Internationale ^ammler^eifung Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde. Herausgeber: Norbert Ehrlich. 4. Jahrgang. Wien, 1. September 1912. Nr. 17. Chippendale. Von Dr. Heinrich Pudor (Leipzig). Die Wichtigkeit der Materialfrage kann kaum auf eine schlagendere Weise erleuchtet werden, als durch den einen Umstand, daß in England die ganze Renais sance des Möbels mit der heimischen Eiche steht und fällt, und daß das gleiche bezüglich des englischen Rokoko mit dem Mahagoni der Fall ist. Für die Kultur der eng lischen Renaissance mit ihren hohen Tlallen und schweren '1 iiren paßte die Eiche, für die Kultur des englischen Rokoko und das Geschmacksraffinement des dritten Viertels des 18. Jahrhunderts paßte das aristokratische Mahagoni und später Seidenholz (satinwood), welches von Ostindien nach England importiert und schnell Mode wurde. Neben dem gesteigerten Raffinement des Ge schmackes als einer unausbleiblichen Folge der gestei gerten Wohlfahrt des Landes war der Einfluß von zwei Ländern auf England zur Erstehung des Chippendale- Geschmackes maßgebend: Diese Länder waren China und Frankreic h.*) Die Kenntnis Chinas vermittelte England, nament lich Sir William Chambers, der Architekt, welcher zugleich auf Chippendale den größten Einfluß ausübte. Chambers hatte in früheren Jahren eine Reise durch China gemacht und brachte den »Chinesischen Stil« heim nach England, der um so schneller sich ausbieitete, als Sir William als ein Orakel in Geschmacksfragen galt. Wir müssen daher wohl oder übel erst dieses Mannes *) Literatur: Vorbilder der Kunst- und Möbeltischler im gotischen, chinesischen und Rokokostil von Thomas Chippen dale, Berlin, Ernst Wasmuth. Deutsche Ausgabe von The Gentleman and Cabinef-Makers Direktor heilig a large Collec tion of the most elegant and useful designs of Household fur- niture in the most fashionable taste calculatcd to improove and refine the present taste, and suited to the tancy and circurn- stances of Persons in all degrees of life by Thomas Chippen dale. London. Third Edition 1762. (Auf deutsch: »Handbuch für Möbeltischler mit einer großen Sammlung der elegantesten und nützlichsten Muster von Hausmöbeln im vornehmsten Ge schmack, berechnet dazu, den gegenwärtigen Geschmack zu verbessern und zu verfeinern, und angepaßt der Laune lind den Umständen von Personen in allen Lebenslagen.«) — The Chip pendale Period in English Furniture by K. Warren Clauston. London 1897. — Furniture and decoration in England during the XV1I1. Century London 1891 by John Adam Heaton. Vor bilder für Kunsttischlerei im Stile des XVIII. Jahrhunderts. Neue Folge. Berlin. Ch. Claesen & Cie. — Englische Möbel aus der Sammlung des k. k. Oesterreichischen Museums für Kunst und Industrie in Wien von Josef Wlha. Wien 1901. mit ein paar Worten gedenken. Chambers war im Jahre 1726 als Abkömmling einer alten schottischen Familie in Schweden geboren. 1728 kehrte sein Vater nach Eng land zurück. Chambers machte bereits als junger Mann eine Reise nach Canton, wo er die Sitten, Gewohnheiten und Einrichtungen der Chinesen studierte. Im Jahre 1757 gab er darüber einen großen Folioband heraus: »Designs of Chinese building.«* ) Wohlverstanden, die erste Auf lage von Chippendales Buch erschien drei Jahre früher, aber schon C 1 o u s t o n macht darauf aufmerksam, daß es leicht möglich ist, daß Chippendale die Zeichnungen, welche Chambers von seiner Reise, die also weit früher fiel, heirngebracht hatte, vorher gesehen hat. Weiter beschreibt nun Sir William ein chinesisches Zimmer. Die Wände sind etwa drei bis vier Fuß hoch mit Matten versehen, darüber mit weißem, gelbem oder goldenem Papier beklebt. Ati Stelle von Gemälden hängen lange Stücke von Seide oder Papier, in Rahmen gezogen, an den Wänden, so bemalt, daß sie Marmor oder Bambus imitieren, darauf sind Sprichwörter oder morali sche Sentenzen geschrieben. Die Möbel bestehen aus Stühlen, Sesseln und Tischen, aus Ebenholz, Rosenholz oder in Lackarbeit, oder auch bloß aus Bambus, der billig und hübsch ist. Die Sitze der Sessel sind oft aus Porzellan oder Marmor, welche Materialien für das heiße Klima vortrefflich passen. In den Ecken stehen Etageren, vier bis fünf Fuß hoch mit Fruchttellern oder Korallenzweigen in Porzellanvasen oder Glasballons mit Goldfischen. Auf kleinen Tischen finden sich ganz kleine Landschaften mit Felsen und Blumen und kleinen Tümpeln dargcstcllt. Von den Decken hängen vier Ampeln an seidenen Schnüren herab. So beschrieb Chambers, was er gesehen, und Eng- land machte es nach, und Deutschland machte es Eng land nach. Die weitere Entwicklung von Chambers, seine Reise nach Italien, sein Buch über Architektur be rührt uns hier nicht. Erwähnen müssen wir jedoch, daß die Kronprinzessin von Wales ihn zu ihrem Architekten für den Park ihres Palastes in Kew erwählte, und hier war es, wo Chambers auf seine chinesische Liebhaberei zurückging urrd neben den römischen Tempeln türkische *) Erwähnt sei, daß bereits im Jahre 1743 J. Spence ein Buch herausgegeben hatte: » particular account of the Em- peror of Chinas garden ncar Peking, in a lettre frorn F. attired« (eine Beschreibung des Gartens des Kaisers von China).