Seite 194 Hummer 13 internationale Sammler-Zeitung. Bedeutung, Che mir nun auf den Zusammenhang zwischen Sammler und Schaffenden näher eingehen, sei noch ermähnt, daß auch aus der Art und Weise, roie sich der Sammler zu seinem Werke stellt, tiefgehende Schlüsse erlaubt sind. ITlancher hütet es roie seinen Augapfel, und läßt es oon niemandem besichtigen, andere wieder breiten ihre Schäle oor jedem aus, der will, oder auch nicht und oerlangen, dafj er sie würdige, bewundere usro. Hiemit ist aber die Psychologie des Sammlers noch nicht erschöpft. Denn manche begehren nur die erlesensten Dinge, etwa römische münzen mit Stempelglanz, kostbare Brokate, wunderoolle Porzellane. Ihr Wunsch geht bloß nach ITleisterroerken. Andere wieder kennen keine größere Jreude, als Dinge zu haben, die ein anderer Sammler nicht hat, und wäre im Stande, eine ganze Auflage einstampfen, alle Bilder Rafaels uernichten zu lassen, bloß damit sie selbst lauter Unika besäßen. Und hier berühren sie sich wieder mit den Künstlern, die sehr häufig für die Schöpfungen anderer nicht das geringste Verständnis haben, und nur sich selbst, die eigenen Werke sehen. Dieser Zusammenhang zwischen der Seele des Samm lers und des Künstlers ist ein außerordentlich tiefer. Ich rede nicht daoon, daß Sammler oft Künstler sind und umgekehrt, daß Sammler oft nichts anderes sind als Künstler, denen die eigentliche Schöpfungskraft fehlt. Ich rede daoon, daß die Tätigkeit des Sammlers und des Künstlers auf derselben Grundlage basieren, auf welcher sich der Tatendrang des ITlenschen überhaupt und die Ciebe erheben, Cs ist dies der oft uneingestandene Wunsch des Weiterlebens nach dem Tode. Gr ist es, der den Bauer bewegt, Obstbäume zu pflanzen, oon denen erst der Sohn früchte sehen wird, der dem Handwerker dos Werkzeug führt, der dem Künstler JTleisel, Pinsel, die Jeder in die Hand drückt, und der manchen heißt, Gegenstände Zu sammentragen, sie zu katalogisieren, zu beschreiben. Cs ist der Wunsch, nach seinem Tode weiter zu leben, der ihn dazu bestimmt. Das erklärt nun, warum so oft Junggesellen zu Sammlern werden, und warum sie ein so großes Gewicht darauf legen, daß ihr Werk geschlossen, wenn möglich mit ihrem Flamen bezeichnet, sich den Aachkommen überliefere. Deswegen erscheint es mir stets als ein trauriges Schauspiel, wenn Sammlungen in den Wind gestreut werden, sei es, daß die Crben sie zum Verkaufe bringen, sei es, daß der Schöpfer selbst sich oon seiner Schöpfung trennt. Ich habe oft oersucht, mich in den Gedankengang eines solchen ITlenschen, der sich freiwillig seiner Schöße entäußerf, zu oerseßen und immer kam ich zu demselben Resultate, daß es wohl kaum ein ergreifenderes Bild geben könne als das desjenigen, der, um sein höchstes Gut oor sicherer Vernichtung durch oerständnislose Hände zu retten, es lieber selbst einer unsicheren Zukunft anoertraut, und so selbst zerstört, was ein lllenschenleben geschaffen. Und immer und immer wieder hat es mich gereizt, Sammlungen, die zum Verkaufe gelangen, zu besichtigen, und meine, wohl nicht immer zutreffenden Schlüsse zu ziehen. Cs läßt sich unter alten Gegenständen gut träumen; mit ein wenig Phantasie beleben sich die Räume, jenes Bild, diese Uhr erzählen ihre Geschicke. Gine Altroientasse mit einer zärtlichen Aufschrift läßt eine ganze Gpoche ooll sanfter, anheimelnder Reizen erstehen, man glaubt das Cied zu hören: als der Großoater die Großmutter nahm. Dinge, an denen man sonsl ooriibergeht, gewinnen Be deutung, und Kleinigkeiten, die man oft nur fühlen, nicht roahrnehmen kann, öffnen die Tore doii Seelen, die wir nie kannten, und uns mit einem ITlale oertraut werden, als seien es unsere eignen. Oder ist es wirklich nur unsere eigene, die wir in einem uralten Spiegel sehen, und nur nicht zu erkennen oermögen? Dürfen wir schließen, daß der Sammler eben jene Qualitäten schäßte, die wir zu entdecken oermeinen, daß die zärtliche Aufschrift es war, die ihn reizte, jene Tasse zu erstehen? Oder komplettierte das Stück bloß eine Serie? Gine der Sammlungen, die am meisten zum ITach- denken oder zum Phantasieren oerführte, war jene des Gutsbesißers Flikolaiewitsch aus Odessa, die oor zirka zwei Jahren im Kunstoereine zur Versteigerung gelangte. ITlan denke eine Sammlung, die im 18. Jahrhunderte in Rußland entstand. Rieht einmal in Petersburg, sondern bei Odessa. Gine Sammlung, die im Allgemeinen so einheitlich war, daß sie unbedingt im Grundstöcke syste matisch entstanden sein muß. Rußland im 18. Jahrhundert — Was ist das? Das ist die Zeit Peter des Großen, Katharinas II.’— die Zeit der großen Ceidenschaften, des Gärens, Werdens. Wir haben in der Schule gelernt, daß damals westeuropäische Kultur geradezu zwangsweise eingeführt werden mußte, daß Barbarei noch ein ziemlich milder Ausdruck für die Zustände sei usro. Peter, Katharina mußten als Belege dienen. Und nun entdecken wir irgendwo unten in der ProoinZj da saß damals ein Gdelmann. Der machte, roie so oiele andere, seine Bildungsreise nach Guropa. Und dieser oon der Kultur unbeleckte, höchstens oon derselben getünchte oder angehauchte Barbar — kauft Bilder. Schon das ist sehr merkwürdig, noch merkwürdiger aber ist es, was für Bilder er sich anschafft. Wenn man oom 18. Jahrhundert spricht, Künstler erwähnt, so sind es die Ramen Boucher, Jragonard, Greuze, Chodoroiecki, Tiepolo usw., die einem einfallen, und man denkt sich: Ru ja, der Russe wollte in seine Wüstenei eine Crinnerung an die freuden des Westens mitbringen, etwas oon dem froufrou der seidenen Röcke oon Versailles, oon dem Parfüm des liebenswürdigen, aber ach auch so bodenlos benüßten Ceichtsinns, oon der liebenswürdigen Gesellschaft holder Damen um sich haben. Und wir fänden es sehr begreiflich, wenn wir einige jener entzückenden Ungezogenheiten und Unangezogenheiten fänden, die uns mit ihrer Grazie, ihrer delikaten Jarben- gebung über die eigentlicüe Hohlheit hinroegtäuschen. Wir sehen und staunen. Da hat der griechisch orientalische Christ ein Bild oon Coxic gekauft — gut, das ließe sich mit dem Wunsche erklären, etwas aus dem Kreise um Rafael zu besißen, wenn es ihm nicht gar als ein Rafael oorgeführt wurde. Aber auch weiter staunen wir. Wir suchen oergebens nach schmachtenden ITlarquisen, nach Rlädchen, die ein roohlgefarmtes Bein zeigen, deren Busentuch sich oerschoben hat, nach galanten Abbe'es, die Tanzunterricht erteilen. Sondern wir finden hauptsächlich Candschaften, Stimmungsbilder, die mit feinem Geschmacke ausgeroählt, eine Reihe bekannter Künstlernamen aufroeisen. Ginen solchen Geschmack hätten wir in Paris, in Amsterdam oder sonst einem alten Kulturzentrum oer mutet, nicht aber in Odessa. Und dann ist noch ein Kopf da, der gut genug für Velasquez wäre, das Porträt eines Kardinals oon Cham pagne, ein Porträt oon Goya. So reicht die Vergangen heit bis in die Gegenwart. Wer mag dieser FRann gewesen sein, der so oon der Schablone absticht? War es ein Grandseigneur, der das Teben in oollen Zügen genoß, und der auf die friponnerien eines fragonard, eines Boucher oerzichten konnte, weil er täglich bei solchen Dingen mit- wirkfe, und sich oon dem Trubel des Hebens in der Be trachtung der stillen landschaften erholen wollte, oder war es im Gegenteile ein Träumer, der ruhig eines Weges zog und die Bilder als etwas kongeniales empfand. Wenn derselbe Sammler die genannten Porträts, dann die Reiter gefechte und die Skizzen erwarb, dann möchte ich glauben, daß es kein Vioeur, sondern ein stiller ITlann war, der in den Candschaften seine eigene, ruhige Seele roiederfand,