Internationale $amm!er-2ßi'futi0 Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde. Herausgeber: Norbert Ehrlich. 4. Jahrgang. Wien, 15. Juni 1912. Nr. 12. Gemäldeschutz. Von l)r. Heinrich Eine Sache, über die ich mich, solange ich denken kann, und schon im elterlichen Hause erregt habe, ist die, daß man große Kunstwerke an die Wand hängt, dort hängen läßt, Tag für Tag vorübergeht, sic keines Blickes würdigt, dann und wann einmal hinsieht, viel leicht wenn man sie einem Besucher zeigen will, die also, kurz gesagt, in ihrer Heiligkeit zu der profanen Umgebung in einem grellen Kontrast stehen. Die Ge- ] mälde werden freilich dadurch nicht schlechter, daß man j nicht immer sich zu ihnen wendet. Aber ich empfinde es als eine Geringschätzung im Geiste der Gemälde, daß sic warten sollen, bis es uns gefällt, sic anzusehen, daß wir sie dagegen die längste Zeit nur als eine Art Dekoration der Wand betrachten und nicht anders arischen als ein Tapetenmuster, während doch ein Kunstwerk nicht nur etwas Heiliges, sondern auch etwas Lebendiges sein soll! Man prüfe sich doch einmal und sehe zu, ob nicht die Gemälde im Salon die längste Zeit über lediglich Wand dekorationen, Lückenbüßer der Wand, eine Art Möbel für die Wand sind! Muß das so sein? Ich fürchte sogar, daß auch die Wand durch die Gemälde entstellt wird, und zwar in den weitaus meisten Fällen. Denn die Wand eines Zimmers ist ein Teil der Innenarchitektur des Hauses und muß dieser entsprechend gegliedert sein. Unterhalb der Decke muß ein Fries laufen, oberhalb des Fußbodens muß ein Paneel laufen, die Räume dazwischen werden von Tür zu Tür und von Tür zur Ecke und von Ofen zur Tür durch Leisten gegliedert. Wo bleibt da Raum für ein Gemälde? Soll man das Gemälde etwa zurechtschneiden, daß es gerade noch in den freien Raum eines Tapeten- oder Stoffeldes hineinpaßt? Aber selbst dann wird es deplaciert sein. Denn entweder paßt es, dann ist die Wand nicht richtig gegliedert, oder cs paßt nicht, dann verunziert es eben die Wand, schlägt mit der Faust auf die Gliede rung der Warid. oder wird durch diese herabgedrückt und entwürdigt. Vollends mit der Art der heutigen Wand dekoration mit Stoffen oder Paneelen ist das Gemälde und das Wandbild im allgemeinen nicht mehr zu verein baren. Will man es durchaus irn Zimmer haben, so muß man sich in solchen Fällen dazu entschließen, es auf eine Staffelei zu stellen. Es soll zwar zugestanden wer den, daß man nicht in einem Zimmer sechs oder acht Staffeleien aufstellen kann, kaum zwei oder drei. Aber Pudor (Leipzig). das soll uns vorläufig nicht kümmern; wir kommen darauf zurück. Jedenfalls ist hier ein Ausweg gegeben. Auf der Staffelei kommt das Bild zur Wirkung, hier ist es souverän, cs stört nicht und wird nicht gestört, es herrscht für sicii allein. Freilich kann man nur Bilder bis zu einer bestimmten Größe auf einer Staffelei unter bringen. Ist aber das Bild, größer, so gehört cs überhaupt nicht in das Wohnzimmer hinein. Ich komme aber nun vorerst auf die prinzipeile Frage zurück, daß ein Kunstwerk entwürdigt wird, wenn cs tagtäglich und den ganzen Tag über in einem profanen Raume, der als Konversationsraum und Gesell schaftszimmer dient, an der Wand hängen muß, stumm und doch ewig wach, zu allem dieselbe Miene machen muß, es anhören muß, wenn der junge Herr vom Schlittschuhlauf — das Bild stellt aber zufällig eine Landschaft im Hochsommer dar - oder das Fräulein von ihrem neuen Hut — das Bild aber zeigt Christus als Gärtner - - erzählt. Man muß freilich einigermaßen delikat empfinden können, um diesen Kontrast als solchen bemerken zu können. Vorhanden ist er, und wenn er einmal ausgesprochen und als solcher ins Be wußtsein getreten ist, wird es unmöglich, ihn weiter zu dulden. Es gibt einen Ausweg, und der ist folgender: Ent weder der Besitzer ist nicht in sehr günstiger Vermögens lage und besitz*: nur einige wenige Gemälde, dann möge er eines derselben auf die Staffelei bringen, die anderen in einer Kammer abstellen, und nun alle 14 Tage oder seltener oder öfter wechseln. Dann kommt jedes Bild zu seinem Recht, nicht nur zu seiner Wirkung, und der Herr des Hauses wird dann erst wirklich Freude an seinen Bildern erleben. Denn jetzt erst treten sie ins Leben — es ist, als ob man ein Aschenbrödel an die Fest tafel bringt. Oder aber der Besitzer ist ein sehr vermögender Mann, dann wird er es riskieren können, ein Zimmer seines Hauses als Gemäldesalon einzurichten. In diesem Zimmer wird nicht geraucht, nicht gespielt, nicht ge schwatzt, nicht getanzt, nicht gegessen, aber auch nicht geschrieben und gelesen, sondern nur der Kunst, der hohen und hehren, wird hier Verehrung bezeigt. Die Kunstwerke haben hier ihren eigenen Raum, in dem sic