du! — bab’ ich denn eine andere Heimat als die Kunft? — Du meinft, ich müßte Wien lieben, wenn ich Paris liebe. — Gewiß, ich liebe diefe Stadt. Vergnügen macht es mir, wenn es mich nicht traurig macht, zu feben, wie noch immer die Wälder und Rebenhügel in die Stadt hineinwachfen, und wie fich über das rytbmifch gebaute Terrain abwecbfelnd ein eifern grauer oder blumen blauer Himmel breitet, und nach und nach zur fammtigen Dunkel heit dämmert. Ich habe auch die eigenartige Luft gemerkt, von der ganz Wien umhüllt ift, diefe erfchlaffende Luft, — und die kuriofe Entdeckung gemacht, daß die einzelnen Bezirke ihr eigenes Klima haben mit eigenen Launen des Wetters. Mir ift auch das Merkwürdige aufgefallen, daß man den Styl der Stadt nennen kann — einen Styl barocker Willkürlicbkeit mit einer doch imponierenden Totalwirkung. Ich habe ihre bekannten und ihre verborgenen Reize genoffen, weil fie verfübrerifcb ift wie ein Weib, und mich eine Weile von ihrer perfönlichen Stim mung weich wiegen laffen — und erinnere mich manchesmal gern daran. Aber — ich bin lieber in der Welt draußen — ich liebe ihre Bewohner garnicht. Ich will in Wien nicht leben, weil ich dort nicht arbeiten kann. Im Vorbeifabren werde ich vielleicht binkommen — dauernd dort bleiben, glaub’ ich, das kann mir nur einfallen, wenn ich mich vernichtet und krank zum Sterben fühle - dann fucht ja jeder Bär feine Höhle, jeder Vogel fein Neft, jeder Hund feine Hütte - um zufammengerollt und ftill und fcbeu zu verenden. □ So weit ift’s derweil noch nicht mit mir, noch fließt mein Blut braufend durch meine Adern und ergießt fich glühend rot in meine Arbeiten. Man wird es merken müffen, wenn ich fie jemals zeigen werde. Du kennft ja meine Anficht darüber, wenn Du fie auch nicht billigft. a Du fcbreibft mir wenig von Dir, zuviel von allerhand anderem - daß muß irgend einen mir unbekannten Grund haben - vertrau’ ihn mir an - ich muß fonft fürchten, daß Du nicht zu frieden bift mit der Veränderung und der Entwicklung Deines Lebens. Zögere nicht. Q Adieu! Dein Freund Ch. Sch. DHNZIG UND SEINE BFRITEN* MIT BILDERN W ie andere Städte, Wien voran, bat auch Danzig in einer ein gehenden Monographie, die vom Verlag Emft & Sohn vorzüglich ausgeftattet und mit reichem lUuftrationsmaterial verleben wurde, feine Entwicklung dargeftellt. o Allen Fachkreifen wurde ein bedeutfamer wiffenfcbaftlicber und tecb- nifcber Führer durch das »nordifcbe Venedig« gefcbaffen. □ Daß hierin keine Übertreibung liegt, dürfte fcbon aus der nach» flehenden kurzen Inbaltsbefprechung bervorgehen. Im erften Hbfcbnitt erhalten wir ein überficbtticbes Bild von Danzigs bevorzugter geogra- pbifcber Lage, feiner Bodenbefcbaffenbeit und feinem Klima. Die nahezu 1000 jährige Entwicklung der Stadt wird gefchichtlich betrachtet und an der Hand der alten und neueren Stadtpläne erläutert. Eine Statiftik des Danziger Handels gibt uns eine anfcbaulicbe Verkeilung von der einfluß reichen Rolle, welche diefe Stadt zur Hanfazeit gefpielt bat. Huch über den gegenwärtig wieder aufftrebenden Handel erfahren wir viel bemerkens wertes. Mit einer Betrachtung der gefundbeitlicben Einrichtungen, der Bevölkerungs- und Woblfabrtsverbältniffe fcbließt diefe umfangreiche Ein leitung. Mit Rückficbt auf Alt-Danzig und feine ehrwürdigen Bauten ift in einem befonderen Hbfcbnitt die baugefcbicbtlicbe Entwicklung der Stadt behandelt worden. In diefem zweiten Abfcbnitt bat die bekannte Feder des Kunftforfcbers Geb. Regierungsrats Profeffor Dr. A. Mattbaei auf * DHNZIG UND SEINE BHUTEN. Herausgegeben vom Weftpreußifcben Hrcbitekten- und Ingenieurverein in Danzig. Berlin 1906. Wilhelm Emft und Sohn. 432 S. in 8° mit fünf Heliogravüren und 498 Abbildungen. Preis geb. 15 M., in Liebbabereinband 17,50 M. □ 349