Nr. 17 Internationale Sammler-Zeitung. Seite 265 : ' ' i Der Handschriftenkatalog der Wiener Hofbibliothek. Ueber die handschriftlichen Neuerwerbungen der Wiener Hofbibliothek berichtet Dr. Franz Schöchner in der »Wiener Abendpost«: Von den im Jahre 1864 begonnenen »Tabulae codicurn manu scriptorum«, dem gedruckten Handschriftenkataloge der Hofbibliothek, ist nun der elfte Band erschienen, die letzten handschriftlichen Neuerwerbungen enthaltend. Dieses Mal ist, wie es in ähnlichen französischen und englischen Katalogen üblich geworden, die Indexform gewählt, wodurch, dem Stoffe entsprechend, eine leichtere Uebersicht erzielt werden konnte. Aus dein Katalog ergibt sich, daß es den Bemühungen des Direktors der Hofbibliothek, Dr. Ritter v. Karabacek, ge lungen ist, dem Institut neue wertvolle Schätze zuzuführen, wofür ihm der Dank aller Gebildeten gesichert ist. Aus dieser Sammlung sind vorerst die Prachtwerke zu erwähnen: »Quinque alphabeta ex variis figuris contexta in usum artificium«, die Faksimilia der Handschriften berühmter königlicher Häupter des 15. und 16. Jahrhunderts, die »Ima gines Sanetorum utriusque sexus, qui ad ill. Dornum Austria- cam et Habsburgicam iure sanguinis vcl matrimonii pertinent«, die wertvolle Handschrift der Berichte des Ferdinand C o r te z aus Mexiko an Kaiser Karl V., ein Geschenk Sr. Majestät des Kaisers an Allerhöchstseinen Bruder Maximilian Kaiser von Mexiko, die später von einem Getreuen wieder nach Wien gebracht wurde, ein Album mit Handzeichnungen, datiert aus dem Jahre 1643, von dem Miniaturenkünstler Ander! Urbanicz, Hofzwerg Kaiser Ferdinand III. Für Wien und Oesterreich sind von Wert die Sammlung von Grabschriften auf dem Friedhofe zu Neulerchenfeld (15971, Urbarbücher von Salzburg, St. Pölten und Troppau, die Briefe und Aktenstücke aus der Lacroix-Sammlung zur Ge schichte des Jahres 1848 in drei Abteilungen, enthaltend Oester reich, Lombatdei und Venedig, Ungarn und Siebenbürgen. Von berühmten Männern finden wir die Briefe des Grafen L. Khevenhiiller an Kaiser Karl VI. aus den Jahren 1735 und 1736 sowie eine ausführliche Beschreibung der Reise des Grafen Rüdiger von Starhemberg durch Deutschland, Frankreich und die Schweiz. Den größten Teil der Sammlung nehmen dramatische Werke ein von österreichischen und Wiener Autoren, die einen Einblick in das Theaterrepertoire eines ganzen Jahrhunderts gewähren, eine fast lückenlose Sammlung von Volksstücken, die zutn größten Teil unge druckt sind, daher eine Fundgrube für österreichische Volksdichtung bilden. Darunter befindet sich auch der gesamte literarische Nachlaß des Freiherrn Eligius von M ii n c h- Sellinghausen (Halm). Ein sehr interessantes Manuskript ist das Tagebuch des Schauspielers Karl Heinrich B u t e n o p, das in zwei Bänden dessen Kreuz- und Querfahrten in Deutschland von seinem 24. bis 86. Lebensjahre (13. Mai 1776 bis 21. April 1838) er zählt und von dem Schauspielerleben der damaligen Zeit ein deutliches Bild gibt. Butenop, später Schwiegervater des be rühmten Anschütz, erreichte ein Alter von 91 Jahren und starb am 22. Februar 1843. Noch ausführlicher ist das Tage buch Josef Karl Rosenbaums. Dieser, ursprünglich fürstlich Estcrhäzyscher Oekonomiebearnter, schrieb seine Erinne rungen von den Jahren 1797 bis 1829; sie enthalten eine Fülle von Notizen über Theaterstücke und Personen, die damals im geistigen Leben Wiens eine Rolle gespielt, und dienen jedem, der über das Theater-, Konzert- und Musikwesen jenes Zeit raumes schreibt, als wichtige Quelle. Ein Kalender mit Tagebuchbemerkungen »für meinen Schreibkasten« ist von der Hofschauspielerin Sophie Müller und zeigt ein echtes Künstlergemüt. Einen anderen Reiz bieten Stammbücher, deren die Neuerwerbungen auch mehrere um fassen. Da finden wir zum Beispiel ein Stammbuch des Violin virtuosen und späteren Orchesterdirektors am Theater an der Wien Franz Josef Clement, der schon mit acht Jahren Kon zerte in Deutschland, Holland und London gab. In dieses Buch schrieb Beethoven: »Wandte fort den Weg, den Du bisher so schön, so herrlich betreten. Natur und Kunst wett eifern, Dich zu einem der größten Künstler zu machen, folge Beiden und Du wirst nicht fürchten, das große — größte Ziel nicht zu erreichen, das einem Künstler hinieden möglich ist. Sey glücklich, lieber Junge, und komme bald, daß ich Dein liebes, herrliches Spiel wieder höre.« Ein anderes Stamm- und Gesellenbuch mit vielen schönen Sprüchen trägt die Jahres zahl 1579 lind ward in Frankfurt gefunden. Ein ganz eigentümlicher Literaturzweig war vor zwei Jahrhunderten entstanden, die geschriebene Zeitung, hervor- gcruten durch das in der Bevölkerung Wiens erwachte Be dürfnis, sich über die politischen und Tagesereignisse zu in formieren. Diese geschriebenen Blätter gingen von Hand zu Hand, unterlagen keiner Konzession, keinem Privilegium, keiner Zensur. Trotzdem die Regierung sie mit aller Strenge verfolgte, konnten sie nicht ganz Unterdrückt werden, son dern erhielten sich über ein Jahrhundert lang. Es wäre kaum möglich, sich von einer solchen Zeitung einen Begriff zu machen, wenn sich nicht ein solches Exemplar bis auf unsere Tage erhalten hätte, als wahrscheinlich einziges Zeugnis dieser journalistischen Spezies. Die Hofbibliothek erwarb nun drei komplette Jahrgänge einer geschriebenen Zeitung, umfassen i den Zeitraum vom 1. März 1791 bis 19. Dezember 1793, die Regierungszeit Kaiser Leopold II. und das erste Regierungs jahr Kaiser Franz’. Dieses Journal führte den Titel: »Der heimliche Botschafter.« *) Jede der zweimal wöchentlich, Dienstag und Freitag, erscheinenden Nummern umfaßte vier Seiten in Kleinquart, das Abonnement betrug monatlich zwei Gulden. Diese Blätter wurden in Briefen durch die Post be fördert oder lagen in den Kaffeehäusern auf, als Herausgeber nannte sich Franz Staudinger, dessen »Kontor« sich anfangs am Spittelberg Nr. 50 befand, später ins Wintergäßchen (bei der kleinen Laudskron Nr. 654) verlegt wurde. Es dürfte in tausend Exemplaren verbreitet gewesen sein. Das Blatt, das manche interessante Beiträge zur Lokalchronik Wiens enthält und viele unbekannte Details bringt, blieb nicht auf Wien be schränkt, es wurde auch ins Ausland verschickt und besonders in Deutschland abgedruckt, wo man sich aus diesen Notizen ein Urteil über Wien bildete, das freilich oft genug recht un günstig ausfiel. *) Der Verfasser müßte wissen, daß die Hofbibliothek nicht erst jetzt dieses geschriebene Journal erworben hat. Der Herausgeber dieses Blattes konnte bereits vor einigen Jahren (siehe »Neues Wiener Journal« vom 25. Dezember 1906) Aus züge aus dem Exemplar der Hofbibliothek veröffentlichen. Uebrigens ist auch ein Exemplar des »Heimlichen Botschafter« aus dem Nachlasse des Wiener Dechanten und Schriftstellers Dr. Albert Wiesinger in den Besitz der Wiener Stadt- bibtiothek übergegangen. Der Vorbesitzer des Wiesingerschen Exemplares dürfte Adolf Bäuerle gewesen sein. Anm. des Herausgebers.