und vor allem der in fchlicht betonte Großzügigkeit gefteigerte
Scbwurgericbtsfaal, haben fehr zweckmäßige Kommunikationen
und find umgeben von einem Komplex von Nebenräumen, die
nach Zweckmäßigkeitsgründen äußerft praktifcb angelegt find.
Überaus finnreich ift die Gefängnisabteilung angelegt. Sie zeigt
einen Grundriß in Kreuzform, der fomit vier Höfe bildet, die
von der Außenwelt durch die Gerichts^ und Verwaltungsge»
bäude abgefchloffdn find. Infolgedeffen kann von außen her
kein Blick das Gebäude des Unterfuchungsgefängniffes erreichen.
In technifcher Hinficht ift die Beobachtungsloge des Gefängniffes
intereffant, die fich im Kreuzungspunkt der vier Gebäudeflügel
befindet und von einem Punkt aus die Beherrfchung aller Stock»
werke der vier Gebäudeflügel ermöglicht. In der übrigen Aus»
ftattung der Verwaltungs» und Gerichtsgebäude herrfcht Ein
fachheit, aber nicht Kahlheit. Granitplatten als Fußböden, Pfeiler
und Wände von Kalkfteinquadern, darüber graugetonter Put},
farbige Kachelverkleidung ergeben eine zwar ernfte, aber nicht
eintönige Gefamtwirkung. Nach außen hin empfängt die Ge=
famtanlage durch ihre Gebäudegruppen, durch die Wirkung des
Materials, lichtbrauner Sandftein, grauer Put} und hohe, rote
Ziegeldächer, wie durch fparfam angewendeten plaftifchen Schmuck
und gelegentliche Vergoldung ein charakteriftifches Gepräge.
Die malerifch aufgelöfte Gruppierung zu einem einheitlichen
Organismus zufammenzuziehen und der Gefamterfcheinung eine
größere Straffheit zu geben, ift verfucht. An der Hauptpartie
mit dem Eingang und dem Turm ift es fogar gelungen. Der
Architekt braucht diefen beherrfchenden Turmkoloß, wenn er
wenigftens an diefer Stelle eine zufammengefaßte Silhouetten»
Wirkung erzielen wollte. In einer von Konftruktion und Zweck
fo beherrfchten Architekturperiode wie der gegenwärtigen, be
darf es einer inneren Notwendigkeit, um den Turmbau zu recht
fertigen. Alle Türme der alten Baukunft hatten einen Zweck,
der ihr Dafein erklärt, mit Ausnahme der barocken Baukunft
vielleicht, die nicht auf Konftruktion, fondern auf Dekoration
gerichtet war, und folche Gebilde entweder der Symmetrie oder
der Gleicbgewicbtsverteilung wegen fchuf. Dekoration als Zweck.
Beim Landgerichtsgebäude, deffen Außenerfcheinung entfernt
an alte deutfcbe Wehrbauten anklingt, bat der leere, bohle Turm
raum als Entlüftungsfcbacbt zu dienen. Er entbehrt alfo nicht
ganz der inneren funktionellen Beftimmung. □
Befonderes Intereffe gewinnt das Bauwerk durch den Um»
ftand, daß es einem ftaatlicben Baubeamten gelungen ift, einen
künftlerifcb gutgeratenen Willen mit zäher Beharrlichkeit durch
zuführen. Gewiß haben die Vorgefet}ten des Landesbauinfpektors
Kramer, Geb. Baurat WALDOW, Oberbaurat SCHMIDT und
fpäter Baurat GLÄSER ein Verdienft an der Sache, vor allem das
Verdienft des Gewäbrenlaffens einer jüngeren tüchtigen Kraft.
Ein folcber Fall kommt in der Staatsbautätigkeit fehr feiten vor.
Er bildet keineswegs die Regel, fondern die Ausnahme. Deshalb
habe ich ihn mit fo vielem Nachdruck hervorgehoben. L.
K. F. SCHINKEL
(1781-1841)
M an kann vielleicht wieder ohne Gefahr das Schaffen des
großen Baukünftlers betrachten. Die frühere Zeit wollte
die Antike an ihm erkennen, das war gefährlich. Die
heutige Zeit wird das Moderne an ihm erkennen, das ift
nüt}licb. Wer in feinen Werken bloß das Antike erblicken will,
der fiebt nicht das Wefentliche, oder vielmehr, der fieht weder
das eine noch das andere. □
Die NEUE WACHE (1816), das SCHAUSPIELHAUS (1818),
das MUSEUM (1823), die BAUAKADEMIE, das SCHLÖSSCHEN
CHARLOTTENHOF bei Potsdam (1829) find fcbön, nicht weil
fie antik erfcheinen, fondern weil fie das menfchliche Geheimnis
der fchönen Proportion in feiten gefehener Klarheit enthüllen.
Der Kunftforfcher mag fich dabei an Vergangenes erinnern;
der Kunftempfindende erinnert fich an nichts, als an die ge
noffene Freude, die der Anblick barmonifcber Verhältniffe er
weckt. Diefen Glückszuftand, der unter der Einwirkung rhyth-
mifch beberrfchter Raumgrößen entfteht, meint Goethe, in der
er fagt, man habe unter den Ausftrablungen folcber Schönheit
das Gefühl, daß einem nichts übel anweben könne. □
Der Einfachheit Würde zu geben, und durch gefühlte Haupt-
verbältniffe Schönheit zu verbreiten, auch wenn Schmuck im
einzelnen vertagt ift, war das Ziel des Baukünftlers. □
Nicht nur die Antike, fondern die Baukunft aller Zeiten batte
diefes Ziel, und natürlich bat es auch die moderne Baukunft.
Zweck, Material, Konftruktion find die realen Grundlagen; fie
find gegeben, aber aus diefem Gegebenen allein wird noch
keine Baukunft. Die Freude am matbematifch beftimmten Kon-
ftruktiven, an allem, was fich berechnen läßt, reicht nicht für
die künftlerifche Wirkung bin, die ein Geiftiges darftetlt und in
dem Geheimnis der edlen Proportionen beruht, vor allem was die
Architektur betrifft. Proportionen müffen gefühlt werden; meßbar
find nur die Dimenfionen. Die künftlerifche Wirkung, die auf
das Schöne abzielt und dem Künftler über alles gilt, kann aber
auch nicht durch bloße Berechnung gewonnen werden; fie ift
im menfchlicben Empfinden begründet und nicht matbematifch,
fondern organifcb beftimmt. Ein guter Ingenieur ift darum als
folcber noch lange kein Baukünftler, es fei denn ein fchlechter.
Das äußerliche Vorbandenfein griecbifcber Architekturmotive,
die gelegentliche Umbildung des Schornfteins in ein antikes
Säulenkapitäl find für das Wefen der Baukunft SCHINKEL 8
nicht fo belangreich, als die für feine Zeit moderne Durchbildung
neuer Bauorganismen, die er keinem Vorbild entnehmen und
die er künftlerifcb nicht durch die Nachahmung der Antike,
fondern durch das unwandelbare, von ihm voll erkannte Gefet)
der fchönen Raumwirkung bewältigen konnte. Seine Werke
find infolge ihrer klar ausgedrückten Beftimmung nicht antik,
fondern zeitgemäß, d. b. modern; fie find es auch binfichtlich
der Konftruktion. Wenn die Stilmarke unferer Zeit der Flach
bogen ift, der aus der Eifen- oder Betoneifenkonftruktion her-
vorgebt, fo ift Schinkel der Erfte gewefen, der, wenigftens vor-
ahnend, wie feine Bauakademie beweift, das neue Problem künft-
lerifcb anzufaffen unternahm. □
Auch darin ift der große Baufcböpfer modern, daß er den
Blick aufs Ganze offen batte, womit nicht auf feine umfaffende
Tätigkeit als Maler, Plaftiker, Kunftgewerbler, Tbeaterdekorateur,
Denkmalkünftler angefpielt werden follte; er batte infofern
den Blick aufs Ganze offen, als er nicht nur das einzelne Bau
objekt fah, fondern mit ihm auch die Platjfrage ins Auge faßte.
Berlin verdankt diefem erften Großftadtarcbitekten die Idee
eines herrlichen Pla^gebildes, das von feinem Mufeum, dem
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