Sie gibt Bedürfniffe, weil fie Bewegung liebt. Wunder, daß
fie alle diefe Bewegung mit fo wenigem erreicht. Jedes Bedürfnis
ift Wohltat; fchnell befriedigt, fchnell wieder erwachfend. Gibt
fie eins mehr, fo ift’s ein neuer Quell der Luft; aber fie kommt
bald ins Gleichgewicht. □
Sie fetjt alle Augenblicke zum längften Laufen, und ift alle
Augenblicke am Ziele. □
Sie ift die Eitelkeit felbft, aber nickt für uns, denen fie fidh
zur größten Wichtigkeit gemacht hat. □
Sie läßt jedes Kind an fich künfteln, jeden Toren über fich richten,
Taufende ftumpf über fich hingeben und nichts fehen, und bat
an allen ihre Freude und findet bei allen ihre Rechnung. □
Man gehorcht ihren Gefe^en, auch wenn man ihnen widerftrebt;
man wirkt mit ihr, auch wenn man gegen fie wirken will.
Sie macht alles was fie gibt zur Wohltat, denn fie macht es
erft unentbehrlich. Sie fäumet, daß man fie verlange; fie eilet,
daß man fie nicht fatt werde. □
Sie bat keine Sprache noch Rede, aber fie fcbafft Zungen und
Herzen, durch die fie fühlt und fpricbt. □
Ihre Krone ift die Liebe. Nur durch fie kommt man ihr nabe.
Sie macht Klüfte zwifcben allen Wefen, und alles will fich ver=
fcblingen. Sie bat alles ifoliert, um alles zufammenzuzieben.
Durch ein paar Züge aus dem Becher der Liebe hält fie für ein
Leben voll Mühe fcbadlos. □
Sie ift alles. Sie belohnt fich felbft und beftraft fich felbft, er
freut und quält fich. Sie ift raub und gelinde, lieblich und fcbreck-
lieh, kraftlos und allgewaltig. Alles ift immerda in ihr. Vergangen
heit und Zukunft kennt fie nicht. Gegenwart ift ihr Ewigkeit. Sie
ift gütig. Ich preife fie mit allen ihren Werken. Sie ift weife
und ftill. Man reißt ihr keine Erklärung vom Leibe, trutjt ihr
kein Gefcbenk ab, das fie nicht freiwillig gibt. Sie ift liftig, aber
zu gutem Ziele, und am beften ift’s, ihre Lift nicht zu merken.
Sie ift ganz, und doch immer unvollendet. So wie fie’s treibt,
kann fie’s immer treiben. □
Jedem erfcheint fie in einer eigenen Geftalt. Sie verbirgt fich
in taufend Namen und Formen, und ift immer diefelbe. □
Sie bat mich bereingeftellt, fie wird mich auch berausfübren.
Ich vertraue mich ihr. Sie mag mit mir fcbalten. Sie wird ihr
Werk nicht baffen. Ich fpracb nicht von ihr. Nein, was wahr
ift und was falfch ift, alles bat fie gefprochen. Alles ift ihre Schuld,
alles ift ihr Verdienft. □
ABER ES IST NICHT GENUG, DASS EIN KUNSTWERK
DEN ÄSTHETISCHEN FORDERUNGEN DER ZEIT ENT
SPRICHT: ES MUSS AUCH, WENN ES UNS IRGEND
DAUERNDEN GENUSS GEWÄHREN SOLL, DEN STEM
PEL EINER BESONDEREN INDIVIDUALITÄT TRAGEN.
JEDES WERK, DAS IN UNSEREM JAHRHUNDERT
GELTEN SOLL, MUSS AUF DEN ZWEI POLEN DER
PERSÖNLICHKEIT UND DER VOLLENDUNG RUHEN.
OSCAR WILDE
FLORENTINISCHE PflLHSTBHUTEN
VON D R - HEINRICH PUDOR
er florentinifche Palaftbau gebt in feiner Entwicklung auf
den Burgbau zurück. Der Burgcbarakter klingt noch in
den Paläften des 16. Jahrhunderts nach, und man kann
diefe nur dann verfteben, fich an ihnen nur dann erfreuen, wenn
man diefen Umftand beachtet. Es ift nicht die feböne Linien
führung, nicht die Schönheit der Details, der fcbmückenden
Glieder, welche diefelben unterem Auge und unterer Aufmerk-
famkeit näherrückt, es ift auch nicht allein die Schönheit der
Verbältniffe, auf welche man immer bingewiefen bat, vielmehr
ift das Intereffe, das man diefen Gebäuden gegenüber hat und
haben muß, ganz befonders in der Art und Weife verurfacht, wie
diefelben den Rahmen für die Kulturgefcbichte, für die Sitten,
für das Denken und Fühlen jener Zeit abgeben. Der Palazzo
veccbio ift, äftbetifcb betrachtet, eher häßlich als febön zu nennen;
aber kulturgefcbicbtlicb betrachtet, als Hintergrund für die floren
tinifche Gefchichte, ift er febr intereffant. Von ihm nimmt der
florentinifche Palaftbau feinen Ausgang, und von ihm muß man
daher ausgeben, wenn man jenen verfteben will. □
In der Umgebung, in welcher der Palazzo veccbio heute fleht,
in unmittelbarer Nähe der febon etwas barock angehauchten
Uffizien, und vollends hinter den barockifierenden Statuen eines
Bandinelli und Roffi mutet er uns etwas merkwürdig an. Aber
laffen wir einmal diefe Umgebung fallen. Eine Burg fleht vor
unferen Augen. Ihre Mauern gewähren Schul} gegen die An
griffe eines übermütigen Volkes, und von den Zinnen ihres ftolz
und hoch und frei fich erbebenden Turmes wird Umfcbau ge
halten über jedweden Städters Gelüfte. Diefe Burg hält ftand.
Sie ift eine Scbut}webr. Sie ift eine Burg vielmehr, als ein Palazzo.
Von einer Gliederung ift kaum noch die Rede. Die Umfaffungs-
mauern haben noch nicht den Zweck, das Auge zu erfreuen.
Die Gefchoffe des Gebäudes find äußerlich durch fchmale Simfe
nur wenig bervorgeboben. Der Hauptnachdruck liegt in dem
oberen Abfchluß des Gebäudes, feinem Webrgang und feinen
Zinnen, wogegen man noch nicht verfucht bat, eine diefem oberen
Abfchluß das Gleichgewicht haltende Betonung des Unterbaues
zu ermöglichen. □
Ein Seitenftück zu dem Palazzo veccbio ift der Palazzo Podefta
(Bargello), deffen Urfprung noch weiter zurückreicht. Auch hier
der burgartige Charakter, auch hier der Webrgang, die Zinnen,
auch hier lediglich dürftige Mauerfimfe; auch hier ift man noch
nicht beftrebt, die Mauerflächen durch Fenfter zu gliedern. □
Der dritte in der Reibe der florentinifchen Paläfte ift der
Palazzo Spini. Auch hier noch der burgartige Charakter, der
Webrgang und die Zinnen. Aber dem Schöpfer diefes Palaftes
kam es febon darauf an, im Innern desfelben helle Räume ber-
zuftellen, wie dies durch große und zahlreiche Fenfter zu ermög
lichen ift. Und in der Anlage diefer Fenfter, wie fie fich in drei
Stockwerken über den Mauerfimfen erbeben, macht fich bereits
das Beftreben geltend, eine gewiffe Regelmäßigkeit obwalten zu
laffen. Aber noch immer nicht wird die Bafis als foldbe gegen
über dem zinnengekrönten oberen Abfchluffe bervorgeboben,
noch immer nicht finden wir eine Gliederung nach Stockwerken.
Und nunmehr kommen wir zu dem vielgerübmten Palazzo
Riccardi. Der Weg von dem letjtgenannten Palazzo Spini zum
Palazzo Riccardi ift weit. Leider fehlt uns ein Übergang. Immer
hin aber klingt noch im Palazzo Riccardi die Reibe der vorge
nannten Paläfte nach. Insbefondere klingt der Burgcharakter
nach; auch finden wir hier noch die unbehauenen, nur an den
Kanten abgefchliffenen Sandfteinquadern. Aber jet}t febon kommt
es weniger darauf an, eine Scbutjwebr zu febaffen, als vielmehr
356