DRS ORNAMENT VON HOFRflT PROFESSOR D R ’ JOS. STRZYGOWSKI ie moderne Bewegung auf dem Gebiete des Kunftgewerbes beginnt ungefähr im Jahre 1895 und ift gerichtet gegen die fchulmäßige Huffaffung, mit der man feit dem Jahre 1851 dem Gewerbe aufzubelfen fuchte. Damals wurde die erfte Weltausftellung in London eröffnet, auf der man die europäifcbe Ware überblicken und mit der afiatifchen vergleichen konnte. Es war Gottfried Semper, der zugleich mit englifchen Gefin- nungsgenoffen erkannte, wie not es tue, bei uns den Gefchmack zu beben und den Handwerkern durch Unterweifung einen halb» wegs gefunden Halt zu bieten. Es ftellte fich heraus, daß die Inder z. B. ihre Ornamente beffer dem Material anzupaffen und dem Zweck des Gerätes unterzuordnen wüßten, als die europä» ifcben Werkftätten, die nach Vorlagewerken arbeiteten und ganz willkürlich Ornamente, die, fagen wir für Stein, erdacht waren, womöglich für Teppiche verwendeten. Man ging demnach dar= auf aus, den Handwerkern Originale vor Hugen zu ftellen und gründete die Kunftgewerbemufeen, die heute, ihrem urfprüng» liehen Zweck ganz entfremdet, Riefenmagazine für alles gewor den find, was die Sammelwut auf kunftgewerblicbem Gebiete zufammenzutragen vermag. Hn fie gliederten fich die Kunft- gewerbefcbulen, die, fo wohltätig fie urfprünglicb gewirkt haben mögen, fcbließlich doch alle freie künftlerifche Betätigung unter banden und die Schüler zu Sklaven der von den Lehrern er fundenen Ornamentenfyfteme machten. □ Dagegen erhoben fich nun etwa vor zehn Jahren Künftler, die urfprünglidb gar nicht Kunftgewerbetreibende gewefen waren. Eine Krifis im Gebiete der Malerei und Plaftik, von der noch zu reden fein wird, batte fie in die Wege der Nut^kunft gedrängt. Sie tagten fich: Wozu dem Publikum Bilder und Statuen auf drängen, die es doch nicht genügend fcbätjt und bezahlt; laßt uns lieber von unten anfangen und unfere künftlerifche Er fahrung auf einem Gebiete anwenden, dem niemand ausweicben kann und das daher, richtig bebaut, uns alle zufammen reichlich und nutjbringend befchäftigen kann. So kamen die großen technifcb-künftlerifchen Errungenfchaften der modernen Malerei zugute, und heute ift es tatfäcblicb fo, daß der einzelne Künftler, nicht mehr die Schule, die Führung hat. Ich nenne einige der bedeutendften Meifter. Vor allen den fo früh verftorbenen Otto Eckmann. Er war, wie berichtet wird, urfprünglicb Illuftrator. Dann Obrift, der von den Naturwiffenfchaften und der Plaftik herkam; Riemerfchmied, der Landfehafter; van de Velde, der Impreffionift; Par.kok, der Landfehafter und Porträtift uff. Was diefe Künftler geleiftet haben, ift m. E. in der Tat bahnbrechend. Durch fie wurde das Ornament der engen Sphäre der Nach ahmer, Naturaliften und Stiliften entrückt und ift wieder ein Gebiet freier künftlerifcber Betätigung geworden. □ Zunächft ift mehr als früher der Gebrauchszweck jenes Gegen- ftandes, der mit Ornamenten gefchmückt werden foll, zum Hus- gangspunkt aller Betätigung gemacht worden. Das verftebt fich nach dem, was im lebten Hbfchnitt über den Möbelbau und die Füusftattung von Innenräumen gefagt worden ift, faft von felbft. Wir fangen an, das Gefunde an der Theorie, die Bötticher der griechifchen Kunft auf den Leib meffen wollte, zu verfteben und uns zunutze zu machen. Die Ornamente der griechifchen Kunft find aus unzähligen, z. T. jet)t fchon durchfchaubaren biftorifchen Vorausfetjungen geworden, das moderne Ornament aber wird gefchaffen. Und nur dafür kann grundfätjlicb gelten, was Bötticher dem Haupte eines Gefetjgebers der griechifchen Architek tur entfprungen fein laffen wollte: die Bedeutung des Schmuckes als Funktionsausdruck. Ein Beifpiel. Man kann eine rechteckige Öffnung febr verfchieden auffaffen, wenn die Aufgabe geftellt wird, fie mit einem Rahmen zu umgeben. Der eine wird fie fich als tote Öffnung denken und auf allen Seiten einen gleich breiten Rand berumlegen; das bat man feit der Renaiffance mit Vorliebe getan. Die Antike und Gotik aber, die beiden Stile, die ihre Geftalten im Wetteifer mit der Natur wachfend bildeten, empfanden ein folcbes Rechteck als ein Gebilde, dem Kräfte eingebauebt werden könnten. Sie bildeten den Rahmen nach dem Beifpiel der Baukunft. War das Rechteck mehr hoch als breit, dann ftellte man feitlich Säulen oder Pfeiler als Kon- folen und ließ fie einen Giebel tragen, d. b. die Kräfte der Bau formen kamen funktionell auch der lebendigen Löfung der kunftgewerblicben Aufgabe zugute. Für Detailformen vergl. Lipps, Raumäftbetik. □ Heute entlehnt man nicht mehr bei der Architektur. Die orna mentale Aufgabe ift dadurch natürlich febwieriger geworden. Man fucht fich ganz felbftändig klar zu machen, welche Kräfte einem rein zweckmäßig fertiggeftellten Gebilde innewobnten: das eine Glied wird tragen, das andere laften, ein drittes füllen. Ein Anfchwellen nach oben, ein Ausbauchen nach unten und ein kräftelofes Sichausbreiten in der Fläche würde diefen drei Funk tionen entfpreeben. Man febe moderne Schöpfungen von diefem Standpunkt aus an und wird bald empfinden, wie reich die Aufgaben werden können. Es wird fich auch dann bald die Regung eines Urteils einftellen, ob eine Arbeit von diefem Ge» fiebtspunkt aus gut oder fchlecbt gelöft ift, oder ob fie im ein zelnen Falle bewußt zugunften eines anderen künftlerifchen Wollens beifeite gefchoben wurde, was ja natürlich oft genug verkommen kann. □ Die zweite, für die Pbantafie des Künftlers außerordentlich anregende Veranlaffung zur Erfindung eines Ornamentes gebt vom Material, d. h. dem Stoff aus, in dem die Arbeit ausgefübrt werden foll. Ift dem Künftler z. B. Edelmetall gegeben, dann kann er fich unter Umftänden darauf befebränken, den diefen Stoffen innewohnenden Glanz durch polierte Flächen zur Geltung zu bringen. Klinger bat das an den Lehnen des Thrones feines Beethoven in der allerberrlicbften Ausführung anzuwenden gewußt. Das materialgerechte Motiv fpielt im Juwelier- und Schmiedebandwerk die größte Rolle. Türbefchläge von Rathbone z. B. rechnen mit dem fchönen Glanz fchräger durch Biegungen in ein fchönes Licht gebrachter Metallflächen, die bald nach der Tiefe gefchnitten, bald nach außen gebuckelt find. Man wird von diefem Standpunkt aus auch den künftlerifchen Wert der Technik beachten lernen. Wie fehr kann der Schrägfchnitt und das Trei ben die Abficht des Künftlers unterftütjen! Über alle diefe Dinge können hier nur Andeutungen fallen. Im Vorübergeben fei bemerkt, daß folcbe urfprünglicb einem Material zuliebe ange wendeten Formen, fcbließlich in anderes Material übertragen, einer ganzen Kunftrichtung zum ftiliftifeben Merkmal werden können. So vermag ich z. B. die »krampfhaften« Ausbauchungen des gotifchen Blattwerkes nur als aus der Metalltechnik ftammend zu verfteben. □ Nun erft kommen wir zu dem Hauptgebiet, auf dem fich die Pbantafietätigkeit der Künftler beim ornamentalen Schaffen zu allen Zeiten am meiften getummelt bat, auf das Gebiet der greifbaren, der Natur entnommenen Geftalt. Gebrauchszweck, fowie Material und Technik leiten nur auf den rechten Weg, geben noch nichts pofitiv, d. b. als Geftalt im Ornament verftänd- licbes. Die moderne Kunft ift zwar wirklich imftande, Geftalten frei, ohne Naturvorbild und ohne die geometrifche Handhabe zu erfinden; ich erinnere wieder an Klingers Beetbovenlebne, da mag der Natur vielleicht ein Prinzip abgelaufcht fein. Und das wäre dann gerade das, worauf es beim Ornament ankommt. 363