International!’ $dmmler-2ßifuri0 Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde. Herausgeber: Norbert Ehrlich. 4. Jahrgang. Wien, 1. April 1912. Nr. 7. Wiener Künstlerkarten aus der Biedermeierzeit. Von .loset Wünsch (Wien). In den letzten Dezennien des 18. Jahrhunderts machte sich im Wiener Volksleben eine Bewegung be merkbar, die auf die Entwicklung der graphischen Klein kunst einen wesentlichen Ein fluß nahm: das Erwachen des Interesses weiterer Kreise an bildlichen Darstellungen der Zeitereignisse, des Volkslebens und der Stadt mit ihren Um gebungen. Der unternehmende Löschenkohl mit seinen künstlerisch allerdings zweifel haften Produkten »vor dessen Laden«, wie uns Pezzl in seinen Wiener Skizzen erzählt, »den ganzen Tag über viele Hunderte stehen bleiben, um seine ausgehangenen Stücke an zugaffen«, wird durch den schwunghaften Vertrieb seiner viclbegehrten Bilder, Silhou etten, Fächer und Karten ein reicher Mann. Aber auch künst lerisch bedeutende Bilderwerke, wie Brands Kaufrufe, die Opitz scheu Volksszenen, die Ansichten von Schütz und Ziegler und später die Sittenschilderungen Lanze- d e 11 i s, die alle einen reißen den Absatz finden, sind ein sprechendes Zeugnis des er wachenden Verständnisses für die Erzeugnisse der graphi schen Kunst. In dieser Zeit, wo die für sorgliche Staatsverwaltung be strebt war, alle politischen Lebenszeichen bei den ge treuen Untertanen und dem biederen Bürgertum zu unterdrücken und jeden freieren geistigen Aufschwung hintanzuhalten, wo sich das bürgerliche Leben in den friedlichen Bahnen schlichter und bescheidener Verhält nisse bewegte, war jene Lust und Freude am Bild lichen der Entwicklung der graphischen Kleinkunst be sonders günstig und erweckte sie zu neuem Leben. Dem Qeschmacke des Publikums folgend, waren Künstler und Unternehmer eifrig an der Arbeit, sich durch die bildliche Ausschmückung jener kleinen Qelegenhcitsdruckc, die heute als illustrierte Wunsch karten, Besuchskarten, Geschäfts- und Adreßkarten eine große Anziehung auf die Sammlerwelt ausüben, ins täg liche Leben einzuführen. Besonders die Glückwunsch karten, in deren sinniger und geschmackvoller Ausstattung sich die Herausgeber mit uner- schöpflicherErfindungsgabe über boten, erfreuten sich bei den Wienern bis in die Vierziger jahre großer Beliebtheit. Ja, es klingt uns heute fast unglaub lich, was der sonst so ge wissenhafte G r ä f f e r noch 1845 in seinen »Wiener Me moiren« bei der Beschreibung der Eder sehen Kunsthand lung am Graben schreibt: »Eigentümlich aber sind die Vi- site-Billets und Neujahrsge schenke, mit denen Eder ein so außerordentlich lebhaftes Geschäft macht, daß es sich un möglich schildern läßt. An ge wissen Namens-, besonders aber an den Neujahrstagen, wogen viele Hunderte von Käufern da aus und ein; der Laden im Zustand der Be stürmung. Wachen müssen Ordnung halten; Tausende solcher Billetts mit Flittern gestickt, mit einem gedruckten Versehen in farbigem Kuvert, i bis 2 Fl. im Preise, werden für hier und die Ferne verkauft.« Daß diese Vor liebe für die bildliche Ausschmückung von allerhand Karten, sich auch auf die Besuchskarten erstreckte, ist leicht erklärlich. Fig. 1. Besuchskarte Johann Drechslers.