Internationale $ammler-2ß]'fun0 Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde. Herausgeber: Norbert Ehrlich. 5. Jahrgang. Wien, 15. Juni 1913. Nr. 12. Die Autographensammlung Alfred R. v. Lindheim. Von Dr. Robert Donath (Wien). Was die Autographensammlung des ehemaligen ru mänischen Generalkonsuls, Landtagsabgeordneten Alfred Ritter von Lind heim in Wien, dem allgemeinen Interesse empfiehlt, ist vor allem das persönliche Moment, das ihren Besitzer mit in die Geschichte der Zeit einflicht, die in der Sammlung repräsentiert er scheint. Denn nur der kleinere Teil war schon in Anti quariatskatalogen gestanden. Der weitaus größere Teil der zirka tausend Stück umfassenden Sammlung wider spiegelt persönliche Beziehungen des Landtagsabgeord neten v. Lindheim zu jenen bedeutenden Kulturträgern, die sich das Anrecht auf unvergängliche Erinnerung er worben haben. Und hier wieder bezeugt es der kundige Blick der Auswahl, daß kein müßiges Spiel der Laune die stattliche Sammlung ins Leben rief, sondern die zielbe wußte Absicht, möglichst getreu das Kulturniiiieu einer Zeit, ihre führenden Prinzipien, wie sie in Autographen sich zeigen, der Nachwelt zu übermitteln. So findet in der Sammlung der Aufschwung der In dustrien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und I die finanztechnischen Errungenschaften dieser Epoche ebenso Berücksichtigung wie die politischen Maximen des zweiten französischen Kaiserreiches; der Ausbau der Weltwirtschaft, wie er durch Herstellung neuer Ver kehrswege (Suezkanal) und Veranstaltung von Weltaus stellungen erzielt wird, läßt sich hier ebenso verfolgen, wie die wissenschaftlichen und schöngeistigen Be strebungen des 19. Jahrhunderts und die Ergebnisse auf dem Gebiete der Kunst. Last not least, erscheinen die Verfechter des Friedensgedankens in schöner Harmonie mit berühmten Repräsentanten der bewaffneten Macht. Das Gesagte zu illustrieren, sei aus der reichen Fülle des Materials einiges herausgehoben. Da ist vor allem eine Reihe von Briefen bedeutender Persönlichkeiten, die sich um den zweiten Kaiser der Franzosen und seinen Staatsministcr Eugene R o u h e r (1814 bis 1884) gruppieren. Als im Jahre 1871 über das zweite französische Kaiserreich die vernichtende Katastrophe hereinbrach, wurde von den siegreichen Preußen auch das Schloß des französischen Ministers Rouher erobert, sein Archiv beschlagnahmt. Der Ordonnanzoffizier des Generals v. Tümpling im Hauptquartier des 6. Armeekorps, Wil helm v. L i n d h e i m,* wurde mit der ehrenvollen Auf gabe betraut, das Archiv Rouhers auf Papiere wichtigen, hauptsächlich militärischen Inhaltes zu durchforschen. Der Teil der Privatkorrespondenz des Ministers, der das Armeekommando weniger interessierte, wurde ihm ge schenkweise überlassen. Auf diesem Wege kam der dreißig Autographen umfassende Teil des Rouherschen Geheimarchivs in den Besitz des Landtagsabgeordneten v. L i n d h e i m. Seine historische Bedeutung liegt in seiner Pro venienz nicht weniger als in seinem Inhalt. Eugene Rouher war, wie bekannt sein dürfte, eine der festesten Stützen des bonapartistischen Dynastie gedankens, die Verkörperung, könnte man sagen, des Bonapartismus. Ais Staatsminister Napoleons Ui. unterhielt er Beziehungen, die über seine amtliche Tätig keit weit hinausgingen und vielfach privaten Charakter annahmen. In ihrer Wirkung auf die Korrespondenz lassen sie uns die Beteiligten sehen, wie sie wirklich sind, nicht wie der unechte Glanz politischer und gesellschaft licher Schminke sie uns sonst erscheinen lassen. Das Milieu ihres Kreises gewinnt dadurch eine Schärfe der Charakteristik, die um so höher zu werten ist, als sie Persönlichkeiten betrifft, denen in der Geschichte eine aktive Rolle zugewiesen war. In erster Reihe verdienen da vier I. a. s. Napo leons III. Erwähnung; sie haben eine Teilung Deutsch lands zum Gegenstand.** Weiters gehören dieser Brief sammlung an: eigenhändige Briefe und Billetts der Prin zessinnen Lätitia, der Tochter Lucia ns, Ma thilde, der Tochter Jerom es aus seiner Ehe mit Katharina von Württemberg, verehel. Fürstin Demi d o w, und des Prinzen Napoleon Jerome. Von den übrigen Persönlichkeiten, deren Briefe vor liegen, seien genannt: König Otto I. von Griechen- 1 a n d, Prinz Oskar von Schweden, Maria R a t- t a z i, Tochter des britischen Diplomaten Thomas W y s e, und der Prinzessin Lätitia, Lucians Tochter, Jules Favre, Richard Cobden, der österreichische Botschafter am Pariser Hofe, Fürst Metternich, * Rin Bruder des Landtagsabgeordneten v. Lindheirn. ** Von* Herrn v. Lindheim in der »Neuen Freien Presse« vom 12. Februar 1871 veröffentlicht.