Seite 210 Internationale Sammler-Zeitung. Nr. 14 Baltli ..r Tobias Tiirchner v. Müllenau, betitelt »Cosrnc graphia elementaris propositionibus physico maihematicis proposita«. (Prag, Universitätsdruckerei.) Das Blatt, von J. Q. Damperviel gestochen, ist, wie unsere Abbildung zeigt, durch allegorisches und emblematisches Beiwerk bereichert. Das Luftschiff trägt die Aufschrift: »An Avis, an Navis? (Vogel oder Schiff?) Unterhalb dessen sieht man eine männliche Figur mit einem Schwerte in der Hand, daneben liest man das bekannte Augurenwort »bonis Avibus« (mit günstigen Vögeln, das heißt, unter günstigen Vorzeichen). Ueber dem Lanaschen Luftschiffe schwebt ein Doppeladler mit ausgebreiteten Flügeln, rechts und links von Fahnen flankiert, die am unteren Rande die Worte »faventibus austris« (bei günstigen Winden) enthalten. Die günstigen Winde selbst sind durch zwei allegorische Figuren symbolisiert. Das Original dieses ungemein interessanten Blattes befindet sich im Besitze des Buch- und Kunst-Anti quariates Gilhoter&Ranschburg in Wien, dem wir die freundliche Erlaubnis zur Reproduktion danken. Kuriositäten- und Raritäten-Kabinette. Von Anton Ch. de Mailly (Wien). In früheren Jahrhunderten schwärmte man be sonders für das Sammeln von Raritäten und Kuriosi täten, von eigenartigsten, wunderlichsten Dingen, die sowohl alt als neu sein konnten. Die Hauptsache war, daß sic originell waren. Und so kam es, daß so eine Raritätenkammer aus der guten alten Zeit die unglaub lichsten Dinge aneinander gereiht enthielt. Da waren Chosen angeblich aus dem Besitze von Heiligen, be rühmten Männern und Zeitgenossen. Dazu gesellten sich die mechanischen Kuriositäten erdenklichster Art, wie automatische Spielzeuge, Spieldosen, Glockentürmchen, Bauchrednerpuppen, schwimmende Enten, Androiden, Sonnen- und Wasseruhren u. s. w., kurzum ein Kunter bunt von niedlichen und interessanten Dingen, die immerhin' oft großen Kunstwert repräsentierten. Be sonders eifrig wurde das Sammeln des »ersten« Exem- plares irgend einer Neuheit auf dem Gebiete der Er findungen u. dgl. gepflegt. So gab cs natürlich unzählige »erste« Exemplare, wie es unzählige einzig echte Kreuz nägeln gibt. Alle diese Kuriosa oder Raritäten wurden mit äußerst entwickeltem künstlerischen Geschmack bis ins einzelne ausgeführt, so daß sie einen doppelten Wert repräsentierten: den der Originalität und den der Kunst. Wir gehen aber nicht irre, wenn wir behaupten, daß für den Besitzer in erster Linie die beiden Begriffe »Rarität« und »Kuriosität« in Betracht kamen. Die Marotte dieses mitunter wirren, planlosen Sammelns wurde natürlich auch spekulativ von den ganz Schlauen ausgenützt, und es dürfte diesen Geistern, wie Vaganten, Miniaturkünstlern, Marktschreiern u. s. w., nicht schwer gewesen sein, mit den naiven Sammlern die besten Ge schäfte zustande zu bringen. Es waren Zeiten, wo das Persönliche besonders stark zum Ausdruck kam und das Sammeln nach einer bestimmten Richtung in eine Art pietistischen Kults ausartete. Der Schwindel mit der Anpreisung gefälschter historischer Objekte blühte recht ergiebig im eitlen Frankreich. Um teueres Geld erstand der vermögende Marquis oder Comte angeblich echte, uralte Familien dokumente, Schwerter, Schilde u. s. w., die der Ver käufer als ehemaliges Eigentum bestimmter Ahnen, ja sogar aus der Kreuzzugperiode vorgab. Ein schwung hafter Handel wurde auch mit königlichen Reliquien und legendär-religiösen Gegenständen aus dem Morgen lande getrieben. Man braucht nur an die Kreuzpartikeln, an die Kreuznägel, heiligen Orale u. s. w. zu denken. Was da nun alles zusammengebracht wurde und wie einfältig-leichtgläubig alle diese Raritätensammler waren, ist schier unglaublich. Besonders bei Leuten, die von Mystizismus stark beseelt waren, konnten die Spekulanten alles anbringen. Ein Beispiel einer solchen Raritätenkammer in Frankreich ist die Sammlung der »Neuen Pariser Templer« in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie gaben sich als die echten Nachfolger der alten Templer aus, und verfielen so auf das Sammeln echter Stücke aus dem Besitze ihrer Vorgänger. In ihrem Archive hatten sie unter anderem: Eine Reliquie mit vier Ucberbleibseln verbrannter Knochen aus dem Scheiterhaufen der Ordensmärtyrer gezogen; den eisernen Degen von Molay; eine bronzene Patena, die zum »Liebesmahl« der ersten Templer gedient haben soll; dann Fahnen, Siegel, Kostüme aus alter Zeit. Es ist selbstverständlich, daß nicht ein Stück echt war. Anschließend erwähne ich die bekannten Baphonctsköpfe und die Templerkästchen (das berühmteste aus dem Besitze des Duc de Blaeas), die lange Zeit für echt gehalten wurden, bis die syste matische Forschung Zweifel über diesen geheimen Templerkult ausgesprochen hat. Selbst das Wiener Antikenkabinett hatte sieben solcher Köpfe. Vor vierzig Jahren wurden sie als Fälschungen des 18. Jahrhunderts erkannt. Aehnlich steht es mit der Heilandschüssel, dem heiligen Gral, der an drei Orten »echt« ist. In Deutschland verfiel man nach landesfürstlichem Muster besonders im 18. Jahrhundert auf die Jagd nach Pfeifen, Tabaksdosen, Münzen (ohne Kenntnis von Numismatik), Kostümen, Uhren, Spieldosen, Spielereien mit mechanischen Ueberraschungen, wobei die »Rarität« und das »Kuriosum« auch die Hauptrollen spielten. Vor 1800 brachte man in pietistischer Absicht allen möglichen alten Hausrat und persönliche Reliquien lächerlichsten Bedarfes zusammen, und diese »Sammlungen« dürften wohl die Rumpelkammern sein, womit uns unsere Groß eltern überrascht haben. Dieser eigenartige Hang zu alten, wertlosen und überflüssigen Dingen zeigt sich übrigens noch heutigentags besonders stark in der ITovinz. Zur »Raritätenkammer« wurde der Glasschrank be stimmt, der in der Empirezcit die größte Verbreitung gefunden hat. Derlei Schränke haben heute großen Lieb haberwert. Eines der berühmtesten Raritätenkabinette war die Rudolfinische Kunstkarnmer in Prag.*) Mögen einige *) Des näheren in »Kulturhistorische Bilder aus Böhmen« von J. Svatek (Wien, 1879).